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Neues aus dem Musée d'Artillerie in Paris Teil 1

Fig. 1. Bildnis des Konnetabel Anne de Montmorency aus Schrenkhs Kupferwerk, Tafel XXY.
Fig. 1. Bildnis des Konnetabel Anne de Montmorency aus Schrenkhs Kupferwerk, Tafel XXY.

 

Ein Waffenmuseum, das außer Verbindung mit gleichartigen anderen Sammlungen bleibt und nur ein selbstgenügsames Leben führt, verliert allgemach an Wert; die Fäden, welche aus den Gebieten der Geschichte, der Kunst-, der Kriegswissenschaften einst herüberleiteten und einen geistigen Rapport ermöglichten, reißen ab und die Traditionen, welche an den einzelnen Gegenständen noch hafteten, geraten allmählig in Vergessenheit.

 

Es ist nicht zu wundern, dass auch das reiche Musée d’Artillerie in Paris bis in unser Jahrhundert herein in diesen somnolenten Zustand verfiel; war man doch in der ganzen Welt über die Aufgaben eines Museums historischer Waffen sich völlig unklar, spielten gerade hier traumhafte romantische Empfindungen herein und fehlte es überhaupt an einer wissenschaftlichen Grundlage für die Beurteilung des Materials nach allen Lebensrichtungen hin. Überall begnügte man sich mit schön stilisierten Beschreibungen des musealen Inhalts, in denen die «Vermutungen» eine hervorragende Rolle spielten und selbst Fabeln sich breit machten, und niemand geriet auf den Gedanken, oder wagte es, die Axt der Forschung in die Hand zu nehmen und mit kühnen Streichen sich durch das Dickicht des Romantizismus durchzuarbeiten oder durch unausgesetzten Vergleich auf die Bahn der Wahrheit zu gelangen.

 

Man muss zugestehen, dass das Musée d’Artillerie das erste Waffenmuseum war, welches nach dieser speziellen Richtung hin seine Aufgaben zu erfassen begann. Es hatte das Glück, seit der Mitte unseres Jahrhunderts bis zur Gegenwart Konservatoren zu erhalten, welche Kenntnisse mit Talent verbindend klar auf die isolierte Stellung ihrer unschätzbaren Sammlung blickten. Dem Obersten Penguilly l’Haridon gebührt das Verdienst, zuerst ein gründliches Studium seiner Sammlung im Einzelnen eingeleitet zu haben, ihm folgte der rastlos arbeitende Oberst Ledere, aber erst unter dem talentvollen und energischen Oberst Robert gelangte die Leitung auf die breite Bahn wissenschaftlicher Forschung, auf welcher sein nicht minder tüchtiger Nachfolger, der gegenwärtige Konservator Oberst Bernadac rüstig weiter schreitet, und auf überraschende Erfolge bereits hinzuweisen vermag.

 

Nach manch anderen wertvollen Neuentdeckungen in diesem Museum aus jüngster Zeit, die ebenso eine Bereicherung der Wissenschaft, als eine Wertzunahme der Sammlung selbst darstellen, wollen wir hier nun die neueste schildern; sie bezieht sich auf jene zehn Harnische und Waffenstücke, welche im Jahre 1806 über Befehl des Kaisers Napoleon I. aus der berühmten Sammlung des Schlosses Ambras in Tirol aufgehoben und nach Paris überführt worden sind.1 Der schöne Erfolg war hauptsächlich einer wissenschaftlichen Verbindung mit der kaiserlichen Waffensammlung zu Wien zu danken, die schon vor gut zehn Jahren durch Oberst Robert sich anknüpfte, unter dem gegenwärtigen Leiter sich fester gestaltete und allmählig gemeinschaftliche Ziele vor Augen stellte. Von den zehn Harnischen und Waffenstücken, welche damals nach Paris gewandert waren und hier nach dem Wortlaut des französischen Übergabedokumentes aufgezählt werden sollen, waren in den damals bewegten Zeiten einige bezüglich ihrer Herkunft in Vergessenheit gekommen; es zeigte sich dies deutlich in dem Katalog des Musée d’Artillerie von Penguilly l’Haridon,2 in welchem nur vier Harnische als aus dem Schloss Ambras stammend angegeben wurden.

 

Auch in dem letzten Katalog des Musée 1889 bis 1893 von Oberst L. Robert3 ist der Verfasser nicht zu einer vollständigeren Bestimmung gelangt. Nur wurden die beiden Harnische Franz I. (G. 117) und Karls IX. (G. 120) aufgenommen, die Provenienz des letzteren aus Ambras ist aber nicht angegeben; sie war also auch dem Verfasser unbekannt. Aus Ambras gelangten am 15. Februar 1806 folgende Objekte nach Paris:

 

1 Jene Sammlung, welche von dem Erzherzog Ferdinand von Tirol von ca. 1580 an angelegt wurde, der mit vielen Anstrengungen die Harnische und Waffen berühmter Feldherren und Kriegsmänner sammelte. Sie bildet heute den wertvollsten Teil der kaiserl. Waffensammlung zu Wien.

2 Catalogue des Collections composant le Musée d’Artillerie. Paris 1862. 1 und 2 waren damals und seit 1852 im Louvre aufgestellt. 3, 4, 5 und 6 werden beschrieben. 7, 8, 9 und 10 sind bezüglich ihres ursprünglichen Eigentümers und ihrer Herkunft aus Ambras ohne Vermerk geblieben.

3 Catalogue des Collections composant le Musée d’Artillerie en 1889 par L. Robert. 5 Bände.

 

Fig. 2. Halber Harnisch des Herzogs Charles de Biron im Musée d’Artillerie in Paris, G. 143.
Fig. 2. Halber Harnisch des Herzogs Charles de Biron im Musée d’Artillerie in Paris, G. 143.

 

1. Ganzer Harnisch des Königs Franz I. von Frankreich für Mann und Ross.

 

2. Halber Harnisch des Königs Karl IX., im Feuer vergoldet und verziert mit ornamentierten Strichen, ohne Beinzeug.

 

3. Halber Harnisch des Herzogs Heinrich von Guise, vergoldet, mit verschiedenen Kugelmalen auf der Brust, ohne Helm und Beinzeug.

 

4. Halber Harnisch des Herzogs von Mayenne, durchaus vergoldet mit seinem Helm, ohne Arm- und Beinzeug.

 

5. Der Harnisch des Anne de Montmorency, ein schwarzer Kürass mit etlichen Kugelmalen, mit vergoldeten Strichen geziert, dabei ein Säbel mit gebläutem Griff, versehen mit einem Kreuz, ohne Beinzeug.

 

6. Halber Harnisch des Franz von Montmorency, ein ganzer Kürass, poliert, mit vergoldeten Strichen, welche mit verschiedenem Blattwerk verziert sind. Ohne Beinzeug.

 

7. Halber Harnisch des Heinrich von Montmorency, ein ganzer Kürass, mit vergoldeten Strichen. Ohne Beinzeug.

 

8. Von Heinrich von Montpensier. Der Helm von einer schwarzen Rüstung, der Kragen, beide Armzeuge und ein einzelner Handschuh.

 

9. Von Karl von Bourbon, ein Helm, blank, an den Ohren und am Hals vergoldet und ein Rundschild, geätzt und vergoldet, mit einer Spitze in der Mitte.

 

10. Halber Harnisch des Karl von Biron, ein schwarzer Kürass mit vergoldeten Strichen, mit ganzer Brust.

 

Schreiber dieser Abhandlung hatte dieses Verzeichnis in einer Abschrift des Übergabeprotokolls in der Registratur der ehemaligen Ambraser Sammlung aufgefunden und selbe zur Grundlage von Forschungen genommen, die er in einer Abhandlung im XIX. Band des Jahrbuches der kunsthistorischen Sammlungen des kaiserlichen Hauses 1898 niedergelegt hat.1 Bei dieser Gelegenheit nahm der Verfasser auch Anlass, den Vorgang bei der Entnahme, der hier weniger interessant ist, nach amtlichen Berichten genau zu schildern.

 

Aus diesen Untersuchungen ergab sich nun, dass bezüglich der Identität, der Zueignung und Herkunft der Harnische Franz I., G. 117, des Herzogs Karl von Mayenne, G. 82, des Konnetabel Anne von Montmorency, G. 61 und jenes des Herzogs Franz II. von Montmorency in Paris kein Zweifel besteht. Dieselben sind auch in dem gegenwärtigen Katalog von Robert angeführt und in dem großen Fotografiewerk «Le Musée d’Artillerie» abgebildet. Vom Harnisch Karls IX., G. 120, war nur die Herkunft aus Ambras in Vergessenheit gekommen, vom Harnisch des Herzogs Heinrich von Guise, G. 80, ist der Helm nicht zugehörig, wie auch schon in der Liste der Abgang eines Helmes angegeben ist, dem entgegen ist vom Harnisch des Herzogs Heinrich I. von Montmorency nur die Sturmhaube, FI. 264, außer Zweifel, nicht aber das Brust- mit dem Rückenstück. Der Harnisch eines Herzogs Heinrich von Montpensier, wie jener des Karl von Biron sind völlig in Vergessenheit geraten, und Schild und Helm des Karl von Bourbon betreffend, so war da bei Entnahme in Ambras eine Verwechslung vor sich gegangen. Man hatte nämlich statt diesen, den Rundschild des Peter Strozzi und einen anderen unbekannten Helm mitgenommen. Diese Verwechslung war nicht erst damals entstanden; sie schrieb sich schon von dem Inventar in Ambras von 1663 her. Das vorhergehende Inventar von 1621 bringt beide Posten noch korrekt. Beide Stücke waren einst nebeneinander aufgestellt und es wurden vermutlich einmal die Aufschrifttafeln vertauscht.

 

1 Boeheim, W., Die aus dem kaiserl. Schloss Ambras stammenden Harnische und Waffen im Musée d’Artillerie zu Paris, mit 12 Textillustrationen und 4 Tafeln in Heliogravüre, letztere nach photographischen Aufnahmen von Berthaud Fréres in Paris.

 

Fig. 3. Bildnis des Charles de Bourbon aus Schrenkhs Kupferwerk, Tafel XXIX.
Fig. 3. Bildnis des Charles de Bourbon aus Schrenkhs Kupferwerk, Tafel XXIX.

 

Der glückliche Fund einer Abschrift des Prozesses verbal in Wien bot nun Oberst Bernadac die Handhabe zu weiteren eingehenden Untersuchungen und er hat diese Gelegenheit in so ausgezeichneter Weise benützt, dass in kurzer Zeit die wichtigsten Objekte wieder entdeckt wurden.

 

In der genannten Abhandlung im Jahrbuch hatte der Verfasser auch zwei Briefe des Kaisers Napoleon I. im Wortlaut gebracht, welche die Veranlassung zur Entnahme der zehn Waffenstücke gegeben hatten. In dem einen vom 9. Februar 1806 schreibt der Kaiser an Berthier: «Mein Cousin! Der Kaiser von Österreich hat sich vor einiger Zeit bei mir angefragt, ob es gestattet wäre, die im Schloss Ambras befindlichen Waffen an sich zu ziehen. Ich hoffe, dass man ihm nicht alles Merkwürdige und vor allem den Harnisch Franz I. nicht gegeben haben wird. Ich lege einen Wert darauf, mir diese Rüstung zu erhalten. Napoleon.»

 

In einem zweiten Schreiben an Berthier vom 17. Februar kommt der Kaiser am Schluss wieder auf den Gegenstand zurück. Es heißt da: «Ich empfehle Ihnen, und zwar angelegentlichst, die Rüstung Franz I., welche in einem Schloss in Tirol ist. Lassen Sie sich dieselbe nach München kommen und bringen Sie mir selbe selbst nach Paris; ich will sie in der Sitzung und feierlich empfangen.»

 

 

(Schluss folgt.)

 

Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 10. Dresden, 1897-1899.