· 

Perlen in Klingen eingeschmiedet

Klinge mit einer eingeschmiedeten Rille für Perlen - in diesem Exemplar mit leerer Rille.
Klinge mit einer eingeschmiedeten Rille für Perlen - in diesem Exemplar mit leerer Rille.

 

Unter den mannigfaltigen Arten der Verzierung, die wir an orientalischen Waffen bewundern, erregt ein vorzüglich in Indien angewandtes Verfahren gerechtes Staunen, durch welches eine ganze Reihe von Perlen derartig in rinnenartige Durchbrechungen oder Schlitze von Lanzenspitzen, Säbel- und Dolchklingen eingeschmiedet wurde, dass sie sich innerhalb der seicht ausgekehlten Führungskanten dieser Schlitze frei auf- und abwärts bewegen konnten. Wir können leider nicht sagen, ob die Technik dieses Verfahrens in der Fachliteratur bereits behandelt worden ist, haben aber in den uns zugänglichen einschlägigen Werken keine Andeutungen darüber gefunden und setzen eine noch nicht allgemein verbreitete Kenntnis dieser Schmiedekunstleistung mit umso leichterem Herzen voraus, als unser Altmeister W. Boeheim (Waffenkunde) bei Beschreibung eines derartig verzierten Säbels (Fig. 313) die Frage stellt: «Wie mussten diese Perlen eingefugt sein, ohne dass auch nur eine verletzt wurde?»

 

Ein glücklicher Zufall spielte uns dieser Tage eine orientalische Lanzenspitze in die Hände, deren genaue Betrachtung den, wie uns scheint, unumstößlichen Beweis dafür liefert, wie verblüffend einfach die indischen Waffenschmiede das schwierige Problem zu lösen wussten. Ein Blick auf das untere Ende des Schlitzes macht jede eingehendere Beschreibung überflüssig: die scharf abgezeichneten Ränder der Niete haben genau den Durchmesser der Seelenweite in den ausgekehlten Führungskanten des Schlitzes; die Perlen wurden also durch diese Öffnung in den Kanal befördert, dessen überhängende Ränder ein Hinausfallen unbedingt verhinderten, während der konkave Querschnitt der Seitenwände dem freien Hin- und Herrollen genügenden Spielraum bot.

 

Der kunstfertige Schmied hatte nach Verschluss der Eintrittsöffnung nichts weiter zu tun, als die Fugenränder der Niete auf die eine oder die andere Art verschwinden zu lassen und half sich wohl gewöhnlich auf die Weise, dass er um die fragliche Stelle ein Muster in Goldtausia aufschlug, in dessen Schnörkeln die verräterische Linie auch dem aufmerksamsten Auge entgehen musste. Sollte die Fläche jedoch blank bleiben, so ließ sich die Perlenreihe, welche niemals den ganzen Schlitz in ununterbrochener Reihe ausfüllte, wohl in den meisten Fällen so weit zurückschieben, dass selbst ein sorgfältiges Verschweißen des eingesetzten Stückes möglich wurde. Die Politur tat dann noch ein Übriges.

 

Das vorliegende Exemplar hat stark gelitten. Perlen sind nicht mehr vorhanden, doch zeigen die Kehlungen der Führungskanten deutlich, dass der Schlitz zur Aufnahme dieses Schmuckes hergerichtet war. Auch die Flächen des Blattes waren verziert, wie aus den Spuren von goldenen Arabesken auf schraffiertem Grund zu ersehen ist, welche sich an den unteren Rändern des Spießblattes und teilweise am Dillenhals erhalten haben. Wir glauben endlich kaum nötig zu haben, dem Einwand begegnen zu müssen, dass die Öffnung am unteren Schlitzende eben in der Absicht gemacht worden sei, um die Perlen unbeschädigt ihrer Fassung entnehmen zu können und die eingeschlagene Niete nur die Spuren der Tat verwischen sollte.

 

Der Wert des Objekts war zu gering, um einen Dieb zu solch kompliziertem und immerhin schwierigem Verfahren begeistern zu können, und ein Räuber hätte mit zwei derben Feilenstrichen sein Ziel ungleich leichter erreicht, ohne sich viel um anhaftende Indizien zu bekümmern. Unserer Ansicht nach lässt sich an dem vorliegenden Stück ersehen, wie die orientalischen Meister beim Einschmieden von Perlen in rinnenartige Schlitze verfuhren. Ein genaueres Studium ähnlicher Exemplare wird die Ansicht bestätigen oder — widerlegen! E. v. Lenz.

 

Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. II. Band. Heft 2. Dresden, 1900-1902.