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Entwicklung und Gebrauch der Handfeuerwaffen Teil 5

Die Charakteristik der Feuerwaffen in der vorliegenden Zeit wäre nicht vollständig, würde man nicht auch jene Art derselben in die Besprechung mit einbeziehen, welche unter den Namen «Steinbüchsen» wiederholt schon genannt wurden und deren erste Nachrichten bis in diese frühe Zeit hinaufreichen.

 

Das Schießen von Steinen aus Feuerwaffen oder die Verwendung von Steinbüchsen wird um das Jahr 1371 zuerst in Italien bei der Belagerung von Pietrabona durch die Pisaner erwähnt. In Frankreich werden dieselben im Jahre 1374 genannt; in Deutschland scheint Köln im Jahr 1376 die ersten Steinbüchsen gehabt zu haben; im Jahr 1377 folgten Frankfurt a. M., Erfurt, Magdeburg, Augsburg usw.1 Die Steinbüchsen kommen, wie aus diesen Angaben hervorgeht, der Zeit nach bedeutend später als die Feuerwaffen überhaupt, und es liegt die Erklärung nahe, dass die bisherigen praktischen Erfahrungen mit den letzteren, sowie die Forderungen damaliger Kriegführung zur Konstruktion der Steinbüchsen geführt haben.

 

Das Bestreben, die Wirkung am Ziel zu vergrößern, die feindlichen Mauern möglichst bald zu zerstören und Bresche zu legen, brachte die Vergrößerung der Geschosse und diese bedingten wieder die Vergrößerung der Waffe. Kleinere Steinkugeln mochten beim Aufschlagen leicht zerschellen, größere metallene Vollkugeln waren in jener Zeit bei beträchtlicherem Bedarf doch zu kostspielig, man musste daher bei den großen Steinkugeln verbleiben, welche man später noch mit Metallbändern verstärkte. Die Ladung konnte in diesem Fall schwächer gehalten werden, weil das Gewicht der Kugel den Verlust an Geschwindigkeit ersetzte. Das Verlangen nach stets größeren Leistungen führte endlich zu jenen kolossalen Feuerwaffen, welche durch ihre gewaltige Größe in Konstruktion und Einrichtung in hohem Grad auffallen. So ließ z. B. der Herzog von Burgund im Jahr 1378 eine Büchse anfertigen, welche eine Steinkugel von 450 Pfund schoss; für die große Bombarde von Gent, welche bei der Belagerung von Audernade im Jahr 1382 erwähnt wird, berechnet man das Gewicht der Steinkugel auf 534 kg; die in der Disposition der Stadt Nürnberg vom Jahre 1388 zum Angriff eines «slosses» genannte große Büchse «Chriemhilde» soll für eine Steinkugel von 560 Pfund eingerichtet gewesen sein usw.2

 

Neben diesen Riesengeschützen werden jedoch auch kleinere Kaliber für Steingeschosse genannt. Die Nürnberger Disposition enthält die Bezeichnungen: Zentnerbüchse, Wagenbüchse, Karrenbüchse und Handbüchse.

 

Die Zentnerbüchse schoss Steinkugeln von 100 Pfund (ca. 45 kg), die Wagenbüchse solche zu 45 Pfund (ca. 20 kg), die Karrenbüchse zu 3 Pfund (1,35 kg); ob auch die Handbüchsen für Steinkugeln eingerichtet waren, ist nicht mit Gewissheit zu entnehmen.

 

Bestimmter sind in letzterer Beziehung die Angaben des Inventars des Zeughauses von Bologna vom Jahre 1397. Dasselbe enthält die Bezeichnungen «bombarda» und «sclopi» (schioppi), Stein- und Lotbüchsen, und von beiden gibt es wieder Handbüchsen. So heißt es: «unam bombardam pizolam cum manico fracto» und «unam bombardam pizolam cum lapide et cippo», dagegen «8 sclopos di ferro de quibus sunt tres a manibus».

 

General Köhler glaubt, dass die bombarda pizola wahrscheinlich eine Art Handmörser war, der Steine warf, der schioppo dagegen eine Lotbüchse für eiserne Kugeln (III, I, 281).

 

Das cippum war eine Art Schäftung, ein länglicher Holzbalken, in welchen das Rohr zur Hälfte eingelassen oder an welchen dieses mittelst Metallbändern befestigt wurde.

 

Die Münchener Handschrift enthält auf Bl. 7b eine Abbildung, welche nach dem beigegebenen Text das Laden einer Büchse mit «ainem klocz vnd ainem stain» darstellt.3) Die Büchse war nach der gegebenen Zeichnung in der Seele offenbar überall gleich weit, hatte keine Kammer und war für das Schießen von Blei- und Steingeschossen verwendbar. Eine zweite Art von Steinbüchsen bringt das Bl. 5b. Die Darstellung zeigt zwei Männer, welche beschäftigt sind, eine mit der Mündung nach aufwärts aufgestellte Büchse zu laden. Die Büchse selbst lässt zwei Teile unterscheiden, einen unteren engeren, die Kammer, das Rohr, einen oberen weiteren, das Vorhaus, den Flug. Die Kammer ist beiläufig doppelt so lang als der Flug.

 

Der Text lautet: «Item, wenn du die büchsen geladest, mit dem klocz, so leg den stain vast hertt an den klocz vnd verkewl in mit waichem holcz. Die kewl sollen nicht hart sein oder ain puchsen mocht davon prechen. Die kewl sollen nicht zu dick sein, sy sollen auch gleich lang, dick vnd groz sein. Sy sollen auch gleich getrieben werden. Item vnd über die kewl sol man einen stain verschoppen mit heden vnd mit leym oder mit hew oder was sollichs dings ist.»

 

Es war demnach, bevor der Stein geladen wurde, die Kammer mit dem Klotz abgeschlossen. Dieser musste nach Bl. 5a «als weit das ror sey, als weit vnd als lang soll auch der klotz sein».

 

Der Klotz war daher so lang, als der Durchmesser der Kammer, und diese musste wieder, sollte die oben beim Laden geforderte Fünfteilung eingehalten werden, in der Länge fünfmal so lang sein als im Durchmesser.

 

Eine ziemlich ausführliche Beschreibung einer Steinbüchse gibt Andreas Redusius de Quero in seinem Chronico Travisano beim Jahre 1376. Dieselbe lautet in deutscher Übersetzung: «Die Bombarde ist ein eisernes sehr starkes Instrument mit weitem Vorderteil (trumba, italienisch trornba), in welchen ein passender runder Stein eingesetzt wird und einem hinten daran befestigten doppelt so langen, aber dünneren Rohr (cannone), in das durch die dem Vorderteil zugekehrte Öffnung das schwarze, künstlich aus Salpeter, Schwefel und Weidenkohle bereitete Pulver getan wird. Hat man nun jene Öffnung durch einen hineingeschlagenen Holzklotz fest verschlossen, die Steinkugel in das Vorderteil eingesetzt und verkeilt, so wird durch das kleinere Loch des rückwärtigen Rohres Feuer gegeben und der Stein wird durch die Kraft des entzündeten Pulvers mit großer Gewalt hinausgeschleudert.»4

 

Über die Konstruktion der Steinbüchsen zu Anfang des 15. Jahrhunderts bringt die Handschrift des Germanischen Museums zu Nürnberg, Kodex 1481a, folgenden interessanten Aufschluss:5 «Wilt du dir ain stainbuchsen heissen machen, sy sey gross oder klein, so heiss dir zwen stain machen in der gross als du wollest das die puchs werd schiessen vnd wenn die zwen stain gehawen werden, so leg die zwen stain für einander, das einer den andern rür, so heiss dir dann das ror, da das pulver eingehört, eben als lankch machen, als die stain sind baid vnd das vorhaus vor dem ror, do der stain inn soll liegen, andertthalb stains lankch vnd den poden hinder dem Zündloch aines halben stains dikch, das ist einer iglichen stainbuchsen gerechtigkeit vnd das daz ror nicht mehr vasse dann ye zu zehen pfunden sber des stains ein pfund pulvers.»

 

Durch die letztere Angabe wurde das Verhältnis des Steingewichtes zur Pulverladung bestimmt, wodurch wieder der Durchmesser der Kammer gegeben war, welche, wie schon oben ausgeführt, fünfmal so lang sein musste; die Weite der Kammer war daher 2/5 des Steindurchmessers. Jedoch nicht immer betrug die Länge des Flugs «anderttalb stains».

 

Das Feuerwerksbuch, und zwar Abschrift vom Jahre 1445,6 und einzelne jüngere Abschriften enthalten zur Nr. 6 der «Zwölf Büchsenmeisterfragen» folgende Angabe: «Sprich ich, die wyle die buchssen vor dem pulversak als kurtz waren, wenn der stein dar in geladen wart, das er ein wenig für die buchs gieng, zu den zyten vnd zu denselben buchssen was bedurfft, das man den stein verbistet.» «Zu den zyten» war also die Länge des Flugs noch nicht so lang als der Durchmesser der Steinkugel, weil sie noch «ein wenig für die buchs gieng».

 

Im Artilleriemuseum zu Turin7 befindet sich eine Bombarde, welche augenscheinlich der frühesten Zeit der Steinbüchsen angehört, deren Abmessungen und Einrichtung nahezu vollständig den oben gegebenen Konstruktionsbedingungen sowie, der Beschreibung des Redusius entsprechen. Von der Münchener Handschrift weicht dieselbe nur insofern ab, als die Kammer äußerlich zylindrisch, im Innern jedoch konisch ist, während auf Blatt 5b der Handschrift die Seele der Kammer auch zylindrisch zu sein scheint. Diese Bombarde wurde auf der Burg Morro bei Jesi in der Provinz Ancona gefunden (Fig. 12). Die Bombarde ist aus Schmiedeeisen, 580 mm lang; Länge des Flugs: 158 mm; Länge der Kammer (Seele) 387 mm; Durchmesser der Seele des Flugs: 150—186 mm; Durchmesser der Seele der Kammer: 50—68 mm; Gewicht der Steinkugel: 5,182 Kg.

 

1 Köhler III, I, 227, 233, 241 ff.

2 Köhler III, I, 277 fr.

3 Quellen: Tafel A I, III, IV. — Vgl. Jähns G. d. K. III, 37. — Köhler III, I, 267. — Toll: Eine Handschrift über Artillerie aus dem 14. Jahrh. (Arch. f. d. O. d. Kgl. Pr. A. u. I. C. 1866) 164.

4 J. G. Hoyers, G. d. IC. — I. Zusätze und Erläuterungen zu I, I, 9. — Jähns, G. d. K. I, 236. — Köhler III, I, 260. — Toll: 166.

5 Köhler III, I, 292. — Jähns G. d. K. I, 391, 393.

6 Hoyer, G. d. IC. II, 1110. — Köhler III, 1, 268. — Jähns G. d. K. I, 397. — Toll, 152.

7 Köhler III, I, 261, Taf. IV, I (diesseits Fig. 12).

Fig. 12. Bombarde (Steinbüchse) im Artillerie-Museum zu Turin.
Fig. 12. Bombarde (Steinbüchse) im Artillerie-Museum zu Turin.

Die Kammer ist nahezu doppelt so lang als der Flug (387 : 158). Der Flug hat noch nicht die Länge des zugehörigen Steines (158 : 169), sodass dieser über die Mündung hinausragte.

 

Viel genauer noch stimmen die Ausmaße mit den obigen Konstruktionsbedingungen überein bei einer kleinen Steinbüchse, welche sich im städtischen Museum Carolino-Augusteum in Salzburg befindet (Fig 13).

 

Dieselbe ist aus Schmiedeeisen. — Gewicht 4,8 kg. Äußere Länge 300 mm. Länge der Seele des Flugs 72 mm. Durchmesser der Seele des Flugs an der Mündung 85 mm. Durchmesser der Seele des Flugs am Boden 75 mm. Länge der Kammer 170 mm. Durchmesser der Kammer 34 mm.

 

Fig. 13. Hand-Steinbüchse im städtischen Museum Carolino-Augusteum in Salzburg.
Fig. 13. Hand-Steinbüchse im städtischen Museum Carolino-Augusteum in Salzburg.

Setzt man den Kugeldurchmesser gleich dem Kaliber 85 mm, so erhält man folgende Konstruktionsdaten:

 

a) Länge der Kammer beträgt 2 Kugeldurchmesser 170 mm = 2,85,

 

b) Durchmesser der Kammer beträgt 2/5 des Kugeldurchmessers 85 : 5 = 17,2 = 34,

 

c) Länge der Kammer ist fünfmal so groß als der Durchmesser derselben 170 = 5,34,

 

d) der Boden hinter dem Zündloch beträgt einen halben Kugeldurchmesser 85 : 2 = 42,5 (44).

 

Der Flug hat nicht vollends die Länge des Steines, dieser musste über die Mündung hinausgeragt haben. Diese Steinbüchse ist mit drei eisernen Ringen an einen Holzblock befestigt und über die Hälfte in diesen eingelassen. Der Holzblock jedoch ist neu; es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Handsteinbüchse in einem länglichen Holzblock (cippum) mit Handhabe eingesetzt war. Das Gewicht der Waffe, 4,8 kg, qualifiziert dieselbe unbedingt als Handsteinbüchse (bombarda pizola).

 

Interessant ist der Abschluss der Kammer durch einen rückwärts eingeschobenen, wahrscheinlich eingeschweißten eisernen Zapfen, welcher 1,4 mm über das rückwärtige Ende des Rohres vorsteht. Das Zündloch ist trichterförmig von unten nach oben erweitert.

 

Bei der oben beschriebenen Steinbüchse von Morro berechnet General Köhler das Verhältnis des Steingewichts zum Rohrgewicht mit 1 : 8 (III, I, 262). Wird dieses Verhältnis auch bei dieser Steinbüchse beibehalten, so würde das Gewicht der Steinkugel 0,6 kg betragen und diese beiläufig «eine fust» groß sein.

 

Diese Steinbüchse kam als Geschenk des Herrn Rosenegger in den Besitz des Museums; es ist wahrscheinlich, dass dieselbe zum Bestand der Festung Hohensalzburg gehörte.

 

Die vorliegende Beschreibung bietet einen weiteren auffallenden Beweis, dass die Konstruktion und Form der Feuerwaffen anfangs von der Größe nicht abhängig war.

Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 9. Dresden, 1897-1899.

 

Fortsetzung folgt

 

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