Die Handfeuerwaffen im 15. Jahrhundert.
Eine vollkommen genaue Einteilung der Handfeuerwaffen nach den vorliegenden Zeitperioden, insbesondere für den Übergang aus dem 14. in das 15. Jahrhundert lässt sich nicht durchführen. Das 14. Jahrhundert wurde charakterisiert durch die Münchener Handschrift, die in diese Zeit gewiesenen kleinen Feuerwaffen sind tatsächlich Büchsen, bussen (boete), pots, vasa, welche durch die Kürze der Seele und die primitive Konstruktion auffallen und mit den Abbildungen des kod. germ. 600 in eine gewisse Übereinstimmung gebracht werden können.
Anders gestalten sich die Verhältnisse im 15. Jahrhundert. Die Bilderhandschriften werden deutlicher und enthalten zahlreiche Abbildungen von Handfeuerwaffen, welche entweder in der Art der Darstellung oder in dem manchmal beigefügten Text die ergänzende Erklärung finden. Von diesen Handschriften wären folgende hervorzuheben: Kod. ms. phil. 63 der Universitäts-Bibliothek zu Göttingen (1396—1405), Konrad Kyeser’s «Bellifortis», ein Kriegsbuch, welches den Übergang aus dem 14. in das 15. Jahrhundert vermittelt. — Mit diesem Manuskript steht eine Reihe jüngerer mehr oder weniger vollständiger Kopien in Verbindung, z. B. kod. ms. 16. o. 7. im Ferdinandeum zu Innsbruck; kod. ms. phil. 64 der Universitäts-Bibliothek zu Göttingen; kod. ms. 5278 der k. k. Hofbibliothek zu Wien usw.
Abbildungen und Nachrichten über Handfeuerwaffen enthalten ferner: kod. ms. 3069 der k. k. Hofbibliothek zu Wien (1411); ferner aus den kunsthistorischen Sammlungen des A. H. Kaiserhauses zu Wien: kod. ms. 52 und kod. ms. 55, dieselben werden zwar dem Ende des 14. Jahrhunderts zugeschrieben, dürften jedoch dem Anfang des 15. Jahrhunderts angehören; kod. ms. 34 (früher 141) von 1410 und kod. ms. 67 ungefähr aus derselben Zeit.
Den breitesten Raum im 15. Jahrhundert nimmt das berühmte deutsche «Feuerwerksbuch» ein. Dasselbe ist in zahlreichen Abschriften vorhanden, welche durch die gemachten Zusätze und Ergänzungen die allmähliche Entwicklung der Handfeuerwaffen zur Anschauung bringen. Hierher gehören: kod. germ. 4902 der kgl. Hof- und Staatsbibliothek zu München (1429); kod. ms. 3062 der k. k. Hofbibliothek zu Wien (1437), zwei undatierte Abschriften derselben Bibliothek: kod. ms. 2987 und kod. ms. 10895; J. G. Hoyer publizierte im Anhang zu seiner «Geschichte der Kriegskunst« (II, 1107—1147) ein Exemplar vom Jahr 1445, usw.
Einige Nachrichten und Abbildungen von Handfeuerwaffen enthalten die Manuskripte s, 1 und a der Bibliothek Hauslab-Liechtenstein zu Wien; ferner kod. germ. 734 der kgl. Hof- und Staatsbibliothek zu München (1450); der Atlas des deutschen Vegetius (ca. 1460); das «mittelalterliche Hausbuchs der Sammlung des Fürsten Waldburg-Wolfegg-Waldsee (ca. 1580); kod. lat. 7239 der National-Bibliothek zu Paris, usw.
Urkundliche Nachrichten, wie Zeughausinventarien, Übersichten von Waffenbeständen oder Auszüge aus städtischen Kämmerei-Rechnungen bringen ziffernmäßig die zunehmende Ausbreitung der Handfeuerwaffen zum Ausdruck. Die aus dieser Zeit erhaltenen Hand- und Hakenbüchsen schließen leicht an die Abbildungen der Handschriften an und beim Vergleich derselben untereinander gelangt man zu bestimmten gemeinsamen Grundsätzen in der Konstruktion, welche auch den stufenweisen Fortschritt verfolgen lassen. Die Einzeln-Schussleistung ist durch die gestellten Bedingungen bei den Schießübungen fixiert und in den Schießbriefen und Schießordnungen des 15. Jahrhunderts genau verzeichnet; die Verwendung der Handfeuerwaffen im Felde ist durch Vorschriften, Ordnungen und Ordonnanzen der Kriegsherrn bestimmt und geregelt.
Überblickt man dieses Quellenmaterial, so ergibt sich die Notwendigkeit, bei Untersuchung der Entwicklung und des Gebrauchs der Handfeuerwaffen im 15. Jahrhundert nach bestimmten Grundsätzen vorzugehen.
Die Handfeuerwaffe darf einzig und allein nur vom Standpunkt der Kriegsbrauchbarkeit beurteilt werden. Nicht technische Künsteleien einzelner Büchsenschmiede, sondern praktische im Feld verwendbare Konstruktionen müssen dem Kriterium unterzogen und hervorgehoben werden, weil nur der kriegsmäßige Gebrauch die Weiterentwicklung der Handfeuerwaffen bedingte.
Für die Jagd war die geräuschlose und sichere Armbrust viel bequemer, während der Knall der Handbüchsen das Wild aufscheuchte; es muss auch festgehalten werden, dass die Schießübungen der Schützengilden ursprünglich geschulte Schützen für das Feld stellen sollten.
Die Beschreibung und Beurteilung der Waffe muss die einzelnen Teile derselben, Lauf, Schaft, Entzündungs- und Visiervorrichtungen gleichmäßig umfassen. Der Lauf konnte bei günstigen Umständen in der ursprünglichen Form bis auf unsere Tage sich erhalten, indessen lässt die geringe Zahl der erhaltenen Exemplare annehmen, dass der in seiner Konstruktion veraltete Lauf umgearbeitet oder eingeschmolzen wurde. Der Schaft war schon infolge des Materials einer gewissen Zerstörung durch die Länge der Zeit ausgesetzt, noch mehr war dies der Fall, wenn die Waffe zum feldmäßigen Gebrauch bei der damaligen Kampfweise gelangte; endlich war der Schaft leicht und billig zu ersetzen. Man bleibt bei der Beschreibung dieses Bestandteils zumeist auf die Abbildungen in den Handschriften angewiesen, da die Zeichnung unverändert blieb. Ähnlich verhält es sich mit den Visier- und Entzündungseinrichtungen.
Die Beurteilung der Handfeuerwaffe muss endlich auch die einzelne Schussleistung in sich schließen, weil von dieser die Verwendung im Feld abhängig ist und letztere wieder die Konstruktion und die Technik der Erzeugung beeinflusst.
A. Handschriften.
Die Münchener Handschrift gestattete nur die Unterscheidung in größere und kleinere Feuerwaffen, welche auf massiven Holzgestellen mittelst Metallbändern befestigt waren.
Die Abbildung im kod. ms. 55 der kunsthistorischen Sammlungen des A. H. Kaiserhauses zu Wien (Fig. 4) zeigte eine kurze becherartige Büchse -— den Lauf -— eine hölzerne plumpe Handhabe — den Schaft — in welchen die Büchse zur Hälfte eingelassen war; zur Verbindung von Lauf und Schaft dienten zwei Metallbänder — Laufringe; eine Entzündungsvorrichtung war nicht vorhanden, das Abfeuern musste aus freier Hand mittelst Lunte, Holzspan oder Loseisen besorgt werden. Die Einzel-Schussleistung stand, wie aus der oben mitgeteilten Instruktion über die Verteidigung der Burg Bioule hervorgeht, weit unter den Schussleistungen damaliger Fernwaffen, da selbst die größeren Feuerwaffen noch hinter der Armbrust und der Schleuder rangierten.
Einen Fortschritt in der Entwicklung der Handfeuerwaffen zeigt nun die Abbildung auf Bl. 104b des kod. ms. phil. 63 der Universitäts-Bibliothek zu Göttingen; — das berühmte Kriegsbuch «Bellifortis», welches Konrad Kyeser als Verbannter in den böhmischen Wäldern anfertigen liess1 (1396—1405). Die Abbildung zeigt einen Schützen, welcher eine auf eine Gabel aufgelegte größere Handfeuerwaffe abfeuert (Fig. 14). Die Handfeuerwaffe besteht nach der Zeichnung aus Lauf und Schaft. Der Lauf ist anscheinend aus Eisen, außen polygon, wahrscheinlich sechseckig, und mit fünf Ringen verstärkt; die Seele scheint zylindrisch zu sein; das Zündloch befindet sich oberhalb, zwischen dem dritten und vierten Ring. Rückwärts endet der Lauf in eine Tülle oder Hülse, in welche der stangenartige Schaft eingesteckt ist; der Lauf ist scheinbar gegen die Mündung hin verstärkt. Der Schaft ist augenscheinlich aus Holz und hat an seinem unteren Ende eine metallene Schutzkapsel. Eine Entzündungsvorrichtung fehlt, die Büchse wird vom Schützen mittelst eines rechtwinklig abgebogenen Drahtes oder Glimmeisens abgefeuert. Die Waffe ist auf eine hölzerne Gabel aufgelegt, wobei das untere Ende des Schaftes am Boden aufsteht. Die Gabel ist in den Boden eingesteckt, nach der Abschrift in den kunsthistorischen Sammlungen des A. H. Kaiserhauses sogar mit Pflöcken verkeilt.
Der Schütze steht breitspurig mit Vorgesetztem rechten Fuß an der rechten Seite der Waffe, hält mit der rechten Hand das Gluteisen, die linke Hand umfasst den Schaft am oberen Ende, welch letzterer Umstand gestattet, die beiläufigen Dimensionen der Handfeuerwaffe abzuschätzen.
Die vorliegende Abbildung aus dem Göttinger Kodex lässt nun einzelne interessante Erscheinungen hervortreten.
Der Lauf und auch die Seele sind entschieden länger als in den bisher genannten älteren Handschriften. Diese Zunahme lässt sich schon bei den Stücken des 14. Jahrhunderts wahrnehmen, bei welchen die Länge des Laufes von 164 mm auf 384 mm, jene der Seele von 140 mm auf 227 mm gestiegen ist. Diese Veränderung erhöht sich im 15. Jahrhundert noch weiter; dieselbe war keine zufällige und wurde auch theoretisch besprochen. Der Kodex 67 der kunsthistorischen Sammlungen des A. H. Kaiserhauses zu Wien (ca. 1410) enthält u. a. die Frage: «Weliche buchs bas schiesset, die vyter oder enger, kürtzer oder länger?» Die Antwort sagt: «Am besten sind die über sechs Klotz langen engen Büchsen» und an einer anderen Stelle wird von einer Büchse von 7 Klotz Länge gesprochen. Auch das Feuerwerksbuch enthält die Bemerkung: «wann die kurtzen ror mögent nyndert hin in die wytin schiessen, aber die langen ror schiessen wyt».
Die Verlängerung des Laufes und der Seele brachte somit das praktische Resultat, dass man mit den langen Rohren «in die wyten» schießen konnte, was bei den «kurtzen ror» nicht möglich war. Bei der Göttinger Büchse konnte die Wirkung «in die wyten» auf zweierlei Weise reguliert werden, und zwar
a) entweder durch Vor- oder Zurückschieben der Waffe (dadurch werden die Länge des Schaftes und das auf dem Boden aufstehende geschützte Ende desselben gerechtfertigt), oder
b) indem die den Schaft umfasst haltende linke Hand diesen hob oder senkte.
Es ist ferner naheliegend, dass bei Anwendung einer gleich großen Pulverladung (diese war schon im kod. germ. 600 gegeben) — und bei gleich schweren Geschossen eine gewisse praktische Erfahrung für ein und dieselbe Waffe sich herausbildete, welche das Treffen eines feststehenden Zieles auf bestimmter Distanz erleichterte.
Die Erkenntnis der Wirkung einer bestimmten Elevation ist auch in den Darstellungen der Münchener Handschrift zum Ausdruck gebracht, indem die Holzkonstruktionen für das Einstellen der Feuerwaffen unter bestimmten Neigungswinkeln eingerichtet waren. Bei der vorliegenden Handfeuerwaffe konnte die für eine bestimmte Distanz notwendige Elevation durch gleichmäßiges Auflegen auf die Gabel oder durch gleichmäßiges Heben und Senken des Schaftes erreicht werden.
Die Wahrnehmung von der erweiterten Flugkraft des Geschosses gestattete aber auch, die Elevation für die übliche kurze Distanz nach und nach zu verkleinern, bis man endlich zum direkten Schuss gelangte, welcher der Handfeuerwaffe die volle Kriegsbrauchbarkeit einbrachte.
Die Abgabe des Schusses erforderte bei der Göttinger Büchse folgende Verrichtungen:
a) Herbeitragen der Handfeuerwaffe und der Gabel auf jenen Punkt, von wo aus geschossen werden sollte;
b) Einsetzen der Gabel in den Boden;
c) Auflegen der geladenen Waffe auf die Gabel und Einstellen unter dem bestimmten Neigungswinkel;
d) und endlich das Abfeuern.
Nimmt man nun an, dass die kleinen Geschosse nicht die Bestimmung hatten, Mauern zu brechen und niederzulegen, sondern gegen die Angreifer und Verteidiger derselben, gegen Menschen und Tiere, gegen bewegliche Ziele zu wirken, so musste auch der Schütze mit seiner Waffe diesen beweglichen Zielen folgen können.
Das Einstecken der Gabel in den Boden war jedoch sehr umständlich und von der Beschaffenheit des Bodens abhängig. Es war einfacher, die Gabel auf demselben nur aufzustellen oder das Gewicht der Waffe so weit zu verringern, dass diese vom Schützen getragen und während des Schusses gehandhabt werden konnte.
Die erste Richtung führte zur Konstruktion größerer massiver Handfeuerwaffen, welche beim Gebrauch auf ein Gestell (Dreifuss, Holzbock) aufgelegt wurden, aus welchen sich die Haken- und Bockbüchsen entwickelten und deren ursprüngliche Idee eben in der Göttinger Handschrift bildlichen Ausdruck findet. Die zweite Richtung schließt an die schon vorhandenen Handbüchsen an, welche durch eine Abbildung im kod. 55 der kunsthist. Samml. des A. H. Kaiserhauses zu Wien (Fig. 4) bestimmt wurden.
Einen weiteren Beitrag zur Entwicklung der Handfeuerwaffen bringt eine Abbildung auf Bl. 38b des kod. ms. 3069 der k. k. Hofbibliothek zu Wien (1441) (Fig. 15).
Die Abbildung soll zeigen, «wie man die Handpuchsen beschiessen sol». Ein Schütze hält eine Handbüchse im schrägen Anschlag. Dieselbe besteht aus Lauf, Schaft und einer Entzündungsvorrichtung. Der Lauf ist anscheinend aus Eisen, zylindrisch, mit Zündloch; die Seele scheint ebenfalls zylindrisch zu sein und ist nach der Zeichnung 6—7 Kaliber lang. Der Lauf endigt rückwärts in eine Tülle, in welche der stangenartige hölzerne Schaft eingeschoben ist.
1 Vgl. über diese Bilderhandschrift: v. Eye: «Beiträge zur Kunst- und Kulturgeschichte vom Beginne des 15. Jahrhunderts» im «Anz. f. K. d. d. V. 1871». — Essenwein: Quellen zur Geschichte der Feuerwaffen 1872; 15 ff. u. 7. A. XI. — Jähns: G. d. K. I. 258 ff. — Köhler: Die Entwickelung des Kriegswesens und der Kriegführung, 1887, III. I. — A. Schulz: Das höfische Leben, 1889 II. — v. Romocky: Geschichte der Explosivstoffe, 1895, I, cap. V. «das Feuerbuch» in Konrad Kyesers «Bellifortis».
Die Entzündungsvorrichtung besteht aus einem zweimal rechtwinklig gebogenen Eisenstab, der um einen Stift drehbar ist und als zweiarmiger Hebel zur Wirkung gelangt. Das vordere Ende ist zur Aufnahme des Zündmittels eingerichtet, sehr wahrscheinlich ein leicht brennbarer Docht, Zündschwamm oder Lunte. Der Schütze hält mit der linken Hand den Schaft in der vorderen Hälfte, die rechte Hand liegt mit dem Daumen am Schaft, die übrigen vier Finger umfassen das rückwärtige Ende des Abzugs; das Ende des Schaftes liegt beiläufig an der rechten Armbeuge.
Diese Handbüchse ist augenscheinlich kleiner als jene im Göttinger Kodex, daher ohne Gabel und vom Schützen auch während des Schießens zu handhaben. Dieselbe hat ebenso wie die Göttinger Büchse, den stangenartigen in das rückwärtige Ende des Laufes eingeschobenen Schaft. Auch hier entzündet der Schütze selbst die Ladung, jedoch schon mit Hilfe einer Abzugsvorrichtung, welche außen am Schaft angebracht ist. Die schräge, nach aufwärts gerichtete Lage der Handbüchse im Moment des Schießens lässt erkennen, dass auch hier, sowie in der Göttinger Handschrift, das Geschoss noch im hohen Bogen gegen das Ziel geschleudert wurde.
Eine andere Konstruktion zeigt eine Handbüchse aus dem kod. ms. 55 der kunsthistorischen Sammlung des A. H. Kaiserhauses zu Wien (Anfang des 15. Jahrhunderts). (Fig. 16.) Diese Handbüchse besteht aus Lauf, Schaft und Abzug. Der Lauf zeigt eine andere Form, als bisher bei den Handfeuerwaffen beobachtet wurde. Derselbe ist wahrscheinlich aus Eisen, ähnlich einer Steinbüchse gestaltet und lässt zwei verschiedene Zylinder unterscheiden; der vordere, im Durchmesser größere Zylinder war augenscheinlich zur Aufnahme des Geschosses, der hintere, im Durchmesser beinahe halb so große Zylinder zur Aufnahme der Pulverladung bestimmt; beide Zylinder sind nahezu gleich lang; in dem rückwärtigen, der Kammer, ist das Zündloch.
Der Schaft, wahrscheinlich aus Holz, ist rückwärts stangenförmig, in seinem vorderen Teil jedoch zur Aufnahme des Laufes der Länge nach muldenförmig ausgenommen.
Die Verbindung zwischen Lauf und Schaft ist durch zwei Metallbänder hergestellt, welche Lauf und Schaft umfassen. Dieselbe Art der Verbindung zeigt die Handbüchse desselben Kodex (Fig. 4), die Handbüchse im historischen Museum zu Bern (Fig. 5) und fast alle erhaltenen Handbüchsen der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, bei welchen der Lauf in den Schaft eingelegt ist.
Es ist möglich, dass man aus diesen Handbüchsen auch Steine schießen konnte; ob aber hier eine Handsteinbüchse dargestellt ist, lässt sich nicht mit Bestimmtheit behaupten, da aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts Handbüchsen erhalten sind, deren Lauf dieselbe Konstruktion aufweist und welche infolge des kleinen Kalibers unbedingt für Metallgeschosse eingerichtet waren. Der bei dieser und der vorhergehenden Handbüchse abgebildete Abzug scheint nur vereinzelt in Anwendung gekommen zu sein, da alle übrigen Abbildungen Handbüchsen ohne Entzündungsvorrichtungen dargestellt sind. Dieser Abzug war gewiss nicht handlich, die langen am Schaft sich bewegenden Hebelarme konnten leicht abgebrochen werden, endlich war das Entzündungsmittel infolge der sich bildenden Asche nicht immer verlässlich.
Einen ähnlichen Abzug, aber in kleineren Dimensionen, enthält die Handschrift des Froissart in der Stadtbibliothek zu Breslau (1468).1 (Fig. 17.)
Der Lauf ist verhältnismäßig bedeutend länger, der Schaft, stangenartig, ist in das rückwärtige Ende des Laufes eingesteckt.
Einen weiteren bestimmten Fortschritt in der Entwicklung der Handbüchsen lassen einzelne Darstellungen aus dem Kodex 34 (141) der kunsthistorischen Sammlungen des A. H. Kaiserhauses zu Wien erkennen (1410).2
1 Vgl.: « Quellen» II, 113 und T. B. IV. (F. 17 dort entnommen.)
2 Vgl. «Quellen» II, 110 und Köhler III, 1, 329.
Essenwein datiert diesen Kodex mit 1410. Die vorliegende Abbildung, Fig. 18, bringt die Bereitung des Pulvers und Versuche mit demselben zur Darstellung. Ein Mann mischt die Bestandteile des Pulvers auf einer Reibtafel, der zweite versucht das Pulver mit einer Handbüchse. Diese Handbüchse besteht aus Lauf und Schaft.
Der Lauf, wahrscheinlich aus Eisen, ist zylindrisch, jedoch am Bodenstück, in welchem auch das Zündloch sichtbar ist, verstärkt; eine kleine randartige Verstärkung zeigt auch die Mündung. Im Vergleich zum Schützen ist der Lauf circa 50—60 cm lang und dürfte die Länge der Seele etwa 10 Kaliber betragen. Die Verstärkung des rückwärtigen Teiles des Laufes ist auf den Umstand zurückzuführen, dass bei den Handbüchsen besseres, kräftig wirkendes Pulver in Anwendung kam, welches die Handhabung nicht ungefährlich machte und wohl auch das Material rasch abnutzte. Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass mit der Verlängerung der Seele eine Vergrößerung der Pulverladung eingetreten ist und dass diese die Verstärkung des Bodens herbeiführte.
Der Schaft ist stangenförmig, beiläufig 1,5 mal so lang wie der Lauf, und in das rückwärtige Ende desselben eingeschoben.
Über die Handhabung der Handbüchsen gibt eine zweite Abbildung desselben Kodex einigen Aufschluss (Fig. 19).
Ein Armbrust- und ein Handbüchsen-Schütze schießen gegen das Tor eines befestigten Objektes. Der letztere, vollständig gepanzert, hält eine Handbüchse im ziemlich geneigten Anschlag. Der Lauf der Handbüchse zeigt eine ähnliche Konstruktion wie im kod. 55 (Fig. 16); vorn ein längeres Feld, rückwärts eine kürzere Kammer, der stangenartige Schaft ist in das hintere Ende des Laufes eingeschoben; eine Entzündungsvorrichtung fehlt. Der Schütze steht breitspurig mit vorgesetztem rechten Fuß, hält mit der linken Hand die Büchse nahe am unteren Ende des Laufes, die rechte Hand umfasst den Schaft.
Die Anschlagsrichtung ist nicht mehr so schräg nach aufwärts, wie im kod. 3069 (Fig. 15); das rückwärtige Ende des Schaftes scheint an die Brust gestemmt zu sein, wahrscheinlicher jedoch an die innere Seite der rechten Armbeuge angelehnt.
Ähnlich den bisher dargestellten Handbüchsen in Konstruktion und Einrichtung ist auch eine Handfeuerwaffe, welche im kod. lat. 197 der kgl. Hof- und Staatsbibliothek zu München abgebildet ist. Diese Bilderhandschrift enthält einen deutschen und italienischen Teil, welche jedoch nicht in Verbindung stehen, und wurde von M. Berthelot näher beschrieben und publiziert.1
Der lateinische Teil enthält 48 Blätter mit kolorierten Abbildungen; die Zeichnung ist grob, aber sorgfältig und genau; die Paginierung ist fortgesetzt. Einige Figuren haben deutsche Überschriften und machen von den Hussiten, von München und Nürnberg Erwähnung. Die Figuren des Manuskriptes sind sehr genau, es ist wahrscheinlich, dass nicht einfache Projekte, sondern wirkliche Kriegsgeräte und Waffen dargestellt sind. Der Autor ist unbekannt; Entstehungszeit zwischen 1420—1430.
1 M. Berthelot: Pour l’histoire des arts mecaniques et de l’artillerie vers la fin du moyen age. — (Annales de chimie et de physique. Sixieme serie. Paris 1891.) (Fig. 20 und 21 dort entnommen.)
Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 9. Dresden, 1897-1899.
Fortsetzung folgt