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Entwicklung und Gebrauch der Handfeuerwaffen Teil 10

Fig. 49. «Alt Hagknpuchsn» aus dem Landshuter Zeughausinventar, 1485. Großherzogliche Universitätsbibliothek zu Heidelberg.
Fig. 49. «Alt Hagknpuchsn» aus dem Landshuter Zeughausinventar, 1485. Großherzogliche Universitätsbibliothek zu Heidelberg.

 

Fig. 49. «Alt Hagknpuchsn».

Diese sind augenscheinlich größer als die Handbüchsen und bestehen aus Lauf und Schaft. Der Lauf hat vorne die ringförmige Verstärkung, in der vorderen Hälfte unten einen länglichen rechtwinklig abgebogenen Haken, welcher in seinem unteren Teil mit einem runden Loch versehen ist; rückwärts endigt derselbe in einen verstärkten Zylinder.

 

Der Schaft reicht nur bis zur Hälfte des Laufes, ist in der Mitte verstärkt und rückwärts dreikantig geschnitten. Das Zündloch ist aus der Zeichnung nicht zu entnehmen, war aber gewiss im rückwärtigen Teil des Laufes. Bemerkt werden muss, dass alle Hakenbüchsen ohne jede Unterlage abgebildet sind. Die Verbindung zwischen Lauf und Schaft wurde auch hier durch zwei Laufringe bewirkt. (Fig. 50.) «Hagknpuchsen mit dem ldeplat vnd kreutz.» (Fig. 51.) «Hagknpuchsen in die wagen, so zum sturm verhalltn gehörend in kästen sein.»

 

Diese sind in der Konstruktion den obigen Handbüchsen in Fig. 48 vollkommen gleich, waren durchwegs stärker und massiver gebaut und augenscheinlich in verschiedener Größe vorhanden. Der Schaft war in seinem vorderen Teil länger, der Haken des Laufes ging durch den Schaft durch und ragte mit dem unteren Ende aus diesem hervor. Hervorzuheben ist noch, dass an der Längenseite des Kolbens bei den verschieden großen Haken- und Handbüchsen verschiedene Zeichen aufgeschrieben sind. Über die Bedeutung dieser Zeichen heißt es in einer der Ordnungen von Nürnberg aus der Mitte des 15. Jahrhunderts:

 

«Item es ist auch mer geornt ain ietliche pleipüchsen mit irem zaichen, sie sei gros oder clein, so stet daz zaichen auf der püchsen umb des willen, daz man wiss, waz eine ietliche püchs schies, ietliche nach ihrem model.»

 

«Item mer nim daz zaichen von der pleipüchsen, sie sei gros oder clein, vnd gee über die truhen an die stet, do sie ligen, so vindest du ob einer ietlichen gattung ir zaichen, daz auf den büchsen ist.»1

 

In der Ordnung «Von den zaichen der püchsen» heißt es u. a.:

 

«Die sibenden sind gezaichnet mit dem c, sind hakenpüchsen. Die achten sind gezaichent mit d, sind hakenpüchsen. Die neunten sind gezaichent mit e, sind simbel hantpüchsen und ain tail hokenpüchsen.»2

 

1 «Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis in’s 16. Jahrhundert.» 1863. Bd. I. 291.

2 Ebenda 292.

 

Fig. 50. «Hagknpuchsen mit dem kleplat vnd kreutz» aus dem Landshuter Zeughausinventar, 1485. Großherzogliche Universitätsbibliothek zu Heidelberg.
Fig. 50. «Hagknpuchsen mit dem kleplat vnd kreutz» aus dem Landshuter Zeughausinventar, 1485. Großherzogliche Universitätsbibliothek zu Heidelberg.

 

Auch Konrad Gürtler, Anschicker auf der Peunt, berichtet in seinem vom Jahr 1462 angefertigten Verzeichnis von diesen Zeichen.

 

Im Rathaus zu Nürnberg befand sich in einer Truhe ein Sortiment alter Bleikugeln, jede in einem besonderen Fach, dessen Deckel das Zeichen der Büchse trug, zu welcher die Sorte gehörte.1

 

Bei den vorliegenden Abbildungen sind 9 verschiedene Zeichen wahrzunehmen, welche daher 9 verschieden große Kaliber darstellen.

 

Von den übrigen Abbildungen wären noch die «Geuasst pokhpüchsen» zu erwähnen; diese sind jedoch auf fahrbaren Holzkonstruktionen befestigt und bilden somit den Übergang zu den Geschützen. Auffallend sind auch die Abbildungen der «Alt klotzn» und der «New klotzn». Erstere sind durch 3, letztere durch 5 verschieden große Würfel dargestellt; bei diesen wechselt die Länge einer Seite zwischen 5 mm und 15 mm, bei jenen zwischen 25 mm und 30 mm.

 

Diese würfelförmigen «klotzn», welche weder Geschosse noch Spiegel sein können, sind vermutlich Eisenkerne zu Bleikugeln. Dass solche zuweilen kubisch waren, wird u. a. bei der Beschießung von Cittá di Castello im Kirchenstaat erwähnt (1474), indem ein gleichzeitiger Autor die dazu gebrauchten Bleikugeln folgendermaßen beschreibt: « Serpentinarum pilae sunt plumbae librarum XV ponderis, intra plumbum vero frustum inest chalybis quadrati, quo abstantia quaecunque validius demoliantur. (Additiones Florentinae ad Rev. Ital. script. vol. II, p. 701.)2

 

Von besonderer Bedeutung ist die folgende Abbildung:

 

Diese Darstellung zeigt vier verschieden große, gerade Kreiszylinder; nach der Überschrift waren dieselben aus Holz, augenscheinlich auf der unteren Seite geschlossen, oben ist ein abnehmbarer Deckel aufgesetzt.

 

Diese Holzzylinder enthielten das Pulver für eine Ladung; es ist auch wahrscheinlich, dass die verschieden großen Zylinder verschieden großen Kalibern entsprechen.

 

In der Münchener Handschrift, Cod. germ. 600, wurde das Rohr noch mittelst eines Maßes in fünf Teile geteilt und drei Teile mit Pulver gefüllt. Später, im Anfang des 15. Jahrhunderts, hatte die Erfahrung das für ein bestimmtes Geschoss nötige Pulverquantum schon festgestellt; die Pulverladung wurde entsprechend dem Kugelgewicht abgewogen, und da dies immer noch umständlich war, so sagt die Bilderhandschrift (ms. 52 der kunsthistorischen Sammlungen des A. H. Kaiserhauses in Wien): «Ladeissen ist pesser, dann ein wag, wann es ist behender, man graift in das puluer damit vnd also ladt man allezeit gleich die pukchsen.»

 

Für die kleinen Feuerwaffen enthält die Münchener Handschrift keine besonderen Weisungen für die Ladung; es wurde schon dargetan, dass bei der Gleichheit der Konstruktionsverhältnisse, und weil auch sonst jede Andeutung in dieser Beziehung fehlt, das Laden bei den großen und kleinen Feuerwaffen sehr wahrscheinlich in derselben Weise erfolgte.

 

1 « Quellen».

2 Jähns, G. d. K. I, 413. Anm. 1.

 

Fig. 51. «Hagknpuchsen in die wagen, so zum sturm verhalltn gehörend in kästen sein» aus dem Landshuter Zeughausinventar, 1485. Großherzogliche Universitätsbibliothek zu Heidelberg.
Fig. 51. «Hagknpuchsen in die wagen, so zum sturm verhalltn gehörend in kästen sein» aus dem Landshuter Zeughausinventar, 1485. Großherzogliche Universitätsbibliothek zu Heidelberg.

 

Das Feuerwerksbuch, und zwar die Abschrift vom Jahre 1454 in der Bibliothek des Zeughauses zu Berlin, Cod. 1, enthält schon eine besondere Vorschrift für das Laden der Hand- und Tarrasbüchsen: «Ist das die puchs ain absatz hat, so fülle sye mit dem pulver alls ferr als der absatz ist; aber das sy anen absatz hat, so füll sy bas auff das vierd oder funfft thayl. Wan du sy gar hart laden wild, so slag dann die chugl hinein pis auff das puluer vnd scheuss.»1

 

Die Büchse, welche «ain absatz» hat, entspricht offenbar den Handbüchsen in Fig. 16, 17 und 19 usw., die «anen (ohne) absatz» den Handbüchsen in Fig. 15, 18 oder jenen im Kodex Hauslab usw. — Bei jenen wurde die rückwärtige enge Kammer bis oben mit Pulver angefüllt, bei diesen nur bis auf den vierten oder fünften Teil der Seele.

 

Es geht aus diesen Angaben hervor, dass, trotzdem der Lauf verlängert wurde, die Pulverladung dieselbe geblieben, eher kleiner geworden ist. War dies schon durch die Verbesserung des Pulvers begründet, so gibt das Feuerwerksbuch in den «Zwölf Büchsenmeisterfragen» unter Nummer 2 auch noch eine Erklärung für diese Erscheinung: «Ist aber die pichs den dritttail pis an den vierd geladen, so mag das pulver gemeiniglichen ains mals prinnen, vnd mag der dunst sein kraft vollbringen vnd scheust weiter.»

 

1 Jahns, G. d. K. I, 407.

 

Fig. 52. «Hultzein Ladung» aus dem Landshuter Zeughausinventar, 1485. Großherzogliche Universitätsbibliothek zu Heidelberg.
Fig. 52. «Hultzein Ladung» aus dem Landshuter Zeughausinventar, 1485. Großherzogliche Universitätsbibliothek zu Heidelberg.

 

Das Füllen des Laufes mit Pulver bis auf den « vierd oder funfften » Teil mag bei der zunehmenden Länge immer schwieriger geworden sein, weil das Pulver sich schwer einfüllen ließ und weil, da man in den Lauf nicht mehr hineinsehen konnte, das eingefüllte Pulver nicht abgeschätzt werden konnte. «Ladeissen» oder Lademaße waren für die Handfeuerwaffen nicht praktisch genug, einerseits wegen des kleinen Pulverquantums, andererseits weil man mit diesen nur das für einen Schuss notwendige Pulver abmessen konnte und dieser Vorgang nach jedem Schuss sich wiederholen musste. Bei den Handfeuerwaffen war überdies infolge der Beweglichkeit der kleinen Ziele und weil diese sich der Feuerwirkung entziehen konnten, die Zeit für das Laden und Schießen begrenzt.

 

Es entstanden die «Hultzein Ladung»; diese enthielten das für einen Schuss nötige Pulverquantum, waren leicht und billig in entsprechender Anzahl zu beschaffen, konnten vom Schützen bequem getragen und gehandhabt werden; die Zylinderform begünstigte das rasche Einschütten des Pulvers in den Lauf.

 

Diese hölzernen Ladebüchsen repräsentieren somit eine bedeutende praktische Vereinfachung des Ladeverfahrens (Ladegriffe) und bilden den Ursprung der heutigen Patrone; dieselben blieben, ähnlich wie die Lademaße und Ladeschaufel bei den Geschützen, bis zur Einführung der Pulver-Papierpatrone bei den Handfeuerwaffen im allgemeinen Gebrauch. Einen weiteren Einblick in die feldmäßige Bewaffnung mit Handbüchsen gestattet auch eine Bilderhandschrift, welche sich im Besitz des Fürsten Waldburg-Wolfegg-Waldsee befindet und in die Zeit 1470—1490 gewiesen wird. Dieselbe wurde vom Germanischen Museum in Nürnberg unter dem Titel «Mittelalterliches Hausbuch»1 herausgegeben und von R. von Retberg in eingehender Weise beschrieben.2 Von den schönen künstlerisch ausgeführten Abbildungen, welche dem berühmten schwäbischen Maler Bartholomäus Zeitblom zugeschrieben werden, beansprucht für den vorliegenden Zweck die Darstellung des «Heereszug», Blatt 51b—52, besondere Beachtung.

 

Der Heereszug besteht aus drei nebeneinander geordneten Zügen oder «Zeilen», deren innere aus den Proviant- und Gepäckwagen besteht, während die zwei äußeren Zeilen durch die dicht aufgeschlossenen Büchsenwagen gebildet werden, welche mit Stein- und Tarras- oder größeren Handbüchsen armiert sind

 

In den zwei Gassen zwischen den drei Zeilen marschiert das Fußvolk in sechs Haufen, und zwar in der Mitte die «Wappener» mit Spießen, Helmbarten, Streithämmern usw., vorne und rückwärts die Schützen, welche teils roh geschäftete Handbüchsen, teils Armbrüste tragen. Es sind daher vier Schützenhaufen; bei den vorderen linken (Fig. 53) befindet sich das rote Schützenfähnlein, bei den vorderen rechten Schützenhaufen (Fig. 54) ein Tumberer und ein Pfeifer. Retberg glaubt, dass der Künstler den Heereszug des Kaisers Friedrich nach Neuss (1474—1475) zum Vorwurf seiner Darstellung genommen habe, und dass in der vorliegenden Abbildung das Aufgebot der Augsburger zu diesem Zug zu erkennen sei. In diesem Aufgebot «waren 100 Reisige und 500 Fußknechte, jene wohl beritten, auch mit Harnisch, Armbrüsten und langen Schürtzern, diese aber mit 200 gemeinen Handbüchsen, 20 Hakenbüchsen und dreien Stücken hinter 20 Rossen gerüstet und versehen, auch alle in der Stadt Farbe gekleidet».

 

Wenn man auch bei der Darstellung kriegerischer Unternehmungen durch Künstler in der Beurteilung technischer Details vorsichtig sein muss, so kann in Bezug auf die Konstruktion der Handbüchsen doch angenommen werden, dass diese so dargestellt wurden, wie sie tatsächlich waren oder wie dieselben in ihrer äußeren Erscheinung dem Künstler aufgefallen sind. Es sind lange, stangenartige Waffen, der Lauf hat an der Mündung die ringförmige Verstärkung, im unteren Teil desselben sieht man bei einzelnen Stücken eine Verbreiterung, in welche der Schaft eingeschoben ist. Es muss hervorgehoben werden, dass in der vorliegenden Abbildung nur Handbüchsen dieser Konstruktion dargestellt sind.

 

 

1 «Mittelalterliches Hausbuch», Bilderhandschrift des 15. Jahrhunderts mit vollständigem Text und faksimilierten Abbildungen. Herausgegeben vom Germanischen Museum. Leipzig 1866.

2 R. v. Retberg, Kulturgeschichtliche Briefe über ein mittelalterliches Hausbuch aus dem 15. Jahrhundert aus der fürstlich Waldburg-Wolfeggischen Sammlung nebst Anhang. Leipzig 1865.

 

Fig. 53. Schützen mit Handbüchsen und Armbrüsten aus dem «Mittelalterlichen Hausbuche». 1470—1490.
Fig. 53. Schützen mit Handbüchsen und Armbrüsten aus dem «Mittelalterlichen Hausbuche». 1470—1490.

 

Sowohl diese Handbüchsen, als ganz besonders die Handfeuerwaffen im Heidelberger Kodex, lassen entnehmen, dass die technische Konstruktion derselben zu bestimmten Prinzipien gelangt war, welche die ersten grundlegenden Bedingungen für eine brauchbare Kriegs-Handfeuerwaffe — für ein «Kriegs-Gewehr» — darstellen, und welche trotz der weiteren Vervollkommnung maßgebend geblieben sind. Hier wäre in erster Linie die Gleichheit in der Konstruktion hervorzuheben. Die Haken- und Handbüchsen im Inventar von Landshut zeigen trotz verschiedener Größe doch nur eine Konstruktion, und die Augsburger Schützen sind ebenfalls nur mit einer Art von Handbüchsen ausgerüstet.

 

Die Erklärung dieser Erscheinung liegt teilweise in der Erzeugung; es war für den Büchsenschmied leichter, eine größere Anzahl Handfeuerwaffen von einer Konstruktion herzustellen, als bei derselben Anzahl verschiedene Systeme zu berücksichtigen. Die vereinfachte Arbeit brachte billigere Verkaufspreise, welche bei der Bewaffnung der Schützen, die entweder aus den Vorräten der Zeughäuser oder durch den Schützen selbst erfolgte, Beachtung finden mussten. Die gleichförmige Konstruktion erleichterte auch die Erlernung der Handhabung, welcher Umstand bei der Art der Aufbringung und Ergänzung der Schützen von Wichtigkeit war.

 

Der Kriegsgebrauch musste ferner von selbst auf den Übelstand verschiedener Kaliber hinführen. Wenn auch damals diese Verschiedenheit durch die von der Größe der Waffe abhängige Wirkung bedingt war, so beweisen doch die genauen Zeichen an den Schäften und selbst an den Geschossen einerseits, und die diesen Zeichen entsprechende Sonderung und Aufbewahrung derselben anderseits, dass man Mühe hatte, die verschiedenen Kaliber auseinander zu halten, um zu jeder Feuerwaffe schnell und sicher die zugehörigen Geschosse zu finden. Bei den Handbüchsen, deren Gewicht über die Kraft der Hände nicht hinausgehen durfte, war schon aus diesem Grund die Verschiedenheit der Kaliber begrenzt.

 

In der Kriegsordnung, Bl. 43, aus der Zeit von Nürnbergs Krieg gegen Albrecht von Brandenburg (1449—1450) hatten die «Hockenpüchsen» die Zeichen c und d, die «simbel Hantpüchsen» nur das Zeichen «e». Nach dem Gürtlerschen Inventar vom Jahre 1462, um welche Zeit Nürnbergschen Tausende von Handbüchsen in seinen Zeughäusern aufbewahrt hatte, haben die «Simwel Handbüchsen» das Zeichen «e», ein Gewicht von 5 Pfund und schießen 1,25 Lot; eine zweite Art Handbüchsen hatte das Zeichen «f» und ein Gewicht von 5,5 Pfd. Im Jahr 1472 beauftragte der Rat von Frankfurt seine Büchsenmeister, 50 oder 60 Haken- oder Handbüchsen anzufertigen, «igliche gattung uff einklotz».

 

Später wurden von den Büchsenschmieden Nürnbergs Hunderte von Handbüchsen zum Verkauf gebracht, «alle uff ein klotz gerichtet», anderseits ließen die Kriegsherrn die bestellten Handbüchsen nach einem bestimmten Muster arbeiten. Auffallend ist, dass die Handfeuerwaffen sowohl im Heidelberger Kodex als auch im Hausbuche ohne Abzug- und Visiervorrichtungen abgebildet sind. Es ist gewiss — wie schon hervorgehoben wurde — dass die bisher konstruierten Abzugsvorrichtungen nicht praktisch und verlässlich waren und dass man aus diesem Grund im Felde die Handfeuerwaffe entweder selbst entzündete oder durch einen zweiten Schützen abfeuern ließ; dieser Vorgang war einfach und sicher.

 

Bei den Visiereinrichtungen, welche schon in verschiedenen Kombinationen in Gebrauch standen, war es möglich, dass der Schütze über den höchsten Punkt der ringförmigen Verstärkung an der Mündung visierte und diesen durch einen Einschnitt oder kleine Erhöhung derart markierte, dass dies in der Zeichnung nicht zum Ausdrucke kam. — Allein es fehlt tatsächlich das Absehen! Dieses ist bei der Handbüchse im Kodex 599 der königl. Hof- und Staatsbibliothek zu München (1475) genau eingezeichnet und zu erkennen; im Schießbrief der Stadt Zürich vom Jahre 1472 ist das Absehen auch genau, wie folgt, beschrieben: «Also das er kein fursan noch kein ror vff der buchs weder kurtz noch lang haben noch brauchen sol in kein weg, dann nun allein ein schlecht absechen hinden vnd vornen vff der buchs durch Ein löchly ein blechlins oder ein offen schrentzlin».1

 

Es muss noch hinzugefügt werden, dass Martin Merz in seiner «Kunst, aus Büchsen zu schießen» (1471) sogar schon einen Aufsatz kennt und dessen Gebrauch für das Geschütz ausführlich beschreibt. Aus diesen tatsächlichen Erscheinungen kann abgeleitet werden, dass man den praktischen Wert der Visiereinrichtungen für Handbüchsen, welche am Schießplatz verwendet wurden, gar wohl erkannt hatte; hier entsprach das «schlecht absehen» der bekannten üblichen Schussentfernung, welche auf den verschiedenen Schießplätzen nicht viel differierte. Das übliche Standvisier und praktische Schießfertigkeit genügten, um beim Wett- oder Festschießen gut auszukommen.

 

Bei Besprechung der Münchener Handschrift wurde auf Versuche hingewiesen, welche durch das Nebeneinanderlegen von geladenen Lotbüchsen bei eintretender Notwendigkeit eine erhöhte Feuerbereitschaft sicherstellen sollten. Man ging hierbei schrittweise vor, steigerte die Anzahl der Rohre von 2 auf 3, 4, 5, 6, 8, 10 und mehr, wobei mit Zunahme der Zahl sich zumeist Größe und Kaliber der Waffe verminderten. Die Holzkonstruktionen, welche hierbei in Verwendung kamen, waren entweder ein flacher, starker Balken, eine Scheibe oder ein massiver Holzzylinder und stets derart eingerichtet, dass eine bestimmte Elevation festgestellt werden konnte. Solche Konstruktionen sind in den meisten hierher gehörigen Bilderhandschriften des 15. und teilweise auch des 16. Jahrhunderts enthalten, wie z. B. Kiesers Bellifortis, kod. ms. 34, und 55 der kunsthist. Sammlung d. A. H. Kaiserhauses zu Wien, kod. ms. 3069, 3062, 2952 der k. u. k. Hof-Bibliothek zu Wien, kod. germ. 734 und 599 der königl. Hof- und Staatsbibliothek zu München, etc.

 

Weiter werden dieselben erwähnt in Ulmann Stromers Kriegsordnung von Nürnberg (1388), im Inventar von Bologna vom Jahr 1397, — bei den Flamandern (Froissart), — beim Deutschen Orden zum Jahr 1428 (Toeppen) etc.

 

Ein Originalexemplar aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts soll im Museum zu Sigmaringen aufbewahrt sein.2

 

In der weiteren praktischen Durchführung der obigen Versuche entstehen nun zwei Hauptgruppen, und zwar: Konstruktionen, welche infolge der großen Anzahl von Feuerrohren oder infolge größeren Kalibers fahrbar gemacht werden mussten und aus welchen sich die Orgelgeschütze und schließlich die Mitrailleusen entwickelten. Diese Schießmaschinen waren im Mechanismus kompliziert und für die feldmäßige Verwendung nicht praktisch genug. Die Waffentechnik vermochte nicht, trotz aller Fortschritte, eine tadellose andauernde Funktionierung sicherzustellen; war eine Lage abgeschossen, so konnte die Waffe erst wieder durch ein umständliches Laden gefechtsfähig gemacht werden.

 

Die zweite Art umfasst Konstruktionen, bei welchen die Anzahl der Läufe beschränkt blieb, welche zumeist noch von einem Mann fortgebracht werden konnten und die als Laden- oder Schaufelbüchsen oder als mehrläufige Handfeuerwaffen in Gebrauch kamen. Diese Feuerwaffen erlangten jedoch schon infolge der geringen Anzahl von Läufen und infolge der schwerfälligen wenig praktischen Einrichtung und der umständlichen Ladung keine besondere kriegsmäßige Bedeutung.

 

Einfacher — als die Verwendung dieser Feuerwaffen — war es, das Laden bei der einzelnen Handbüchse zu beschleunigen, um nach abgegebenem Schuss bald wieder schuss- oder feuerbereit zu sein; dadurch wurde die Feuerbereitschaft und als unmittelbare Folge der Kampfwert sowohl des einzelnen Schützen als auch ganzer Schützenabteilungen gehoben; die auf diesem Weg erlangte größere Feuerbereitschaft war eine konstante und andauernde. Das schnelle Laden war abhängig einerseits von der praktischen Geläufigkeit im Laden (Ladegriffe) und im Schießen, anderseits von der Konstruktion, Bau und Einrichtung der Waffe und der Munition. Die notwendige Geläufigkeit im Laden und im Schießen erwarben sich die Schützen zu jener Zeit bei den regelmäßigen, meist für die Sommermonate angeordneten Schießübungen, für welche vom Landesherrn oder vom Rat bestimmte Preise ausgeworfen waren, und zu deren Besuch eine gewisse Verpflichtung bestand.

 

Die Schützen lernten hier auf praktischem Weg die Handhabung der neuen Handbüchsen, sie übten sich, ein feststehendes Ziel — Schirm, Scheibe oder Vogel — auf bestimmte Entfernung zu treffen, wobei sie wohl an bestimmte Schießregeln sich zu halten gezwungen, jedoch in der Zeit für das Laden nicht beschränkt waren, dies konnte in aller Ruhe und mit größter Genauigkeit bewirkt werden. Wollte man jedoch die Vorteile der neuen Schusswaffe im Ernstkampf verwerten, so musste diese entweder schussbereit sein oder nach abgegebenem Schuss baldigst wieder vom Schützen schussbereit gemacht werden können, da eine Wirkung doch nur von einer geladenen Handbüchse zu erwarten war.

 

Die Vielfachheit und wohl auch die Beweglichkeit der Ziele im Gefecht, im Gegensatz zur einzelnen feststehenden Scheibe, weiter der Umstand, dass der Schütze bei der steten persönlichen Gefahr während der Zeit des umständlichen Ladens sich nahezu wehrlos fühlte — (eine Erscheinung, die schon bei den Armbrustschützen zu verschiedenen Anordnungen geführt) — endlich die Erkenntnis, dass der Schütze nur mit geladener Handbüchse seinen vollen Kampfwert betätigen könne, zwangen die Waffentechnik, Bau und Einrichtung von Waffe und Munition einfach zu halten, um durch die Konstruktion derselben das schnelle Laden zu fördern.

 

Die «Hultzein Ladung», deren Bedeutung für das schnelle Laden schon besprochen wurde, waren in dieser Richtung das erste praktische Resultat. — Allein auch die Schießausbildung hatte obiger Forderung nach schneller Ladung zu entsprechen, sollten die Schützen nicht nur für das Schießen nach der Scheibe, sondern auch für das Schießen im Gefecht herangebildet werden. Vorläufig versuchte man durch fleißige Schießübungen die Fertigkeit im Laden und im Schießen zu steigern und insbesondere durch die Art der Verwendung der Schützen im Gefecht, durch die Regelung ihrer Kampftätigkeit, wenigstens einen Teil der Handbüchsen stets geladen in Bereitschaft zu halten. Die Zunahme der Handbüchsen-Schützen und die Verwendung ganzer Schützenhaufen, wie dies aus den Darstellungen des mittelalterlichen Hausbuches, Fig. 53 und 54, hervorgeht, veranlassten bald derartige Anordnungen, durch welche mit Rücksicht auf die Zeit, welche zum Laden nötig war, die Abgabe des Feuers reguliert werden sollte.

 

Der heldenhafte kriegskundige Kurfürst Albrecht Achilles von Brandenburg gibt in den «Praeparatoria zum Feldzug Kurfürst Alberti wider Hertzog Hansen von Sagan»3 vom Jahre 1477 in dieser Beziehung seinen Büchsen-Schützen die ersten bestimmten Vorschriften. Dieselben lauten:

 

«Der Schützenfenlyn. Item dy schucczen yn zwen oder iij hauffen glich zu teyllen dar nach ir vil ist, ein ittzlichem hauffen ein vor suchten gesellen, der emals vor fynden gewest vnd fortel erkennen kan, vor einen hemptman zu geben, doch dy fyndt nicht an zu gryffen den der ober hemptman heyssess. Ein ittlich hauffen der schucczen sal ein fenlyn haben mit seyner besundern färbe; auff ittlicher seytthenn sollen Ix spysse seyn auff die schucczen acht zu haben, wen Sie abgeschossen dy zu enthsetzen, doch sollen dy schucczen nicht Zu glich an dy fynde rijnen und abschyssen alwe yn ein ratgen lassen vmb her gehen wen ein teyl abgeschossen das der ander hauffe wyder wort hawe vnd mit schyssen gereydt. Der ein hauff schucczen sollen j rothfewer banner haben.»

 

Durch diese Anordnungen, welche im Prinzip nicht neu waren, sollte offenbar eine gewisse Anzahl von Handbüchsen so lange feuerbereit bleiben, bis die anderen Schützen ihre Waffen geladen hatten. Je länger nun die Zeit war, welche das Laden der einzelnen Handbüchse benötigte, umso kleiner musste bei gleich großen Schützenhaufen die Anzahl jener Schützen sein, welche mit geladenen Gewehren feuerbereit bleiben konnte. Es stehen somit Waffentechnik und Schießausbildung einerseits, Formierung und Kampftätigkeit der Schützenhaufen anderseits in einem gegenseitigen Verhältnis; alle arbeiten an der Erhöhung der Feuerbereitschaft sowohl bei dem einzelnen Schützen als auch ganzer Schützenabteilungen, und jeder Fortschritt auf diesem Feld bezeichnet einen neuen Abschnitt in der Geschichte der Handfeuerwaffen.

 

1 Neujahrsblatt, herausgegeben von der Stadtbibliothek in Zürich für das Jahr 1867.

2 Vgl. Jähn’s, G. d. K. I, 234. — Köhler, d. E. d. IC. III, I, 279. — Alfred Kropatschek, Oberleutnant: Über Revolver-Geschütze. (Mittheilungen über Gegenstände der Artillerie- und Kriegswissenschaften, Wien 1868.) — Wille, General, Über Kartätschgeschütze, Berlin 1871.

3 «Ein Brandenburgischer Mobilmachungsplan aus dem Jahre 1477». — Kriegsgeschichtliche Einzelschritten. Herausgegeben vom Großen Generalstab. Heft 3. Berlin 1884.

 

Fig. 54. Schützen mit Handbüchsen und Armbrüsten aus dem «Mittelalterlichen Hausbuche». 1470—1490.
Fig. 54. Schützen mit Handbüchsen und Armbrüsten aus dem «Mittelalterlichen Hausbuche». 1470—1490.

Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 12. Dresden, 1897-1899.