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Rüstzeug aus dem Grab eines vornehmen Ostgoten

Grabbeigaben eines wohlhabenden Ostgoten.
Grabbeigaben eines wohlhabenden Ostgoten.

Aus dem Ostgotenfriedhof in Taganrog auf der Halbinsel Krim stammt ein dem 3. oder 4. nachchristlichen Jahrhundert angehörender Grabfund, der durch seine Vollständigkeit besonderes Interesse erweckt. Nach der Kostbarkeit des verwendeten Materials zu schließen, handelt es sich um das Grab eines Fürsten, der mit seinem vollständigen Rüstzeug beigesetzt wurde. Der Fund besteht aus einem eisernen Helm, einem eisernen Kurzschwert, einem Messer und zwei Dolchen, einem Holzschild (von dem nur die Schildnägel erhalten sind), Bruchstücken von drei silbernen Phalerae und — merkwürdigerweise — zwei Pfeilspitzen. Der Helm zeigt vollkommene Übereinstimmung mit jenem Typus, den Professor Dr. Alfred Götze, Berlin, in der Zeitschrift „Mannus“1 beschreibt; die eine der innen angebrachten Spangen ist auf unserer Abbildung am rechten unteren Rand des Helmes deutlich sichtbar. Götze hat a. a. O. die Beziehungen dieses Helmtypus zum merowingischen Spangenhelm in so vorzüglicher Weise dargelegt, dass ich am besten seine eigenen Worte zitiere:

 

„Über die Herkunft der sechs- beziehungsweise vierteiligen Spangenhelme der Merowingerzeit ist trotz mehrfachen Erörterungen noch nichts einigermaßen Sicheres ermittelt worden. Namentlich ist es bisher noch fraglich geblieben, wie sich der Typus entwickelt hat und auf welche Vorläufer er zurückgeht; allgemeine Vergleiche mit orientalischen Helmen führen nicht zum Ziel. Wenn es nach dem Entwicklungsgang, den die germanische Kunst der Völkerwanderungszeit im Allgemeinen genommen hat, von vornherein wahrscheinlich ist, dass man die Vorläufer der Spangenhelme im ostgotischen Kulturkreis Südrusslands (Ukraine) zu suchen hat, fehlte es doch bisher an einschlägigem Fundmaterial.

 

Diesem Mangel ist nun durch einige neuerdings bekannt gewordene Helme ostgotischer Herkunft abgeholfen worden, in denen ich die Vorläufer der Spangenhelme sehen möchte. Sie bestehen aus vier dreieckigen Eisenplatten, die an den Rändern zusammengenietet sind. Zu beiden Seiten befindet sich je ein Loch zur Befestigung des Kinnriemens (oder der Wangenklappen?). Spuren im Eisenrost, in einem Fall sogar Überreste eines gepressten Silberbandes lassen erkennen, dass den unteren Rand ein umgelegter Ornamentstreifen zierte.

 

Wenn auch die Unterschiede zwischen diesen Helmen und den Spangenhelmen nicht übersehen werden dürfen, sind sie, was das Wesentliche der Konstruktion anlangt, jedoch derart, dass die ostgotischen Helme die vernünftige konstruktive Vorstufe für die eigentlich widersinnige Konstruktion der Spangenhelme bilden. Man kann sich den Entwicklungsgang wohl so vorstellen, dass die Nietränder zunächst durch Ornamentbänder verdeckt wurden, dass letztere immer festere Struktur und konstruktive Bedeutung erlangten, wodurch schließlich die Nietung der Eisenplatten aneinander überflüssig wurde und so letztere in ihrer Form degenerierten.

 

Ob der ostgotische Helmtypus das originale Ergebnis aus Zweck und Technik ist, was wegen der einfachen Form und Technik nicht unmöglich erscheint, oder ob schon bestehende Helmtypen mitgewirkt haben, lässt sich noch nicht mit Sicherheit nachweisen. In letzterem Fall kommt der bosporanische Kulturkreis in Betracht, wo ähnliches vorliegt. Namentlich handelt es sich um Wandmalereien und Reliefs, auf denen ganz ähnlich geformte Helme dargestellt sind. Bei den engen Beziehungen zwischen der bosporanischen und gotischen Kultur würde es wenigstens durchaus nicht auffallen, wenn außer manchem anderen Kulturgut auch der Helmtypus von den Goten übernommen worden wäre.“

 

Ist somit die Herkunft des merowingischen Spangenhelms in dem vorliegenden gotischen Typus zu suchen, so erscheint dadurch zugleich die Entwicklungsreihe des germanischen Helms, die Bashford Dean in den Publikationen des Metropolitan-Museums in New York in geistreicher Weise bis auf die Merowingerzeit zurückgeführt hatte, nunmehr in das 3. oder 4. Jahrhundert n. Chr. hinaufgerückt.

 

Das Kurzschwert hat eine Länge von 51 cm. Ob es einschneidig oder zweischneidig war, lässt sich nicht mehr konstatieren, da es mit der eisernen Scheide verbacken ist. Der Knauf besteht aus einem vielkantig geschliffenen Bergkristall. Vom Griff sind Holzspuren noch vorhanden, von der kleinen Parierstange die linke, nach oben eingerollte Seite. Ein im Grab gefundener Almadin in Goldfassung dürfte wohl als Verzierung des Scheidenbeschlages anzusprechen sein; diese Art der Verzierung findet sich auch bei Schwertern des Baron Diergart in der Leihausstellung des Kaiser-Friedrich-Museums in Berlin.

 

Das Messer und die Dolche haben eine Länge von ungefähr 23 cm, Eisenklingen in Beingriffen. Vom Schild sind nur 16 vergoldete flachgewölbte Bronzenägel (Durchmesser der Nagelköpfe zirka 1,5 cm) vorhanden. Zwei der Nägel sind noch in einem Stückchen des Schildbrettes eingekeilt, welches ebenfalls vergoldet war. Auffallend ist das Fehlen des Schildbuckels. Von besonderer Bedeutung sind die Bruchstücke der drei Phalerae. Sie bestehen aus Silber, sind vergoldet und haben auf Nieten Spuren von Belederung.

 

Ob es sich um Phalerae von einem Pferdezeug oder um einen Brustschmuck handelt, ist nicht feststellbar. Die größere der beiden Phalerae hat einen Durchmesser von 17 cm und zeigt einen bärtigen Mann, der am Haupt eine Mütze trägt, stehend, mit erhobener Rechten, hinter einem Löwen. Der Rand trägt ein Wellkamm-Muster. Die kleinere Phalera mit einem Durchmesser von 11 cm ist nur mit einer siebenteiligen Rosette verziert. (Das kleine Randstückchen, das auf der Abbildung links danebengestellt ist, gehörte zu einer dritten Scheibe.) Die drei Phalerae sind — mit mehreren ähnlichen Stücken — von Spitzyn im „Bulletin de la Commission imperiale archeologique“, Heft 29, Petersburg 1909, S. 27, Abbildungen S. 42, Fig. 53 und 54, publiziert und als sarmatisch, 2. Jahrhundert v. Chr., bestimmt, welche Lokalisierung und Datierung auch mit der Meinung des Herrn Direktor Zahn vom Antiquarium in Berlin übereinstimmt. Da die Waffen aber an der Hand zahlreicher Vergleichsstücke der Baron Diergartschen Sammlung mit Sicherheit als ostgotische Arbeiten des 4. nachchristlichen Jahrhunderts bezeichnet werden können, haben wir es also wohl mit Beutestücken zu tun, die im Schatz raublustiger Fürsten jahrhundertelang aufbewahrt und, mit ihm wandernd, endlich ihrem letzten Besitzer ins Grab mitgegeben wurden.

 

Überraschend ist das Vorkommen von Pfeilspitzen in einem gotischen Grabe. Die eine, sehr zart, 4 cm lang, dreischneidig, Bronze, vergoldet, mit Giftloch und Tülle, möchte man aufgrund der Vergoldung für einen Bestandteil der Ausrüstung des Begrabenen halten, wenn nicht Bogen und Pfeile2, vor allem vergiftete Pfeile, durchaus ungermanische Kriegswaffen wären; es kann sich also nur um beigegebenes Jagdgerät handeln. Die zweite Pfeilspitze, dreikantig, aus Eisen sehr roh gearbeitet, ohne Tülle zum Einstecken in den Schaft, dürfte wohl keine Grabbeigabe gewesen sein; vielleicht ist sie, im Leib des Toten stockend — möglicherweise die Ursache seines Todes —, mitbegraben worden.

 

In seiner seltenen Vollständigkeit und Reichheit (Almadin, Kristallknauf, silberne Phalerae, vergoldeter Schild, vergoldete Pfeilspitze) vermittelt dieser außerordentliche Grabfund ein anschauliches Bild von der Bewaffnung eines Ostgotenfürsten.

 

1 „Mannus, Zeitschrift für Vorgeschichte“ 1909, Heft 1/2, S. 121 f.: Prof. Dr. Alfred Götze, „Ostgotische Helme und symbolische Zeichen.“ (Vortrag inder Sitzung der „Berliner Zweiggesellschaft für Vorgeschichte“ vom 22. April 1909.)

2 Vergoldete Pfeilspitzen haben sich — nach Mitteilung vieler Fachgelehrter — anderwärts bisher nicht nachweisen lassen.

Quelle: Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde. Zürich, Leipzig, Wien: Amalthea, Bd. 3. 1923.