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Von Wendelin Boeheim, Direktor an den kunsthistorischen Sammlungen des Kaiserlichen Hauses zu Wien, Ehrenvorsitzenden des Vereins für historische Waffenkunde zu Dresden.
Der Oberbürgermeister der dem Verein für historische Waffenkunde zu Dresden als Mitglied angehörigen Stadt Emden in der Provinz Hannover brachte in der im Juni d. J. zu Dresden tagenden Hauptversammlung dieses Vereins den folgenden Beschluss zur Abstimmung: »
Der Verein für historische Waffenkunde erklärt es für dringend wünschenswert, dass die Stadt Emden durch staatliche Unterstützung in den Stand gesetzt werde, für ihre sehr reichhaltige historische Rüstkammer, die seit länger als drei Jahrhunderten in der nicht feuersicheren und dunklen Kammer im dritten Stockwerk des dortigen Rathauses untergebracht ist, ein würdiges feuersicheres Museum zu bauen und die Sammlung durch einen kundigen Fachmann so zu ordnen, neu aufzustellen, in Stand setzen, erhalten und verwalten zu lassen, dass sie zu ihrer vollen Bedeutung gelangen und zu fachwissenschaftlichen Studien besser ausgenützt werden kann.
Sie beschließt, ihren Vorstand zu ermächtigen und zu beauftragen, dies in ihrer Zeitschrift zu vertreten und in einer Vorstellung an die königlich preußischen Herren Ressortminister warm zu befürworten.»
Der Vereinsvorstand hat in seiner II. Sitzung am 20. Juni diese Anregung seines Mitgliedes in einer der Bedeutung des Gegenstandes voll entsprechenden Empfänglichkeit begrüßt und hat mit allem Eifer der Beratung derselben sich hingegeben. Das Ergebnis soll am Schluss dieser Fachschrift seine Stelle finden.
Was nun den ersten Teil des Schlussantrages betrifft, so erschien er nach dem hohen fachlichen Wert des in Frage gekommenen Gegenstandes so berechtigt, dass die Versammlung einstimmig beschloss, ohne weiteres einen der Fachmänner des Vereins mit der fachlichen Würdigung der «Rüstkammer» zu betrauen und diese in ihrer «Zeitschrift» an erster Stelle zu veröffentlichen. Dieser ehrenvolle Auftrag ist auf mich gefallen und ich entledige mich desselben in gegenwärtiger Schrift im Bewusstsein meiner Verantwortlichkeit für die Richtigkeit und Stichhaltigkeit meines wissenschaftlichen Urteils.
Wenn Sammlungen historischer Waffen überhaupt in der Welt nicht gerade überhäufig angetroffen werden, so muss es uns überraschen, eine solche von so ansehnlicher Ausdehnung und namhaftem historischen, kulturgeschichtlichen und auch kunstwissenschaftlichen Gehalt in einer kleinen Stadt Preußens anzutreffen, eine Sammlung, die durch ihren eigentümlichen Charakter, ihre Entstehung wie durch ihre ursprüngliche Bestimmung geradezu ein Unikum darstellt, wie die «Rüstkammer» in Emden. Ganz an sich betrachtet, besteht ihre einzige Eigentümlichkeit in der Welt darin, dass sie, wie ihr Name schon andeutet, vor Jahrhunderten zu einem bestimmten Zweck, der Verteidigung der Stadt, gegründet, nicht von Liebhaber- oder Kennerhänden zusammengetragen wurde und dass sie ihre alte Physiognomie, im Großen und Ganzen genommen, sich erhalten hat.
Allerdings besteht noch eine zweite Stadt, die sich rühmen kann, eine solche Sammlung gleichen Charakters und selbst ziemlich gleichen Alters in ihren Mauern zu bewahren: es ist die steiermärkische Landeshauptstadt Graz; aber deren «Landes-Zeughaus» diente der Wehrhaftmachung eines ganzen Landes, des Herzogtums Steiermark und der sogenannten «petrinianischen Grenzländer» und nicht dem Gemeinwesen einer einzelnen Stadt, und in diesem Sinne steht die «Rüstkammer zu Emden» einzig in der Welt da.
Es ist eine müßige Frage, deren Lösung einige Autoren1 der «Rüstkammer» sich mit mehr Eifer als Verständnis hingegeben haben, ob schon vor der in Urkunden bemerkten Zeit eine städtische Rüstkammer in Emden bestanden habe? Wer sich die Verhältnisse einer selbständigen Seestadt im Mittelalter vergegenwärtigt, die sich fortwährend vor der Seeräuberei zu sichern hatte, der wird das Bestehen eines Waffenvorats für den Seedienst schon im frühen Mittelalter voraussetzen müssen. Das Schweigen der Urkunden beweist hier nichts.
Senator Schnedermann verlegt in seiner trefflichen Abhandlung: «Zur Geschichte der Emder Rüstkammer» die Entstehung einer Rüstkammer in das Jahr 1465 im alten Rathaus unter dem gräflichen Drosten Ulrich 1. Cirksena. Von dem damaligen Inhalt derselben ist aber leider nichts mehr erhalten geblieben, denn die ältesten Stücke reichen über das 16. Jahrhundert nicht hinaus, und in der Tat stimmt diese Beobachtung mit der Geschichte der Stadt insofern überein, als die Rüstkammer nach der unglücklichen Schlacht bei Jemgum gegen Alba, 21. Juli 1568, ganz neu ausgestattet und nun mit den Waffen der Gleichzeit gefüllt, somit gänzlich umgestaltet wurde. Für die Richtigkeit dieser Annahme bringt gerade Schnedermann in Urkundentexten den vollständigsten Beweis.
Diese durch umfangreiche Ankäufe erworbenen Waffenstücke wurden anfänglich in einer «Rüstkammer» gesammelt, die den Gesamtteil eines großen Hauses vor dem Falderntor einnahm; es ist das heute noch bestehende sogenannte Packhaus (Halle) nächst der Drehbrücke.
Der bedeutende wirtschaftliche Aufschwung, welchen die Stadt um die Mitte des 16. Jahrhunderts unter der Regierung der Gräfin Anna genommen hatte, veranlasste zu einer namhaften Erweiterung derselben und zur Erbauung eines imposanten Rathauses in dem neuen Stadtgebiet. So entstand das neue Rathaus 1576 durch den Baumeister Martin Arens aus Delft nach dem Vorbild jenes zu Antwerpen; ein imposanter Bau von den besten Verhältnissen.2
In die Bauperiode (1576 —1578) fällt der folgenschwere, nicht ohne niederländischen Einfluss entstandene Aufstand der Bürger unter dem Holzhändler Gerhard Boiland gegen den Grafen Edzard II.; die Stadtregierung wurde nach niederländischem Muster auf demokratischer Grundlage umgestaltet. Die erbittertsten Kämpfe gegen den Grafen zogen sich bis tief in das 17. Jahrhundert hinein und veranlassten den Rat, in der gefährlichsten Zeit ihren ansehnlichen Waffenvorrat vom Falderntor weg in das gesicherter erscheinende neue Rathaus zu verlegen und ihn, offenbar in Eile, im dritten Stockwerk, eigentlich in den Räumen des Dachbodens, zu bergen. In dieser vom Beginn an unpassenden und gefährlichen, in unserer Zeit aber unwürdig erscheinenden Lage, ist der Waffenvorrat der Stadt bis zum heutigen Tage geblieben. Man denke sich lange Korridore, welche, mit dem Eingang von Osten, die vier Seiten des großen Gebäudes entlanglaufen. Dieselben sind mit Zimmerwerk verschlagen, aber an vielen Stellen treten die mächtigen Sparren des riesigen Dachstuhls zu Tage.
Die Räume sind nur an den Eckpunkten notdürftig zu beleuchten, die wenigen Dachfenster und Öffnungen an den Langseiten gegen die vom Dach beschattete rings um die Außenseite des Rathauses sich hinziehende Galerie geben nahezu gar kein Licht, um irgendeinen Gegenstand genauer zu betrachten, umso weniger als das vor Alter gebräunte Holzwerk keine Lichtreflexe bietet. Die Gegenstände sind kunterbunt, ohne System, kaum das Gleichartige berücksichtigend, an den Langwänden aufgestellt, sodass für den Besucher nur ein mäßig breiter Raum zur Bewegung übrigbleibt.
1 Die Rüstkammer in Emden hat schon im 17. Jahrhundert in der Literatur teils in Urkunden, teils in Büchern Erwähnung und Beachtung gefunden. Eine erste kurze Erwähnung macht bereits die Reisebeschreibung des Herzogs Friedrich von Württemberg und Teck vom Jahre 1592. Die älteste urkundliche Quelle bildet aber das Artelery Boek von 1606. Bald darauf, 1617, wird sie in dem Reisebericht des Utrechter Rechtsgelehrten Arnoldus Bochelius einer eingehenden Beachtung gewürdigt, welcher bemerkt, dass aus ihr leicht 3000 Krieger bewaffnet werden können.
Die interessanteste und für die damalige Zeit treffliche kritische Betrachtung findet sie in der Reisebeschreibung des Schöffen und Ratsherrn von Frankfurt a. M., Zacharias Konrad von Uffenbach, von 1753, der Emden 1710 besuchte, und welcher bereits «unnötige Erfindungen» in derselben gewahrt hatte, die sich bis heute erhalten haben und welche wir auch im folgenden Text nicht ganz mit Stillschweigen übergehen dürfen. Der älteste amtliche Katalog stammt aus dem Jahre 1839.
In der Buchliteratur geht voran: «Die antike Rüstkammer des Emder Rathauses» von Assessor Alexander Rolffs, Emden 1861, ein Werk, mehr für den Besucher der Rüstkammer berechnet. Der Verfasser beurkundet darin zweifelsohne eine genügende Kenntnis der Vergangenheit der Stadt; sein Wissen im historischen Waffenwesen ist aber so mangelhaft, dass das Buch bei einer etwas verworrenen Fassung gerade in seinem Thema nahezu unbrauchbar wird. Dabei verfällt er in den Fehler aller schwachen Autoren im Fach, sich in den kritiklosesten Vermutungen in der Zuschreibung der Gegenstände an bestimmte historische Persönlichkeiten zu ergehen. Die beigegebenen zwei Abbildungen sind unrichtig und damit völlig wertlos. Unstreitig viel gediegener und fachlich höherstehend sind zwei sich gegenseitig ergänzende Abhandlungen, welche in dem «Jahrbuche der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer in Emden», V. Band, 1. Heft, erschienen sind:
«Zur Geschichte der Emder Rüstkammer» von Senator Schnedermann und mit beschreibendem Text von Ingenieur Starcke. Ungeachtet der gedrängten Form des geschichtlichen Teiles bringt Schnedermann neue und wichtige Daten zur Vervollständigung; Starckes Beschreibung aber beschränkt sich lediglich auf die reichst ausgestatteten Leistungen des deutschen Kunstgewerbes. Den Abhandlungen sind vier über aus gelungene Tafeln in Lichtdruck beigegeben. Ein Sonderabdruck beider erschien im Verlag von W. Haynel in Emden 1883. — Wenn auch in einem weiteren Werk die Rüstkammer nur nebenher beschrieben erscheint, so ist dieselbe darin doch in so ausgezeichneter Weise und verständig aufgefasst, dass ich dessen Erwähnung hier nicht umgehen darf. Es ist das vortreffliche Werk des jetzigen Oberbürgermeisters der Stadt: Fürbringer, «Die Stadt Emden in Gegenwart und Vergangenheit.» Emden 1891, Verlag von W. Schwalbe. Ungeachtet bescheidener Hinweise auf Rolffs und Schnedermann bringt der Verfasser in kürzester Fassung die klarste Schilderung des Entstehens und der Schicksale der Rüstkammer, sodass das Buch auch als wertvoller Literarturbeitrag derselben angesehen werden muss. Wichtig erscheint dieser Abschnitt für den gegenwärtigen Zustand.
2 Vergl. über die geplante Wiederherstellung des Rathauses E. Ehrhardt, Das Rathaus in Emden in «Denkmalpflege» II. Jahrg., Nr. 10, S. 73IT. D. Schltg.
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Auf den ersten Anblick hin bietet das lichtlose geschwärzte Innere den Eindruck einer mit altem Zeug gefüllten Rumpelkammer; ein Eindruck, der nichts weniger als anmutet. Ein Gang durch die Räume überzeugt den fachvertrauten Besucher, dass er auch in keiner «Rüstkammer» sich befindet, denn die alte gegenständliche Ordnung ist in drei Jahrhunderten gestört worden, überdies sind ja zahlreiche Gegenstände als Schau-, nicht als Gebrauchsstücke in die Sammlung geraten, auch solche, die dem Waffengebiet ganz fernstehen, wie Reste von Seeungetümen, Folterwerkzeuge, Prägestöcke, Humpen, Holzgefäße, Gobelins, Glasgemälde u. dgl. Damit ist der ursprüngliche Charakter verwischt worden. Sie ist aber auch keine Waffensammlung im modernen Sinne, dazu fehlen ihr die wichtigsten Existenzbedingungen und eine leitende Hand. Freilich fällt ein dürftiger Lichtstrahl hier und da auf einen oder den anderen kostbaren Gegenstand von so hoher Seltenheit und Schönheit, wie man einen gleichartigen nur in den reichsten Sammlungen suchen wird, und da erhebt sich wohl ein tiefes Bedauern, dass solche erlesene Schätze in so wenig entsprechender Weise bewahrt werden.
Wende ich mich zu dem Inhalt der überreichen, ja unschätzbaren Sammlung, so muss ich von vornherein die Schwierigkeit betonen, denselben mit fachmännischem Auge zu betrachten und zu beschreiben; ist er doch nie wissenschaftlich untersucht worden.1 Es fehlen da alle historischen und kunsthistorischen Anhaltspunkte, und was uns durch Rollfs angeblich aus der Tradition geboten wird, ist auf den ersten Blick hin ein dichtes Gewebe von unrichtigen Angaben und plumpen Erfindungen, ersichtlich zu dem Zweck entstanden, um der Rüstkammer mehr Anziehung zu verleihen; ja schon vom Ende des 17. Jahrhunderts ist der kostbaren Sammlung von spekulativen Rüstmeistern (!) noch viel Ärger mitgespielt worden.
Eine Anzahl von Harnischen wurden für Hampelmänner benutzt; so finden wir noch heute geharnischte Popanze mit gräulichen Larven, welche auf einen verborgenen mechanischen Zug hin sich bewegen, um den Besucher das Gruseln zu lehren. Hier bläst ein Kriegsknecht in ein Horn, jener rührt eine Trommel; dort brennen andere das Pulver von der Pfanne ihrer Musketen ab, andere zücken gegeneinander ihre Schwerter u. dgl. Diese läppischen Scherze, welche die Sammlung nur verunzieren und nicht wenig den Ruf derselben unter den gebildeten Besuchern schädigen, sind es, welche der feingebildete und hochgelehrte Uffenbach bereits vor 200 Jahren schonend als «unnötige Erfindungen» bezeichnet.2 Wie sollen wir sie heute bezeichnen, nachdem die historischen Wissenschaften eine so ungeahnte Vertiefung erfahren haben:
Ich folge den verlässlichsten Angaben Fürbringers, wenn ich den Inhalt der Rüstkammer nach der letzten Inventarisierung von 1839 heranführe: Dieselbe enthält 14 Vollrüstungen,3 54 sonstige teils reich mit Ätzwerk gezierte Panzerrüstungen, 3 Panzerkragen, 101 gemeine Harnische mit Pickel- oder Sturmhauben, einen spanischen (?) Helm, 10 Schilde, 38 Schlachtschwerter, 33 Morgensterne und Flegel, 269 Piken, Partisanen, Helmbarten und Spieße, 3 spanische Stoßdegen, 990 alte Feuerwaffen, teils mit reichen Einlagen von Elfenbein in den Schäften, 28 alte Fahnen und Fähnlein der Bürgerschaft, Sturmfackeln, 410 Schießgabeln, 40 alte Bandeliere mit je 12 oder 16 Pulverbüchsen, 30 geprägte juchtenlederne Patronentaschen der vormaligen Emder Grenadiere, eine Pulverbüchse, eine zierliche Pulverwage, eine Pulverprobe, 4 alte hölzerne Pulvermörser, 9 Kugelformen, 2 kupferne Pauken, einige 30 alte Trommeln, 10 Signal- und Hifthörner, eine vollständige Janitscharenmusik, 6 alte Laternen, eine alte Steigleiter, einen alten Steigbügel, 3 Paar alte Sporen; ferner, wie erwähnt, eine nicht unbedeutende Zahl von Gegenständen, die nicht in eine Waffensammlung zu reihen sind.
In neuester Zeit hatte weiland Kaiser Wilhelm I. der Stadt moderne deutsche Waffen, sowie Kriegsbeute von französischen Waffen aus den Kriegsjahren 1870—1871 gespendet und das königliche Kriegsministerium dieselben aus seinen Vorräten ergänzt. Rolffs gibt in seinem genannten Buch den Stand der Rüstkammer 1861 mit 2267 Nummern an. Derselbe ist aber nach vielen Neuerwerbungen gegenwärtig erheblich größer.
Wertvolle Gegenstände sind in den Jahrhunderten abhandengekommen, so das gesamte Geschütz. Das Inventar von 1606 weist noch 124 Kanonen von 3 bis 24 Pfund Kaliber auf, ferner die Erdsäcke, Sturmhaken, die Topständer etc. Ein unersetzlicher Verlust!
Ein Ausspruch über den heutigen Inhalt der «Rüstkammer» kann im Hinblick auf seinen Totalwert erst nach genauer Durchforschung derselben gewagt werden. Jetzt sieht man eben nur eine Fülle des überaus Wertvollen und Belehrenden kunterbunt und wüst übereinander geschichtet. Manches mag nach fachlicher Betrachtung an Wert einbüßen; vieles aber nach solcher in hohem Maße gewinnen. In politisch historischer Beziehung werden z. B. die von Rolffs den Cirksena zugeschriebenen Harnische diese gewaltsame Zueignung abstreifen müssen. Enno I., Eduard und Ulrich 1. Cirksena lebten im 15. Jahrhunden und die ihnen zugeteilten Schutzwaffen gehören ausnahmslos dem Ende des 16. Jahrhunderts an. Gleichzeitig mit der Spanne des Lebens laufend, erscheinen die jetzt dem Grafen Ludwig von Nassau und dem Gerhard Boiland zugeschriebenen Kürassierrüstungen; allein auch hier wird der Fachmann ein scharfes Zeugenverhör vornehmen müssen, bevor er die Stichhaltigkeit der Zuschreibung bestätigen darf.
Derartige handgreifliche Irrtümer in der Zuschreibung an historische Persönlichkeiten dürfen uns nicht überraschen. Traten solche doch überall auf, wo Waffensammlungen der unbeschränkten Aufsicht «erfahrener Zeugwarte» überlassen wurden. Ich kannte ein Zeughaus, in welchem noch vor 50 Jahren die Plattenharnische (!) Rudolfs von Habsburg, Attilas, des Königs Mathias Corvinus, der Libussa und ihrer Gürtelmagd Wlasta etc. vorgezeigt wurden.
Hochinteressant erscheint die Rüstkammer in technisch-historischer Richtung, ja man kann nur in ihr allein Belehrung über den Stand der Entwicklung des Waffenwesens Norddeutschlands und der Niederlande und nicht zum wenigsten der deutschen Hansestädte, von etwa 1550 an gerechnet, schöpfen. In den Harnischen treffen wir neben der sächsischen Schule jene stark im Rückgang begriffene „niederländische“ aus Antwerpen und Brüssel. Vereinzelt tritt die Nürnberger Schule auf. In Schwertern dürfte die Stadt ausnahmslos ihren Bedarf in Solinger Ware, wenn auch im Zwischenhandel über Essen, Wesel etc., gedeckt haben. In Stangenwaffen ist zumeist nur niederländische Ware zu erblicken; das betrifft vornehmlich die gewissen in den Beilen zierlich durchbrochenen Helmbarten, die in anderweitigen Inventaren bezeichnend: «Niederländer Helleparten» genannt werden.
In Feuergewehren, Musketen, Pistolen etc. dürfte sich der Bezug dieser Massenware aus Suhl im Hennegau und Lüttich bestimmt erweisen. Die Zierwaffen aber sind durchweg oberdeutscher Herkunft. Die Fabrik- und Meistermarken bieten uns da heute unanfechtbare Beweismittel.
Die fachlich gebildete Persönlichkeit, welcher einst die schwierige Aufgabe zufallen wird, die Sammlung aus dem chaotischen Zustand zu erheben und nach wissenschaftlichen Grundsätzen zu ordnen, wird zu allererst die Ausrüstungen für den Gebrauch zur See von jenen für den Dienst zu Lande systematisch trennen müssen. Erst diese Scheidung, zum ersten Mal zum sichtbaren Ausdruck gebracht, wird eine richtige Einteilung des Materials im Einzelnen ermöglichen. Dann wird sich auch ergeben, welchen hohen kriegsgeschichtlichen Wert dieser Besitz für sich in Anspruch nehmen kann; eine Sammlung von Beweismitteln zur Kriegsgeschichte, wie sie unmittelbarer und lückenloser nirgends zu finden ist. Ein eingehendes Studium wird auch die Kardinalfrage lösen, ob und inwieweit die Kollektion ihren alten Charakter als «Rüstkammer in einem neuen modernen Heim bewahren könne und ob dieselbe nicht ganz von selbst zur modernen Waffensammlung sich umgestalten wird die nach allen Lebensgebieten hin eine Aufgabe zu erfüllen hat.
Dieser überreiche, in seinem vollen Wert heute kaum festzustellende museale Besitz4 befindet sich in einer kleinen Stadt des Deutschen Reiches mit 14.800 Einwohnern, die sich durch ihre maritime Lage vor Pflichten gegen den Gesamtstaat wie gegen sich selbst gestellt sieht, die mit den bescheidenen Kräften der Bewohnerschaft weit nicht im Verhältnisse stehen. Seit dem entsetzlichen Tage des Jahres 1595, inmitten der Empörung der Bürger gegen den Grafen Edzard II., als die Ems durch ein furchtbares Naturereignis weit entfernt von der Stadt in einem neuen Bett sich gewaltsam Bahn brach und letztere vom Meer plötzlich abschloss, begann jene schwere Zeit des maritimen Verfalls, die ungeachtet unsagbar schwerer Geldopfer noch heute nicht ihr Ende gefunden hat. Welche ungeheuere Anstrengungen musste die Stadt machen, um sich einen neuen Wasserweg nach der Meerbucht: «Die Knocke» zu bahnen, welche neuen, um den Kanal den gesteigerten Anforderungen entsprechend zu gestalten und zu sichern?
Welche schwere Sorge erwuchs ihr durch die bedingte Verbindung des Hafens der Stadt mit dem Hinterland, mit dem Rhein und der Weser, die nur allmählich hergestellt werden konnte und auf welcher allein die maritime Entfaltung der Stadt beruht? Noch gegenwärtig trägt die kleine Stadt die überschwere Last von drei Millionen Mark Schulden, und auch das genügte bis jetzt noch nicht, um den Glanz Alt-Emdens wieder herzustellen, es wieder einzufügen in den herrlichen Perlenkranz der deutschen Seestädte. Diese schwere Erhaltungspflicht lässt es begreiflich erscheinen, wenn der Stadt für ihre geistigen Bedürfnisse keine Mittel übrigbleiben. Sie ist da weit übler daran, wie manche einst unbedeutende Binnenstadt, die durch die Gunst der Verhältnisse in der Neuzeit ganz kostenlos zum Knotenpunkt des regsten Eisenbahnverkehrs geworden ist.
Wenn alle Umstände, welche ich im vorhergehenden dargelegt habe, voll gewürdigt werden, dann werden auch der bedrängten Stadt von Seite der Regierung die Mittel geboten werden, um ihre unschätzbare «Rüstkammer» in eine würdigere und sicherere Bewahrung zu bringen; in einem, wenn auch einfachen, doch zweckentsprechenden neuen Museumsgebäude wissenschaftlich geordnet und aufgestellt. Es kostet einer Staatsregierung oft so wenig, in Fällen wahren Bedürfnisses unterstützend einzugreifen, und hier handelt es sich um die Rettung eines historischen Schatzes von mehr als nur nebensächlicher Bedeutung, die Bildung einer einzigen wissenschaftlichen Anstalt, die nicht allein der heute noch wenig hervorragenden Stadt, sondern auch dem gesamten Königreich Preußen zur Ehre gereichen wird.
Der Vorstand des Vereins für historische Waffenkunde hat in Erwägung, dass ihm als rein wissenschaftliche Vereinigung nur eine begutachtende Mitwirkung an den Bestrebungen der Stadt Emden zusteht, die Würdigkeit und Berechtigung der letzteren in dem hier folgenden Beschluss vollkommen anerkannt und bestätigt:
«Der Vorstand hat sich bereit erklärt, in einem Aufsatz aus der Feder des Herrn Direktors Boeheim für die Angelegenheit einzutreten und in dem Fall, dass von der Stadt Emden Anträge bei den entsprechenden preußischen Ministerien gestellt werden, dem Herrn Oberbürgermeister anheim zu geben, sich auf die zustimmenden Erklärungen des Vereines für historische Waffenkunde amtlich zu beziehen.»
In allen Kreisen des weit verbreiteten Vereins regt sich die Hoffnung, dass das obige Zeugnis seiner Leitung dazu beiträgt, die Bestrebungen der Stadt Emden wesentlich zu fördern und dass diese im Bereich der Staatsregierung die gleiche Unterstützung findet, wie sie auf musealem Gebiet andere Städte, wie Osnabrück, Hildesheim und Lüneburg, gefunden haben, welche sich heute des Besitzes ansehnlicher Musealgebäude erfreuen.
1 Rolffs Beschreibungen sind unrichtig, laienhaft, daher nahezu unbrauchbar.
2 «Herrn ZachariasKonrad vonUffenbach merkwürdige Reisen durch Niedersachsen, Holland und Engelland.» Ulm und Meiningen. 3 Bände. — «Ostfriesisches Monatsblatt» 1875. 3. Jahrgang, 1. Heft.
3 Diese Bezeichnung ist dem Fachmanne unverständlich; es können hier auch «ganze» Harnische, d. i. «ritterliche» mit vollständigem Beinzeug, nicht gemeint sein, denn die Rüstkammer enthält keine solchen, sondern nur solche von «knechtischer.» Form (Allecrets) mit bis an die Kniee reichenden Schössen, ohne Unterbeinzeug und Schuhe. Ein terminologisch korrekt bearbeitetes Inventar wird wohl zunächst verfasst werden müssen. Einzelne Bezeichnungen vermochten die Emder Autoren selbst nicht zu deuten. So erscheint u. a. im Inventar von 1606 der Ausdruck «Kneuelspete». Rolffs hält sie für Sturrafackeln; es sind dieselben aber niederländische Knebelspiesse, die meist zur Ausrüstung der eichten Artillerie gehörten.
4 Außer der hier geschilderten «Rüstkammer» besitzt die Stadt eine zwar kleine, aber erlesene Sammlung von Silbergegenständen, die unter der Bezeichnung der «Emder Silberschatz» bekannt ist. Sie bestellt aus künstlerisch sehr wertvollen Gedenkstücken aus der Zeit des kommerziellen Aufschwunges der Stadt im 17. Jahrhundert und ist zwar in einer Abhandlung: «Der Emder Silberschatz» von Ingenieur E. Starcke und Gymnasial-Oberlehrer Dr. Kohlmann in dem Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer IV. Band beschrieben, noch keineswegs aber kunsthistorisch beleuchtet worden. Ich halte übrigens dafür, dass eine sorgfältige Besichtigung des Inhaltes des Rathauses und der anderen städtischen Gebäude in Begleitung eines erfahrenen Kunstgelehrten eine Menge künstlerisch oder historisch wertvoller Gegenstände: Möbel, Bilder, kleinere Utensilien etc. zutage fördern würde, die ein kleines, aber interessantes und wertvolles Lokalmuseum ausreichend zu füllen imstande wären. Der rege lokale Patriotismus würde rasch nachfolgen, um zur Bereicherung desselben liebreich beizutragen. Für Bildung eines solchen kleinen, aber kostbaren Lokalmuseums fehlte nichts als ein tüchtiger Mann
Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. II. Band. Heft 4. Dresden, 1900-1902.