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Eine Betrachtung über den Handschutz an orientalischen Blankwaffen

Seit die historische Forschung auf dem Gebiet der Waffenkunde ihre Aufmerksamkeit mehr und mehr dem Orient zugewandt hat, den Fluss geschichtlicher Ereignisse und Tatsachen stromaufwärts zu seinem Quellengebiet hin verfolgend, tauchen immer neue Spezialfragen auf, bald diese, bald jene Einzelheit in Form oder Technik der Waffen betreffend, mit deren Lösung die Führer der wissenschaftlichen Pioniere sich nicht aufhalten können. Die Bearbeitung solcher Fragen bleibt folgerichtig den Nachzüglern überlassen, die, auf bereits abgesteckten Wegen schreitend, Zeit und Möglichkeit haben, Halt zu machen, sich umzuschauen und das nötige Material zu Vergleichen zusammenzutragen.

 

Eine solche Frage, den Handschutz der orientalischen Hiebwaffen betreffend, finden wir, um bei dem Bild zu bleiben, auf der von den ersten Entdeckungsreisenden in dem unbekannten Gebiet aufgenommenen Karte unter der Aufschrift: «Mitteleisen — stilistische Eigentümlichkeit orientalischer Säbel» eingetragen. Es ist uns leider unbekannt und mag mit ungenügender Belesenheit in der einschlägigen, speziell englischen Literatur entschuldigt werden, ob die Ansicht, die «Mitteleisen» genannten, dornartig nach auf- und abwärts gerichteten Ansätze in der Mitte der Parierstangen verdankten ihre Existenz durchaus nicht praktischen, sondern bloß stilistischen Erwägungen, bereits Widerspruch erfahren; jedenfalls steht sie noch so fest und ist so allgemein angenommen, dass ein näheres Eingehen auf diese Frage gerechtfertigt erscheint. Es liegt uns selbstverständlich fern, ein absolutes Zutreffen der weiter unten ausgeführten Kombinationen vorauszusetzen, halten es aber für richtiger, die sich uns aufdrängenden Erwägungen — selbst auf die Gefahr hin, zurechtgewiesen und eines Besseren belehrt zu werden — der öffentlichen Diskussion zu unterbreiten, als nach dem weit bequemeren Grundsatz des jurare in verba magistri damit zurückzuhalten, weil die eigene Ansicht von der Meinung der Fachautoritäten abweicht.

 

Es soll also in Nachstehendem versucht werden, in knapper Form einige Erwägungen vorzubringen, welche den Grund dafür abgeben, weshalb wir den Mitteleisen eine vorwiegend praktische Bedeutung zumessen. Zunächst ist es die ungeheuere zeitliche und räumliche Verbreitung der Mitteleisen als integrierender Teil der Parierstangen, welche unserer Meinung nach sich wohl kaum durch das bloße Festhalten an einer noch so gefälligen stilistischen Beigabe erklären lässt; Inder, Perser, Araber, Türken, Griechen, Russen, Polen, Ungarn haben gewiss der konservativen Formenstarrheit des Orients ihren reichlichen Tribut gezollt, allein man kann wohl schwerlich annehmen, dass alle diese Völker, in manchen anderen Details ihrer eigenen Geschmacksrichtung nicht unbedeutende Zugeständnisse machend, nur der bedingungslosen Wiederholung dieser einen Verzierung unverbrüchlich treu geblieben wären, wenn nicht andere Motive, außer dem stilistischen, ihren Einfluss ausgeübt hätten.

 

Sodann spricht gegen den rein stilistischen Ursprung der Mitteleisen der nicht zu unterschätzende Umstand, dass diese dornartigen Ansätze an allen denjenigen blanken Waffen des Orients fehlen, welche, für den Gebrauch im Handgemenge bestimmt, ein Fechten im eigentlichen Sinne des Wortes nicht möglich machten und daher eine Schutzvorrichtung für die Parade feindlicher Hiebe überflüssig erscheinen ließen; wir finden sie weder an Messern und Dolchen, noch an Handschars und Jatagans, obgleich diese letzteren, bei der nicht unbedeutenden Länge ihrer Klingen, auch zum Gebrauch als Hiebwaffen nicht übel geeignet waren. Bei dem bereits erwähnten Konservatismus der orientalischen Formengebung muss uns diese Erscheinung stutzig machen und nach einem stichhaltigen Grund dafür suchen lassen, warum gerade in diesem Fall der Schwertgriff von dem Dolch — oder Handschargriff abweicht. Die Verschiedenheit der Griffbildung — das rein stilistische Motiv derselben immer vorausgesetzt — wird umso auffallender, als manche Dolche (wir erinnern nur an einige Arten der indischen) des Handschutzes in anderer Form, z. B. als Griffbügel oder auch kurze Parierstangen, nicht entbehren, ohne jedoch dabei die am Schwert und Säbel unvermeidlichen Mitteleisen aufzuweisen.

 

Aus dem Obigen glauben wir schließen zu können, dass diese Ansätze ein Zubehör der Griffe derjenigen blanken Waffen waren, welche ein Fechten, mithin Abfangen und Parieren der feindlichen Hiebe, zuließen, wobei der Kämpfer vorwiegend auf den Schutz angewiesen war, welchen ihm die Defensivvorrichtungen des Griffes seiner Waffe gewähren konnten

 

Richten wir nun unsere Aufmerksamkeit auf die gewöhnliche Form der orientalischen Schwert- und Säbelgriffe, so überzeugen wir uns zunächst davon, dass Griffbügel und Parierstange, resp. beide Parierstangen bei meist geringem Durchmesser und häufig annähernd runden Querschnitt nur solche Hiebe erfolgreich aufhalten konnten, welche ihre Längsachse in einem Winkel von nicht unter 20—250 trafen, während bei einer mehr spitzwinkligen Richtung der Hieb von den Parierstangen abgleiten und Hand oder Arm des Streiters treffen musste. Noch ungünstiger gestaltete sich der Fall, wenn der feindliche Hieb nicht die Parierstangen selbst, sondern etwa die Mitte der Klinge traf, denn sogar bei einem Aufschlagswinkel von 450 konnte die Wucht des Hiebes während des Hinuntergleitens zum Griff hin die anfangs halbscharfe Stellung der parierenden Klinge leicht in eine mehr und mehr flache drängen, sodass der Aufschlag an den Parierstangen endlich vollkommen in der Längsrichtung der letzteren erfolgte und folglich von diesen nicht mehr aufgehalten werden konnte.

 

Hier trat nun, nach unserer Meinung, die praktische Bestimmung der Mitteleisen in die Erscheinung: Dornartig, in einem Abstand von 1 —11,5 cm parallel der Klinge laufend, mussten sie unfehlbar jeden schwach parierten Hieb zwischen sich und der eigenen Klinge festklemmen und an der unteren Fläche der Parierstangen unschädlich machen.

 

Eine Bestätigung dieser Ansicht glauben wir darin sehen zu können, dass die Mitteleisen an allen orientalischen Schwertern wegfallen, welche statt der Parierstangen einen tellerförmigen Handschutz haben (Indien, Japan), also weggelassen werden, wo sie praktisch überflüssig erscheinen, während ihrer Anbringung als bloßes stilistisches Beiwerk auch hier nichts im Wege stand. Ein weiterer Hinweis auf die angegebene Bestimmung der Mitteleisen lässt sich auch darin erkennen, dass bei vielen, sowohl orientalischen als auch polnischen und ungarischen Säbeln die oberen, am Griff anliegenden Ansätze durch besondere Querstifte verfertigt wurden, um den unteren, über der Klinge abstehenden Fortsätzen größere Widerstandskraft zu verleihen, — ein Verfahren, welches an eine bloß dekorative Beigabe wohl kaum verschwendet worden wäre. Endlich wollen wir noch darauf hinweisen, dass eine den Mitteleisen an praktischer Bedeutung vollkommen gleichwertige Vorrichtung von unbestritten orientalischer Herkunft — der muschelförmige Ansatz an den Parierstangen der venezianischen Fechtschwerter des 14. Jahrhunderts — ohne Bedenken als Parierknebel angesprochen wird (siehe Boeheim, Waffenkunde).

 

In Europa ist diese sinnreiche und dabei einfache Vorrichtung, Russland, Polen und Ungarn ausgenommen, unseres Wissens nie eigentlich recht in Aufnahme gekommen. Genügte im früheren Mittelalter eine oft recht beträchtliche Verstärkung des mittleren, die Angel der Klinge umschließenden Teiles der Parierstange mit häufig etwas konkavem Querschnitt, um den an der Klingenfläche niedergehenden Hieb nicht ungebrochen auf die Hand abspringen zu lassen, so traten sehr bald Parierringe, dann Faustschutzbügel, Eselshuf und schließlich ein ganzes System von Spangen auf, welche der Hand — mit nicht geringen Mitteln freilich —ausgiebigen Schutz sicherten. Als bloße Reminiszenz an die Mitteleisen können noch allenfalls an spanischen und italienischen Degen des 15. und 16. Jahrhunderts die kleinen, von der Mitte der Parierstangen aus beiderseits an der Klinge fest aufliegenden, spitz zulaufenden Zungen oder Ansätze gelten, welche nach Form und Herkunft wohl auf die orientalischen Mitteleisen zurückzuführen sind, aber dabei keinen anderen praktischen Zweck haben konnten, als in den Fällen, wo die Angel nicht durch Querstifte mit dem Griffholz verbunden, sondern nur im Knauf festgenietet oder -geschraubt war, die Klinge zwingenartig in ihrer Vertikalebene festzuhalten und ein Drehen der Angel um die eigene Achse zu verhindern.

 

Wir können uns endlich nicht versagen, die Aufmerksamkeit der geneigten Leser darauf zu richten, dass diese fast primitiv einfache und doch durchaus zweckentsprechende Art des Handschutzes so vollkommen dem in allen Zweigen der orientalischen Waffentechnik betätigten Grundsätze entspricht, «mit möglichst geringem Aufwand an Material oder geringer Belastung des Streiters möglichst vollkommene Schutzvorrichtungen zu schaffen», dass man sich beinahe versucht fühlen möchte, zur Auffindung der in dieser kurzen Betrachtung gesuchten «unbekannten Größe» (Zweck und Bestimmung der Mitteleisen) die Hilfe einer quasi mathematischen Formel durch Aufstellung etwa folgender Reihe von Gleichungen heranzuziehen:

 

Die abendländische Plattenrüstung verhält sich zu dem orientalischen Maschenpanzer wie der schwere Ritterhelm zu dem konischen Schischak, wie das Visier zu dem Naseneisen, wie der Spangenkorb — zu den Parierstangen der Mitteleisen!

 

Fassen wir zum Schluss die obigen Ausführungen in folgender These zusammen:

«Die Mitteleisen an den Parierstangen orientalischer Schwerter und Säbel bildeten einen integrierenden Teil des Handschutzes und waren dazu bestimmt, schlecht, d. h. vorwiegend flach parierte Hiebe noch am Griff aufzuhalten und nicht von den Parierstangen abspringen zu lassen. Daraus ist zu erklären, dass Mitteleisen an denjenigen Hiebwaffen fehlen, welche anderweitigen, z. B. tellerförmigen Handschutz besitzen oder für das Handgemenge bestimmt sind und daher der Schutzvorrichtung für die Parade feindlicher Hiebe nicht bedürfen.»

 

E. v. Lenz.

 

Quelle: Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde. Band 1, Heft 11.