Von Wendelin Boeheim.
Das alte deutsche Gestech, dieser, um uns modern auszudrücken, interessante und kulturhistorisch bedeutsame Sport des ritterbürtigen Adels im Mittelalter, besitzt eine nicht sehr ausgedehnte aber gediegene Literatur und wird durch zahlreiche Abbildungen, selbst von ersten Kunstmeistern, dem Verständnisse nahegerückt; demungeachtet mangeln uns noch eine Menge Daten über Einzelheiten in der Ausrüstung, über die Regeln und selbst über die Gewohnheitsgebräuche, über welche unsere alten Schriftsteller lautlos hinweggehen.1 Wir können darum sagen, dass sich in älteren Schriften kaum ein Beleg für den Gegenstand wird finden lassen, den wir heute näher berühren: Der Beschluss der Ausrüstung eines Reiters zum Gestech, durch Aufsetzen und Befestigen des schweren Stechhelms. In allen Bildwerken der Zeit, dem «Freidal», den Turnierbüchern Hans Burgkmayrs, Ostendorfers, den Einzelskizzen Hans Baldung Griens aber finden sich über diese schwierige Partie in der Ausrüstung, von der die Aktionsfähigkeit, ja oft selbst das Leben des «Stechers oder Stickers» abhing, und die die ganze Tüchtigkeit und Erfahrung des «Wappenmeisters» in Anspruch nahm, entweder gar keine oder nur geringe und unverständliche Andeutungen.
1 Ich bemerke, dass ich den Faselhans und Lügner Rüxner und sein „Turnierbuch“ in die Quellenliteratur nicht einbeziehe.
Unter allen von den Autoren verschwiegenen Vorkehrungen zählen auch jene, welche getroffen wurden, um nach erfolgtem Anprall, also dem Effekt, die «vom Ross gesetzten» und zu Boden fallenden Stecher möglichst noch im Fall aufzufangen. Diesen eine große Gewandtheit und Geistesgegenwart erfordernden Dienst besorgten die «Grieswärtel», und von ihnen hing es zumeist ab, dass durch den Fall keine erheblichen Verwundungen verursacht wurden. Desungeachtet war dieser Augenblick für den Stecher der allergefährlichste, und es wurde darum schon in der Ausrüstung alles angewendet, um den wichtigsten Teil des menschlichen Körpers: den Kopf selbst bei einem Aufschlag auf den weichen Boden, zu sichern.
Um diesen Zweck zu erreichen, war schon die Form des Stechhelmes darauf eingerichtet. Letzterer war nämlich so umfangreich, dass weder der Hals noch aber irgendein Teil des Kopfes bei aufgesetztem Helm mit diesem im Innern in Berührung kamen. Der Kopf selbst war durch eine «Helmhaube» aus dick mit Werg wattierter grober Leinwand geschützt, welche, damit sich selbe nicht verrücken könne, teils durch Riemen, teils durch Lederschnüre an den Helm geschnallt und gebunden wurde. Von solchen Helmhauben sind in Originalien nur mehr acht Stück vorhanden, sämtliche in der kaiserl. Waffensammlung zu Wien, wohin sie aus dem Schloss Ambras in Tirol, zugleich mit den zugehörenden Stechzeugen gelangt sind.
Wir beschreiben nun eine dieser Helmhauben, die nach Ort und Zeit allerdings nicht ein und dieselbe Form gehabt haben, aber doch in der Hauptsache ähnlich gewesen sind. Sie bestand aus einer an den Kopf enganliegenden Haube, welche noch den Hals bis zum Brustbein bedeckte. Dieselbe ließ durch einen Ausschnitt nur einen kleinen Teil des Gesichtes, nämlich nur Augen und Nase frei. Am Ober- wie am Unterrand dieser Öffnung waren querlaufende schmale Lederriemen derart befestigt, dass deren gleichlange Enden an den Seiten herausragten.1 An vier, zuweilen auch nur an drei Stellen des Scheitels, dann an vier Stellen an den beiden Seiten waren Lederschnüre derart angenäht, dass auch hier die gleichlangen Enden frei wegflatterten. An den beiden Seiten, dem Punkt der Schläfen waren überdies kleine mit Kuhhaaren gefüllte Pölsterchen angebunden. (Fig. 1.)
Betrachten wir uns nun einen Stechhelm, zu welchem Behelf wir einen solchen aus der wertvollen Sammlung Sr. Durchlaucht des Prinzen Ernst zu Windisch-Graetz uns vor Augen stellen wollen. Derselbe ist ungeachtet einer italianisierenden Plattnermarke RN doch entschieden deutsch und nichts gemahnt an italienische Formen, als das Helmtürlein an der rechten Helmwand, der «Luftgeber», der übrigens nicht selten auch an deutschen Stechhelmen auftritt. Das Scheitelstück ist sehr schön gekehlt. Die Helmwände mit gotisierenden Lochungen und Durchbrechungen sind in geschweifter Linie stark gegen den Hals eingezogen, wodurch sich erweist, dass der Helm zu den spätesten seiner Gattung zählt und etwa um 1500 datiert. Wir sehen nun am Scheitelstück je drei mit Messing gefütterte Löcherpaare und je zwei solcher an den beiden Helmwänden, (Fig. 2 und 3), außerdem noch zwei länglich geformte Spalten, deren Zweck uns nach Beschreibung der Helmhaube sogleich verständlich wird, wenn wir andere gleichzeitige Abbildungen zurate ziehen. Wir bringen hier in drei getrennten Figuren die Darstellungen einer getuschten Handzeichnung Albrecht Dürers vom Jahre 1514 aus dem königl. Kupferstichkabinett zu Berlin, die auch im IV. Hefte von Fr. Lippmanns «Handzeichnungen A. Dürers» erschienen ist.2 (Fig. 4, 5 und 6.)
1 Bei älteren Helmhauben laufen zuweilen auch zwei Lederriemen von der Stirne aus.
2 Nach einem Lichtbilde, das uns Herr Direktor Fr. Lippmann gütigst zugesandt hat, wofür wir hier unsern verbindlichsten Dank aussprechen. Das Blatt stammt aus der Sammlung Léon Bonnat in Paris.
Bevor nun der schwere Helm aufgesetzt und befestigt wurde, musste die Helmhaube sorgsam in denselben eingelegt und mit Schnüren und Riemen gebunden und geschnallt werden. Dabei musste geachtet werden, dass sich nirgends unbequeme Falten bildeten, die Haube nicht verschoben wurde, und dass besonders die kleinen erwähnten Pölsterchen genau die Schläfen deckten. Dem Zeichner war es hier ersichtlich nicht um die Form der Stechhelme, sondern speziellem deren Zurichtung für den Gebrauch zu tun, und man ersieht, welche eminente Detailkenntnisse der Meister hier entwickelt.
Erst wenn der Träger nach aufgesetztem Helm nichts auszusetzen fand, erfolgte das Verschrauben des Helms mit dem Bruststück und die Befestigung desselben mit dem Rücken durch die leicht stellbare «Helmzagelschraube», deren Form wir in Fig. 2, 3 und 4 deutlich ersehen. Aus unserer Darstellung lässt sich erkennen, mit wie vielen kleinen und schwierigen Umständen die Ausrüstung eines Stechers verbunden war und wie wertvoll die Dienste eines «Wappenmeisters» erschienen sind. Die Schwierigkeit in der Ausrüstung eines «Renners» war nicht geringer.
Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. II. Band. Heft 1. Dresden, 1900-1902.
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