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Entwicklung und Gebrauch der Handfeuerwaffen Teil 9

Die Hakenbüchse ist, im Gegensatz zu Fig. 14 und 21, ohne irgendwelche tragbare Unterlage abgebildet; es ist wahrscheinlich, dass diese Art Hakenbüchsen auf schon vorhandenen festen Unterlagen, wie Mauern und dergl., verwendet wurde; in diesem Fall mussten die Länge des Abstandes vom Haken bis zum Einschnitt an der unteren Schaftseite und die obere Breite der festen Unterlage in einer gewissen Übereinstimmung stehen.

 

Diese Handbüchse ist ziemlich deutlich gezeichnet und lässt Schaft und Lauf genau erkennen. Der Lauf ist konisch, nach vorn verstärkt, hat rückwärts oben das Zündloch, knapp hinter demselben eine Wulst, welche in einen länglichen Zapfen endigt. Es ist möglich, dass dieser Zapfen von rückwärts in den Lauf eingesetzt wurde, um diesen abzuschließen. Die Länge des Laufes ist ziemlich bedeutend und dürfte 20—25 Kaliber betragen haben.

 

Fig. 38. Handbüchse aus dem Kodex lat. 197 der kgl. Hof- und Staatsbibliothek in München.
Fig. 38. Handbüchse aus dem Kodex lat. 197 der kgl. Hof- und Staatsbibliothek in München.

 

Im Anschluss an die Feuerwaffen aus dem Kriegsbuch „de re militari“ von Robert Valturius (Fig. 30) wäre noch die Abbildung einer Handbüchse anzuführen, welche im lateinisch-italienischen Teil1 des cod. lat. m. 197 — fol. 21a — der kgl. Hof- und Staatsbibliothek in München enthalten ist (Fig. 38).

 

Der Schaft ist stangenförmig und hat in seiner vorderen Hälfte eine muldenförmige Rinne zur Aufnahme des Laufes. Die Verbindung zwischen Lauf und Schaft scheint durch zwei Laufringe hergestellt zu sein; es ist jedoch wahrscheinlich, dass diese auch durch den rückwärtigen Zapfen des Laufes vermittelt wurde, wenigstens scheint das in demselben eingezeichnete Loch darauf hinzudeuten. Visier- und Abzugsvorrichtungen fehlen.

 

In dieselbe Reihe gehören noch die Angaben und Darstellungen einer anderen Bilderhandschrift, welche den italienischen Kriegsbau-Ingenieur Francesco di Giorgi Martini (1423—1506) zum Verfasser hat. Derselbe war am Hof Federigos von Urbino, Gonfaloniers des Papstes, und schrieb zwei Hauptwerke: »Trattato di architettura civile e militare» (1465) und einige Jahre später: «Machinarum liber»2

 

In der letzteren Abhandlung über die Maschinen sind auch Angaben über die Einteilung der Feuerwaffen enthalten, in welchen es u. a. heißt:3 «Die neunte Gattung (der Feuerwaffen) wird «arquebuse» genannt; dieselbe ist 3—4 Fuß lang (1,014 m bis 1,352 m); das Bleigeschoss (Bleikugel) wiegt 6 Unzen (1 Unze — 2 Lot).

 

1 Lateinisch nach der Sprache, in welcher der Kodex geschrieben wurde, italienisch nach dem Verfasser bzw. dessen Herkunft.

2 Vgl. Jahns, G. d. K. I, § 282.

3 Favé: Études sur le passé et l’avenir de l’artillerie. Paris 1862, p. 196, pl. 30. (Fig. 39 dort entnommen.)

 

Fig. 39. Archibuso und Schioppi aus dem Machinarum über des Francesco di Giorgi Martini um 1468.
Fig. 39. Archibuso und Schioppi aus dem Machinarum über des Francesco di Giorgi Martini um 1468.

 

Die zehnte und die letzte Gattung wird «escopette«1 genannt; dieselbe ist 2—3 Fuß lang (0,676 m bis 1,014 m), das Bleigeschoss (Bleikugel) wiegt 4-6 Drachmen, (ungefähr 0,0141 kg, es gehen 30 Kugeln auf ein halb Kilogramm).» Die Abbildungen bringen eine «arquebusse» und zwei »schioppi « oder «escopette (Fig. 39). Die «Arquebuse», vom deutschen «Hakenbusse», hat tatsächlich den Haken, einen ziemlich langen Lauf und an der Mündung die ringförmige Verstärkung. Der Schaft scheint in das rückwärtige Ende des Laufes eingeschoben und ist kürzer als dieser.

 

Die «Schioppi» sind Handbüchsen, bei welchen der Lauf in den vorderen Teil des Schaftes eingelegt ist; bei einer Abbildung ist der Schaft in seinem rückwärtigen Teil schon unter einem Winkel nach unten abgebogen. Beide Schioppi haben Abzugsvorrichtungen, ein schlangenförmig gebogenes Eisenstäbchen (serpentin), um einen Stift drehbar und als zweiarmiger Hebel wirkend; an beiden Handbüchsen befindet sich die Abzugsvorrichtung auf der rechten Seite. Die Handfeuerwaffen, welche bisher besprochen wurden, hatten augenscheinlich einen hölzernen Schaft; die Handschriften bringen jedoch auch Abbildungen, aus welchen zu entnehmen ist, dass bei einzelnen Handfeuerwaffen behelfs Handhabung ein eiserner Stiel in das rückwärtige Laufende eingesetzt wurde.

 

Derartige eiserne Handfeuerwaffen zeigen einzelne Abbildungen des Kodex lat. 7239 der Nationalbibliothek zu Paris, welcher von M. Berthelot näher beschrieben wurde.2

 

Dieser Kodex besteht aus einer kurzen Einleitung und aus einer Reihe von kolorierten Zeichnungen; der Titel lautet: «Tractatus Pauli Sanctini Ducensis de re militari et machinis bellicis» etc. mit der falschen Angabe, dass derselbe um 1330 oder 1340 geschrieben sei. Berthelot datiert die Handschrift mit «ungefähr 1450»; dieselbe ist zum größten Teil eine Abschrift des Manuskriptes des Jacobus Marianus, genannt Taccola, in der St. Marcus-Bibliothek zu Venedig, welches wieder mit dem lateinisch-italienischen Teil des Kodex lat. m. 197 (München) zusammenhängt.

 

1 Schioppi und scoppio vom lat. sclopus, stlopus, Schall; aus diesem entwickelte sich der Ausdruck «schiopetto», scopietto, Feuerwaffe, Handfeuerwaffe; spanisch «escopeta»; franz.: «escopette» (Diez, W. B. 398).

2 M. Berthelot: «Pour l’histoire des arts mecaniques et de rartillerie vers la fin du moyen âge.» (Fig. 40 und Fig. 41 dort entnommen.) Vgl. Jähns, G. d. K. I, 279.

 

Fig. 40. Handbüchsen auf einem Kahn verladen aus dem Kodex lat. 7239 der Nationalbibliothek zu Paris.
Fig. 40. Handbüchsen auf einem Kahn verladen aus dem Kodex lat. 7239 der Nationalbibliothek zu Paris.
Fig. 41. Handbüchsen von Maultieren getragen aus dem Kodex lat. 7239 der Nationalbibliothek zu Paris.
Fig. 41. Handbüchsen von Maultieren getragen aus dem Kodex lat. 7239 der Nationalbibliothek zu Paris.

 

Der Pariser Kodex wurde in Konstantinopel gekauft und von französischen Autoren seither vielfach benutzt.

 

Auf fol. 88 dieser Handschrift sind nun Handbüchsen abgebildet, welche augenscheinlich einen kurzen Lauf und den in das rückwärtige Laufende eingesteckten eisernen Stiel zeigen (Fig. 40). Die Abbildung zeigt Handbüchsen von verschiedener Größe mit den zugehörigen Geschossen; der Schaft ist stielartig in das rückwärtige Laufende eingesetzt und 1 bis 1,5 Mal so lang als der Lauf, soweit dies aus der Zeichnung entnommen werden kann. Die Handbüchsen sind in Kähnen verladen, welche für den Transport am Land mit Rädern versehen sind.

 

Die Handbüchsen, welche auf fol. 89 desselben Kodex dargestellt sind, haben eine große Ähnlichkeit mit denen auf fol. 88 (Fig. 41). Die Art der Verpackung lässt beiläufig die Größe und Länge dieser Handbüchsen erkennen. Nach der Zeichnung trägt das Maultier ungefähr 20 solche Stücke, welche; beiläufig 1 m lang sein konnten und am Sattel aufgepackt waren.

 

Eine Vervollkommnung dieser einfachen Handbüchsen in der Konstruktion, sowie eine neue Art der Verwendung und Handhabung bringt eine Abbildung aus dem zweiten lateinisch-italienischen Teil des kod. lat. m. 197 — fol. 21a — der kgl. Hof- und Staatsbibliothek zu München (1420—1450) (Fig. 42). Die Abbildung zeigt einen geharnischten Reiter, welcher im Begriff ist, eine Handbüchse abzufeuern.

 

Die Handbüchse ist wahrscheinlich aus Eisen und lässt deutlich zwei Teile unterscheiden; einen vorderen, weiteren Flug und eine hintere engere Kammer, welche nach rückwärts in einen massiven Stiel endigt, der mit einem Öhr abschließt. Bei genauer Betrachtung der Zeichnung und bei Berücksichtigung der beigefügten schriftlichen Anmerkung: «Arsenicum mistum cum pulvere magis alongue proiscitur lapis bombardarum» — kann wohl angenommen werden, dass der Reiter mit einer Hand-Steinbüchse bewaffnet ist, dass dieselbe geladen und dass der Stein «ein wenig für die buchs gieng.»

 

Der rückwärtige engere Teil enthielt offenbar die Kammer für die Pulverladung und hatte oberhalb das Zündloch, unterhalb, knapp vor diesem, einen ziemlich großen Haken. Nachdem das Zündloch zumeist am Ende der Kammer angebracht war, so war nach der Zeichnung die Länge des Flugs und der Kammer nahezu gleich groß.

 

Der Reiter trägt die Handbüchse an einem Riemen um die Schulter; an einem zweiten Riemen ist ein Hammer befestigt, welcher wahrscheinlich zum Laden notwendig war. Vorn am Sattel ist eine offenbar eiserne Gabel mit langem Stiel angebracht, auf welcher die schussbereite Gabel aufliegt. Die rechte Hand hält das brennende Ende eines Lunten-Strickes; endlich ist am Sattel eine Tasche befestigt, welche augenscheinlich den Schießbedarf aufnehmen sollte.

 

Fig. 42. Eques scopettarius aus dem Kodex lat. 197 der kgl. Hof- und Staatsbibliothek zu München.
Fig. 42. Eques scopettarius aus dem Kodex lat. 197 der kgl. Hof- und Staatsbibliothek zu München.

 

Die Darstellung lässt folgende Handhabung erkennen: Der Schütze trug die Waffe bei sich am Pferd; zum Schießen stellte der Reiter die Gabel schräg nach vorwärts auf, legte mit der linken Hand die Handbüchse in diese ein, sodass der Haken knapp vor die Gabel kam, ergriff mit der rechten Hand die brennende Lunte und entzündete mit dieser die Ladung. Dieselbe Abbildung eines geharnischten Reiters mit einer Handbüchse ist im kod. lat. 7239 — fol. 79 — der Nationalbibliothek zu Paris (ca. 1450), wo derselbe als «eques scopettarius; vorgeführt wird.1 (Fig. 43.)

 

Denselben Reiter findet man auch im Manuskript des Marianus Jacobus in der St. Marcus Bibliothek zu Venedig;2 schon aus diesem Umstand sowie aus dem Vergleich dieser Abbildungen geht, dass jene im m. 197 zu München (Fig. 42) die älteste ist. Diese Abbildungen lassen ferner entnehmen, dass bei den dargestellten Handbüchsen Flug und Kammer nicht besonders lang waren und dass somit ein Erfolg nur auf sehr kurze Entfernungen zu erwarten war.

 

Der schon einmal erwähnte kod. germ. 734 der kgl. Hof- und Staatsbibliothek zu München bringt eine Abbildung, aus welcher hervorgeht, dass derartige oder ähnliche Handbüchsen tatsächlich von Reitern auf sehr kurze Entfernungen gebraucht wurden. (Fig. 44.)

 

1M. Berthelot: Pour l’histoire des arts mecaniques et de l’artillerie vers la fin du moyen âge. Fig. 43 dort entnommen.

2Favé, Études, pl. 8, fig. 5.

 

Fig. 43. Eques scopettarius aus dem Kodex lat. 7239 der Nationalbibliothek zu Paris.
Fig. 43. Eques scopettarius aus dem Kodex lat. 7239 der Nationalbibliothek zu Paris.

 

Ein Reiter feuert eine kurze, rückwärts mit einem wahrscheinlich eisernen Stiel versehene Handbüchse ab; für die Größe und Schwere dieser Waffe ist bezeichnend, dass der Reiter dieselbe im Moment des Schusses in der ausgestreckten rechten Hand hält, die Handbüchse auf beiläufig Pferdelänge auf den geharnischten Gegner abschießt und diesen augenscheinlich verwundet.

 

Die Abbildungen (Fig. 42 bis Fig. 44) bringen zwei neue Erscheinungen: erstens die Anbringung eines Hakens bei den Handbüchsen und zweitens die Verwendung derselben zu Pferd. In den bisherigen Darstellungen kam der Haken nur bei augenscheinlich größeren Stücken vor, wie z. B. Fig. 21 und Fig. 37. Die eigentlichen Handbüchsen waren in der Konstruktion kurz und leicht und wurden aus freier Hand abgeschossen. Durch die allmählige Vergrößerung und im vorliegenden Fall wohl auch dadurch, dass die Waffe ganz aus Eisen angefertigt wurde, später auch durch die Verlängerung des Laufes, wurden die Handbüchsen schwerer, die Handhabung derselben anstrengend. Es lag nahe, diese durch Anbringung eines Hakens zu erleichtern; nachdem die feste Unterlage fehlte, ersetzte man dieselbe durch eine Gabel, eine Idee, welche schon in Kieser Bellifortis praktisch gegeben war. (Fig. 14.) Die zweite Erscheinung, die Verwendung der Handbüchsen zu Pferd, kann dadurch erklärt werden, dass dieselben trotz aller Mängel als wirksame Schießwaffe schon anerkannt und respektiert wurden, und dass die Erkenntnis von der kriegsmäßigen Brauchbarkeit der Handbüchsen das Bestreben äußerte, die Wirkung der neuen Waffe ähnlich wie bei Bogen und Armbrust, mit der Schnelligkeit des Pferdes zu verbinden.

 

Fig. 44. Reiter mit Handbüchse im Gefecht aus dem Kodex germ. 734 der kgl. Hof- und Staatsbibliothek zu München.
Fig. 44. Reiter mit Handbüchse im Gefecht aus dem Kodex germ. 734 der kgl. Hof- und Staatsbibliothek zu München.
Fig. 45. Kammer für Hinterladung aus dem Kodex 34 der kunsthist. Sammlungen des A. H. Kaiserhauses zu Wien.
Fig. 45. Kammer für Hinterladung aus dem Kodex 34 der kunsthist. Sammlungen des A. H. Kaiserhauses zu Wien.

Bei der Verwendung zu Pferd waren natürlich schon des Gewichtes wegen alle größeren Kaliber ausgeschlossen; war das Pferd in der Bewegung, so musste die eine Hand das Pferd führen und für die Handhabung der Waffe blieb nur eine Hand frei. Interessant ist, dass nach der Abbildung in Fig. 42 das Pferd im Galopp, nach jener in Fig. 43 jedoch stehend dargestellt ist; in Fig. 44 führt die linke Hand das Pferd, die rechte hält ausgestreckt die Handbüchse.

 

Die Abbildungen lassen ferner entnehmen, dass Ross und Reiter, gänzlich oder teilweise, in Panzer und Harnisch gerüstet sind. Der Kodex lat. 7239 enthält hierzu die ergänzende Bemerkung: es sei dies notwendig, damit Reiter und Pferd durch die brennende Lunte oder durch das Pulver nicht verwundet werden. Weiter wäre hervorzuheben, dass im kod. l. m. 197 als Geschosse «lapis bombardarum», im kod. l. 7239 jedoch «pillulae plumbeae» genannt werden. In der letzteren Handschrift ist auch noch folgende Anmerkung beigefügt: Im Sattel soll der Reiter Taschen und Säcke haben für Pulver und Bleikugeln, wenn es aber am Pulver, Feuer oder Kugeln fehle, so könne der Reiter sich verteidigen oder den Feind angreifen mit dem Schwerte.»

 

Eine neue Erscheinung in der Entwicklung der Handfeuerwaffen enthält der kod. lat. 1390 der kgl. Universitätsbibliothek zu Erlangen (1500); derselbe bringt die Darstellung einer Handbüchse mit Hinterladung und ist schon aus diesem Grund wichtig und bemerkenswert. Die umständliche Ladeweise, welche aus Darstellungen und Angaben, insbesondere aus der Münchener Handschrift, zu entnehmen ist, die Anwendung des mehligen oder staubförmigen Pulvers, bei welchem nach gemachten Schüsse die Rückstände an den Wänden des Rohres haften blieben, und endlich die zunehmende Länge des Laufes bei gleichbleibendem Kaliber, welche das Laden noch schwieriger gestaltete, mussten schon frühzeitig zur Hinterladung führen, welche eine natürliche und notwendige Abhilfe dieser Übelstände bewirken sollte. Schon der Kodex 34 der kunsthist. Sammlung. d. A. H. Kaiserhauses zeigt die Abbildung einer Kammer für Hinterladung, jedoch für Feuerwaffen größeren Kalibers. (Fig. 45.)

Fig. 46. Hinterlade-Handbüchse aus dem Kodex ms. 1390 der kgl. Universitätsbibliothek zu Erlangen. 1500.
Fig. 46. Hinterlade-Handbüchse aus dem Kodex ms. 1390 der kgl. Universitätsbibliothek zu Erlangen. 1500.

Diese Kammer wurde an das rückwärtige offene Ende des Rohres angesetzt und zumeist durch Einschieben eines Keiles festgehalten.

 

Favé bringt nach einem Manuskript aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Abbildung eines Hinterlader-Geschützes, bei welchem die Lade, in welcher das Rohr befestigt ist, rückwärts in einen rechtwinklig angesetzten Holzblock endigt. Die Kammer wurde, ähnlich wie oben, an das rückwärtige offene Ende des Rohres angeschoben und durch einen länglich breiten Keil, welcher zwischen Rückwand der Kammer und den rechtwinklig angesetzten Holzblock eingetrieben wurde, festgehalten (Favé, Études, pl. 6, Fig. 6—8). Dass die Hinterladung auch bei Feuerwaffen kleineren Kalibers angewendet wurde, ist aus der oben zitierten Rechnung der Herzöge von Burgund zu ersehen, in welcher zum Jahre 1431, Couleuvrines erwähnt werden, welche mit beweglichen Kammern versehen waren.

Der Kodex ms. 1390 (Erlangen) zeigt endlich die Hinterladung bei einer Handbüchse (Fig. 46). Dieselbe ist offenbar ganz aus Metall, wahrscheinlich Eisen, und hat in dem rückwärtigen Laufende eine gehäuseartige Verstärkung, in welcher ein rechteckiger Ausschnitt, von oben nach unten, durchgeht. Die Kammer bestand aus einer kurzen, am rückwärtigen Ende geschlossenen Röhre, deren Abmessungen sowohl mit der Seele des Laufes als auch mit dem Ausschnitt übereinstimmen mussten; unterhalb dieser Röhre (Kammer) war ein durchlochter Zapfen, welcher bei eingeladener Kammer über die untere Laufwand vorstand und daselbst offenbar verriegelt wurde, um die Kammer während des Schusses in dem Ausschnitt festzuhalten.

 

Derselbe Kodex enthält noch eine zweite Abbildung einer von dieser verschiedenen Hinterlader-Konstruktion, dieselbe kann jedoch wegen ungenauer Zeichnung nicht näher beurteilt werden. Die Vorteile der Hinterladung waren infolge mangelnder Technik nicht so groß, als man nach den heutigen Erfahrungen glauben konnte, und blieben ohne jede Bedeutung.

 

Die Kammerstücke mussten für ein und dieselbe Handbüchse vollkommen gleich gearbeitet sein und genau in den Ladeausschnitt passen; für eine Handbüchse waren mehrere Kammerstücke notwendig; es entstand daher die Schwierigkeit, alle in genauen gleichen Dimensionen durch Handarbeit zu erhalten. Ein zweiter großer Nachteil war, dass die Seele durch das Kammerstück nicht luftdicht abgeschlossen werden konnte und in Folge dessen beim Verbrennen des Pulvers Gasentweichungen nach rückwärts stattfanden. Dadurch wurde einerseits der Schütze belästigt, andererseits mussten Genauigkeit und Sicherheit des Schusses beeinträchtigt werden. Weiter bedeutet diese Ladeweise keine vollständige Hinterladung, da nur das Pulver und nicht auch das Geschoss mittelst der Kammer geladen wurde, und endlich war die Brauchbarkeit der Waffe als Hinterlader durch die Anzahl der vorhandenen Kammern, — nicht durch die vorhandene Munitionsmenge — begrenzt. Es genügt jedoch, vorläufig auf das Entstehen der Hinterladung hinzuweisen und jene Schwierigkeit hervorzuheben, welche derselben in der praktischen Ausführung sich entgegenstellten. Wenn auch die Abbildungen aus dem Kodex Germ. 599 der kgl. Hof- und Staatsbibliothek zu München (1475) — Fig. 35 und Fig. 37 — eine ziemlich bedeutende Entwicklung der Hand- und Hakenbüchsen darstellen, so bleiben doch die für das Feld bestimmten Handfeuerwaffen in Konstruktion und Einrichtung recht einfach und primitiv. Der wesentliche Unterschied zwischen jenen Handbüchsen, welche am Schießstand «zum Nagel» treffen und solchen, welche in der Aufregung des Ernstkampfes als Schießwaffe entsprechen sollten, wird schon zu dieser Zeit deutlich erkennbar. Jene waren mit allen Feinheiten ausgestattet; Korn und Absehen unterstützten das genaue Zielen, ein Abzug vermittelte die Entzündung; der Ladestock, die Raumnadel und die verschließbare Pfanne deuten auf gleichmäßige und sorgfältige Ladung. Die feldmäßige Verwendung hingegen fordert eine einfache Konstruktion; die hierzu bestimmten Handfeuerwaffen sind massiv gebaut, der damaligen Kampfweise entsprechend, ohne besondere Einrichtung für das Zielen oder das Abfeuern.

 

Einen ziemlich genauen Einblick in dieser Beziehung gewährt der kod. pal. germ. 130 der Großherzogl. Bad. Universitätsbibliothek zu Heidelberg. Derselbe enthält das Zeughaus-Inventarium von Landshut und zeigt auf dem Titelblatt die Abbildung einer «Haubtbüchse» mit der Jahreszahl 1485.1 Die Überschrift lautet: «Der gezewg mit seiner zugehorunge. Ich Vlreuch Befsnitzer zu Landshut vnterstande den in ordnung gebracht. Wann, wo vnd wie auch der sovil der seyen klarlichen wifsen hiebernach auff das kurzist begriffen aufgemerkt hab.»

 

1 Vgl. «Quellen» 49. — Jähns G d. K. I, 412 (mit der Jahreszahl 1489).

 

Fig. 47. Ältere Handbüchsen aus dem Landshuter Zeughausinventar 1485. Großherzogliche Universitätsbibliothek zu Heidelberg.
Fig. 47. Ältere Handbüchsen aus dem Landshuter Zeughausinventar 1485. Großherzogliche Universitätsbibliothek zu Heidelberg.

 

Aus den farbigen Darstellungen seien folgende hervorgehoben:

 

(Fig. 47) «Ältere Handtpuchsen». Die Handbüchsen zeigen eine gewisse Übereinstimmung mit der Handbüchse in Fig. 15 und ganz besonders mit jener in Fig. 18. Der Lauf, wahrscheinlich aus Eisen, hat an der Mündung eine ringförmige Verstärkung; die Seele scheint der Zeichnung nach zylindrisch und 8—10 Kaliber lang; rückwärts endigt der Lauf in eine verstärkte Hülse, in welche der stangenartige Schaft eingeschoben ist. Das Zündloch ist aus der Zeichnung nicht zu entnehmen; es kann jedoch analog Fig. 18 angenommen werden, dass die Seele des Laufes in diese Verstärkung noch zum Teil hineinreicht und dass das Zündloch am Ende der Seele, also in dieser verstärkten Kammer, angebracht ist. Der Schaft ist fast dreimal so lang als der Lauf, und sehr wahrscheinlich aus Holz. — Ein Abzug ist nicht vorhanden.

 

(Fig. 48) «Handtpuchsn So im Kassten sein». Bei dieser ist der Lauf bedeutend länger, als bei den «älteren Handtpuchsen». Vorn an der Mündung ist eine ringförmige Verstärkung; rückwärts haben sowohl einzelne Hand- als auch die meisten Hakenbüchsen eine durch das Auflegen eines zweiten Zylinders bewirkte Verstärkung; bei den «geuasst pokhpuchsn» sind sogar drei Zylinder in einander geschoben.

 

Bei einer Handbüchse ist die äußere Form des Laufes konisch, von rückwärts nach vorne sich verjüngend. Der Schaft zeigt eine Ähnlichkeit mit den Abbildungen im Kodex Hauslab und mit Fig. 26. Derselbe hat im vorderen Teil die längliche Rinne zur Aufnahme des Laufes, ist in der Mitte, besonders hinter dem Lauf, verstärkt und rückwärts kolbenartig geformt. Die Verbindung zwischen Lauf und Schaft scheint durch Laufringe hergestellt zu sein.

Fig. 48. Handbüchsen aus dem Landshuter Zeughausinventar 1485. Großherzogliche Universitätsbibliothek zu Heidelberg.
Fig. 48. Handbüchsen aus dem Landshuter Zeughausinventar 1485. Großherzogliche Universitätsbibliothek zu Heidelberg.

Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 4. Dresden, 1897-1899.

 

Fortsetzung folgt