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Die Kehrwiederkeule

Die Kehrwiederkeule - Bumerang

 

Die Kehrwiederkeule ist unter dem falschen Namen «Bumerang» allbekannt, und muss als eine der merkwürdigsten Wurfwaffen bezeichnet werden.1 Es handelt sich da um ein seitlich abgehacktes, in der Mitte knieartig stumpfwinkelig eingebogenes, einem Joch- oder Krummbügel ähnliches Werkzeug, das man auch als flachen Haken bezeichnen könnte und das etwa 0,5 m lang, 5 cm breit, aus schwerem Hartholz: Buchs-, Akazien- oder Eisenrindenholz hergestellt ist. (Fig. 1 u. 2).

 

Der auswärts gebogene Rand samt der einen Seite ist flach gehalten, während die andere Seite sich wölbt und zuweilen auch bedeutend erweitert. Wurfkeulen letzterer Art bezeichnen die Engländer als Hatchet Boomerang. (Fig. 3.) Diese seltsame Keule wird nun in der Art geworfen, dass sie in der Ebene ihrer Fläche, wie auf der Luft schwimmend, um sich selbst wirbelt, wobei der Schwerpunkt möglichst weit außerhalb der Drehungsachse liegen muss. Man wirft und trifft damit auf Entfernungen von über 100 Fuß. Wirft der Schütze die Keule kurz vor sich auf den Boden, so geht sie in Sprüngen (rikoschettierend) weiter; wird sie unter Erhöhungswinkeln von 22, 45 oder 65° geworfen, und zwar so, dass die Anfangsgeschwindigkeit nach vorwärts geringer ist als die Geschwindigkeit der dem Geschoss erteilten Wirbelbewegung um die Flächenachse, so kommt — falls nicht etwa das Ziel oder ein anderer Gegenstand getroffen wird — ein Augenblick, da die Vorwärtsbewegung infolge des Luftwiderstandes aufhört, während die Wirbelbewegung noch andauert.

 

Dann folgt die Keule dieser Drehungsbewegung; sie wendet sich, indem sie zugleich langsam fällt, allmählich im Bogen rückwärts und gleitet, von der Luft getragen, annäherungsweise in die alte Bahn und damit zum Abwerfer zurück. (Fig. 4.)

 

Dieser eigentümliche Flug beruht auf dem Gesetz der Schraube. Da nun von einem solchen die Menschen der Vorzeit sicherlich keine Ahnung hatten, so war hier gewiss der Zufall Vater der Erfindung: man hatte eben bemerkt, dass ein flacher, stumpfgewinkelter Knüppel, wenn er in gewisser Weise geworfen wurde, in der Luft Kehrt machte, und vorvollkommnete dann durch unaufhörliches Versuchen sowohl die Waffe wie das Wurfverfahren.— Abgesehen von der Treffwirkung, die ziemlich bedeutend ist, weil die Wirbelbewegung bei ihr mitspielt, schien die Kehrwiederkeule im Gefecht besonders deshalb gefährlich, weil es in dem Augenblick, da man sie in der Luft erblickt, unmöglich ist, zu beurteilen welchen Weg sie nehmen und wo sie niederschlagen werde.2

 

Zumal im Süden und Osten Australiens ist die Kehrwiederkeule noch heute in verschiedenen Formen und unter verschiedenen Namen (parkan, wagno, knili u. a.) verbreitet, und es sind auch noch Mittelformen zwischen ihr und anderen Kriegskeulen jener Gegenden bekannt, welche auf allmähliche Entwicklung hinzudeuten scheinen.3 Wie in Australien so erscheint die Kehrwiederkeule seit uralter Zeit auch in Indien. Das Sanskrit kennt sie unter dem Namen „ástara“, d. i. der Zerstreuer. Offenbar war sie aber schon bei der Urbevölkerung Indiens altheimisch. Sie erscheint bei dieser unter den Bezeichnungen „katariyeh, collery und valai tadi, d. h. Krummstab. In Südindien war sie als Waffe der Räuberkasten der Kallar und Maravar gefürchtet; in anderen Gegenden, z. B. im Gudschrat, galt sie als Jagdwaffe. Das Tamil bezeichnet sie als „waleidadi“. Dergleichen Waffen wurden aus Holz, doch auch aus Elfenbein hergestellt. Stücke aus beiden Stoffen besitzt das Museum von Madras.4 Die indischen Formen weichen vielfach bedeutend von den australischen ab. (Fig. 5.)

 

Im orientalischen Altertum hatte die Waffe offenbar große Bedeutung. Ägyptische Bildwerke zeigen ganze Scharen von Kriegern mit ihr ausgerüstet (Fig. 6); ein in Theben aufgefundenes Originalstück bewahrt das britische Museum, und es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass die noch jetzt in den oberen Nilländern und in Darfur gebrauchten Wurfhölzer auf jenes ägyptische Vorbild zurückzuführen sind oder doch gemeinsamen Ursprung mit ihm haben. Auch assyrische Denkmäler zeigen dieselbe Waffe.

 

Bei so weiter Verbreitung der Kehrwiederkeule versteht es sich fast von selbst, dass sie auch auf europäischem Boden angewendet wurde, und zwar scheint sie im Abendland den Namen Cateja geführt zu haben.

 

1 R. Brough Shmith: The Aborigines of Victoria (London 1878). Der gebräuchlichste Name für die Waffe in Australien ist «parkan». Mit dem Ausdruck «woómera», woraus Bumerang entstanden ist, wird nicht die Wurfkeule, sondern das Wurfbrett zum Speerschleudern bezeichnet.

2 C. Wilkens: Exploring expedition, 1839—1842, II, S. 198. — Poggendorfs Annalen, Bd. 121. S. 474— Luders: Über Wurfwaffen (Hamburg 1891).

3 Tylor: Urgeschichte der Menschheit (Leipzig o. J.) S. 239.

4 Oppert; On the weapens of the ancient Hindus (1880). Egerton: Indian Arms (London 1880).

 

Fig. 4.
Fig. 4.

 

Im VII. Gesänge der Aeneide (v. 741) erwähnt Vergil (40 v. Chr.), wo er von dem kampanischen Volk der Abeller spricht, «teutonico ritu soliti torquere catejas», woraus zunächst hervorgeht, dass die Cateja eine gewirbelte Wurfwaffe war. Etwa neunzig Jahre später berichtet Silius Italicus1 von einem afrikanischen Stamm: «Pande manus est armata cateja»; die Cateja war also gekrümmt. Um 85 n. Chr. bezeichnet Valerius Flaccus die gewirbelte Cateja als Hauptwaffe eines kaspischen Volkes;2 dann aber hört man lange nichts mehr von ihr, bis Servius, ein Erklärer des Vergil (450 n. Chr.), eine genauere Beschreibung dieser Waffe gibt,3 die aber gerade das eigentlich Bezeichnende in den Worten des Vergil, den er doch erläutern will, das torquere (vibrare) ganz aus den Augen lässt. Denn Servius zufolge war die Cateja ein Geschoss, wie ein kurzer Wurfspieß von möglichst zähem Stoff, eine Elle lang, mit Nägeln beschlagen, das auf den Feind geschleudert und an einem daran befestigten Seil wieder zurückgezogen werden konnte.

 

Der heilige Isidor, welcher diese Stelle des Servius kannte und anderthalb Jahrhunderte später zu seiner Enzyklopädie benutzte, fühlte offenbar das Ungenügende der Erklärung, und da in seiner spanischen Heimat die Cateja noch wohl bekannt war, so beschreibt er sie als eine etwa 1,5 Ellen lange Wurfkeule (caja), die ihrer Schwere wegen nur auf kurze Entfernung geworfen werde, dann aber auch alles durchschlage und die, wenn sie ein Geübter schleudere, zu diesem zurückkehre.4 Vorzugsweise auf diese Stelle gestützt, hat Lindenschmit, gewiss mit vollem Recht, in der Cateja die Kehrwiederkeule erkannt. Obgleich Isidor von Sevilla die Cateja eine gallische Waffe nennt, bemerkt er doch auch, dass sie eben dasselbe Geschoss sei, dessen Vergil beiden Abellern, also einem großgriechischen Volk, gedenke, und welches von den Galliern (d. h. hier vielleicht schon «Franken») und von den Spaniern (Goten) als Teutona bezeichnet werde.

 

Dies entspricht ganz der Äußerung des Vergilius, der den Gebrauch der Cateja einen ritus teutonicus nennt. Den Römern des letzten Jahrhunderts v. Chr. galt also der Wurf der Kehrwiederkeule als eine germanische Kampfart, und dafür spricht auch die uralte Sage vom Mjölnir, dem Hammer Donars (Thor), der nach jedem Wurf in die Hand des Gottes zurückkehrte. Diesem mythischen Zug liegt offenbar der Gebrauch der Kehrwiederkeule zugrunde, und der scheint sich sogar lange erhalten zu haben. Um 1000 n. Chr. übersetzt das Glossar des angelsächsischen Abtes Aelfric categia vel teutona mit gesceot (Geschoss),5 und daher ist Peucker der Meinung, sie sei ein und dasselbe mit der cletsia der Friesen, deren Gebrauch zur Friedenszeit das Asegabuch bei schwerer Strafe verbietet.6 Lindenschmit stimmte dieser Vermutung zu, und in der Tat erwähnt noch Nicolaus Syagiale im 14. Jahrhundert der Kehrwiederkeule.7

 

1 In seinem epischen Gedicht Punica (III, 277).

2 Epos cArgonautica’ (VI, 83), «Et puer e primo torquens temone cateja».

3 «Catejam quidam asserunt, teli genus esse tale quäle aclides sunt, ex materia quam maxime lenta, cubiti longitudine, tota fere clavis ferreis jlligata, quam in hostem jactantes, lineis quibusdam adnexuerunt, reciprocam faciebant. Cateiae autem lingua theotisca liastae dicuntur.»

4 «Haec est Cateia, quam Horatius cajam dicit. Est enim genus gallici teli ex materia quam maxime lenta, quae jactu quidem non longe propter gravitatem evolat; sed quo pervenit, vi nimia perfringit. Quod si ab artifice miltatur rursum redit ad eum qui misit. Hujus meminit Virgilius . . . Unde et eos Hispani et Galli teutonos vocant. (Originum über XVIIf, 7*)

5 Categia id est telum (gesceot) . . , Clava vel cateia vel teutona id est genus teli.

6 Das Asegabuch (asega = Urteilsfinder) ist im 13. Jahrh. abgefasst, führt aber wohl auf Grundlagen des 7. Jahrh. zurück. Satzung 16 der dort zusammengestellten Rüstringer Küren setzt das Wehrgeld für einen mit der cletsia getöteten Mann auf den doppelten Betrag des gewöhnlichen fest.

7 Libri VIII Historiae Siculae (VII, 5): ... Hic vero clavam rotans, quam Galli cateijam vocant, hunc a dextris sternit, illum rejicit a sinistris.

 

Fig. 5.
Fig. 5.
Fig. 6.
Fig. 6.

 

Wenn man das Wort cateja, welches an das indische „katariya“ für Kehrwiederkeule gemahnt, aus einer germanischen Wurzel erklären sollte, so böte sich das nordische kasta === «warfen» als Anknüpfungspunkt dar. Im Holländischen heißt noch jetzt katten == «einen Wurfanker (Kat) ausbringen»,1 und im Österreichischen bedeutet kyen = «werfen». — Was cletsia anlangt, so könnte man vielleicht an das mhd. kloezen denken, das «mit einem Klotz oder Keil spalten» bedeutet, also die zerschmetternde Wirkung der Wurfkeule ins Auge fassen würde. Dass dieselbe Waffe auch im Griechenland der Frühzeit allgemeine Verwendung fand, lehrt das von Schliemann auf der Akropolis von Mykenai ausgegrabene Bruchstück eines Silbergefäßes mit der Darstellung eines Gefechtes, an welchem Wurf- und Bogenschützen beteiligt sind, während sich Spießträger im Rückhalt befinden. Um die Schützen her aber liegen am Boden zerstreut teils geschleuderte Steine, teils Geschosse von ganz derselben Gestalt, in der uns die australische Kehrwiederkeule begegnet; ob auch die drei dargestellten Wurfschützen selbst sie führen, bleibe dahingestellt. (Fig. 7.)

 

Sämtlich halten sie in beiden hochgehobenen Händen einen allerdings undeutlichen Gegenstand, dessen Länge (1,5 Ellen) vermuten lässt, dass es die Kehrwiederkeule sei.2 Da diese jedoch gewiss nicht mit beiden Händen geworfen wurde, so befinden die Schützen sich wahrscheinlich in einer Deckungsstellung, um mit der eigenen Wurfkeule die des Gegners abzufangen und dann sofort aus der Parade zum Gegenwurf überzugehen. Wie Isidor ausdrücklich erwähnt, wurde mit der Cateja nur auf kurze Entfernung gekämpft und demnach wäre ein solches Verfahren, das dem beim Ballspiel ähnelt, sehr wohl möglich. Wahrscheinlicher ist es mir allerdings, dass es sich hier um Schleuderer handelt.

 

Wenn man sich fragt, welchen Namen diese Waffe etwa bei den Griechen geführt haben könnte, so drängt sich unwillkürlich der Ausdruck Armbug, Ellenbogen, auf. Allerdings wurde dieses Wort in geschichtlich erkennbarer, und zwar ziemlich später Zeit für den Rollriemen gewisser Wurfspieße (Riemenspieße) und dann für diese selbst, also gleichbedeutend mit dem römischen „amentum“ gebraucht; allein abgesehen davon, dass die Bedeutung der Waffennamen, wie allgemein bekannt, von jeher wandelbar gewesen ist, so erscheint es doch höchst bemerkenswert, dass nicht nur die Bezeichnung Armbug durchaus der Form der Kehrwiederkeule entspricht, sondern dass auch das Grundprinzip der Armbug hinsichtlich ihrer Bewegung dasselbe war wie das der Kehrwiederkeule. Denn bei beiden handelt es sich um eine zweifache Bewegung: um die zum Ziel und um die um die eigene Längenachse. Letztere Bewegung aber hat zunächst den Zweck, die Innehaltung der geraden Flugbahn des Geschosses zu sichern, genau wie es der Drall einer gezogenen Büchse tut, und der Unterschied zwischen der Ankyle und der Kehrwiederkeule beruht nur darin, dass die eigentümlich gewinkelte Gestalt der letzteren bei freiem Flug auch noch die Wendung rückwärts zum Schützen herbeiführt.

 

Endlich sei noch des Umstandes gedacht, dass auch die Bewohner der neuen Welt eine der Kehrwiederkeule ganz ähnliche Waffe gebrauchten. In Arizona und Kalifornien verwendeten sie die Moki-Indianer besonders zur Kaninchenjagd.3

 

1 Wächters Glossarium germ. (Leipzig 1736).

2 Schröder: Scene aus dem vorgeschichtlichen Belagerungskriege. (Archiv, f. Art. u. Ing.-Offiziere, 58. Jahrg., Jahr-Heft 1894.)

3 Harpners Weekly, 24, 8, 1872.

 

Fig. 7.
Fig. 7.

Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 9. Dresden, 1897-1899.