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Zwei Venezianische Gondelturnier-Tartschen vom Jahr 1607

Zwei Venezianische Gondelturnier-Tartschen.
Zwei Venezianische Gondelturnier-Tartschen.

Im Nachlass des bekannten Renaissance-Sammlers Eugen Miller von Aichholz (Wien) fanden sich zwei Schilde vor, die im Katalog als Turniertartschen (Festzugstartschen, deutsch, 17. Jahrhundert) bezeichnet waren. Die Schilde haben eine Länge von 1 m, sind keilförmig, an der breitesten Stelle 23 cm breit, bis auf 6 cm Breite sich verjüngend. Die Holzstärke beträgt 4 cm. Sie sind gefertigt aus einem leichten weichen Holz, vermutlich Pappel. Beide sind in Leimfarben polychromiert: der eine ist auf weißem Grund mit einer schwarzen Renaissanceranke bemalt, der Rand schwarz-weiß gezackt, der andere mit Rhomben in Schwarz, Rot und Weiß verziert. Dieser letztere trägt auf der Rückseite eingebrannt die Buchstaben V. M. unter fünfzackiger Krone, darunter ein großes altertümliches N. und in der dritten Zeile die Jahreszahl 1607.

 

Die Schilde hatten auf der Rückseite ursprünglich je zwei Handhaben aus Holz und gegen das spitze Ende zu eine schief gestellte Holzscheibe, welche Teile mit starken Nägeln am Schildbrett befestigt sind (an einem Schild ist die Handhabe, am anderen Schild das schiefe Brett nicht mehr erhalten, doch sind die Spuren der ehemaligen Befestigung noch vorhanden). Durch die schiefen Bretter, die einen Schutz der haltenden Hand darstellen, und die aufrechte Inschrift am spitzen Ende ist zur Genüge dargetan, dass dieselben nicht zu rein dekorativen Zwecken (also nicht als Festzugstartschen) verwendet werden konnten, sondern einem ernsteren Zweck dienen mussten.

 

Nach der liebenswürdigen Mitteilung des bekannten Waffenfachmannes Herrn Scheurer aus Wien befanden sich in der Sammlung des Herrn Miller von Aichholz Kupferstiche aus Venedig vom Ende des 16. Jahrhunderts, auf denen Gondelgesteche am Canal Grande vor dem Dogenpalast wiedergegeben waren. Je zwei Nobili fahren auf der von ihren Gondolieren geruderten Gondel einander entgegen, bewehrt mit Lanzen und Schilden, die den oben besprochenen vollkommen gleichen. Leider war es bis jetzt nicht möglich, einen solchen Stich aufzufinden. Für die italienische Herkunft spricht auch die Verwendung von Pappelholz, die Krone über dem Monogramm weist aber mit Sicherheit darauf hin, dass es sich nicht um Festzugstartschen, sondern um ein adeliges Turnierrequisit handeln muss.

 

Die Verwendung dieser Tartschen ist nicht identisch mit der der Tartschen im Pferdegestech. In diesem dient die Tartsche zum Auffangen des Stoßes des Rennspeers, während unsere Tartschen aufgrund ihrer Form und der Art ihrer Handhaltung, den Fechtschilden des 16. Jahrhunderts gemäß, dazu dienen, den Speerstoß abgleiten zu lassen. Die Schilde sind durch ihre Datierung als Dokument wichtig. Vielleicht gelingt es noch, aus einer Chronik Venedigs Daten über ein Gestech aus dem Jahre 1607 aufzufinden1.

 

1 Eine Anfrage bei der Direktion des Civico Museo Correr in Venedig ergab leider keinen sicheren Anhaltspunkt, weder für die venezianische Herkunft der Stücke noch für ihre ursprüngliche Verwendung; dennoch glaubt der Verfasser, die auf die Angabe des Herrn Scheurer sich stützende Beziehung auf Venedig als annehmbare Hypothese den Fachgenossen vorlegen zu dürfen (Anmerkung des Autors).

Quelle: Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde. Zürich, Leipzig, Wien: Amalthea, Bd. 4. 1922.