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Ein gotischer Feldharnisch

gotischer Feldharnisch Deutschland.
Fig. 1.

Se. Durchlaucht Prinz Ernst zu Windisch-Graetz, unser hochverehrtes Vereinsmitglied, hat vor Kurzem einen interessanten Harnisch für seine erlesene Sammlung erworben, welchen wir in Folgendem näher betrachten und in Abbildung bringen wollen (Fig. 1).

 

Der Harnisch stammt aus der Blütezeit deutscher Plattnerkunst und hebt sich in seinen Formen entschieden von dem Typus der Mailänder Harnische ab, wie solcher charakteristisch in der herrlichen Reiterstatue des Bartolomeo Colleoni zu Venedig von ca. 1470 oder noch besser in einem ganz gleichzeitigen Standbild Kaiser Friedrichs III. im Hof der ehemaligen Burg zu Wiener Neustadt sich darstellt.1 Er weist in seinen Gesamtformen deutlich auf die Kleidertracht von 1460 bis 1480, die von Florenz ihren Ausgangspunkt genommen hatte, In seinen Einzelformen ist noch die Spätgotik scharf ausgesprochen, die um 1480 und selbst noch bis ins 16. Jahrhundert herein in Deutschland der herrschende Kunststil geblieben war.

 

Beide Harnischtypen, der Mailänder der Missaglia und der deutsch-gotische, den wir seiner ursprünglichen Herkunft halber den «Nürnberger» nennen wollen; beide laufen gleichzeitig nebeneinander her. Letzterer ist um die genannte Zeit in Deutschland allgemein. Wir erinnern uns da an die bekannten Stichblätter Dürers und an das famose Blatt «Ritter, Tod und Teufel» von 1513, auf dessen Originalzeichnung der Meister die Worte schrieb: «Das ist die rüstung zu der zeit in deutschland gewest.» In seinen Jugendjahren bis etwa 1510 trug Maximilian I. den gotischen Harnisch. In großen Massen ging dieser Harnisch aus Nürnberger Werkstätten nach Frankreich zur Ausrüstung der Gens d’armes (Gensdarmes). Aus dem Vorkommen dieser Harnischform in französischen Sammlungen, bestärkt durch gleichzeitige Abbildungen dieser Reitertruppe, hat sich in Frankreich die irrige Ansicht herausgebildet, es sei diese Kriegertracht den Gens d’armes allein eigentümlich gewesen.

 

Betrachten wir uns nun denselben, wie er in dem vor uns befindlichen, ganz schulmäßig ausgeführten Feldharnisch vor Augen tritt, so erscheint vor allem die Kopfbedeckung (Hauptharnisch) charakteristisch: die Schaller, Schallern (mhd. schalem, aus dem italienischen salata, französisch salade). Sie stellt nichts anderes, als die Form eines zurechtgebogenen Filzhutes dar, der im italienischen Eisenhut seine Urform besitzt. Unter den Händen des praktischen deutschen Plattners verkürzten sich allmählig vorn und an den Seiten die störenden Krempenteile, und damit bildete sich die «deutsche Schallern» heraus, die in ihrer Form keine antikischen Reminiszenzen erkennen lässt und von der italienischen Salata ganz verschieden ist.2

 

Um 1460 und bis 1510 ist die Frage des Halsschutzes noch nicht gelöst gewesen. Hier hat diese Aufgabe der «Bart», der an den Oberteil der Brust festgestellt, den Hals nebst dem unteren Teil des Gesichtes zu decken bestimmt war. Man ersieht, dass hier die Aufgabe nach beiden Richtungen nur unvollkommen gelöst ist, denn der Bart ist vom Haupt unabhängig, feststehend, und der Reiter musste, um Deckung zu erlangen, den Nacken entsprechend einziehen. Die Bärte der späteren Zeit waren ein- bis dreimal abschlächtig, um auf Märschen das Gesicht freizuhalten. Die Achseln besitzen in der Regel nur kleine Vorder- aber große und nicht selten sich überkreuzende Hinterflüge, beide in der Regel muschelförmig gekehlt. Es war ein großer Nachtheil des gotischen Harnisches, dass die einzelnen Bestandteile des Armzeuges nur mit Schnüren oder Riemen und nicht miteinander verbunden, sondern an den Leib befestigt wurden, so sind auch die Achseln mit Schnüren, die an dem Lederwams hafteten, an dieses geschnürt. Erst gegen 1508, mit der Einführung des Harnischkragens, erfolgte die Befestigung mittelst Federzapfens, wie wir sie hier sehen. Nur ganz schüchtern treten an den Achseln die sogenannten «Achselstauchen» auf, welche bei zunehmender Größe «Brechränder» und «Stoßkrägen» genannt werden. In starker Ausbildung finden wir sie zuerst bei den Mailändern. Die Stellung derselben ist genau berechnet, dass einerseits jeder Stoß eines «Schürzers» (Reisspieß) gegen den Hals an selbem abgleitet, anderseits ein Klingenhieb zwischen Stauche und Bart trifft, ohne den Hals zu verletzen. Unser Harnisch besitzt keine Stauchen.

 

1 Die Statue an der Wand mit den berühmten Wappentafeln, im Hof der heutigen Theresianischen Militär-Akademie, letztere von dem Steinmetz Peter von Pusica 1457, erstere zweifelsohne von dem berühmten niederländischen Bildhauer Niclas van Leyden.

2 Ganz die ähnliche Formenwandlung hat der alte norddeutsche Seemannshut erfahren. Anfänglich wurde der Vorderteil der Krempe aufgestülpt, die beiden in der Arbeit störenden seitlichen Theile der Krempe weggeschnitten und nur der Schwanz-ähnliche schmal geschnittene Hinterteil belassen, damit entstand der charakteristische «Südwester» der Seeleute der deutschen Küsten.

 

Rückansicht der gotischen Rüstung.
Fig. 2.

 

Die Achselhöhlen decken sogenannte «Schwebescheiben», welche von den Achseln an Schnüren herabhängen. An unserem Exemplar ist nur die rechte durch die Bewegung mehr exponierte Achselhöhle geschützt. Sowohl das Ober- als das Unterarmzeug wurde mittelst Riemen an die Armbeuge geschnallt, eine Befestigung, die höchst unbequem und im Gefecht sogar sehr hinderlich war. Die Ellenbogen und die Armbeugen waren durch meist sehr große sogenannte «halbe Armmuscheln» gedeckt, die wieder nur mit Lederschnüren an das Wams befestigt wurden. Sie waren meist gekehlt, und die Mäusel waren dem Stiel entsprechend scharf in die Spitze getrieben. Die Handschuhe sind in der Regel sehr beweglich und oftmals geschoben, auch ungefingert als «Hentzen» (mitons) ist in der Regel die Fingerform nachgetrieben. Die Knöchel der Hand wie der Finger sind spitz aufgetrieben.

 

Die Daumenstücke sind nicht immer mittelst Scharnieren verbunden, sondern oft auch angeschoben. Das Bruststück, scharf in die Taille geschnitten, besitzt ganz die knappe Form des florentinischen Wamses des 15. Jahrhunderts, wie wir sie in den Bildern von Vittore Carpaccio und in zahlreichen italienischen und deutschen Handzeichnungen sehen. Seine Form ist also strenggenommen weder jene einer Fass- noch einer Kugelbrust. Zumeist läuft ein leichter Grat über die Mitte herab, der obere Rand ist etwas aufgetrieben und spitz geschnitten. An der rechten Seite erblicken wir den hornartig gestalteten Rüsthaken, den wir in unserer modernen Terminologie den «altartigen» nennen. Er ist angeschraubt, und wir finden ihn schon etwas vor 1480 im Scharnier zum Umklappen eingerichtet, um auf dem Marsch die Hand- und Armbewegungen nicht zu hindern. Alle Bruststücke der Frühzeit sind zwei- und mehrmals geschoben oder geschiftet. Trug diese Einrichtung zweifelsohne zur Beweglichkeit des Körpers im Thorax bei, so kam sie auch der Schwierigkeit entgegen, große Plattenstücke auszutreiben. Charakteristisch erscheint die Konturierung der Folgenränder (sogenannte Fürfeilen), welche zackig gotisches Laubwerk darstellend, ausgefeilt und durchbrochen gearbeitet sind. An die Brust schlossen sich die «Bauchreifen», ein Geschübe von drei bis fünf «Folgen», deren Ränder zackig ausgefeilt sind.

 

Diese Bauchreifen imitierten ganz passend die kurzen Schößchen eines Wamses. Mit den unterhalb berandeten Bauchreifen schloss in der Regel, und so wie wir hier ersehen, der Brustharnisch ab. «Beintaschen» erschienen nur sehr ausnahmsweise; sie sind dann immer dachziegelförmig gebildet, unterhalb spitz geschnitten und «steif», d. h. ungeschoben, aus einem Stück geschlagen. Das Rückenstück tritt noch weit näher an die florentinische Wamsform heran (Fig. 2). Es ist gleich oder doch ähnlich der Brust geschiftet und geschoben, die angeschobenen, spitz zugeschnittenen Gesäßreifen, zwei- bis dreimal geschoben, stellen ein faltiges Schößchen dar. Bei der mangelhaften Deckung des Unterleibes musste der Plattner dafür Sorge tragen, dass die Oberschenkelschienen, die «Diechlinge», weit in die Leisten hinaufreichten. Diese letzteren sind hier geschoben und besitzen keine absteckbaren «Oberdiechlinge», um das Beinzeug auch mit kurzen spanischen Bauschhöschen zu tragen, die damals aufkamen. Die Kniebuckel sind unter- und oberhalb angeschoben. Ihre Gestaltung erinnert noch an jene Zeit, in welcher die Buckel außer Verbindung mit dem Beinzeug an die Knie geschnallt wurden. Interessant erscheinen die am Rist achtmal geschobenen Spitz- oder Schnabelschuhe. Man ist geneigt, diese schon aus dem 14. Jahrhundert stammende Schuhform, als eine bizarre Modeerscheinung zu betrachten, allein sie hatte doch vom Beginn an einen praktischen Zweck und ist erst von dem Harnische auf die Kleidermode übergegangen. Je mehr das Bein des Reiters durch den Harnisch unbeholfen und die Anlehnung schwieriger wurde, desto näher trat die Gefahr, im Gefecht die Bügel zu verlieren. Dem wurde durch die Verlängerung des Eisenschuhes, der in der Regel erst nach Besteigung des Pferdes über den Lederschuh gelegt und angesteckt wurde, vorgebeugt. Der Harnisch von korrekter Ausführung ist deutscher Herkunft, wie man an den in Fig. 1 sichtbaren spitzen Knöchelauftrieben an der Handwurzel ersehen kann. Im Detail zeigt er den Nürnberger Typus und ist in Nürnberg selbst oder doch von einem Meister geschlagen worden, der länger in dieser Stadt gearbeitet hat. Leider trägt er keine Marke. Seine Vollständigkeit trägt nicht wenig zu seinem Wert bei. Sein Alter spannt sich zwischen 1480 und 1490.

 

Wendelin Boeheim.

 

Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 8. Dresden, 1897-1899.