Kleine Fotoreise durch Lübeck

Lübecker Rathaus und Marktplatz

Das Lübecker Rathaus

 

"Von diesen zu heiligen Zwecken bestimmten Räumen wenden wir unseren Blick zu den merkwürdigsten anderen öffentlichen Gebäuden. Unter ihnen ist das bedeutendste das Rathaus, fast in der Mitte der Stadt, zwischen dem Markt und der Marien-Kirche. Der Geschmack der Zeit, in welcher es erbauet wurde, gab ihm Größe und weiten Umfang. Aber die Bauart hat nichts Ausgezeichnetes, sie ist fern von aller Schönheit und ohne Anspruch auf Pracht So wie das Bedürfnis es forderte, ward der Bau erweitert und im Innern verbessert. Und eben deswegen mangelt ihm durchaus an Übereinstimmung; jeder einzelne Teil trägt das Gepräge seiner Zeit.

 

Aber welche Erinnerungen aus der alten Zeit knüpfen sich an diesen Platz, erhebend den Stolz jedes Eingeborenen, wenn er bedenkt, welche Entschlüsse und Begebenheiten hier begründet und vorbereitet wurden! Hier erschienen Fürsten und Könige, in diesen Mauern wurde das Schicksal mancher Reiche entschieden, so lange Lübeck, als Haupt der Hanse, dem Norden Gesetze vorschrieb, und es wagen durfte, Völker durch Kriege zur Nachgiebigkeit zu zwingen, anderen tätige Hilfe zu versichern und zu leisten. Die mächtigen Bundesgesandten von 85 Städten berieten hier über gemeinschaftliches Wohl und trotzten der Gewalt benachbarter wie entfernter Regenten. Jene kräftige Zeit mit allen ihren Taten tritt vor das Gedächtnis und die heldenmütigen Ahnen schweben dem Geiste vorüber, wenn der Blick auf diesem Gebäude ruht; noch lebendiger aber war der Ein druck, als man noch den alten Hansesaal betreten und die glänzende Epoche unseres Ruhms sich vergegenwärtigen konnte1.

 

Das erste Rathaus, wahrscheinlich bereits zu der Zeit, als Heinrich der Löwe der Stadt eine Regierung anordnete, errichtet, ward 1358 oder 1360, wie man behauptet durch Nachlässigkeit bei Bearbeitung des Schießpulvers, ein Raub der Flammen, die es bis auf den Grund zerstörten. Aber bald entstand es aus seiner Asche und erhielt nach und nach bedeutende Vergrößerungen und manche Veränderungen im Innern2. Besonders der letzte Bau 1817 gab einzelnen Teilen eine neue Gestalt und trug viel zur Verschönerung und besseren Einrichtung bei.

 

Jetzt besteht es aus dem Hauptgebäude in der Mitte und zwei langen, aber schmäleren Seitenflügeln, deren Umfang sich von der Hüxterstraße bis zur Mengstraße erstreckt. Die hohen Mauern des ersten, an der Seite des Marktes, haben manches Besondere in der gotischen Bauart, vornämlich am oberen Teil durch die kühnen, runden Bogen an der einen und durch die Öffnungen an der zweiten Hälfte. Auf ihrem Rand stehen zahlreiche Türmchen, deren vormals noch mehrere waren3.

 

Durch eine Vorhalle, vor welcher zwei uralte Metallarbeiten aufgestellt sind4, tritt man auf die geräumige Flur, welche bei der letzten Veränderung von allem Überflüssigen befreit und mit angemessener Stuckatur-Arbeit verziert wurde. Gleich beim Eintritt zur rechten Hand ist der Eingang zum Versammlungszimmer des Senats. Die hochgewölbte Tür behielt ihre alte Gestalt von 1573. Im dunkelbraunem Holz enthält sie artige Schnitzwerke, künstlich geordnet und inwendig goldene Regeln in plattdeutscher Sprache. Das Innere des Saals veränderte sich vorteilhaft im Jahr 1754 durch bedeutende Erhöhung und Verzierung. Stefano Torelli, ein Künstler aus Bologna, schmückte die Wände mit zehn ausgemalten Fächern; Darstellungen allegorischer Gruppen, im neueren italienischen Geschmack und Kolorit, erinnern an Lübecks Wohl und die Pflichten, welche einer so ehrwürdigen Versammlung heilig sein müssen und es sind5. Hinter einer niedrigen Scheidung stehen die Sitze des Rates, welcher hier an den gewöhnlichen Tagen und zu öffentlichen Handlungen zusammenkommt.

 

Eine freie, steinerne, 1817 neu erbaute Treppe führt zu den oberen Gängen. Diese enthalten in einer langen Reihe die verschiedenen Geschäftszimmer der mannigfaltigen Verwaltungen und Gerichte, des Stadtbuchs und der Kasse und andere zu Bürgerversammlungen. An den Türen ist ihre Bestimmung verzeichnet und die meisten wurden bei dem Bau einfach, aber mit Geschmack verziert.

 

Altertümlich mit vielen Schnitzwerken aus Holz und Alabaster, Werken des 16. Jahrhunderts, blieb ein geräumiges Zimmer am südlichen Ende des Ganges, wegen des ehemaligen Gebrauchs gewöhnlich die Kriegsstube genannt. Die vor derselben aufgestellten Gemälde, Werke einheimischer Maler, sind mehr Beweise des guten Willens, als großer Kunstfertigkeit. Von den hohen Balken schauen einige ausgestopfte Löwen herunter, welche die Stadt Gampen ihrem Oberhaupt Lübeck l483 schenkte, an denen aber der Zahn der Zeit zerstörend genagt hat.

 

Durch eine Glastüre und von einer Galerie hinter derselben hat man von oben den Blick in die Börse, welche in dem unteren Teil des Hauptgebäudes liegt. Ein doppelter Eingang führt in diesen Versammlungsplatz der Kaufmannschaft. Das Lokal ist geräumig und hell, von einer ansehnlichen Höhe, mit Gipsarbeit, einer Uhr und Windrose geziert und 1817 neu ausgemalt. Ursprünglich und in den Zeiten des blühenden niederländischen Tuchhandels war es das Gewandhaus, ist aber seit 1673 zu seiner gegenwärtigen Bestimmung eingerichtet und 1755 erweitert. Während der letzten Kriegsjahre ward es mannigfacher fremdartiger Benutzung Preis gegeben. Möge die neue Zeit die frühere Tätigkeit und den Gewinn in dasselbe zurückführen und das freudige Leben, das sonst hier herrschte, wieder erwecken! Bei der einfachen Bauart und dem weiten Raum, der über achthundert Menschen fassen kann, bildet dieses Gebäude einen herrlichen Konzertsaal für die Aufführung größerer Musikstücke, wozu es häufig benutzt wird, wenn die anderen zu diesem Zweck bestimmten Säle die Menge der Zuhörer nicht fassen können6.

 

Unter der Börse und dem größeren Teil des Rathauses liegt der 1442 angelegte städtische Weinkeller. Vom Markt her führt der Haupteingang in die weitläufigen, sich durchkreuzenden Gewölbe. Bis 1812 enthielten diese Hallen einen großen Reichtum an uralten deutschen Weinen, deren Verkauf zum Vorteil der Stadt hier ausschließlich gestattet war. Zu allen Zeiten suchten zahlreiche Gäste hier Genuss und Fröhlichkeit. Besonders an den Abenden um die Zeit des Weihnachtsmarktes versammelte sich ein dichtes Gewühl von Menschen aus allen Ständen, die unter lautem Gläserklang das neue Jahr begrüßten. Einzelne Gesellschaften fanden sich in abgesonderten Zimmern zusammen, wenn der lärmende Haufen sich zerstreut hatte7. Allein diese laute Freude ist meistens verstummt durch fremde Gewalt und den Druck der Zeit. Ein Zwangsbefehl forderte damals den Verkauf der köstlichen Weine und seitdem ihrer ehemaligen Schätze beraubt stehen die Gewölbe fast leer und sind zu einer Privatschenke vermietet.

 

Der lange nördliche Flügel enthält mehrere Geschäftszimmer, oben für die Consumtions-Accise, des Stadtgerichts, die Privat -Disconto-Kasse und die Einhebung des Handelszolls; unten für die Armen-Anstalt, die städtische Polizei, weiterhin die Bierprobe und die Registratur, am Ende die Brandwache.

 

Was Lübeck außer diesem Rathaus an öffentlichen Gebäuden aufzuweisen hat, diejenigen, welche zu wohltätigen Zwecken bestimmt sind, ausgenommen, ist wenig und ohne Bedeutung.

 

Was der Handel bedurfte, geräumige Magazine für mancherlei Waren, vorzüglich zur Aufbewahrung von Korn, Bauholz, Teer, Kalk und Pulver, liegen meistens innerhalb des Walles am Ufer der Trave, in langen Reihen und einzeln, auf einem Platz, die Lastadie genannt8. Hier befinden sich auch das Gießhaus, der Teerhof und die Baustellen für größere Seeschiffe. Die Speicher der Privateigentümer sind hinter den Wohnhäusern und in anderen dazu eingerichteten Gebäuden.

 

Die Stadt besaß vor Zeiten einen groben Vorrat an Geschützen, auf den Wällen und in dem Zeughaus aufbewahrt. Hier prangten auch die Beuten früherer Eroberungen, die ehrwürdigen, alten Rüstungen tapferer Helden, welche für den Ruhm der Vaterstadt gefochten hatten und eine Menge alter Waffen aus dem Mittelalter, neben errungenen Siegeszeichen. Es standen hier zwei große Kanonen von seltener Schönheit und innerem Wert, ein Werk hiesiger Meister, welche die Eroberer 1806 noch vorfanden und nach Paris führten. Auch da erregten sie Bewunderung und wurden späterhin, als Trophäen deutscher Tapferkeit, die eine nach Berlin, die andere nach Wien gebracht. Allein da man den Verkauf alles Geschützes für ratsam fand, traf gleiches Los jene Denkmäler der alten Zeit und von seinem früheren Schmuck entblößt steht das Gebäude fast leer und erhält nur noch in seinem Namen die Erinnerung an die vormalige Bestimmung."

 

1 Dieser Saal, über der jetzigen Audienz, war von ansehnlicher Größe. Hinten standen die Sitze der Wortführenden und rund herum feste Bänke für die Abgeordneten. Am Gesimse befand sich eine gemalte Darstellung von dem Einstig des Kaisers Mathias zu Dresden im Jahr 1617. Aber leider zerstörte ihn der Bau von 1817 gänzlich und verwandelte ihn in Geschäftszimmer für die Verwaltungen, denen es an Platz zu ihren Versammlungen fehlte. Nur eine genaue Zeichnung bewahrt noch das Andenken an die ehemalige Einrichtung. Eine Beschreibung enthält der Brief eines Reisenden, in Smidts hanseatischem Magazin, 3 Bd. Bremen 1800. S. 285.

 

2 So entstand 1442 der südliche Anbau am Markt, mit den Goldschmiedsbuden und der Waage; — 1482 den langen Flügel hinter der Marien Kirche; wegen der ehemals dort befindlichen Kanzlei führt der ganze Teil noch immer diesen Namen. An der inneren Seite trägt ihn ein Bogengewölbe, von 22 Granitsäulen gestützt, deren sechzehn im Jahr 1614, und sechs 1818 neu aufgeführt wurden. Das gotische Portal des Haupteinganges kam hinzu 1612— der Teil bei der Börse 1570.

 

3 Diesen Teil zeigt die Ansicht des Marktes. Mehrere Spitzen an der Seite des Kirchhofes mussten in den letzten Jahren abgenommen werden, weil ihre Last die Mauer zu schwer drückte und man dem Ausweichen derselben Grenzen setzen wollte.

 

4 Dieses sind zwei Banklehnen, Meisterstücke ihrer Zeit, im Jahr 1352 gegossen. Sie wiegen zusammen achteinhalb Schiffpfund und enthalten in halberhobener Arbeit die Gestalten eines sitzenden Kaisers und eines Altdeutschen, welcher das Stadtwappen hält. — Von den beiden metallenen Schilden an der Tür, welche Bildnisse der damaligen Kurfürsten in einem Kreis zeigen, ist das eine sehr alt, das andere 1817 von dem hiesigen Metallarbeiter Winkelmann dem ursprünglichen mit viel Genauigkeit nachgebildet.

 

5 Sie enthalten nämlich die Darstellungen des Handels, der Verschwiegenheit, der Stärke und Beständigkeit, der Vorsicht, der Wachsamkeit, des Fleißes und Überflusses, der Gerechtigkeit und des Friedens, der Religion und Liebe, der Freiheit und der freien Künste.

 

6 Hier werden die Konzerte zum Besten der Armenanstalt gegeben und konnte man, bis zur Zeit der französischen Herrschaft, jährlich um die Adventszeit an fünf Abenden geistliche Oratorien hören, welche der Organist an Marien komponierte und zu seinem Vorteil aufführen ließ; hier erfreute man sich der Stimmen berühmter Sänger; auch die Catalani wählte dieses Lokal.

 

7 Solche Feste schildert Merkel in seinen Briefen über Hamburg und Lübeck. Leipzig 1801. S. 423 ff. Doch mit zu grellen Zügen und übertriebener Verachtung.

 

8 Die Korn- und Bretter Magazine neben der inneren Holsteinbrücke, welche jetzt ein Privateigentum sind, zeigt die Kupferansicht der Holsteinbrücke und einen Teil des Lagerplatzes für Bretter und Balken: die Trave von der Holsteinbrücke aus.

St. Marienkirche

Der sagenhafte Teufel vor St. Marien
Der sagenhafte Teufel vor St. Marien

 

Die St. Marienkirche in Lübeck

 

"Unter allen behauptet die Marien-Kirche den ersten Platz. Sie verdient denselben mit Recht, sei es in Hinsicht der herrlichen Bauart oder ihres inneren Reichtums an Denkmälern der Kunst. Neuere Kirchen mögen sie übertreffen an Gefälligkeit der Form; gewiss wenige in Deutschland kommen ihr gleich an Kühnheit des Entwurfs, an Größe und Sicherheit der Ausführung. So rühmen sie mündliche und schriftliche Zeugnisse als die ausgezeichnetste Kirche des ganzen nördlichen Deutschlands aus den Zeiten der gotischen Bauart. Sie stellen sie gleich oder nahe kommend den Domen von Köln, Straßburg und Wien, in eine Reihe mit der Dreifaltigkeitskirche zu Roskilde in Dänemark.

 

Auf dem Rücken des Hügels erbaut, in der Mitte der Stadt, ragt sie hervor über alle Umgebungen, ein majestätisches Denkmal des kräftigen menschlichen Willens und des beharrlichen Fleißes in der Vollendung. Denn sie ist nicht aus Quadersteinen aufgeführt, wohl auf solchen begründet, aber nur von gewöhnlichen Backsteinen errichtet. Und doch strebt sie empor in seltener Höhe, mit bewundernswürdiger Festigkeit schon über sechshundert Jahre der Zeit und allen Stürmen trotzend.

 

Ihre Bauart ist dieselbe, wie in den übrigen Kirchen Lübecks, von größerer Länge als Breite. Ihre Form die eines langen, oben abgerundeten Kreuzes, mit kurzen Armen. Schon von außen lässt sich das hohe Mittelgewölbe unterscheiden, das mit seinen Fenstern gerade und fest über die Seitengänge hervorragt. Das Dach ist mit Kupfer bedeckt. Freistehende Bogen stützen es von beiden Seiten, besonders zahlreich am östlichen Ende und geben dem Ganzen, besonders in der Verkürzung betrachtet, ein charakteristisches Ansehen. Unter den hohen, spitzgewölbten Fenstern dieser oberen Kuppel läuft, unterhalb eines zweiten Daches, auf beiden Seiten eine Reihe ähnlicher Fenster herum, und zum Teil am Fuß eine dritte kleinerer in den Kapellen. Zwei hohe Türme in viereckigen Mauern, mit ansehnlichen runden, mit Blei bedeckten Spitzsäulen, den höchsten unter allen, begrenzen das westliche Ende. Sie sind späteren Ursprungs. Erst nach anderthalb Jahrhunderten ward durch sie der Bau vollendet1. Der südliche trägt das herrliche Geläute der zahlreichen und großen Glocken. Dem ersten Anblick nach scheint er Gefahr zu drohen, indem er sich etwas zur Seite geneigt hat. Aber genaue Untersuchungen bestätigen seine völlige Sicherheit, ungeachtet er bei vollem Gebrauch aller Glocken sich bewegt. Selbst den gewaltsamsten Stürmen vermag er, wie bisher, noch lange Trotz zu bieten. Ein kleiner Turm, später errichtet und von besonderer Form, steht in der Mitte des Daches2. In ihm hängen, dem Auge sichtbar und bei starken Stürmen oft von selbst ertönend, die Stundenglocken, von anderen umgeben, welche, regelmäßig gestimmt, bei vollen und halben Stunden die Melodie eines ganzen Chorals oder einzelner Strophen spielen, nach den Jahreszeiten oder Festwochen abwechselnd. Eine Walze im Uhrwerk treibt sie oder Menschenhände bewegen sie bei feierlichen Gelegenheiten.

 

Diese Kirche gehört zu den ältesten Gebäuden der Stadt. Schon dreiundzwanzig Jahre nach der neuen Begründung (1163) war sie bereits vorhanden3. Aber nur allmählig gelangte sie zur Vollendung. Doch scheint die Anlage des Ganzen aus einer Periode und nach demselben Plan, wenngleich die Pfeiler des Chors schlanker und von gefälligerer Form sind, als die im übrigen Teil. Der Reichtum ihres inneren Schmucks war das Werk einzelner Personen und Familien aus verschiedenen Zeiten. Ihre Bildnisse, Wappen und Schilder bewahren ihr Andenken der dankbaren Nachwelt.

 

Sechs Türen, die fast alle in den letzten Jahren neu wieder erbaut sind, führen in das Innere. Mit Bewunderung und ergriffen von dem herrlichen Anblick der Größe, übersieht das Auge die drei Gewölbe, von hohen und schlanken Pfeilern getragen. Das mittelste besonders überrascht durch seine Höhe, die sich von dem Standpunkt unter der Orgel am besten übersehen lässt4. Zwei niedrigere Gänge ziehen sich um dasselbe in gleicher Länge und vereinigen sich hinter dem Hochaltar. An diese schließen sich die geräumige Beichtkapelle hinter dem Uhrwerk und zwei Reihen anderer Kapellen, zu Begräbnisgewölben und Kirchenstühlen bestimmt.

 

Ausgezeichnet ist der kühne und doch gefällige Bau, die überall gleiche Helligkeit und das freundliche Innere, von allem Düstern und Melancholischen durchaus frei. Schon sind die Verzierungen der Säulen an ihren oberen Teilen, von künstlichem Laubwerk, sämtlich in Stein gehauen, alle übereinstimmend, aber an jedem Pfeiler anders. Groß und erhaben bietet sich der Totaleindruck dem Anschauen dar, kostbar und von großem Reichtum das Einzelne der Verzierungen und Denkmäler.

 

Hat man sich durch den Anblick des Ganzen erhoben gefühlt, so verweilt das Auge mit Wohlgefallen bei der Betrachtung der mannigfaltigen und kunstvollen Verzierung jedes besonderen Teiles. Fast kein Platz ist leer, überall zeigen sich Denkmäler alter und neuer Kunst, Monumente, Gemälde, Schnitzwerke in Holz und Stein aus alten Zeiten. Der fromme und dankbare Sinn früherer und späterer Geschlechter vereinigte in dieser Kirche vieles, das man wohl selten in anderen zusammen antrifft. Allenthalben findet sich der Neugierige angezogen durch das Prächtige und der Blick des Kenners sieht sich befriedigt durch Werke von hohem Wert, welche er unter der Menge entdeckt. Und so viele Tausende sie durchwanderten, keiner verließ sie ohne Bewunderung und gerechte Anerkennung ihrer ausgezeichneten Vorzüge. Sie blieb ihm ein redender Beweis von Lübecks ehemaligem Reichtum sowie von dem religiösen und Kunstsinne seiner Bürger, besonders der früheren Zeit.

 

In der Ausschmückung des Inneren mag im Laufe der Jahrhunderte vieles sich verändert haben. Manches alte Kunstwerk ist vielleicht verschwunden, weil man den wahren Wert nicht erkannte. Unscheinbar geworden durch die Länge der Zeit, durch Staub und Sonnenlicht, warf die Unkunde es von seinem Platz, stellte es unter altes Gerät, überlieferte es wohl gar, alt unbrauchbar, der zerstörenden Flamme. Doch was jetzt noch vorhanden ist, darf ein ähnliches Schicksal nicht fürchten. Man hat die Wichtigkeit dieser alten Denkmäler der Kunst schätzen gelernt; ein eigner Ausschuss von Kennern hat die Sorge für ihre Erhaltung und möglichste Wiederherstellung übernommen und die öffentliche Aufsicht ihnen kräftigen Schutz zugesichert5. Auch ist des Übriggebliebenen noch genug, um die Aufmerksamkeit zu erwecken und zu beschäftigen6.

 

Aber so wie überall bei einem reichen Vorrat das Mittelmäßige dem Ausgezeichneten zur Seite steht, so auch in diesen Werken der Kunst. Die Arbeiten der Meister in ihrem Fach gesellen sich zu den gewöhnlichen; geschmackvolle Darstellungen zu überladenen und sonderbaren; Leistungen von hohem Wert zu minder wichtigen. Wie der Geist der Zeit sich änderte, wie er die Kunst zu ihrer Blüte erhob und sie wieder sinken ließ, stellt er sich hier dar, wo alles nach und nach sich sammelte. Die Bildung und der verschiedene Kunstsinn der Besteller und Arbeiter spricht sich hier aus in mannigfaltigen Abstufungen; der Reichtum und der gute Wille bei beschränkten Kräften lieferten Verschiedenes in Absicht des inneren Gehalts und der äußeren Form.

 

Dies bestätigt sich zuerst in den Gemälden, welche diese Kirche aus alter und neuer Zeit aufbewahrt. Neben den Meisterwerken eines Holbein, Altdorfer, Perugino, van Dyk, Williges, Gröger und anderer, finden sich mittelmäßige Stücke von de la Val und mehreren genannten und ungenannten Malern.

 

Zwei ausgezeichnete Gemälde der deutschen Schule aus dem 16. Jahrhundert, der Blütezeit dieser Kunst, finden sich an der Wand hinter dem Altar. Eine Anbetung des Christkindes ist der Gegenstand des ersten, eines Altarschrankes mit zwei Türen. Kein bestimmtes Zeichen nennt den Verfertiger, nur die Jahreszahl 1518, die sich an einer Säule befindet, weist auf die Periode der Kunst hin, in welcher es entstand. Aber die ganze Bearbeitung, das zarte Kolorit, der fromme Ausdruck in dem Gesicht der Maria, die Lieblichkeit des Kindes, die sinnige, kunstvolle Erleuchtung, die auf der linken Tafel teils von diesem, teils von einem halbbedeckten Licht in der Hand Josefs, ausgeht, der Fleiß in der ganzen Behandlung, beurkunden den großen Meister. Die gewöhnliche Angabe nennt Holbein und das Urteil der Kenner bestätigt sie. Die Geber dieses Gemäldes, Gotthard von Hövelen und seine Gemahlin, ließen sich darauf abbilden, wie sie, in der Tracht ihrer Zeit, knieend ihre Anbetung und reiche Geschenke darbringen. Das Ganze ist unter reichen, architektonischen Verzierungen geordnet, zwischen welchen sich Ansichten von Jerusalem zeigen. Der rechte Flügel enthält die Flucht nach Ägypten und die Außenseite Adam und Eva. — Als Gegenstück hängt auf der anderen Seite, neben der Beichtkapelle, eine ähnliche Altartafel mit vier Türen, ein Werk von Albrecht Altdorfer, ausgezeichnet durch die Lebhaftigkeit der Farben. Das Mittelbild enthält auf Goldgrund eine Anbetung der Dreieinigkeit.

 

Über den Wolken kniet zu beiden Seiten eine große Menge von Männern und Frauen, unter welchen sich im Vordergrund als Hauptfiguren wahrscheinlich die Geber in Pilgertracht hervorheben. Auf dem linken Bild erscheinen dieselben Gestalten vor Mönchen kniend, mit Anzeichen hoher Würden. Besonders schön ist der Hieronymus auf der Außenseite derselben Tafel und einzelne Köpfe7. Weniger glänzend, aber eigentümlich in der Darstellung, ist ein großes Gemälde mit einer Tür neben der oberen nordöstlichen Kirchentür, von einem ungenannten Meister, wahrscheinlich aber aus der niederländischen Schule und den früheren Zeiten der Kunst. Das Hauptbild enthält eine Kreuzigung Christi zwischen den beiden Schachern, umgeben von einer zahlreichen Menge allerlei Volks. Der Geschmack des Künstlers kleidete sie in bunte Gewänder, nach der Sitte seiner Zeit, und seine Einbildungskraft wählte eine sonderbare Bezeichnung des Charakters der beiden Missetäter. Zwei kleine, über den Häuptern schwebende Figuren empfangen die entfliehenden Seelen; ein Engel nimmt den Geist des reuigen aus dem Mund, ein Teufel den des verstockten Schächers aus seinem Ohr entgegen. Auf der Nebentafel ist eine Anbetung Christi als Kind, in gleichem bunten Gemisch von allerlei Figuren im Kostüm der damaligen Periode. Der matte Farbton und die ganze Behandlung, so wie manche Verzeichnungen, verraten ein hohes Alter, das zugleich aus den Umgehungen dieses Bildes hervorgeht8.

 

Verdiente der bisher dargestellte Reichtum an Gemälden Bewunderung, so sind nicht weniger beachtungswert die zahlreichen Werke der Bildhauerkunst, sowohl in Stein als in Holz, welche dies Gebäude fast in jedem seiner Teile zieren. Das erhabenste Denkmal dieser Art ist der Hochaltar, 1697 von dem berühmten Künstler Thomas Quellinus aus Antwerpen errichtet; ein kostbares Geschenk des Ratsherrn Thomas Friedenhagen. Ansehnlich ist seine Höhe mit den Pfeilern gleich; bedeutend waren die Kosten, umso mehr, da die erste Sendung des dazu bestimmten Marmors bei einem Schiffbruch verloren ging. Er ist ganz aus diesem Stein erbaut; der Grund aus schwarzem, die Verzierungen aus weißem, mit reichen Vergoldungen auf blauem Grund in der Wölbung. Schön gearbeitet sind besonders die groben Statuen der Maria und des Johannes, so wie das Brustbild des Gebers; vor allem aber das weiß marmorne Basrelief der Einsetzung des Abendmahls über dem Altartisch.

 

Die fleißige Hand desselben Meisters schuf mehrere marmorne Denkmäler angesehener Männer, namentlich der Bürgermeister Hieronymus von Dorne, Anton Winkler, Jakob Hüben, und der Ratsverwandten Adolph Brüning und Hartwig von Stiten. Überladen ist manchmal seine Anordnung, aber äußerst reich und sauber die Ausführung des Einzelnen.

 

Auch andere geschickte Arbeiter trugen das Ihrige zur Verschönerung bei und ihre Werke bieten sich überall dem Blick dar. Unter andern verdienen ruhmvolle Erwähnung: die Büste des 1778 verstorbenen Konsuls Johann Peters, einfach im antiken Geschmack von Landolin Ohmacht aus weißem italienischem Marmor verfertigt; die alten, 1498 aufgestellten, steinernen Basreliefs aus der Leidensgeschichte Jesu, in einer langen Reihe hinter dem Altar, ein Geschenk der Saligers und Brümsen; das Epitaphium des Bürgermeisters Johann Westken von 1720. Wenige Kanzeln kommen vielleicht der hiesigen gleich, welche Brausewind 1691 aus schwarzem Marmor schnitzte, mit weißen Verzierungen zwischen bunten Säulen und über der Decke. Von bewundernswürdiger Zartheit ist das feine Laubwerk an den Spitzbogen, welche das Chor tragen, wahrscheinlich aus früherer Zeit als das Holzwerk, und vom Feuer nicht angegriffen. Merkwürdig bleiben immer die beiden schlanken Granitsäulen in der Briefkapelle, aus einem Stück, bei einer Höhe von 45 ¼ Ellen. Schon fünf Jahrhunderte stehen sie an ihrer jetzigen Stelle, indem dies Gewölbe 1310 erbauet wurde und schon vorher dienten sie der Sage nach zu gleichem Zweck in Bardewyk, dieser uralten Stadt, welche Heinrich der Löwe (1189) zerstörte. Schön gearbeitet sind in eben dieser Vorhalle die Verzierungen der Bogen über der inneren Tür, wahrscheinlich von eben der Hand, wie die am Chorgewölbe.

 

Auch die Holzarbeiten im Innern sind mannigfaltig und meistens sehr gut geschnitzt. Fast an allen alten Gestühlen winden sich künstliche Laubwerke und Figuren, unter welchen sich die am Bürgermeisterstuhl vorzüglich auszeichnen. Unter den zahlreichen Denkmälern und Wappenschildern verraten manche eine geübte Fertigkeit. Den Preis unter allen, sowohl an Reichtum der Figuren in der saubersten Ausführung, als an Vergoldung, verdienen zwei alte Altartafeln. Die eine, in der Bergfahrer-Kapelle unter der Orgel, ist 1425 verfertigt und stand ehemals am Hochaltar, durchaus mit glänzendem Gold überzogen. Die andere, in der Kapelle daneben, ist noch vorzüglicher durch kunstvolle Arbeit und geschickte Anordnung der Figuren, die tief hintereinander zurücktreten. Je genauer man das Einzelne betrachtet, das freilich nicht ganz ist, desto mehr bewundert man den Fleiß und die Geduld des Künstlers, der diese Gruppen zwischen architektonischen Verzierungen in verschiedenen Abteilungen über- und nebeneinander aufstellte.

 

Die Arbeiten in Metall müssen in der altern Zeit im nördlichen Deutschland zu einer hohen Vollkommenheit gestiegen sein. Wenigstens liefert die Marien-Kirche einige Beweise davon. Sie enthält eines der größten Stücke der Gießkunst, die das nördliche Deutschland aufzuzeigen hat, nämlich ein Sakramenthäuslein aus vergoldeter Bronze, das neben dem Altar aufgestellt ist. Mehrere Säulen und krause Schnörkel bilden ein hohes und schlankes Türmchen, durchaus voll Figuren und anderen Verzierungen, insgesamt mit der höchsten Feinheit ausgeführt. Auch das große Taufbecken, 1337 von Hans Anengeter aus Sachsenland gegossen, ist ein schönes Werk. Die häufig vorkommenden messingenen Platten der Leichensteine und einige Denktafeln an den Wänden sind kunstvoll gearbeitet.

 

Ein eigentümliches, allgemein gerühmtes Kunstwerk ist die astronomische Uhr, welche die ganze Hinterwand des Altars einnimmt9. Bei der Mannigfaltigkeit der Gegenstände ist die Einrichtung des inneren Räderwerks sehr einfach und ein sprechender Beweis von der Geschicklichkeit des ungenannten Künstlers. Das Ganze besteht aus drei Abteilungen übereinander. Das unterste Fach lullt eine große bewegliche Scheibe, mit allen Angaben der gewöhnlichen Kalender, in konzentrischen Kreisen, für die Jahre 1753 bis 1875. Täglich rückt sie um eine Zeile weiter gegen eine links befindliche vergoldete Hand, deren vorgestreckter Finger auf das jedesmalige Datum hinweist. — Die mittlere Abteilung ist die künstlichste. Sie zeigt an beweglichen Stangen den täglichen Stand der Sonne, des Mondes mit seinem wechselnden Licht und der früher bekannten Planeten im Tierkreis. Die oberste enthält eine mechanische Spielerei, die indessen täglich um die Mittagsstunde eine Menge Neugieriger herbeiführt. Auf einer beweglichen Scheibe erscheinen, sogleich nach dem zwölften Glockenschlag, die buntverzierten Gestalten des Kaisers und der sieben Kurfürsten (das Volk nennt sie Apostel), von einem Ratsdiener begleitet, aus der Tür rechts hervortretend. Sie gehen vor einem Christus vorüber, der sie mit der beweglichen Hand segnet, wogegen sie ihn mit einem Kopfnicken begrüßen, und verschwinden durch die andere Pforte, die sich hinter ihnen schließt. Das Sonderbare ihrer Bewegungen, die Verbeugungen der beiden anderen Ratsdiener in altertümlicher Tracht, die unharmonischen Töne der posaunenden Engel, können selbst dem Ernsthaftesten ein Lächeln abgewinnen. Jeder Schlag der Glocken wird durch bewegliche Figuren bewirkt und bei halben und vollen Stunden in der Kirche und oberhalb im Turm von einem doppelten Glockenspiel begleitet.

 

Neben diesem allen hat die Kirche noch einen besonderen Vorzug durch die beiden Orgeln. In dem höchsten Teil des Mittelgewölbes steht die große, prachtvoll durch ihre Verzierungen und reichen Vergoldungen, so wie durch den reinen Silberglanz der sichtbaren Pfeifen. Von oben herab tont ihr voller und herrlicher Klang, lieblich in den sanfteren Registern und mit außerordentlicher Kraft in den tieferen Grundtönen. Wer sie hörte, wenn sie beim Gottesdienst den Gesang der Gemeine begleitet oder sonst, wenn die Meisterhand des jetzigen Organisten von Königslöw, der sie durchaus kennt, ihren ganzen Reichtum hervorhebt, der gestand ihr bewundernd den Preis vor vielen anderen zu. So selten ihrer in Schriften erwähnt wird, so gebührt ihr, wo nicht der erste, doch ein vorzüglicher Rang unter den Orgeln Deutschlands, sei es in Betracht des Umfangs oder der Zahl der Register und der Fülle des schwellenden Tones. Nach Urteilen von Kennern kommt sie der Harlemer nahe. Unbekannt ist der Name des ersten Erbauers. Aber die Zeit ihrer Entstehung setzt man gewöhnlich um das Jahr 1518. Doch ist sie nachher vergrößert und mehrmals verbessert worden. Mit ihr wetteifert die kleine Orgel, über dem Totentanz. Sie ist aus der Katharinen-Kirche hierher versetzt und gleichfalls ein herrliches Werk, zwischen zwei Orgeln eine so völlig gleiche Stimmung, wie zwischen diesen beiden. Bei feierlichen Gelegenheiten sind sie mehrmals zusammengespielt worden, sodass man sie kaum unterscheiden konnte. Das günstige Urteil des berühmten Abts Yogier ist gewiss das vollgültigste Zeugnis ihres vorzüglichen Wertes.

 

Einen flüchtigen Blick verdienen noch die geschichtlichen Denkmale kriegerischer Tapferkeit, welche die Kirche aufbewahrt. Als Siegeszeichen, in einem Seegefecht mit dem König Erich dem Frommen 1427 erbeutet, hängt eine alte dänische Fahne an einer Stange nahe bei dem Chor. Und als Lübecks tapfere Jünglinge aus dem Kampf für Vaterland und Freiheit heimkehrten, erhielten ihre beiden Fahnen, nicht ohne Spuren blutigen Sieges, hier einen ehrenvollen Platz. Sie wurden, zum dankbaren Andenken für die Nachwelt, am 19. Oktober 1814 unter religiösen Feierlichkeiten aufgestellt und nach dem zweiten Zug am 4. Februar 1816 hierher zurückgebracht. Die Namen derer, welche ihr Leben mutvoll dem Vaterland zum Opfer brachten, überliefert eine große Tafel von geblattetem Kupfer, in marmornem Rahm, den künftigen Geschlechtern."

 

Mit Recht ist Lübeck stolz auf diese Kirche, das herrlichste Denkmal seiner Vorzeit, und mit Freude vernimmt es die Äußerungen der Bewunderung jedes gebildeten Fremden. Unauslöschlich und erhebend bleibt der Eindruck jedem, der sie bei voller Erleuchtung in abendlicher Stille durchwandelt oder am 11. November 1817, an welchem Tag über Fünftausend Zuhörer in ihr versammelt waren, in ihrem Glanz gesehen hat. Ihr weit nachstehend an äußerer und innerer Schönheit erscheinen die urigen Kirchen Lübecks, welche indessen doch auch manches Merkwürdige darbieten.

 

1 Diese Türme wurden 1304 und 1310 errichtet, wie eine Inschrift in der sogenannten, unter dem südlichen gelegenen, Bilderkapelle beweiset Sie messen bis an den Knopf 422 Fuß, nach der Messung des Dänischen Ingenieur-Kapitäns v. Caroc bis an den Hahn 385 Pariser Fuß, 11 Zoll. Bis auf den Glockenboden führt eine Treppe von 365 Stufen und von da bis in die Spitze neun Leitern mit 161 Tritten. Bei den Gradmessungen des Professor Schumacher boten sie einen wichtigen Standpunkt zur Vergleichung dar.

 

2 Der jetzige ist nach 1508 errichtet, in welchem Jahr ein Brand, der zu Ostern durch die Unvorsichtigkeit des Glöckners entstand, den früheren vernichtete. Das Feuer verbreitete sich auch in das Innere der Kirche, besonders zum Chor, dessen Holzwerk es versehrte.

 

3 Denn Bischof Gerold, welcher 1164 starb, überließ bereits den Kanonicis die Einkünfte und Vermächtnisse derselben. Und in dem Privilegium des Kaisers Friedrich I. vom Jahr 1188 ward den Bürgern das schon von Heinrich dem Löwen erhaltene Recht bestätigt, einen Priester zu wählen und ihn den Bischöfen vorzustellen.

 

4 Von diesem Standpunkt, neben der Taufe, ist die Zeichnung des Innern dieser Kirche aufgenommen. Das Mittelgewölbe hat eine Höhe von 152 Fuß mit 9 Bogen, bei 44,5 Fuß Breite. Die Länge der ganzen Kirche beträgt 340 Fuß, wovon der zum Gottesdienst bestimmte Platz von der Orgel bis zum Chor 249 Fuß einnimmt. Die größte Breite im Kreuz misst 176, in der Mitte 111 Fuß. Die Pfeiler bis an die Kapitale sind 43 Fuß hoch und 6 Fuß stark, in ungleicher Entfernung von 14 bis zu 17 Fuß.

 

5 Unter anderen besaß diese Kirche vor der Reformation einen kostbaren Schatz an silbernen und goldenen Gefäßen und Heiligenbildern, dessen Verzeichnis der Senior von Mölln in einer (nur in der Handschrift vorhandenen) „ausführlichen Beschreibung von Lübeck“ aus einem alten Kirchenbuch aufbehalten hat. Es füllt 10 volle Seiten in Folio. Auf Wollenwebers Anstiften musste dieser reiche Vorrat zur Bestreitung der Kosten in einem Krieg mit den Holländern 1533 hergegeben werden.

 

6 Ich erlaube mir, eine kurze Beschreibung einiger der vorzüglichsten Kunstwerke hier beizufügen, um Fremden einen Fingerzeig zu geben, worauf sie bei Betrachtung unserer Kirchen vorzüglich ihr Augenmerk zu richten haben. Nur fehlen leider fast überall die geschichtlichen und sicheren Angaben der Meister, wo sie sich nicht selbst bezeichneten und gebildete Kenner haben ihrer bis dahin noch nicht öffentlich erwähnt. Die Nachrichten von einzelnen Gemälden, welche unter anderen das Morgenblatt von 1818 in Nr. 226 ff. enthält, bedürfen vieler Berichtigungen.

 

7 Manche Darstellungen sind im Geschmack Dürers, z. B. die Gruppe der Dreieinigkeit, wie sie auch an einem Gemälde des Chors vorkommt. Der Vater, mit einer dreifachen Papstkrone geschmückt, hält den Leichnam Jesu auf dem Schoß und der Heilige Geist in der Gestalt einer Taube schwebt über ihm. Auf den anderen Tafeln ist Johannes, wie er eine Erscheinung vom Himmel aufzeichnet, ein Papst, ein Kaiser und ein Bischof. Die Außenseiten der beiden Türen stellen eine weibliche Figur, in einem Buch lesend, und einen knienden Engel dar. Das wiederholte Monogramm hebt alle Zweifel über den Künstler. Die Erneuerung war hier vorsichtiger.

 

8 Manche erklären es für ein Werk des Lucas von Lejden, wegen der Art der ganzen Arbeit und den am Fuß des Kreuzes liegenden Windspiels. Andere wollen in diesem und dem ähnlichen angeführten denselben Meister erkennen. In der unteren Hälfte ist ein Monogramm, aus winkligen Zügen zusammengesetzt, die Buchstaben H. O. V. D., welche auf dem roten Unterkleid einer Figur im rechten Vordergrund stehen, bezeichnen wahrscheinlich den Namen des Gebers, vielleicht aus der Familie von Dorne, welche sich durch Kunstliebe und fromme Freigebigkeit auszeichnete. Noch andere glauben statt des letzten D. ein M. zu lesen. Wie es dann vielleicht auf Isaak von Mecheln hin (hoc opus von Mecheln)? Die äußere Seite enthält eine Maria, auf eine Mondsichel tretend und von Strahlen umgeben, wie sie am Chor und über der Orgel gleichfalls dargestellt ist, und zwei Apostel neben ihr. Das hohe Alter dieses Gemäldes beweisen auch die darunter stehenden in Grau gemalten Heiligen-Köpfe, welche durch ein sich schlängelndes Band mit Mönchsschrift verbunden sind. Die Zeitung für die elegante Welt, 1819. Nr. 180., erwähnt eines Gemäldes von Johann Raphun, vom Jahr 1508, im Dom zu Halberstadt, welches in der Darstellung mit dem hiesigen viel Ähnliches zu haben scheint. Allein die dort gerühmte Glut der Farben fehlt dem unsrigen gänzlich.

 

9 Sie soll bereits 1405 verfertigt sein, wie eine daran befindliche Jahreszahl andeutet. Allein da sie nach dem kopernikanischen Weltsystem eingerichtet ist und der Entdecker desselben erst 1473 geboren wurde, so muss die jetzige Anordnung späteren Ursprungs sein. Das Werk wurde mehrmals erneuert, weil die Jahrestafeln zu Ende waren. Bei der letzten Verbesserung, 1809, ist die von Bode neu berechnete Tafel der Finsternisse von 1811 bis 1860, für den lübeckischen Horizont, eingetragen.

 

Die Türme der St. Marienkirche in Lübeck. Sie überragen die Dächer der Stadt bei weitem und sind weithin sichtbar.
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St. Marienkirche historische Ansicht
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Anderes Straßenschild von Fegefeuer.
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Quelle Text: Ansichten der freien Hansestadt Lübeck und ihrer Umgebungen von Heinrich Christian Zietz 1822.

 

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