
Im Jahr 1897 fand der Gutsbesitzer des Kiewschen Gouvernements Herr Snosko-Borowski bei Durchforschung von Hügelgräbern in einem der kleineren Hügel des Kreises von Kanewsk ein altes Grab mit den Überresten eines in voller Rüstung beerdigten Kriegers. Das Grab enthielt außerdem noch die Gerippe zweier Pferde mit einigen zu deren Zäumung gehörigen Gegenständen, Resten eines Sattels, einem eisernen Gebiss und Steigbügeln, sowie einem kleinen Bronzekessel. Der Tote war bekleidet mit einem Panzerhemd und trug einen eisernen Helm mit eiserner Gesichtsmaske (Schembart) auf dem Haupt; neben ihm wurden gefunden: ein 110 cm langer Säbel von orientalischer Form, ein eisernes Kriegsbeil, ein kleines Messer und einige eiserne Pfeilspitzen, deren eine eine durchbrochene kreuzförmige Verzierung trug.
Der Fund ist höchst bemerkenswert, obgleich nicht der erste in dieser Art, denn ähnliche Exemplare von Rüstungen, unter gleichen Verhältnissen in Gräbern desselben Kiewschen Gouvernements gefunden, sind bereits im Besitz des St. Petersburger Artillerie-Museums als das Ergebnis der von dem Direktor dieses Institutes ausgeführten Ausgrabungen, allein das Exemplar des Herrn Snosko-Borowski ist selten gut erhalten und dieser Umstand verleiht ihm besonderen Wert. So ist der Hals von 36 cm Höhe vollständig unversehrt und fehlt an ihm nur das abgetrennte Maschennetz, welches, im Verein mit der Helmglocke und dem Schembart Kopf und Helm des Kriegers vollkommen bedeckte. Am Schembart befinden sich zwei Bronze-Ohren mit Ringen, ein gleicher Ring ist am Kinn angebracht, das Ganze von recht roher Arbeit. Das Panzerhemd ist vollständig erhalten, und wenn es auch durch die Last der darüber liegenden Erdschicht in mehrere Stücke gerissen ist, so lassen diese sich doch genau wieder zusammenpassen, sodass die Form des Hemdes fehlerfrei rekonstruiert werden kann. Sehr interessant ist, dass der untere Teil des Panzerhemdes, wie auf der Abbildung ersichtlich, in Falten nach oben gezogen liegt, und lässt sich dieses dadurch erklären, dass beim Einsenken in das Grab die Leiche sich nicht in horizontaler Lage befand und in Folge dessen die Füße niedriger zu liegen kamen.
Derartige Hügelgräber finden sich, wie gesagt, durchaus nicht vereinzelt im Kiewschen Gouvernement vor; diese Art der Totenbestattung aber (d. h. in Gemeinschaft mit getöteten Pferden) trifft man an verschiedenen Orten der Ukraine, was deutlich darauf hinweist, dass die Veranstalter solcher Begräbnisse einem der orientalischen Nomadenvölker angehörten. So kennen wir z. B. Fälle, wo in den Gräbern nur Frauen- oder Kinderleichen lagen und trotzdem bei denselben Pferdegerippe gefunden wurden. Auf dieselbe Provenienz solcher Gräber weisen unter anderem auch die in ihnen enthaltenen Exemplare orientalischer Waffen, z. B. Säbel. Es bleibt aber noch die Frage offen, welchem Volksstamm die Hügelgräber dieser Art zugeschrieben werden können.
Gewisse archäologische und historische Erwägungen lassen uns zu der Überzeugung kommen, dass solche Gräber dem Turk-Stamm der Petschenegen angehören. Wir können hier nicht auf die Details der Frage eingehen, wollen aber doch hervorheben, dass die bei den Begrabenen gefundenen Gegenstände in kulturhistorischer Beziehung den Beweis für ständige Beziehungen des fraglichen Volkes einerseits mit den griechischen Kolonien in der Ukraine, andererseits mit Kiew liefern, und diesen Voraussetzungen entspricht gerade der Stamm der Petschenegen, durch deren Gebiet die Handelsbeziehungen von Kiew zum Taurischen Chersones und vice versa ihren Weg nahmen. So finden sich z. B. in diesen Hügelgräbern Reste von byzantinischen Geweben, Korallen, verschiedenartigen Verzierungen aus Bronze, Silber und Gold, wie z. B. massive silberne Ohrringe, die der Form nach sich den Kiewschen nähern, silberne Halsspangen (griwni), Perlen aus Karneol, Amethyst, Quarz u. a. m.
Es muss ferner hinzugefügt werden, dass die Gegend, in welcher Ausgrabungen derartiger Hügelgräber vorgenommen wurden (in der Nähe des Flusses Dnepr, im mittleren Teil des Kiewschen Gouvernements) ebenfalls zu dem Gebiet gehört, welches nach historisch beglaubigten Zeugnissen von den Petschenegen bewohnt wurde, deren Wanderlager einerseits nahe an Kiew heranreichten, andererseits bis zu den Ufern des Schwarzen und Asowschen Meeres sich hinzogen. In der Geschichte Russlands tauchen die Petschenegen um die Mitte des 9. Jahrhunderts auf und verdrängen gegen Mitte des 11. Jahrhunderts andere Nomadenvölker weiter nach Westen hin, sodass sich annehmen lässt, dass die erwähnten Gräber in diese Zeit gehören und folglich auch die von Herrn Snosko-Borowski gefundene Rüstung aller Wahrscheinlichkeit nach der Periode um das 10. Jahrhundert zuzuschreiben ist.
N. von Brandenburg.
Quelle: Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde. Band 1, Heft 11.