· 

Aus den hinterlassenen Notizen des Postdirektors Josef von Scheiger

Im Frühling des Jahres 1886 starb zu Graz im hohen Alter von 85 Jahren der pensionierte Postdirektor Josef von Scheiger, der den Ruhm für sich in Anspruch nehmen konnte, die historische Waffenwissenschaft in die deutsche Literatur eingeführt zu haben. Die junge Romantik der Zeit nach den Befreiungskriegen leitete das Interesse des jungen talentvollen Mannes anfänglich den mittelalterlichen Burgen zu, aber der in ihm erwachsende Drang nach Vertiefung des Wissens und eine nüchtern praktische Anschauung der Dinge bewahrte ihn vor nebelhafter romantischer Schwärmerei und führte ihn zunächst auf die historische Erforschung dieser alten Bauwerke vom Gesichtspunkt ihrer Bestimmung und ihrer kriegerischen Bedeutung und von da in logischer Folgerung des Gedankens auf die Waffe selbst, jenes Werkzeug, für welches diese mächtigen Mauerkolosse errichtet worden waren.

 

Schüchtern trat er anfangs in den zwanziger Jahren mit kleinen Werkchen über Burgen und Schlösser in die Öffentlichkeit, schrieb kurze erklärende Aufsätze über Form, Verwendung und Alter verschiedener Waffen in Zeitschriften. Das Thema war so neu, erschien so bedeutungsvoll für das Verständnis der Vergangenheit, dass sich ihm bald die allgemeine Aufmerksamkeit der historischen Kreise zuwendete. Ermutigt durch diese überraschende Teilnahme wendete er sich dem Studium alter Waffen unmittelbar zu und von ihm erschien im Jahre 1833 in den Beiträgen zur Landeskunde Österreichs unter der Enns unter dem bescheidenen Titel: «Andeutungen zur Geschichte und Beschreibung des bürgerlichen Zeughauses in Wien» eine wissenschaftliche Abhandlung, die als ein erster Grundstein zur historischen Waffenwissenschaft anzusehen, durch die Gediegenheit ihres Inhaltes epochemachend geworden ist.

 

Durch dieses ausgezeichnete, ja glänzende Essay wurde von Scheiger zum Nestor unserer Wissenschaft in deutschen Landen; es gab zunächst Anlass, dass junge, gleichgesinnte Talente sich seiner geistigen Führung voll Begeisterung unterwarfen und die nächste Frucht seines belehrenden Einflusses ersehen wir in einem weit ausgedehnteren Werke eines seiner Jünger, in Friedrich von Lebers «Wiens kaiserliches Zeughaus» (Wien 1844), das erste selbstständige Buch über historische Waffenkunde in der deutschen Literatur.

 

Spät erst trat in die Reihen der Schüler v. Scheigers der Schreiber dieser Zeilen; weit jünger als der Meister, aber in inniger Freundschaft an ihm hängend bis zum Tode desselben. Sein literarischer Nachlass kam in seine Hände und wird von ihm als teures Vermächtnis bewahrt.

 

Nicht allein um das tiefe Wissen und die scharfe Beobachtungsgabe des verewigten Meisters darzulegen, vielmehr um ihres wissenschaftlichen Gehaltes willen, veröffentlichen wir hier eine Reihe Miszellaneen aus dem Gebiet der historischen Waffenwissenschaft. Wir ersehen daraus, wie von Scheiger nicht allein die Waffe in Rücksicht auf ihre Form und Einrichtung, sondern auch auf ihre Verwendung in der Geschichte betrachtete und aus der Summe der Beobachtungen seine Schlüsse über den Wert derselben zu ziehen suchte nach dem Grundsatz: «Die Form ist tot, der Geist macht lebendig.» Drei Dezennien sind in die Vergangenheit gesunken, seit diese vergilbten Blätter geschrieben worden sind. Seit dieser langen Zeit haben talentvolle Nachfolger, wie von Leitner, Essenwein, von Hefner-Alteneck und so viele andere Epigonen namhaftes Material für die Wissenschaft beigetragen, und dennoch sehen wir mit Erstaunen, mit welcher Sicherheit der Verfasser derselben sein Thema erfasst hatte und wie wenig der heutige fachkundige Leser Gelegenheit hat, Veraltetes, Überholtes zu gewahren.

 

Der Schreiber dieser Zeilen bringt diese Miszellaneen genau im Wortlaut der Manuskripte und erlaubt sich nur dort erklärend und korrigierend dazwischen zu treten, wo der Text unklar erscheint, oder neuere Forschungsergebnisse dieses erfordern.

 

Von Scheiger war nie Soldat gewesen, aber er hatte sich Zeit seines Lebens unausgesetzt mit militärischen Studien befasst, und der rege, teils mündliche, teils schriftliche Verkehr mit allgemein geachteten, ja berühmten Generalen, wie Marmont, Jellachich, Weiden, Hauslab u. a. erweist, dass auch diese seinem tiefen Wissen in der Kriegskunst und deren Geschichte ihre Achtung entgegentrugen.

 

Unsere militärischen Vereinsgenossen werden aus den folgenden Blättern ersehen, wie sehr derselbe sie sich verdient hat. Wir beginnen: Um 1750. Es haben die Schaumburg-Lippe-Bückeburgischen Karabiniere als wahrhaft merkwürdige Erscheinung einer Reiterei, die mit Doppelkürass1 und langen gezogenen Feuergewehren belastet, allen Anforderungen leichter Kavallerie und berittener Schützen genügte, durch die kleine Monographie Dürings (Berlin 1828, 8°) und einzelne kurze Erwägungen in verschiedenen Werken über den Siebenjährigen Krieg durchaus noch keine genügende Würdigung gefunden, und wäre eine solche selbst heute noch, ungeachtet der so veränderten Verhältnisse, eine dankbare Aufgabe für eine längere Abhandlung.

 

Interessant wäre es zu wissen, ob sich die von diesen Reitern geführten Doppelpistolen2 als handsam und nützlich erwiesen, was kaum zu erwarten war, worüber uns aber Aufzeichnungen fehlen. Noch interessanter ist es, dass ausdrücklich erwähnt wird: «Es habe sich der Abgang des Korbes, ja selbst des Bügels an den Gefäßen ihrer Krummsäbel in so vielen Handgemengen nie nachtheilig erwiesen.» Es hat sich vielmehr die ganz nach orientalischem Muster ausgeführte Einrichtung dieser Waffe in Klinge, Gefäß und Scheide stets als zweckmäßig bewährt.3

 

Die anfangs geführten Armschienen legten die Karabiniere als unpraktisch ab, sowie auch die ursprünglichen mit einer Pistole vereinigten Schwerter bald abgeschafft wurden. Helmbarten und gemeine Spieße wurden im Lager von den Wachen mit der Spitze in die Erde gesteckt, teils weil sie besonders in früheren Zeiten am unteren Ende des Schaftes keinen Eisenschuh hatten, wahrscheinlich auch deswegen, weil man beim Einstecken mit der Klinge aufwärts, durch die Schwere derselben und das Windfangen mit ihrer Fläche das Krummziehen der Schäfte besorgte. Diese Besorgnis war auch der Grund, warum man sie nicht gern auf den Boden legte, wo das Holz leicht Feuchtigkeit angezogen hätte.

 

1658. Das Leopoldinische Verpflegungspatent von 1658 schreibt für jede «Courasier-Kompagnie» einen «Blatner» vor. Da die Brustharnische in der Regel nur wenige Ausbesserungen erforderten und auch Beschädigungen der Helme dem Plattner wenig Arbeit gegeben haben dürften,4 so scheint es, was auch gleichzeitige Schlachtbilder bestätigen, dass die Kürassiere damals noch einige Schutzwaffenstücke mehr getragen haben. Dass in dem Patent außer den zwölf Bagagepferden der Kompagnie auch jedem einzelnen Kürassier noch ein Bagagepferd bewilligt war (eine wahrhaft furchtbare Vermehrung des Trosses), dürfte die obige Vermutung einer besonders schweren Bewaffnung der Kürassiere bestätigen.

 

In einem interessanten Manuskript der Joanneumsbibliothek in Graz: «Stadel’s Ehrenspiegel etc.», kommt in einer Landesverteidigungsordnung bei einer Aufzählung verschiedener Waffen zwischen «Schweinspieß und Helparte» auch die Waffe «Lärta» vor. Welche Stangenwaffe war das ?

 

 

 

(Fortsetzung folgt.)

 

1 D. h. mit Brust- und Rückenstücken.

2 Heute könnten wir von Revolvern oder Magazinpistolen sprechen.

3 Auch wir sind der Ansicht, dass den Körben an den Säbeln ein zu großer Wert beigemessen wird. Die Verwundungen kommen in den zahlreichsten Fällen am Kopfe, Brust und Rücken vor, am wenigsten auf der flüchtig bewegten Hand. Die Orientalen scheinen das wohl erwogen zu haben.

4 Der Verfasser irrt hier trotz seiner praktischen Auffassung der älteren Nachrichten. Die häufigsten Mängel entstanden durch das Reißen der Geschüberiemen, die bei jedem Ersatz neu eingenietet werden mussten; das konnte nur von einem Plattner hergestellt werden. Der Kürassier, dem am Harnische ein Riemen gerissen war, musste als augenblicklich wehrlos angesehen werden.

Quelle: Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde. Band 1, Heft 10.