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Der Übergang vom Scramasax zum Dolch des 14. Jahrhunderts

Die klassische Welt hatte ihre zweischneidigen Dolche. Wir finden solche auch im Norden, sowohl aus Feuerstein gehauen, als auch Bronze gegossen, in der vorgeschichtlichen Zeit. Die germanischen Krieger führten dagegen einschneidige Messer von sehr verschiedener Größe. Die auf S. 64 dargestellten Scramasaxe und Messer haben von 13 bis 68 cm Länge und ein Gewicht von 15-900 g., das sich ehemals bei vollständiger Ausstattung wohl auf ein Kilogramm gesteigert haben mochte. Sie gehören der Zeit vom 4. bis 9. Jahrhundert an. Sie fanden im Nahkampf zu Fuß Verwendung zum Werfen, Hauen und Stechen.

 

Im 18. und 14. Jahrhundert finden wir wieder die zweischneidigen Dolche. Es kann aber auch kaum einem Zweifel unterliegen, dass man vom 10.-13. Jahrhundert zum Kampf in der Nähe messer- oder dolchartige Waffen führte. M. Heyne gibt im Grimmschen Wörterbuch unter Messer folgende Stellen an:

"sie zucten mezzer unde swert

und drungen vaste dar wert."

v. d. Hagen; Ges.-Abent. 2, 257, 63.

 

"und wolt im mit dem mezzer sin

han gestochen durch den lip."

Konrad von Würzburg, trojan. Krieg 4258.

Unseres Wissens sind jedoch keine solchen erhalten, die mit Sicherheit jener Zeit zugewiesen werden könnten. Es fehlen auch Darstellungen auf Bildern oder Skulpturen; und doch müsste es ganz unwahrscheinlich scheinen, auch wenn keine Schriftquelle des Messers Erwähnung täte, dass man im 12. Jahrhundert an die Vorzeit angeknüpft hätte. Wir müssen vielmehr annehmen, dass Zwischenglieder bestanden, dass höchstens, wie bei mancher andern Waffe, durch Einwirkung der mohammedanischen Bewaffnung während der Kreuzzüge, also im 12., spätestens im 12. Jahrhundert, eine Änderung eintrat. Ob aber selbst diese Annahme nötig ist? Wir müssen einmal die bis jetzt unklassifizierbaren älteren Stücke der Waffensammlungen betrachten, um zu sehen, ob nicht unter diesen sich Waffen finden, die mit einiger Wahrscheinlichkeit hierher gerechnet werden können und ob nicht mindestens eine Hypothese aufzustellen ist, deren nähere Prüfung und Studium uns alsdann auf den Weg richtiger Erkenntnis führt.

Wir haben im Anz. für Kunde der deutschen Vorz. 1881, Sp. 182, Fig. 14, Sp. 262, Fig. 7 und Sp. 291, Fig. 2 drei Waffen abgebildet, die zusammen in der Nähe Nürnbergs gefunden worden sind, und deren Abbildung wir hier wiederholen (Fig. 1- 3), für die uns der Steigbügel, dessen Form offenbar Nachklänge der karolingischen Steigbügelform erkennen lässt, einigen Anhalt zur Zeitbestimmung zu bieten schien. Auch die Speerspitze zeigt zwar Anklänge an die verschiedenen Formen der germanischen Framea auf S. 61 und 62 dieses Bandes, ebenso freilich auch die Figuren 1, 3 und 4 auf Sp. 291 des Anzeigers von 1882, sodass wir nur wissen, dass bezüglich der Speereisen vom 4. bis 14. Jahrhundert aus der Form kaum eine Berechtigung gewonnen werden kann, sie einer bestimmten Zeit zuzuweisen, sondern nur die Fundumstände maßgebend sein können.

 

Wir können also den Speer nicht als Beweisstück beiziehen. Wir haben aus dem Steigbügel die Zeit des 10.-11. Jahrhunderts für die drei Waffenstücke in Anspruch genommen, damit aber zunächst nichts anderes beabsichtigt, als zu sagen, dass sie der Zeit der altgermanischen Kultur, insbesondere auch der Karolingerzeit, nicht mehr angehören, sondern jünger sind, aber bald folgen. Dass sie ihr nicht mehr angehören, zeigt die lediglich auf das Stechen eingerichtete Form des Messers, welches sich aber ebenfalls als ein unzweifelhaft aus dem Scramasaxe entwickeltes Stück zu erkennen gibt und schon unter allen Umständen älter als das 18. Jahrhundert sein muss. Etwas weniger schlank ist ein sonst ähnliches Stück, unbekannter Herkunft, das der Rosenbergschen Sammlung angehöriger, von deren Besitzer also offenbar als Produkt der germanischen Zeit angesehen wurde, über dessen Herkunft jedoch sich keine Aufzeichnungen vorgefunden haben (Fig. 4). Der Rücken ist an der Wurzel 6 mm stark und verjüngt sich nur wenig gegen die Spitze, die Schneide auf dreiviertel ihrer Länge sehr scharf, vorn aber abgerundet, sodass das Messer in eine runde Spitze ausgeht. Abermals etwas weniger schlank ist das Messer Fig. 5, das in unsere Sammlung mittelalterlicher Waffen eingereiht ist, ohne dass sich die Herkunft feststellen ließe. Am Ende der eisernen Griffseele befindet, sich ein horizontales Plättchen von kreisrunder Form in der ursprünglichen Vernietung mit der Griffseele.

 

Eine metallene Parierstange kann also, trotz des scharfen Absatzes der Klinge von der Griffseele, das Messer nicht gehabt haben. Sie würde wohl kaum haben entfernt werden können. Bei der guten Erhaltung der Klinge scheint es auch kaum denkbar, dass sie etwa total zerrottet wäre. Das rund Kopfplättchen lässt darauf schließen, dass der Griff rund war, wohl aus Hirschhorn oder Holz, aus zwei Schalen zusammengesetzt, die durch dünne metallene Ringe festgehalten wurden. Wir glauben darin ein Dolchmesser zu haben, da etwa dem 11.-12. Jahrhundert1 entstammt. In Fig. 6 bilden wir noch ein Messer ab, das, ebenfalls einschneidig, auf der Klinge in tief eingehauenen Majuskeln eine Inschrift trägt. Die Griffseele ist hier platt, gleich der Breite der Klinge, und hat mehrere Löcher, durch welche Nieten durchgeschoben waren, welche die zwei Schalen festhielten, aus denen der Messergriff bestand, der gleichfalls rund, und zwar der Länge nach, nach demselben Profil geschweift zu denken ist, das die Seele hat. Die Majuskeln der Inschrift sind zwar ziemlich roh, sie dürften jedoch nicht älter sein als das 12. Jahrhundert. Die Inschrift folgt hier in genauer Abbildung.

 

1Wir dürfen jedoch nicht verschweigen, dass im römisch-germanischen Zentralmuseum zu Mainz ein ganz ähnliches Stück, nur mit elliptischer Form des Kopfplättchens, sich unter den römischen Sachen befindet.

Einige Züge freilich sind nicht sicherzustellen; wir haben sie hier nur angedeutet. Dr. Frommann glaubt, dass in erster Linie an althochdeutsche Worte zu denken ist und deshalb das Stück nicht jünger als das 12. Jahrhundert ein könne: ant slah = schlag dagegen ! hau zu ! von ahd. antslahan) gegen oder auf etwas zu schlagen ; ana slah = schlag an, auf, drauf ! von ahd. Anaslahan -= an oder auf etwas schlagen, hauen etc. Sollte das vermeintliche L etwa ein Z sein, so wäre an ein slawisches (böhmisches?) Wort zu denken, in welchem Fall wohl eine jüngere Zeit angenommen werden dürfte.

 

Eine Parierstange kann das Messer auch nicht gehabt haben, da seine Form, weil kein Absatz da ist, eine Befestigung nicht zuließe. Das Messer ist, wie bereits gesagt, noch einschneidig, im übrigen aber nicht bloß handlicher als das in Fig. 5 dargestellte, sondern auch in der Form bereits jenen ganz nahe, die, in Fig. 7-9 abgebildet, dem 14. Jahrhundert angehören, deren „Parierstangen“, wenn dies Wort hier überhaupt erlaubt ist, nur den Zweck haben, auf dem Scheidenbeschlag aufzusitzen, sodass die Spitze des Dolches die Scheide nicht durchbohren kann. Wenn man einmal bei dem Messer Fig. 6 angekommen war, musste es nahe liegen, dasselbe auch auf der Rückenseite zu schleifen, und der Dolch des 14. Jahrhundert war fertig.

 

Prof. A. Schultz teilt uns eine hochinteressante Stelle mit, die er sich für die zweite Ausgabe des höfischen Lebens notiert hat und die uns über die Zeit, in welcher diese Umwandlung vor sich gegangen ist, nähere Auskunft gibt. Ricobaldus, hist. Imp., an. 1265 (nach der Schlacht bei Benevent): Italici exinde Franeorum uti coeperunt pugionibus hoc tempore et enses obsoleti sunt1.

 

Pugio kann doch wohl nur als der zweischneidige Dolch angesehen werden, als welchen die Römer ihn kannten, ensis als der einschneidige Degen; denn das eigentliche Schwert ist damals nicht obsolet geworden, weder in Italien noch sonstwo.

Es beträgt die Gesamtlänge der

 

Fig. 1. 38 cm, das Gewicht 120 g.

Fig. 4. 39,5 cm, das Gewicht 180 g.

Fig. 5. 31,4 cm, das Gewicht 146 g.

Fig. 6. 33,5 cm, das Gewicht 174 g.

Fig. 7. 30 cm, das Gewicht 160 g.

Fig. 8. 29,5 cm, das Gewicht 300 g.

Fig. 9. 31,3 cm, das Gewicht 165 g.

 

1Eccardi, corpus historicum medii aevi, t. I, 1178.

Quelle: Mitteilungen aus dem Germanischen Nationalmuseum. Bd. 1 (1884-1886).