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Entwicklung und Gebrauch der Handfeuerwaffen Teil 7

Fig. 20. Handbüchse mit Geschoss aus Kod. lat. 197 der Kgl. Hof- und Staatsbibliothek zu München. 1420—1430.
Fig. 20. Handbüchse mit Geschoss aus Kod. lat. 197 der Kgl. Hof- und Staatsbibliothek zu München. 1420—1430.

 

Die daselbst abgebildete Handbüchse erinnert an Kod. 3069 (Fig. 15); dieselbe besteht aus Lauf und Schaft (Fig. 20).

 

Der Lauf hat an der Mündung eine ringförmige Verstärkung, ist in der Nähe des Zündlochs verengt und nach der Zeichnung 8—10 Kaliber lang. Bemerkenswert ist die Kürze des Schaftes, welche fast die Länge des Laufes erreicht. Eine Entzündungsvorrichtung fehlt; vor der Mündung sieht man das kugelförmige Geschoss.

 

Recht interessant ist eine zweite Abbildung derselben Handschrift, welche zweifellos als die weitere Entwicklung der Göttinger Büchse angesehen werden muss (Fig. 21).

 

Eine Handfeuerwaffe ist vorn auf eine Gabel, rückwärts auf ein Gestell aufgelegt, welches aus zwei Längsbalken, verbunden durch drei Querbalken, besteht. Die Gabel steht auf einem hölzernen Dreifuß, das Gestell scheinbar auf dem Mittelbalken desselben.

 

Fig. 21. Handbüchse aus Kod. lat. 197 der Kgl. Hof- u. Staatsbibliothek zu München. 1420 — 1430.
Fig. 21. Handbüchse aus Kod. lat. 197 der Kgl. Hof- u. Staatsbibliothek zu München. 1420 — 1430.

 

Die Handfeuerwaffe besteht aus Lauf und Schaft. Der Lauf ist zylindrisch, ziemlich lang, und hat unterhalb, beiläufig in der Mitte des Laufes, einen eisernen Haken, wodurch diese Handfeuerwaffe den Namen «Hakenbüchse» erhält.

 

Der Schaft scheint, ähnlich wie im Göttinger Kodex, in das rückwärtige Ende des Laufes eingeschoben und hat ebenso wie dort eine Stangen- oder balkenartige Form.

 

Um einen Maßstab für die Größenverhältnisse dieser Hakenbüchse zu finden, muss man annehmen, dass der Schütze dieselbe bequem abfeuern konnte, das Zündloch somit diesem bis beiläufig zu den Hüften reichte und dass der Schütze über die Mündung des Laufes hinüber zu visieren vermochte; unter dieser Annahme kann die Hakenbüchse eine beiläufige Länge von 120—150 cm gehabt haben. Der Haken befindet sich bei der aufgelegten Büchse knapp vorne an der Gabel und hatte offenbar den Zweck, den Rückstoß aufzuhalten.

 

Der Schaft liegt auf einem der Querbalken des Gestelles, wobei durch das Einstellen auf einem höheren oder tieferen Querbalken die Elevation reguliert werden konnte.

 

Der Fortschritt gegenüber der Göttinger Büchse ist offenkundig, der Dreifuss konnte überall aufgestellt werden; das Einstellen unter bestimmten Neigungswinkeln beweist, dass man die Wichtigkeit desselben erkannt, dass man das gleichmäßige Laden erlernt und bemüht war, die Erfahrungen beim Schießen praktisch zu verwerten; der Haken erleichterte eine bequemere Handhabung und schützte gegen den Rückstoß.

 

Einen weiteren interessanten Beitrag zur Geschichte der Entwicklung der Handfeuerwaffen bringen die Abbildungen des Kod. ms. s, l et a der Bibliothek des verstorbenen k. u. k. Feldzeugmeisters Ritter von Hauslab (jetzt Bibliothek Fürst Liechtenstein) zu Wien. Der Kodex besteht nach Angaben des k. u. k. Artilleriehauptmanns Carl Schneider,1 aus kolorierten Handzeichnungen, welche den Standpunkt des damaligen Geschützwesens, die Fortifikation, den Vorgang bei Erstürmung von Festungen und deren Verteidigung, die Bewaffnung und das Kostüm der Krieger in der Aktion und bei der Arbeit in der Werkstätte auf das Deutlichste vor das Auge führen. Das Alter dieser Handschrift wird dem Charakter der Schrift und dem Kostüm nach nicht über 20 bis 30 Jahre jünger als das Feuerwerksbuch angegeben, also jedenfalls noch aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, nachdem als feststehend angenommen wurde, dass das Feuerwerksbuch schon vor 1430 vorhanden war. Essenwein bezeichnet das Alter dieses Kodex mit 1430—1440. Über die Herkunft dieser Handschrift schreibt Hauptmann Schneider: «Nachdem sich ein Wappen, welches einige Male auf dem Oberkleid von Kriegern in Schildform vorkommt, ziemlich deutlich als das von Nürnberg erkennen lässt, so dürfte dieses Werk wahrscheinlich von dort herstammen.»

 

Unter den Zeichnungen befinden sich sieben, welche die Berennung von Festungen darstellen. Die Stürmenden arbeiten mit Sturmleitern, mit der Armbrust und mit Feuerpfeilen, mit Handbüchsen und Geschütz. Die Verteidiger schießen aus Fenstern mit Armbrüsten und Büchsen und werfen kleine Fässchen mit Sturmfeuer herab. Eine Gruppe aus der Festungsbeschießung auf Blatt LXXXVI ist in den «Mitteilungen» auf Tafel XIII, Fig. 2 abgebildet und diesseits in Fig. 22 wiedergegeben. Unter den Armbrustschützen, welche Feuerpfeile abschießen, bemerkt man auch einen Schützen mit einer Handbüchse. Diese ist im Verhältnis zum Schützen beiläufig 100—120 cm lang und besteht nach der Zeichnung aus Lauf und Schaft.

 

Der Lauf erreicht nahezu die Hälfte der ganzen Länge der Handbüchse und ist in den vorderen Teil des wahrscheinlich hier der Länge nach muldenförmig ausgenommenen Schaftes eingelegt.

 

Der Schaft hat nahezu die Länge der ganzen Handbüchse, die genaue Form ist nicht zu entnehmen.

 

1 C. Schneider: «Zusammenstellung und Inhalts-Angabe der artilleristischen Schriften und Werke in der Bibliothek Sr. Excellenz des Herrn Feldzeugmeisters Ritter von Hauslab». (Mitteilungen über Gegenstände der Artillerie- und Kriegswissenschaften. Wien. Jahrgang 1868.) — Vgl.: «Quellen» III.

 

Fig. 22. Gruppe von Schützen aus dem Bilderkodex aus der Bibliothek Hauslab. 1420—1440.
Fig. 22. Gruppe von Schützen aus dem Bilderkodex aus der Bibliothek Hauslab. 1420—1440.

 

Die Verbindung zwischen Schaft und Lauf ist durch zwei Laufringe hergestellt. Der Schütze hält mit der rechten Hand die Handbüchse beim zweiten Laufring, mit der linken Hand beiläufig in der Mitte, nahe hinter dem Lauf. Die Büchse ist schräg nach vor- und aufwärts gerichtet.

 

Eine Abzugsvorrichtung fehlt, es ist nicht ersichtlich, in welcher Weise das Abfeuern bewirkt wurde. Auch in den «Quellen» sind einzelne Darstellungen von Schützen, welche mit Handbüchsen ausgerüstet sind, aus diesem Kodex enthalten, welche eine genauere Beurteilung und Beschreibung der Waffe zulassen (Fig. 23, 24 u. 25).1 Auf der Abbildung Fig. 23 stehen ein Armbrust- und ein Handbüchsen-Schütze nebeneinander, augenscheinlich schussbereit. Die Handbüchse hat im Verhältnis zum Schützen beiläufig dieselbe Größe, wie vorhin, Lauf und Schaft sind in derselben Weise verbunden. Am Lauf sieht man oben rückwärts das Zündloch; der Schaft ist in der Mitte, hinter dem Lauf ziemlich verstärkt, das rückwärtige Ende desselben ist kolbenartig geformt und beiläufig so lang, dass dasselbe an die Beuge des Armes anstößt. Die rechte flache Hand hält die Handbüchse unter der Mitte des Laufes, die linke umfasst teilweise den Schaft, die Handbüchse ist schräg nach aufwärts gerichtet, jedoch nicht so bedeutend, wie bei den älteren Abbildungen. Denselben in der Mitte verstärkten Schaft und auch sonst dieselbe Konstruktion zeigen die Handbüchsen in Fig. 24. Es ist aus der Abbildung nicht deutlich genug zu entnehmen, ob die Schützen schussbereit oder in der Bewegung dargestellt sind.

 

1 Quellen» III und T. B. I.

 

Fig. 23-25. Schützen aus dem Bildkodex der Bibliothek Hauslab. 1430—1440.
Fig. 23-25. Schützen aus dem Bildkodex der Bibliothek Hauslab. 1430—1440.

 

Bei Fig. 22 und 23 liegt der Kolben an der Beuge des Armes, während bei dieser Darstellung die Handbüchsen mit beiden Händen nahezu senkrecht nach aufwärts gerichtet werden. Wenn auch das Ziel auf dem oberen Mauerrand zu suchen war, so scheint doch aus Fig. 22 und 23 hervorzugehen, dass diese Handbüchsen beim Anschlag an die Beuge des Armes angelegt wurden, und dass in Fig. 24 Handbüchsen-Schützen in der Bewegung dargestellt sind.

 

In der folgenden Abbildung, Fig. 25, ist ein Schütze mit dem Laden einer Handbüchse beschäftigt. Derselbe sitzt am Boden, hält mit der linken Hand die Mündung des Laufes und steckt mit der rechten Hand einen Ladestock in den Lauf. Die Handbüchse ist dieselbe wie in den vorhergehenden Abbildungen; die Verstärkung des Schaftes in der Mitte, das kurze kolbenartige Ende desselben, die Verbindung von Schaft und Lauf durch zwei Laufringe sind deutlich zu erkennen. Vergleicht man diese Handbüchsen mit jenen der früheren älteren Handschriften, so muss die Verschiedenheit in der Konstruktion auffallen. Dieselben schließen mit Rücksicht auf die Verbindung von Lauf und Schaft an den Kodex 55 der kunsthistorischen Sammlungen d. A. H. Kaiserhauses zu Wien (Fig. 4 u. 16) an, indem der Lauf in eine muldenförmige Längenrinne des Vorderschaftes eingelegt und daselbst durch zwei Laufringe festgehalten wird. Die hintere Hälfte des Schaftes war bei allen bisher besprochenen Handbüchsen mehr oder weniger stangenförmig und 1—3 mal länger als der Lauf. In den vorliegenden Abbildungen hingegen erscheint der Schaft verkürzt, in der Mitte verstärkt und gegen das rückwärtige Ende kolbenartig geformt.

 

Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese neue Form der Säule der Armbrust nachgebildet war, nachdem beide Waffen Hand-Schießwaffen waren, teilweise dieselben Projektile schossen und gegen dieselben Ziele angewendet wurden. Die Armbrust- und Handbüchsen-Schützen standen im Feld und auf den Schießplätzen in der ersten Zeit nebeneinander und mögen ihre Erfahrungen gegenseitig mitgeteilt haben. Interessant in dieser Beziehung ist eine Rechnung der Herzöge von Burgund: «En 1431 il est payé á Pietre Donné, canonier, pour 25 couleuvrines de cuivre enfustées en baston, dont les deux d’icelles sont en façon d’une arbaleste, l’une á clef et l’autre sans clef et pour six schambres. . . 62 liv. 10 sous.» Die Büchsen waren demnach geschäftet und der Schaft oder Stab (bâton) hatte zum Teil die Form der Säule der Armbrust.1

 

Diese neue Form des Schaftes ermöglichte eine bequemere Handhabung, wie schon aus dem Kodex Hauslab zu ersehen ist und hatte in Verbindung mit der zunehmenden Verlängerung des Laufes den Handbüchsen ein vollständig verändertes Aussehen gegeben, was den Anlass geboten haben mag, dass die Chronisten von der Erfindung einer neuen Art Handbüchsen erzählen.

 

So soll z. B. im Jahre 1423 der Bischof von Olmütz eine neue Art Feuerwaffen in den Hussitenkrieg gebracht haben.2 (Würdinger I, 197.) Lenfant in bello hussitico II. p. 47: »Novorum armorum genere, non ita pridem in Germania invento, ferreis nempe fistulis, quas a sonitu bombardas et sclopos vocamus instructi. Temmler, im 1. Band der histor. Abhandlungen der Gesellschaft der Wissenschaften in Kopenhagen, übersetzt von Heinze, S. 213.

 

1 Köhler III, I, 332 A. 1.

2 «Quellen» 23.

Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 4. Dresden, 1897-1899.