Von Dr. Max Jähns.
Unter den Werkzeugen oder Waffen der Urzeit ist kein Gegenstand so weit verbreitet, kommt so häufig und in so verschiedenen Abmessungen vor als das keilartige Gerät, welches die Archäologen mit einem mittellateinischen Wort: celtis, d. h. Meißel nennen.1 Aus Stein, aus Kupfer, aus Erz, aus Eisen sogar noch, findet es sich fast über die ganze Welt verbreitet. Als seine Urform kann der vom Wasser angegriffene Rollstein gelten, dessen in langem Umhertreiben hervorgebrachte Schneide durch Zuschleifen verschärft und formgerecht gemacht ward, bis er ungefähr die Gestalt eines Schneidezahns hatte, als dessen Organprojektion der Celt erscheint.
In diesem rhomboidalen Werkzeug hat man die Urklinge zu sehen. Seine Schäftung erfolgte entweder an einem geraden oder an einem gekrümmten Griff. Ersteren Falls ergab sich, wenn man ein ganz kurzes Holz- oder Hornstück wählte, ein Handmeißel; versah man den Celt dagegen mit einer langen, geraden Handhabe, so schuf man ein spatenartiges Werkzeug oder einen Speer, der jedoch statt der Spitze, welche in Stein doch niemals recht tüchtig und dauerhaft hergestellt werden konnte, eine mit einer Schneide abschließende Klinge trug.
Klemmte man den Steinmeißel in eine gebogene Handhabe (Knieholz, Astwinkel, Gabelgeweih), so ergab sich die Grundform des Beiles. Auf diese Weise wurde der Celt Ausgangspunkt jener reichen Entwicklungsreihe von Werkzeugen, die sich in der Folge als Meißel, Stemmeisen, Grabscheit, Pflugschar, Gabel, Harke, Spaten, Schaufel, Brechstange und Breitspieß oder andererseits als Beil und Axt auseinanderbreitete. Offenbar hat der Celtis einstmals den Zwecken all dieser späteren Werkzeuge gedient, wie ja Völker von geringer Kultur ein und dasselbe Werkzeug für die verschiedensten Aufgaben mit großer Geschicklichkeit zu benutzen wissen; unzweifelhaft war er auch die Urklinge sowohl der Streitaxt als des Breitspießes; in beiden Formen findet er sich in Gräbern als Gegenstück zum Schwert, und seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts hat man in jenem schneidenden Breitspieß, der im Norden auch «Palstab» genannt wird, diejenige Waffe zu erkennen gemeint, welche Tacitus in seiner «Germania» wiederholt und mit besonderem Nachdruck als die wichtigste Wehr unserer Vorfahren bezeichnet: die Framea. So alt die Behauptung, so alt der Streit um ihre Richtigkeit, und da der Gegenstand dieser Erörterung für uns Deutsche wirklich etwas Ehrwürdiges hat, so sei es gestattet, auch an dieser Stelle einmal das Für und das Wider auseinander zu setzen.
Tacitus sagt in der Germania» (Kap. 6) von den Germanen: «Rari gladiis aut maioribus lanceis utuntur; hastas, vel ipsorum vocabula frameas gerunt angusto et brevi ferro, sed ita acri et at usum habili, ut eodem telo, prout ratio poscit, vel cominus vel eminus pugnent, et eques quidem scuto frameaque contentus est.» D. h.: «Selten benutzen sie Schwerter oder größere Spieße; sie führen Speere, welche sie selbst «Framen» nennen, mit schmalem und kurzem aber so scharfen und zum Gebrauch geschickten Eisen,2 dass sie mit derselben Waffe je nach Umständen Mann gegen Mann oder aus der Ferne kämpfen. Der Reiter begnügt sich mit Schild und Frame.» An anderen Stellen bezeichnet Tacitus die Frame als mörderisch und siegreich und berichtet, dass sie den Mann zur Volksversammlung wie zum Gastmahl begleite, dass durch ihre Verleihung der Jüngling wehrhaft gemacht würde, dass der Gefolgschaftsführer mit ihr seine Kampfgenossen ausstattete, dass Verlobte sie zum Weihegeschenke wählten und dass unter ihren Klingen wie unter denen der Schwerter die Jünglinge den Kriegsreigen tanzten.3 Offenbar also erscheint dem Tacitus die Frame als die eigentliche Haupt- und Volkswaffe der Deutschen. — Was mag nun die Abstammung und die ursprüngliche Bedeutung des Wortes framea sein?
Dass der Ausdruck deutsch sei, sagt Tacitus in ganz unzweifelhafter Weise: «Hastas vel ipsorum vocabula frameas gerunt.» Man hat Framea mit dem echt deutschen Wort «Pfrieme (Spitze zum Bohren) zusammenstellen wollen; allein die Germanisten haben das aus lautlichen Gründen für unzulässig erklärt, und es verbietet sich, wie wir sehen werden, auch aus sachlichen Gründen. Wackernagel will das Wort auf das Gotische «hramjan» zurückführen und darin das «Haftende» (und Heftende) erkennen,4 — eine doch sehr lose, undeutliche und ungenügende Vorstellung!
L. Meier sucht darzutun, dass framea zu der Wurzel des lateinischen premere gehöre und «die Drängende» bezeichne;5 das trifft schwerlich zu; denn Tacitus sagt ja ganz ausdrücklich, dass framea ein germanisches Wort sei.
Jakob Grimm hat einmal an das Umstandswort fram, altnordisch framr, gedacht, welches fromm im Sinne von «dreist, kühn» bedeutet;6 allein die Zurückführung eines Waffennamens auf eine sittliche Eigenschaft wäre geradezu beispiellos. Dann wieder hat er die Meinung vertreten, dass framea eigentlich «franca» heißen müsse und als Waffe der Franken aufzufassen sei. Freilich gesteht er zu, dass damit das von Tacitus siebenmal wiederholte Wort framea nicht aus der Welt geschafft sei; doch handle es sich offenbar um die Hand- und Wurfaxt der Franken, die Franka oder Franziska.7 Tacitus spricht aber nun einmal von der Frame nicht als von einer Axt, sondern als von einer hasta, also von einem Speer, und in diesem Sinn erscheint das Wort auch bei dem kurz vor Tacitus dichtenden Juvenal.8
Dennoch ist es gar wohl möglich, dass Grimm dennoch recht hat, und zwar insofern, als nicht sowohl die Waffen framea und franca an und für sich gleichartig und gleichbedeutend waren, wohl aber deren Klingen, nämlich in dem Fall, dass es sich um die meißel- oder pflugschar-förmige Celtklinge handelt; denn eine solche kann, wie gesagt, je nach der Art wie sie befestigt wird, in der Längsrichtung des Stieles oder senkrecht dazu, entweder zur Bewehrung eines Speeres (Palstabes) oder einer Axt dienen. Dass es bei dem Wort framea aber vorzugsweise auf die Klinge ankommt, erhellt daraus, dass das altnordische Wort skalm (schwedisch skalme), welches «Klinge» bedeutet, in alten Glossen mit framea erklärt wird. Man sieht, wenn Grimm in einer Anmerkung sagt: «Auf den Celt lasse ich mich hier nicht ein»,9 so haben wir desto mehr Anlass, dies zu tun. Unter der Voraussetzung nämlich, dass die Frame nicht mit einem Pfriem, nicht mit einer Spitze, sondern mit einer Schneide versehen war, scheint sich auch ein geeignetes deutsches Wort zur Erklärung von framea darzubieten, und zwar das etwas veraltete neuhochdeutsche «Brame» (angelsächsisch brimme, englisch brim), d. h. Rand, ein Ausdruck, der uns noch in «verbrämen» geläufig ist.10
Nach der Schneide, nach dem Rand aber konnte die Frame zur Unterscheidung von anderen Spießen sehr wohl genannt werden, wenn sie mit einem Celt bewehrt war und also im Gegensatz zu Spitzspeeren sich als ein Randspeer darstellte. Außerordentlich gewinnt diese Erklärung an Wahrscheinlichkeit dadurch, dass althochdeutsche Glossen das Wort ploh, d. h. Pflug, mit framea erläutern.11 Wie wäre dies möglich, wenn die Frame nicht mit einer pflugschar-artigen Klinge, d. h. eben mit einem Celtis, ausgestattet gewesen wäre?
Aber auch ohne irgendeine Kenntnis von diesen sprachgeschichtlichen Gründen zu haben, hat man die Frame, die Hauptwaffe der alten Deutschen, schon seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts in Kurzspeeren mit meißelförmiger Klinge wiedererkennen wollen, wie man deren in den Gräbern gefunden hatte.
Zuerst behauptete das der Probst Detlew Rhode zu Fehmarn (1653—1717), der Bahnbrecher auf dem Gebiet der nordischen Altertumskunde, dessen grundlegendes Werk12 der gelehrte Fabricius dem deutschen Volk warm empfahl. Rhode zieht die massenhaften Funde meißelförmiger Speerklingen zum Beweis heran und besingt die Waffe als «der Cimbern blanken Spieß». Ihm schloss sich der Brandenburger Beckmann an.13 In gleichem Sinne äußerte sich ein halbes Jahrhundert später Thor Bacius, der Däne,14 der hervorhob, welch ein vorzüglicher «Schildspalter» eine solche Waffe sei. Ihm folgte 1835 der Sammler und Forscher Gustav Klemm,15 und diesem ein Kenner wie Friedrich Lisch in seinem wichtigen Werk über die Altertümersammlung in Schwerin.16
Gegen diese Forscher wendete sich Prof. Heinr. Schreiber in einer ganz ausführlichen Arbeit über die bronzenen Celtes.17 Er würdigt die vielseitige Brauchbarkeit derselben zum Steinbrechen, Spalten u. dgl. mehr, erkennt aber in den größeren Stücken «die breite spatenförmige Pflugschar der Gallier, die den Rasen umkehrte», was der nur wühlende Pflug der Römer nicht getan habe. Aus dieser Pflugschar hätten sich Spaten und Hacke, demnächst aber eine Waffe entwickelt. Der Ackerkeil sei zum «Streitkeil» geworden. «Der Angegriffene befestigte seine Pflugschar an einem Stiel, um sich damit zu verteidigen. Der Streitkeil spaltete den hölzernen Schild des Gegners und brachte diesem klaffende Wunden bei, die umso schrecklicher schienen, je mehr sie ins Auge fielen.»
Schreiber wusste nicht, dass althochdeutsche Glossen «Pflugschar» mit «framea» wiedergeben; anderenfalls hätte gerade er bei seiner eben dargelegten Auffassung die Wesensgleichheit seines Streitkeils mit der Frame erkennen und anerkennen müssen. Er tat es nicht; denn da er den Celt für die Nationalwaffe der Kelten erklärte, so war es ihm offenbar unangenehm, dass sie auch, wenngleich unter anderem Namen, als diejenige der Germanen angesprochen wurde, und doch liegt darin tatsächlich kein Widerspruch; vielmehr ist es höchst wahrscheinlich, dass jene urtümliche Waffe bei beiden Völkern in Gebrauch gestanden habe, wie sie denn auch in der Tat in den von ihnen bewohnten beiden Ländern massenhaft gefunden wird.
Schreiber stützt seine Ablehnung im Wesentlichen darauf, dass die Streitkeile der Beschreibung des Tacitus nicht entsprächen. Dieser sage, die Frame habe aus Eisen bestanden; die meisten der gefundenen Streitkeile aber beständen aus Erz; Tacitus bezeichne die Frame als acer, das heiße «spitz»; die Streitkeile aber seien gerade nicht spitz, sondern breit. Dem gegenüber ist darauf hinzuweisen, dass eiserne Schaftcelte zwar seltener vorkommen als eherne, aber doch keineswegs so selten, dass hierin ein Grund läge, die Erklärung des Celts als Frame abzuweisen. Sind doch z. B. in Hallstatt allein neben nur 20 bronzenen 100 eiserne Celts gefunden worden.
Zudem ist es noch keineswegs gewiss, dass Tacitus mit seinem «ferrum» wirklich das Metall und nicht vielmehr schlechtweg die Klinge gemeint hat. Acer endlich bedeutet in erster Reihe «scharf», erst in zweiter «spitz». Ganz besonders auffallend aber ist es, dass alles das, was Tacitus zur näheren Kennzeichnung der Frame beibringt, geradezu überflüssig wäre, wenn es sich auf einen gewöhnlichen Speer bezöge, wie jeder Römer ihn kannte;18 eine solche hasta hätte er sicher ebenso wenig einer Beschreibung gewürdigt wie die anderen von ihm erwähnten Waffen, und eben dies spricht ganz entschieden dafür, dass die Frame wesentlich anders geartet war als die römische hasta oder lancea und dass also vermutlich Frame und Palstab gleichbedeutend seien.
1 Gewöhnlich wird das Wort celtis nur auf die metallenen Keile zuweilen sogar nur auf die bronzenen und eisernen Hohlmeißel (Düllencelts) bezogen; indes liegt dazu nicht der mindeste Grund vor, und es kann nur zur Verwirrung fuhren, wenn die steinernen Keile ganz bei Seite gelassen und unterschiedslos als «Beile» bezeichnet werden.
2 Man könnte ferrum auch kurzweg als «Klinge» übersetzen; denn die Römer brauchen das Wort oftmals in diesem Sinne. Ich habe es trotzdem nicht getan, weil der oben angeführten Stelle eine andere kurz vorhergeht, in der ferrum unbedingt das Metall bezeichnet. («Ne ferrum quidem superest, sicut ex genere tellorum colligitur.»).
3 Germania 14, 11, 13, 18, 24.
4 Haupt: Zeitschrift für das deutsche Alterthum. II, 588.
5 Zeitschrift für Sprachenvergleichung VI, 424 h
6 Wie in «frumbe Landsknechte», «fromme Pferde» u. dgl. Got. u. nord. fram. angels. from-poroo, ultra, d. h. vorwärts, fort, weiter!
7 Geschichte der deutschen Sprache (Leipzig 1853), 514—518.
8 Per solis radios tarpejaque fulmina jurat, Et Martis frameam et Cirrhaei spicula vatis. (XIII, 78) (d. h. Er schwört bei den Strahlen der Sonne, bei Tarpejischen Blitzen, beim Spieße des Mars und beim Geschoss des Cirrha-Sehers.) Wie kommt der Satiriker zu dem Ausdrucke framea? Die deutsche Bezeichnung scheint damals ein römisches Modewort gewesen zu sein. Sie findet sich auch in den Noctes atticae des Aulus Gallius (150 n. Chr.); er führt da unter den telorum et jaculorum vocabulis (10,23) auch die frameae auf.
9 A. u. O. S. 362.
10 Allenfalls auch in «Bramsegel». Die Umwandlung von f. in framea zu b in brame ist nicht eben auffallend; vergl. z. B. Flachfeld und Blachfeld
11 Diese Übertragung findet sich in dem ältesten ahd. Glossar, den sog. keronischen Glossen, die aus dem 8. Jahrhundert herrühren.
12 Cimbrisch-holsteinische Antiquitäten-Remarques (Hamburg 1720), S. 288. Das Buch ist nach Rhodes Tode von seinem Sohne Andreas Albrecht herausgegeben worden.
13 Beschreibung der Chur- und Mark Brandenburg (Berlin 1751) I, 395. Würdigung eines im Jahre 1709 auf dem Werder bei Osterburg gefundenen Kragencelts mit Abbildung.
14 Populäre Aufsätze, das Alterthum betreffend. Deutsch von Sander (Kopenhagen 1812), S. 263.
15 Handbuch der germanischen Alterthumskunde (Dresden 1835), S. 242.
16 Friderico-Francisceum. Erläuterungen und Andeutungen. (1837 — 1844), S. 38.
17 Die ehernen Streitkeile (Freiburg 1842), S. 67 t.
18 Diesem Bedenken vermag sich auch Lindenschmit nicht zu entschlagen, der sonst ein so entschlossener Gegner der Gleichung Palstab=Frame ist.
Widersprechen tut die Form des Celts der Beschreibung des Tacitus in keiner Weise. Auch Jakob Grimms nachdrücklicher Hinweis auf die Verwandtschaft der Wörter framea und franca (altnordisch frakka, angelsächsisch franca = Spieß), die er etymologisch mit der «francisca», der Wurfaxt der Franken, zusammenstellt,1 spricht für eine beilartige Klinge der Framea.
Klemm ließ sich denn auch durch Schreibers Einwendungen nicht irre machen und kam nach nochmaliger Prüfung der Taciteischen Schilderung zu dem Ergebnis: «Die Framea war also eine Art Speer, dessen Spitze mit einer Klinge bewehrt war, die von der der römischen Lanzen, welche einem Weidenblatt glich, sich wesentlich unterschied. Man hat nun in denjenigen Ländern, wo Germanen gewesen, eigentliche Lanzenspitzen römischer Form höchst selten gefunden, dagegen in namhafter Anzahl, oft zu fünfzig und mehr Stücken auf einem Punkt, jenes Instrument, für welches ich den Namen „Framea“ in Anspruch nehme.
Solche Bronzekeile von drei bis acht Zoll Länge sind gefunden worden, wo je Germanen gewesen.2 Dieser Auffassung trat 1860 auch der General v. Peucker ohne Vorbehalt bei,3 und General von Specht schloss sich zehn Jahre später in seinem umfassenden Waffenwerk4 dem Gedankengang seines gelehrten Kameraden ebenso an, wie es, wieder um ein Jahrzehnt später, der Geschichtsschreiber Wilh. Arnold5 und der Verfasser vorliegender Abhandlung taten.6
Eben um diese Zeit aber erhob sich neuer Widerspruch, zuerst von Seiten eines namhaften Philologen. Anton Baumstark nämlich sprach sich dahin aus, dass der Wortlaut bei Tacitus es unbedingt verbiete, in der Framea irgendetwas anderes zu sehen als eine «hasta». «Die framea war eine hasta, vorausgesetzt, dass Tacitus kein Fasler war!»7 Aber das bestreitet ja auch niemand8; es handelt sich vielmehr lediglich darum, welche Klingenform diese hasta hatte.
Ernster zu nehmen sind die Einwände Ludwig Lindenschmits. Dieser treffliche Kenner nennt die Vorstellung der framea als eines Meißelspeeres einen „unbegreiflichen Irrtum“ und meint, wenn man der Körperkraft der alten Germanen auch alles mögliche und unmögliche Zutrauen wolle, so sollte man denselben doch auch wenigstens keinen geringeren Scharfsinn als selbst den wilden Völkern zutrauen... «Mit einer geradeaus geworfenen Waffe von breiter Schneide ist selbst bei doppeltem Kraftaufwand nicht eine größere Wirkung zu erreichen, als mit einer zugespitzten, und nur eine Maschine, wie die Katapulte und die entsprechend gebildete Armbrust vermag Geschossen dieser Form einen Erfolg zu geben.»
Lindenschmit hat mit diesen Bemerkungen offenbar über das Ziel hinausgeschossen. Wenn Waffen mit Celtisklingen wirklich so unbrauchbar wären, wie er es hinstellt, so hätten die Völker West- und Mitteleuropas sie doch sicherlich nicht jahrhundertelang in Stein, Erz und Eisen hergestellt; dass dies aber tatsächlich geschehen ist, beweisen die Funde mit unwiderleglicher Bestimmtheit. Sie zeigen auch, dass nicht nur Spieße, sondern auch Pfeile mit Meißelklingen weit verbreitet waren in Deutschland, und das Nibelungenlied bestätigt dies; denn es sagt (XVI, 956) von Siegfried:
"Im was sîn edel kocher wil guoter strâle vol
Von guldinen füllen, diu sahs wol hende breit."
„Sahs“ sind die Pfeilklingen, welche breit überhaupt nur unter der Voraussetzung sein können, dass sie meißelförmig waren. Dergleichen Klingen kommen auch an den Armbrustbolzen noch des 15. und 16. Jahrhunderts nicht selten vor. Ebenso begegnet man der Celtklinge auch an asiatischen und afrikanischen Waffen. Altchinesische Porzellanmalereien stellen Krieger mit pflugschar-artigen Speerklingen dar, und die Abessinier bedienen sich eines Speeres mit zwei Klingen, einer oberen und einer unteren, deren eine die gewöhnliche Blattform hat, während die andere ein langer Hohlcelt ist. Rosellinis „Monumenti“ bringen die Abbildung eines ägyptischen Bogners, der einen mit überaus breiter Meißelklinge versehenen Pfeil auf der Sehne hat. Ganz ähnlicher Geschosse bedienen sich noch heute die Tungusen. An der Anwendbarkeit der Celtisklingen für Stangenwaffen wie für Pfeile zu zweifeln, liegt also gar kein Grund vor.
Nun darf man ferner nicht vergessen, dass die Urklinge der Framea aus Stein bestand; steinerne Speerspitzen sind jedoch sehr zerbrechlich; unzweifelhaft waren meißelförmige Steinklingen weit widerstandsfähiger und wurden jenen deshalb vorgezogen. Hatte man solche aber überhaupt erst einmal eingeführt, so darf das Beibehalten ihrer Form auch in der Metallzeit nicht Wunder nehmen; denn mit welcher Zähigkeit der Mensch, zumal auf niederer Gesittungsstufe, am Hergebrachten hängt, das ist ja allbekannt. Ein Bildblatt des Stuttgarter Psalteriums vom 11. Jahrhundert stellt noch einen Krieger mit einer mehrzackigen Stangenwaffe dar, deren Mittelklinge ein Celtis ist.
Endlich bleibt zu erwägen, dass die Frame in erster Reihe zum Kampf Mann gegen Mann (cominus) bestimmt war, und dass sie hierbei durch Stoß und Schlag in mannigfaltiger Weise, sei es mit der Breitseite, sei es mit einer Ecke, wirksam werden konnte. Das Spalten der Schilde und der Knochen gelang unter solchen Umständen vermutlich gründlicher, als mit einer spitzigen Waffe, und eben darum wird Tacitus die Framea «illam cruentam vitricemque frameam» genannt haben. Der Schuss aber (eminus) geschah unzweifelhaft nur auf ganz kurze Entfernung, und (entsprechend dem Gebrauch des römischen Pilums) werden sich Framenwurf und Nachsprung des Werfers mit irgendeiner Kurzwehr wie Blitz und Schlag gefolgt sein.
Zuzugeben ist, dass ein bündiger Beweis für die Wesensgleichheit von Palstab und Frame bisher noch nicht geführt worden ist, und das wäre (wenigstens den Philologen gegenüber) überhaupt wohl nur dann möglich, wenn eine genauere Beschreibung der Framea aus dem Altertum irgendwo neu aufgefunden würde. Allein die seit zwei Jahrhunderten behauptete Wahrscheinlichkeit scheint mir doch durch meine Darlegungen gesteigert zu sein, zumal durch den Hinweis, dass das althochdeutsche ploh = “Pflugschar“ in Glossen durch framea wiedergegeben wird, und die Wahrscheinlichkeit wächst noch, wenn man bedenkt, dass -— während auf all die anderen Waffen der Vorzeit: Schleuder, Hammer, Keule, Beil, Axt, Spieß, Pfeilbogen etc. das helle Licht der Geschichte fällt — die so reich vertretenen, in so vielen Gräbern als Waffenbeigaben gefundenen steinernen, ehernen und eisernen Celts, die doch nach Tausenden zählen, ohne jede Erwähnung bei den antiken Schriftstellern bleiben würden, wenn jene Annahme nicht zuträfe. Ein so jähes Verschwinden einer so viel verbreiteten Waffe aus dem Gebrauch, ja aus der Erinnerung und dem Wortschatz der Völker wäre aber ganz beispiellos und geradezu unbegreiflich.9 Man wird sich im Gegenteil unter den in ihrer Bedeutung noch nicht sicher festgestellten Waffennamen unserer Nachbarvölker umzusehen haben, ob sich nicht auch unter ihnen solche finden, die auf den mit dem Celt bewehrten Spieß passen.
Und da bietet sich in der Tat die gallische mataris oder matara dar,10 in welcher Holtzmann sicherlich mit Unrecht das Wurfmesser vermutet, denn Hesychius erläutert sie ausdrücklich als ein «breiteres Speerlein». Breiter kann aber an einem Spieß nicht die Stange, sondern nur die Klinge sein. Hierher gehörig sind wahrscheinlich auch die rumpia oder rombeae oder rhamphea, deren um 50 n. Chr. der Dichter Valerius Flaccus in seiner Argonautica (VI, 96) als Waffe der Bastarner gedenkt und die sechzig Jahre später Aulus Gellius unter den Wörtern für Geschosse aufführt, und zwar als genus teli thracicae nationis. Es war jedenfalls eine ziemlich schwere Wurfwaffe und sie wird noch bei der Beschreibung der Belagerung von Crema durch Barbarossa im Jahre 1160 erwähnt.11
Ob an Zusammenhang von Rumpia mit Rhombos (Rhomboid) zu denken ist, wie das bezüglich der Klingenform ja wohl möglich wäre, das lasse ich ebenso dahingestellt wie die Vorfrage, ob das Wort griechischen oder germanischen Ursprungs sei. Was die Abmessungen der Frame anlangt, so deutet die Lage, in welcher man ihre Klingen in den Gräbern vorfand, auf eine mittlere Länge des meist vermoderten Schaftes von 3—4 Fuß hin, ein Maß, das mehrere noch mit erhaltenen Schäften aufgefundene Stücke bestätigen. So entnahm der Freiherr v. Hammerstein einem Germanengrab bei Sülze (Celle) eine Framea mit Tüllenklinge, in der noch der größte Teil des Schaftes steckte und mit einem Riemen festgeschnürt war. Die 8 Zoll lange Erzklinge war durch eine dicke hölzerne Scheide gegen Abstumpfung geschützt.12 Mehrere gleichartige Framen fand man mit ihren 3—4 Fuß langen Eichenschäften und Lederriemen in mecklenburgischen Gräbern. Auch bei Barmstedt (Glückstadt)13 und bei Store-Hedinge (Dänemark)14 hatten sich der gespaltene Schaft mit der in ihn eingepressten Klinge erhalten. Der dänische Schaft war U/4 Elle lang; die beiden Spaltungen des Holzes lagen in Kerben der Erzklinge und waren mit einem Riemen umwunden.
Der eigentliche Wurfspieß der alten Germanen ist der Ger (ahd. gêro, ger, ker; ags. gâr; altsächs. gêr: altnord. geir), deren es schwere und leichte gab. Von gewaltigen Geren berichtet das angelsächsische Heldengedicht «Beowulf» (8. Jhd.). Sie heißen hier «wuchtige Walschafte» (Kampfschäfte), und es gibt einen Begriff von ihrem Anprall, wenn der Dichter sagt: „Der Gerbaum dröhnt!“ Doch diese Gere der Angelsachsen wurden wohl auch als Stoßspieße im Massengefechte verwandt; denn es ist gelegentlich von einem gârholt, einem Gerwalde die Rede.15 Dem entsprechend dürfen wir uns gewiss auch noch die hasta Walthers von Aquitanien und den contus ferratus des Randolf im Walthariliede (10. Jhd.) als solche schweren Gere vorstellen; ganz wie die von Tacitus geschilderte Frame werden sie sowohl cominus als eminus, zum Stoß wie zum Schuss, gebraucht.
Gustav Klemm zeigt sich daher geneigt, auch den Ger als einen mit einer Celtklinge bewehrten Wurfspieß anzusehen und beruft sich dabei auf zwei Stellen des Nibelungenliedes (12. Jhd.), die in der Tat für ihn zu sprechen scheinen.
Siegfried und seine Genossen führten, als sie am Hofe von Worms erschienen, neben dem Schwert den scharfen Ger, und wenn es da heißt:16
„Sîfrit, der fuort ir einen wol zweier Spannen breit,
Der ze sînen ecken vil harte vreislîchen sneit,“
so scheint sich daraus zu ergeben, dass die Klinge nicht nur außerordentlich breit war, sondern mindestens zwei „Ecken“ hatte, was nur bei einem meißelartigen Gerät, nach unserer Sprechweise aber niemals bei einem spitzen Speer möglich ist.
Gleiches scheint aus der Beschreibung des Gers der Brunhilde hervorzugehen.17
"Dô trnoc man dar der vrouwen swaere unde grôz
einen gêr vil scharpfen, den si alle zîte schoz,
starc unt ungefüege, michel unde breit,
der ze sînen ecken harte vreislîchen sneit."
Gegen Klemms Auffassung dieser Stellen müssen jedoch sprachliche Bedenken erhoben werden. Allerdings ist der Urbegriff von «Ecke», wie schon aus dem Wort selbst erhellt, unzweifelhaft «Spitze», was auch unser Egge bestätigt; allein im Mittelhochdeutschen bedeutete «Ecke» tatsächlich auch Schneide; und so sind mit den Ecken der Gere Siegfrieds und Brunhildes vermutlich die Seitenkanten eigentlicher Speerspitzen gemeint. Dem mag man entgegenhalten, dass an beiden Stellen besonderer Nachdruck auf das Schneiden gelegt wird; niemand jedoch werde mit einer Lanzenspitze schneiden wollen; eine solche ist nur zum Stechen, zum Durchbohren da; werde von einer Stangenwaffe ausgesagt, dass sie «vil harte vreislichen sneit», so bleibe wohl nichts übrig, als an eine Waffe nach Art des Palstabs zu denken.
Auch diesem Einwand jedoch muss man mit einem Hinweis auf den mittelhochdeutschen Sprachgebrauch entgegentreten; denn «sniden» heißt auch “schneidend eindringen“ oder auch bloß „scharf“ sein. Was aber vor allem gegen Klemms Vermutung spricht, dass ist der ursprünglichste Sinn des Wortes «Ger» selbst, welcher sich mit der Voraussetzung einer Schneidezahn ähnlichen Klinge nicht verträgt. Denn «ger» (von geren = schräg abschneiden) heißt so viel wie „Zwickel“ oder kurzweg „Dreieck“.18 Aus diesem Grund vermag ich der ansprechenden Annahme Klemms nicht beizupflichten, sondern bin der Meinung, dass der Ger mit einer dreieckigen Klinge bewehrt gewesen und eben nach dieser spitzen Klinge benannt worden sei, gerade wie der mit der randscharfen Celtisklinge, der Brame, ausgestattete Kurzspieß eben nach dieser Frame hieß. Als dann diese Waffe allmählich in den Hintergrund trat und zuletzt verschwand, da blieb der Ausdruck Framea doch immer noch an seinem Ausgangspunkt, an der Klinge, haften, und so kam es, dass genauso, wie wir heute schlechtweg von der „Klinge“ sprechen und das Schwert meinen, auch in althochdeutscher Zeit nicht nur das «stapasuert» (die Glefe),19 sondern auch der gladius, ja sogar die spatha, das zweischneidige Langschwert, gelegentlich mit dem Wort «framea» bezeichnet wurde.20
1 Geschichte der deutschen Sprache (Leipzig 1848), S. 514 bis 517.
2 Allgemeine Kulturgeschichte (Leipzig 1843—1852), IX. S. 53-54. Ebenso in «Werkzeuge und Waffen» (Leipzig 1854), S. 98 f.
3 Das deutsche Kriegswesen der Urzeiten (Berlin 1860), II. S. 164—170.
4 Geschichte der Waffen (Kassel 1870), I. S. 153.
5 Deutsche Urzeit (3. Aufl. Gotha 1881), S. 274.
6 Max Jahns: Handbuch einer Geschichte des Kriegswesens von der Urzeit bis zur Renaissance (Leipzig 1880), S. 406 und 391.
7 Ausführliche Erläuterung des allgemeinen Theils der Germania des Tacitus (Leipzig 1875), S. 316.
8 Handbuch der deutschen Alterthumskunde (Braunschweig 1880—1889), S. 164. Ähnlich sprach sich schon früher G. W. Barthold aus in seiner «Geschichte der Kriegsverfassung und des Kriegswesens der Deutschen» I (Leipzig 1855), S. 35. Dem Prof. Baumstark pflichtete Dr. Petersdorf bei in «Übereinstimmende Nachrichten über die alten Griechen und Germanen» (Strehlen in Schlesien 1897). — Auffallend bleibt es, dass alle Offiziere, welche in dieser Angelegenheit das Wort ergriffen haben, sich für die Übereinstimmung von Framea und Palstab aussprachen, so auch Oberstleutnant Würdinger, weiland Direktor der Waffensammlung des Kgl. Zeughauses in München. (Potens Handwörterbuch der Militärwissenschaften III, Bielefeld und Leipzig 1877.)
9 Das Wort »framea» besitzen wir (ganz abgesehen von dem oben erwähnten «Brame») übrigens noch heute in unserer Sprache, wenngleich scheinbar als Fremdwort. Unsere Vorfahren verglichen Teile des Gewandes gern mit Waffen (z. B. Schoß von Geschoss). So fügt sich «Franse» (ital. frangia, franz. frange) buchstäblich zum deutschen framea, wie z. B. vendange zu vindemia. Frangen sind herabhängende Framen. «Diese Etymologie ist grammatisch und logisch untadelhaft.» (Diez Wörterbuch).
101) Strabon 4. — Caesar B. Gail. I, 26. — Livius 7, 24. _ Der Grammatiker Sisenna hält in der Mitte des I. Jahrhunderts n. Chr. die Kelten und Germanen auseinander, indem er sagt: «Die Gallier werfen Geschosse, welche Materis heißen, die Sueben dagegen Lanzen.» Leider sagt er nicht, wodurch sich diese von jenen unterscheiden.
11 Otto Morena in Historia rerum Laudensium, p. 46.
12 Spiel: Vaterländisches Archiv IV, S. 362.
13 Rhode: Cimbrisch-Holsteinische Antiquitäten-Remarques, S. 288.
14 Thorlacius: Griechische und nordische Alterthümer. Deutsch von Sander (Kopenhagen 1812).
15 Vergleiche dieser Art sind allen naiven Völkern eigen. Auch altarabische Dichter sprechen angesichts eng geschlossener Speermaßen von einem «Dickicht, in dem die Löwen (die Krieger) brüllen».
16 Das Nibelungenlied, hrsg. von K. Bartsch (Leipzig 1866), 73.
17 Ebenda 440-441.
18Unser neuhochdeutsches Wort «Gehren» bedeutet ein keilförmiges Stück Land oder ein dreieckiges Stück Zeug, z. B. einen Hemdenkeil; es hat auch den Nebensinn «Schoss». Das Dachdreieck eines Hauses heißt mundartlich «Gehrschild». Die Heraldik bezeichnet einen Schild, der in Dreiecke geteilt ist, welche in der Mitte zusammenstoßen als «gegeret» (franz. gironne, span, gironado). Die dreieckigen Zacken, in welche mittelalterliche Gewände, namentlich aber die Panzerhemden, auszulaufen pflegten, wurden ebenfalls «gere» genannt. (J. Grimm).
19 Stapasvert-frame, Schmeller (anno 807).
20 So bei Isidor von Sevilla (600 n. Chr.) Für gladius steht framea bei Gregor v. Tours (6. Jahrhundert) und zweimal im Walthariliede (10. Jahrhundert).
Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 7. Dresden, 1897-1899.