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Kriminalistische Betrachtungen über das Genuesermesser (Antike Genueser Passacorda Dolch)

Genuesermesser.
Genuesermesser.

Mitgeteilt von Dr. Othmar Br. Potier in Wien.

 

Ich hatte Gelegenheit, dasjenige, was Ch. Buttin in seiner beachtenswerten Studie «Les armes prohiböes en Savoie sous les royales constitutions» über diese ganz eigenartig gestaltete Stoßwaffe sagt, einem gewiegten Kriminalisten vorzulegen. Um eine ermüdende Wiederholung zu vermeiden, verweise ich auf den Literaturbericht im 3. Heft dieser Zeitschrift, in welchem die hervorstechendsten Merkmale des Genuesermessers kurz angeführt wurden, sowie auf die beigegebene, der halben natürlichen Größe entsprechende Skizze desselben. Gleichzeitig glaube ich jedoch einige Worte über meinen Gewährsmann vorausschicken zu sollen, um auch den Schein, abenteuerliche Räuberromantik in ein wissenschaftlichen Zielen gewidmetes Blatt hineintragen zu wollen zu vermeiden. — Der in Graz (Steiermark) ansässige k. k. Landesgerichtsrat Dr. Hanns Gross genießt einen weit über die Grenzen seiner Heimat hinausreichenden Ruf als hervorragender Kriminalist. Von Dr. Gross kann man ruhig behaupten, dass derselbe durch sein grundlegendes, ein umfangreiches allgemeines Wissen, eine seltene praktische Erfahrung auf dem dunklen Gebiet menschlicher Verirrungen verratendes «Handbuch für Untersuchungsrichter» so recht eigentlich der Begründer eines neuen Wissenszweiges, der modernen Kriminalistik, geworden ist.

 

Über seine Ansicht bezüglich des Genuesermessers befragt, äußerte sich Dr. Gross folgendermaßen: «Was ich vom kriminalistischen Standpunkt aus über diese eigentümliche Waffe zu sagen vermag, ist blutwenig. Wenn der Kriminalist bei jemandem einen Gegenstand findet, dessen Besitz sich nicht ganz natürlich erklärt und dem vorgegebenen Zweck nicht vollkommen entspricht, so schüttelt er bedenklich das Haupt und denkt bei sich: «Da heißt es die Augen aufmachen». Ein Schulbeispiel möge dartun, was ich meine. Wenn ein Landstreicher fuchsige Stiefel an den Füssen trägt, obwohl er ein Schächtelchen mit der Aufschrift «Echte Glanzwichse» besitzt, so hält der erfahrene Kriminalist letztere lieber für Stempelfarbe und durchsucht den Verdächtigen nach dem Besitz gefälschter behördlicher Stampiglien. Und im vorliegenden Fall flößt dem Kriminalisten das ganze Aussehen des Messers, die gefällige Ausstattung desselben, die Größe und Stärke der Klinge schwere Bedenken gegen dessen vorgegebenen Zweck ein. Er frägt sich: Was zwang den Arbeiter, dieses Reisegerät so groß, schön und stark zu machen, weshalb gab er demselben eine so eigenartige Form, wenn es bloß eine Riemernadel zur Not ersetzen sollte? Warum belastete sich der Reisende, welcher damals bei der Auswahl seines Gepäckes den Fassungsraum des Mantelsackes, die Tragkraft des Rosses doppelt sorgsam berücksichtigen musste, mit einem doch ziemlich kompendiösen Gerät?

 

Weil es sich auf der Landstraße meistens nicht darum handelte, neue Löcher in zerrissene Riemen zu bohren, da jeder gewissenhafte Mann vor dem Antritt einer Reise sicher die Haltbarkeit seines Pferdegeschirres genau geprüft haben dürfte, sondern darum, in schon vorhandenen Nähten den durchgescheuerten Faden durch einen neuen zu ersetzen, so hätte dem Reisenden eine in der Satteltasche fast gar keinen Raum einnehmende kräftige Riemernadel gewiss bessere Dienste geleistet, als dieses immerhin umfangreiche Messer. Ein weiterer Umstand, welcher den misstrauischen Kriminalisten stutzig machen muss, ist die ungemein saubere Arbeit — soweit sich dies aus einer Abbildung überhaupt entnehmen lässt — des im Besitz Herrn Buttins befindlichen Messers, welche dafür spricht, dass dieses Ding einst einem Herrn der höheren Stände angehört habe. Allerdings wissen wir, dass die goldene Zeit der Renaissance gern die alltäglichsten Gebrauchsgegenstände auf das Lustigste zu verzieren liebte; aber ein Notflickwerkzeug derartig hübsch auszubosseln, das entspricht doch dem Charakter der Zeit nicht. Erwägt man ferner, dass der einstige Eigentümer dieses elegant gearbeiteten Messers wohl ebenso wenig, wie heute der kutschierende Kavalier, einen schadhaft gewordenen Riemen, eine gelockerte Schnalle eigenhändig zurechtbastelte, sondern dieses sicher den in solchen Dingen geübteren Fingern seines Reitknechtes überließ, letzterer also eher als der Herr einen Ersatz für eine Sattlernadel bei sich getragen haben dürfte, so erscheint die Annahme, jemand habe für seinen Stallburschen ein so schönes Messer angeschafft, ganz der täglichen Erfahrung widersprechend.

 

Der Kriminalist legte jedoch auch die Skizze des Genuesermessers sachverständigen Lederarbeitern vor: Und merkwürdig, alle diese Leute sagen übereinstimmend, man könne zwar mit dem vorgewiesenen Gerät zur Not Riemenzeug flicken, eine Riemernadel sei für den angegebenen Zweck jedoch ungleich tauglicher, als dieses Messer, aus welchem ja mit Rücksicht auf die Verbreiterung der Klinge, sowie des Heftes, der Faden nach jedem Stich herausgezogen werden müsse. Würden sie — so fügten die befragten Handwerker bei — vom Gericht um ihr Gutachten angegangen, so müssten sie sagen, es sei mindestens sehr auffällig, dass jemand anstelle eines einfachen und zweckentsprechenderen Flickwerkzeuges ein so ungewöhnlich geformtes «Nähmesser» gebraucht haben wolle.

 

Endlich wird sich der Kriminalist auch fragen: Was mochte den Gesetzgeber bewogen haben, den Besitz dieses Messers mit einer so überaus harten Strafe (anfänglich lebenslange, später fünfjährige Galeere) zu bedrohen? Weil dieser Dolch, einen redlichen Gebrauch desselben vorausgesetzt, an und für sich auch nicht gefährlicher war, als es etwa ein harmloses Brotmesser ist, so muss es doch mit diesem unschuldigen Reisegerät eine ganz besondere Bewandtnis gehabt haben. Das Zusammentreffen aller dieser Umstände lässt das Genuesermesser in den Augen des Kriminalisten als eine höchst verdächtige Waffe erscheinen, welchen Argwohn noch das im ersten Drittel der Klinge befindliche Loch verstärkt. Den Kriminalisten befremdet es, dass dieses Loch, welches angeblich zur Aufnahme eines Fadens bestimmt ist, einen viereckigen Querschnitt besitzt, während das Öhr einer jeden Nadel einen mandelförmigen Querschnitt aufweist; er sagt sich, dass in diesem viereckigen, scharfkantigen Öhr bei einigem kräftigen Ziehen jeder Faden abreißen müsse.

 

Und gerade diese letztere Eigentümlichkeit gibt dem Kriminalisten zu denken; er erinnert sich daran, dass in den höheren Gesellschaftsschichten Italiens und Frankreichs einst die Kenntnis feiner Gifte — es sei nur auf das aqua Toffana, aqua Cantarella, das eau mirable de madame la marquise de Brinvilliers (hingerichtet am 16. Juli 1626), auf die verschiedenen Sukzessionspülverchen aufmerksam gemacht •— eine ziemlich verbreitete war, und er vermag sich des Gedankens nicht zu erwehren, dass dieser viereckige Schlitz dazu bestimmt war, im Bedarfsfall mit einer teigartigen giftigen Masse ausgefüllt zu werden, welcher Umstand allerdings die überaus energische Haltung der Gesetzgebung gegenüber diesem zu tückischen Anfällen besonders geeigneten Werkzeug erklären und rechtfertigen würde.»

 

Soweit Dr. Gross, welcher noch eine allgemeine Bemerkung über das Vergiften von Waffen einfließen ließ. Mit Rücksicht darauf, dass dieses Thema zu heikel ist, um in einer allen zugänglichen Zeitschrift besprochen zu werden, glaube ich jedoch recht zu tun, wenn ich von der Veröffentlichung derselben absehe. Wenn auch die Annahme, dass die an manchen feinen maurischen, oder aus Spanien, Mailand, Brescia stammenden Klingen auftretenden Durchlochungen Träger eines Giftstoffes gewesen wären, von dem Waffenhistoriker im Allgemeinen in das Gebiet der Romantik verwiesen wird, so scheint es mir doch, als habe die Ansicht des Dr. Gross vieles für sich.

 

Ich glaube, man wird zunächst unterscheiden müssen, ob die «Giftzüge» ihrem Umfang, ihrer Zahl nach einem gewisses Maß überschreiten oder nicht. Ist das erstere der Fall, dann sollten sie sicherlich bloß das Gewicht der Klinge vermindern oder Zeugnis von der Kunstfertigkeit, der Schlifftechnik ihres Verfertigers geben; kam jedoch nur eine kleine Durchlochung nahe an der Spitze der Klinge, besonders bei Dolchen vor, so glaube ich, geht man doch zu weit, wenn man von vornherein annimmt, es habe lediglich die Laune des Klingenschmiedes dieses Loch geschlagen. Denn der Umstand, dass vergiftete Waffen heute nicht mehr modern sind, beweist keineswegs, dass sie es nicht einst waren. Ebenso klug wie gegenwärtig gewisse Volksstämme in Afrika, Amerika, Asien sind, waren die Europäer auch. Auch diese suchten ihre einfachen Fernwaffen, welche das aufs Korn genommene Opfer meistens nur verwundeten, möglichst tödlich zu machen. Das Mittel dazu boten ihnen die in Wald und Flur zahlreich wachsenden scharfen Giftpflanzen, welche schon vermöge ihrer prächtig gefärbten und abenteuerlich gestalteten Blüten die Aufmerksamkeit der Urmenschen erregen mussten.

 

Dass in Europa tatsächlich von Alters her vergiftete Waffen im Gebrauch waren, dafür finden sich zahlreiche Belege bei verschiedenen Schriftstellern des Altertums. So heißt es schon bei Homer:1

 

«Denn dorthin war Odysseus in schnellem Schiffe gesegelt,

Menschen tötende Säfte zu holen,

damit er die Spitze seiner gefiederten Pfeile vergiftete ...»

 

Auch Ovid (Metam. IX, 158) spricht von den mit Schlangengift getränkten Pfeilen des Herkules. Nach Aristoteles,2 Strabon,3 Plinius,4 Celsus,5 Aulus Gellius6 waren bei den Galliern vergiftete Jagdpfeile etwas ganz Gewöhnliches. Von den vergifteten Jagd- zu den vergifteten Kriegspfeilen war nur mehr ein kleiner Schritt. Die lex Salica (abgefasst zwischen 453 und 486 n. Chr.) kennt beide Gattungen, ja sie unterscheidet sogar den verbrecherischen Versuch vom vollbrachten Verbrechen. In dem Kapitel über Körperverletzungen7 wird ausdrücklich gesagt: «Wer absichtlich auf einen anderen einen vergifteten Pfeil abschnellt, der soll nach dem Brauch der Dingstätte dieses Unterfangen, auch wenn er sein Ziel verfehlte, mit 2500 Denaren oder 621/2 Schillingen büßen». Und später ordnet8 der Gesetzgeber an: «Wer einen Menschen mit einem vergifteten Pfeil angeschossen hat, dem soll eine Schatzung von 621/2 Schillingen auferlegt werden». Eine weit geringere Busse war nach der lex Baiuvariorums9 für das gleiche Delikt zu entrichten. Bedenkt man nun, dass die Gesetzgebung eines Volkes nur auf solche Lebensverhältnisse Rücksicht nehmen kann, welche sich bereits bei den Stammesgenossen fest eingebürgert hatten, so ersieht man aus diesen angeführten gesetzlichen Bestimmungen, dass damals diesseits und jenseits des Rheines vergiftete Fernwaffen gar nichts Seltenes gewesen sind.

 

Endlich sollen durch das ganze Mittelalter hindurch bis in die letzten Jahrhunderte herab in Südfrankreich,10 den Alpentälern der Schweiz, von Savoyen vergiftete Geschosse im Schwange gewesen sein. Auch das erscheint nicht so unglaublich, wenn man erwägt, dass der am Hergebrachten hängende Sinn der Bergbauern lieber auf den bewährten Bolzen, als auf die teure und doch recht unsichere Büchse vertraute, mit welchem er der Gämse auflauerte, und den er vergiftet haben mochte, um seines Schusses sicher zu sein, weil er natürlich nicht vergeblich den mühsamen und nicht immer ungefährlichen Aufstieg ins Hochgebirge unternommen haben wollte.

 

Dass sogar im Krieg vergiftete Geschosse gebraucht worden zu sein scheinen, das deuten zwei Stellen in dem «Großen vollständigen Universal-Lexikon» von Johann Heinrich Zedier an. Unter dem Schlagwort «Giftkugeln» heißt es dort: «... so hat man dieses auch auf das heutige Geschütz angebracht und die Kugeln, so daraus haben sollen geschossen werden, in gifftigen Liquoribus getränket, darauf sie diejenigen, so von ihnen sind blessiret worden, doch um das Leben bringen mögten. Ja, man pflegt sie jetzo in denen Kriegen nicht mehr zu gebrauchen; wie denn auch bereits die alten Teutschen Büchsen-Meister, nach dem Berichte Franz, Joachim. Brechtelii Artiller. II., 2 bey ihrer Verpflichtung haben schweren müssen, sich derer vergiffteten Kugeln nicht zu bedienen.» Und unter dem Wort «Waffe» findet sich folgende Bemerkung: «Im Jahre 1675 haben die hohen Aliirten in dem Frantzösischen Kriege mit den Frantzosen durch einen ausdrücklichen Vergleich ausgemacht, dass sich niemand unterstehen solte, vergifftete Kugeln zu gebrauchen.»

 

Jedoch nicht nur Pfeile bestrich man unter Umständen mit «todbringenden Säften», auch die Nahwaffen trug man kein Bedenken, zu Mordzwecken zu vergiften. So fielen zwei von der Teufelin Fredegunde gedungene Mordbuben über Sigibert her und stießen denselben mit vergifteten Haumessern nieder, welche man nach dem Zeugnis des Bischofs Gregor von Tours «gemeiniglich Scramasax nannte».11 Der Scramasax war aber nichts anderes, als ein einschneidiges schweres Kurzschwert, dessen Klinge 44—76 cm maß, bei einer Rückenbreite von 6—8 mm. Auch später, beispielsweise am Ende des 13. Jahrhundert, bediente man sich hier und da noch vergifteter Klingen.12

 

Was die Natur jener in Europa angewendeten Pfeilgifte anbelangt, so entnahm man dieselben vorwiegend dem Pflanzenreich, wenn auch mitunter Schlangengift, in Verwesung übergegangenes Blutserum — faules Eiweiß wirkt bekanntlich höchst verderblich auf den Blutkreislauf ein — der Giftbrühe zugesetzt wurde, in welche der Jäger seine Geschosse tauchte. Unter den Kräutern wird besonders die zur Gruppe der Kolchikaceen (Colchicum) gehörige Nieswurz (veratrum album und nigrum) erwähnt, deren Faserwurzel in reichlichem Maß neben dem Helleborin das glykosidische Herzgift Helleborein enthält; wird von ersterem eine Dosis von 0,24 g, von letzterem 0,12 g einem Hund subkutan beigebracht, so tritt unfehlbar nach einiger Zeit dessen Tod ein.

 

Ferner bereitete man Giftextrakte aus den Solaneen Nachtschatten (solanum nigrum), Tollkirsche (atropa belladonna), Stechapfel (datura stramonium), Bilsenkraut (hyoscyamus niger), während der Gebirgsbewohner auf die giftige Eigenschaft des Alpenhahnenfußes (ranunculus thora) vertraute. Die in diesen Gewächsen wirksamen scharfen Giftsäfte rufen im Allgemeinen Benommensein des Sensoriums, Herzschwäche, maniakische Delirien und Starrkrampf der Muskeln hervor.13

 

Hasserfüllte Tücke schreckte also tatsächlich einst nicht davor zurück, die blanke Klinge mit einem Giftstoff zu besudeln. Wenn sich das Vorkommen vergifteter Waffen nur aus Literaturberichten nachweisen lässt, wenn sich jene nirgends in Sammlungen vorfinden, so erklärt sich das daraus, dass derartige Waffen meist recht unlauteren Zwecken dienten. Das Arsenal des Bravo aber war keineswegs von solcher Art, um die Aufmerksamkeit des Kunsthistorikers zu erregen. Fiel endlich der gewerbsmäßige Meuchler der Vergeltung anheim, so verschwand mit dem Ehrlosen dessen Handwerkszeug in den Depositenämtern der Gerichte, wo es vielleicht nach vielen Jahren gelegentlich einer Generalreinigung des Amtsgebäudes einfach als wertloses Zeug weggeworfen worden sein mochte. War auch der künstlerische Wert einer derartigen Waffe gleich Null, so konnte sie doch vom kulturellen und psychologischen Standpunkt aus die höchste Beachtung verdienen.

 

Man studiere z. B. nur einmal die bei den ländlichen Gerichten unbeachtet herumliegenden, den rauflustigen Burschen des Gaues abgenommenen Tanzbodenwaffen und man wird staunen, welcher erfinderische Scharfsinn, welche hinterlistige Niedertracht sich in diesen meist selbstgefertigten Handwehren, all diesen Schlagringen, Reibeisen, haarscharfen, in der Faust leicht zu verbergenden Messerchen u. dergl. verkörpert. An diesem kunstlos gearbeiteten und doch so raffiniert ausgedachten Kleinkram bäuerlicher Waffenhausindustrie geht der Waffenhistoriker vorüber, obwohl ihm vielleicht gerade diese einfachen und trotzdem so gefährlichen Sächelchen manche wertvolle Anregung, manchen schätzenswerten Fingerzeig darzubieten vermöchten. Endlich sei auch darauf hingewiesen, dass ein jeder, welcher seine Dolchklinge einmal vergiftet haben mochte, dieselbe nach dem Gebrauch gewiss sorgsam reinigte, wie auch das Putzen und Abschleifen des Stahles mit Ursache sein wird, dass man noch in keiner einzigen Waffensammlung Giftspuren an einer Klinge auffinden konnte.

 

Auch Buttin meint, durch das Äußere des Genuesermessers habe sich schwerlich jemand, am wenigsten jedoch ein Polizeiorgan, über dessen eigentlichen Zweck täuschen lassen, und fügt bei, diese Waffe sei umso gefährlicher gewesen, als die feine, schmale und starke Klinge selbst durch die engen Maschen eines Panzerhemdes drang. Sollte dieser Ausspruch Buttins nicht gerade geeignet sein, des Dr. Gross Annahme bis zu einem gewissen Grad zu stützen? Wer belastete denn seinen Körper mit einem wenn auch noch so feinen Panzerhemd? Doch nur solche Personen, welche durch ihre Geburt, durch ihr Amt, ihren Reichtum auf der Höhe der Menschheit standen und Anschläge gegen ihr Leben zu fürchten hatten.

 

Derjenige nun, in dessen Interesse es lag, einen solch vornehmen Herrn aus dem Wege zu räumen, wird sich nicht bloß nach einer sicher treffenden Hand umgesehen, sondern auch darnach getrachtet haben, diese Faust mit einer unter allen Umständen tödlich wirkenden Waffe zu bewehren: Und welches Mittel mochte dem Anstifter des Meuchelmordes dazu tauglicher erscheinen, als eine feine, an der Klinge leicht und sicher anzubringende Giftpasta? Da brauchte der ehrlose Geselle nicht einmal zu kräftig zuzustoßen, da ein ins Blut eingedrungenes Atom dieser heillosen Salbe dessen Zersetzung hervorrief und den kräftigsten Mann fällte. Freilich verdankte es mitunter eine Waffe der Laune ihres Konstrukteurs, wenn sie den oberflächlichen Beobachter über ihre wahre Natur täuschte, indem sie in demselben den Eindruck eines Werkzeuges hervorrief.

 

Es sei diesbezüglich an die Belluneser fussetti der venezianischen Marinebombardiere erinnert. Diese Gattung Dolche hatte auf der Klinge eine nummerierte Gradeinteilung eingeschlagen, welche ein Kalibermaß fingierte. Durch diese Beigabe sollte die Waffe zu einem artilleristischen Hilfswerkzeug gestempelt werden. So wurde es den Bombardieren möglich, in Venedig, trotz des allgemeinen Verbotes des Waffentragens, mit einer Seitenwaffe zu paradieren. Die besondere Stellung, deren sich die Jünger der heiligen Barbara im Heerwesen der älteren Zeit erfreuten, brachte es mit sich, dass sich damals der Konstabler manches herausnehmen durfte, was dem gemeinen Kriegsknecht nicht durchgegangen wäre. Und so trug wohl auch der Hohe Rat der Meinung der abergläubischen Menge, in deren Augen der Artillerist ein halber Schwarzkünstler war, welcher stets «mehr als Brotessen» können musste, Rechnung und gab sich den Anschein, als glaube er wirklich an die Unverfänglichkeit dieser Art von Kalibermaßen. Dass jedoch das Genuesermesser nicht unter diese Gruppe von werkzeugartigen Waffen gehört, dass es kein harmloses Nähmesser eines friedfertigen Reisenden, sondern vielmehr in geübter Hand eine furchtbare Stoßwaffe war, dafür sprechen nicht nur die savoyischen Strafmandate, es zeugt dafür auch der am unteren Ende der Klinge, dort, wo dieselbe in die Angel übergeht, angebrachte Ausschliff, welchen es mit den meisten italienischen Dolchen, die einer Parierstange entbehren, gemeinsam hat. Dieser Ausschliff diente nämlich dem Daumen zum Stützpunkt, um mit größerer Kraft einem von unten nach aufwärts ziehenden Stoß führen zu können.

 

Mit dem Wunsch, dass diese hier niedergelegten bloßen Vermutungen mit dazu beitragen mögen, die richtige Erkenntnis von dem wahren Charakter einer geheimnisvollen Waffe anzubahnen, sei diese Skizze der nachsichtigen Würdigung aller Freunde der historischen Waffenkunde empfohlen.

 

1 Homer, Odyss. I, 260—262.

2 Aristoteles: Die Kelten sollen ein Gift besessen haben, das sie selbst Pfeilgift nannten.

3 Strabon. rer. geograph. XVII. ed. Falconer Oxonii 1807. IV. p. 278: So gibt er — es ist von einem Baum die Rede — einen Saft, welcher an der Spitze der Geschosse tödtlich wirkt.

4 Plinius, XXV, 5 : «Galli sagittas in venatu elleboro tingunt...» Die Gallier tauchen für die Jagd die Pfeile in den Saft der Nieswurz. XXVII, II: «Limeum herba appellatur a Gallis, qua sagittas in venatu tingunt medicamento, quod venenum cervarium vocant.» Limeum wird von den Galliern eine Pflanze genannt, womit sie ihre Jagdpfeile vergiften; sie heißen dieses Gift daher Hirschgift.

5 Celsus. De medicina VIII, Lips. 1766, V, 27: «Venenum serpentis ut quaedam etiam venatoria venena quibus Galli praecipue utuntur ...» Schlangengift, sowie manche Jagdgifte, die hauptsächlich die Gallier gebrauchen.

6 Aul. Gell. Noctes atticae Romae 1472, XVII, 15: «Praeterea scriptum legimus Gallos in venatibus tingere elleboro sagittas...» Wir lesen, dass die Gallier zur Jagd die Pfeile mit Nieswurzsaft bestreichen.

7 lex Salica. Joh. Merkel, Berlin 1850, S. 11, XVII, de vulneribus. 2. «Si quis alterum de sagitta toxicata percutere voluerit et praeter sculpaverit et ei fuerit adprobatum, malb. seolandefa sunt 2500 dinarios qui faciunt solidos 62,5 culpabilis judicetur.»

8 eod. Remissoria IV, p. 96: «Si quis sagitta toxicata hominem sagittaverit et evaserit, soledis 62 et dimidio culpabilis judicetur.» Siehe auch LXXX. De furtis de venationibus vel piscatoribus. 5. «Si quis pedicam cum feramen aut sagitatum de toxitum invenerit . . . .»

9 Lex Baiuv.: «Si quis cum toxicata sagitta alicui sanguinem fuderit, cum duodecim solidis componat.» Wer eines anderen Blut mit einem vergifteten Pfeile vergossen hat, der büße das mit 12 Schillingen.

10 A. de Ruffi in der Plistoire de la ville de Marseille, 1696, Tom. II, livre 13, S. 283.

11 S. Gregorii Episc. Tur. hist. Franc., Par. 1699 ed. Ruinart. lib. V p. 194: «Tune duo pueri cum cultris validis, quos vulgo scramasaxos vocant, infectis veneno, maleficati a Fredegunde regina, cum aliam causam se gerere simularent, utraque ei latera feriunt.»

12 Petrus de Albano, de venenis, cap. 4: «si vero gladius fuerit venenatus.»

13 Bandlin, Die Gifte und ihre Gegengifte, Basel 1869. •— Böhm, Die Gifte (in Ziemssens Handbuch der Pathologie), Leipzig 1879. — L. Lewin, Die Pfeilgifte, Berlin 1894. — Derselbe, Lehrbuch der Toxikologie, Wien 1897. — E. v. Hofmann, Lehrbuch der gerichtlichen Medicin, 1898.

Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 9. Dresden, 1897-1899.