Von E. V. Lenz in St. Petersburg.1
Mit Recht wird in der historischen Forschung über die Entwicklungsgeschichte des Waffenwesens von Jahr zu Jahr mehr Aufmerksamkeit auf den Orient gerichtet, auf die Länder, welche als Wiege sowohl wie als Werkstatt europäischer Bewaffnung eine gleich große Bedeutung gehabt haben. In der Einleitung zu seiner «Waffenkunde» weist W, Boeheim, wenn auch nur in groben Zügen, doch darum nicht weniger überzeugend nach, wie groß und sogar umwälzend der Einfluss war, welchen die im 4. und 5. Jahrhundert in Europa einbrechenden morgenländischen Völkerschaften auf die Bewaffnung der romanischen wie der germanischen Völker ausübten, und verfolgt sodann im Verlauf des genannten Werkes sorgfältigst die Spuren orientalischer Formengebung an westeuropäischen Schutz- und Angriffswaffen.
Es würde hier zu weit führen, eingehend darzulegen, was der ausgezeichnete Autor und andere Forscher vor und nach ihm in der Bearbeitung der erwähnten Frage geleistet; Zweck dieser Zeilen ist nur, berufene Freunde der Waffenkunde auf ein Zweiggebiet der Forschung in der angegebenen Richtung aufmerksam zu machen, dessen gründliche und systematische Ausbeutung gewiss zu interessanten und lohnenden, vielleicht sogar zu wichtigen Resultaten führen kann: wir meinen das eingehende Studium der Nomenklatur für Waffen aller Art bei den morgenländischen Völkern, vornehmlich Persern, Arabern, Tataren und Türken, sowie das Aufsuchen und Nachweisen orientalischer Benennungen in dem Sprachschatz derjenigen Völker Europas, welche unmittelbar oder mittelbar mit der Kriegsmacht des Ostens in Berührung gekommen sind.
Es sei gleich hier hervorgehoben, dass der Schreiber dieser Zeilen selbst leider durchaus nicht in der Lage ist, auf dem bezeichneten Gebiet irgendwie fruchtbar zu wirken — es fehlen ihm alle dazu gehörigen Kenntnisse der orientalischen Sprachen, der vergleichenden Grammatik und endlich derjenigen europäischen Sprachen, welche hier in erster Linie in Betracht kommen würden. Es lässt sich nun allerdings diese Menge von Wissen schwer in einer Person voraussetzen, doch könnte die Arbeit geteilt werden, und findet nur die Idee selbst Beifall, so zweifeln wir keinen Augenblick daran, dass in dem immer mehr sich erweiternden Kreise der Mitglieder des Vereins für historische Waffenkunde so mancher sich bereit erklären wird, sein Wissen und Können in den Dienst auch dieser Frage zu stellen. Auf diesem Wege ließen sich mit vereinten Kräften die ersten Bausteine zu einem Werke Zusammentragen, welchem das Licht der Welt zu erblicken vielleicht erst nach vielen Jahren und Jahrzehnten beschieden sein dürfte: einem internationalen (vielsprachigen) enzyklopädischen Wörterbuche der Waffenkunde.2 Doch sehen wir von der allzu fernen Zukunft ab und beherzigen wir den Rat, welchen der verehrte Redakteur dieses Blattes bei Kenntnisnahme dieses Planes aussprach: «Nicht eine Arbeit groß und umfassend anlegen, zu welcher die nötigen Kräfte fehlen, enger den Plan fassen, recht enge, aber nicht aufgeben!»
Richten wir also unser Augenmerk nur auf das Nächstliegende, ziehen wir die Grenze ganz enge, so müsste es sich bei Bearbeitung der angeregten Frage zunächst darum handeln, direkte Entlehnungen orientalischer Namen, die mit der betreffenden Waffe zugleich Eingang im Abendland gefunden, nachzuweisen, resp. lautlicher Verwandtschaft zwischen westeuropäischen und asiatischen Namen nachzugehen.
Von mehr mechanischen Exzerpten aus einschlägigen Wörterbüchern abgesehen, stehen uns, wie gesagt, selbstständige Forschungen auf diesem Gebiet nicht zu Gebot und können wir daher, einer Aufforderung der verehrten Redaktion folgend, nicht mehr bieten als eine meist russischen Monographien und Spezialwerken3 entnommenen Reihe von Beispielen, welche zeigen sollen, wie das linguistische Material dem historischen Studium der Waffenkunde helfend, ergänzend und selbst leitend zur Seite stehen kann.
Mit der Leibrüstung des russischen Kriegers beginnend, sehen wir, dass die Slawen von Alters her für den Allgemeinbegriff der Rüstung als Schutzwaffe für den Leib das Wort Bronja — Brünne, brauchten, während die einzelnen Harnisch-Gattungen, weil durch die Mongolen eingeführt, ausschließlich orientalische Benennungen trugen. So unterschied man unter den Ringpanzern die Baidana (vom arabischen Badán), ein bis zu den Knien reichendes Maschenhemd mit langen Ärmeln, den Kolontár oder Kalantár (vielleicht mit dem arabischen chálketun in Verbindung zu bringen?) ein durch kleine Platten verstärktes, aus Brust- und Rückenstück bestehendes Panzerkleid, den Báchterez oder Béchterez (vom mongolischen Bekter), einen gleichfalls aus reihenweise angeordneten, durch Maschenstreifen verbundenen, kleinen Platten zusammengesetzten Harnisch und den juschmán (vom persischen dshoushén, arabisch dsheuschén, tatarisch in juschán verstümmelt) von gleicher Konstruktion.
Zweifellos asiatischer Herkunft ist ferner der Kujak (mongolisch chuják), ein aus schuppenförmig auf Leder oder Stoff befestigten Platten bestehender Panzer — das Vorbild der italienischen corazine. Der ausgebildete russische Plattenpanzer, serzálo genannt, lässt in Form und Namen orientalische Herkunft vermuten und zwar weist letzterer nach Persien hin (zerh = Panzer, zirih dschâme — über den Kleidern getragene Panzerung).
Es sei hier noch ein Harnisch rein mongolischen Ursprunges erwähnt, der vornehmlich von dem gemeinen Krieger getragene tegiláj (mongolisch tegél — die Naht, Steppnaht, vergl. türkisch Teyél) ein kurzärmeliges, meist wollenes oder baumwollenes Kleid mit hohem, stehendem Kragen, auf dicker, durchgesteppter Unterlage aus Watte oder Hanf, manchmal durch eingenähte Stücke von Maschenpanzern verstärkt. Endlich sei noch darauf hingewiesen, dass ein Detail in dem Geflecht der Panzerringe, und zwar die durch Plattschlagen der Ringe an der Vernietungsstelle gebildete feste Schuppendecke (in Europa jazerin, italienisch ghiazzerino genannt) offenbar auch orientalischer, speziell arabischer Herkunft ist; es lässt sich wenigstens das Wort jázerin leicht mit dem von den Arabern für das jetzige Algier gebrauchten Namen al-djezair in Verbindung bringen, und wird diese Vermutung durch die Verse Wolfram von Eschenbachs (Willehalm 356, 12) bestätigt, in denen der Berberkönig einen in «Jazeranz» gefertigten Harnisch tragend geschildert wird.
Für die kriegerische Kopfbedeckung als Allgemeinbegriff finden wir bei den Russen das indogermanische Wort schlem, schelóm oder scholóm (Helm, heaume), während auch hier die einzelnen Helmgattungen meist arabische oder tatarische Bezeichnungen tragen. So der schischák (vom tatarischen schisch — die Spitze, vergl. das türkische schísch Bratspieß, kurzer spitzer Degen), der konische, mit hoher, lang ausgezogener Spitze versehene Helm, welcher seinen Namen auf die in Europa «Zischägge» genannten Sturmhauben übertragen hat, der kolpäk (tatarisch Kolpák) von annähernd gleicher Form, die misjúrka (von mesr oder misr, dem arabischen Namen für Ägypten), eine flachgewölbte Beckenhaube mit lose herabhängendem Panzernetz.
Gleichfalls dem Orient entnommen ist die besonders im früheren Mittelalter bei den russischen Kriegern übliche Befestigung eines Fähnchens, gewöhnlich von grellroter Farbe, an der Spitze des Helmes; dieses Fähnchen heißt russisch jélovez — worin ohne Zweifel das tatarische Wort jelou = die Flagge wiederzuerkennen ist.
Zu beachten ist jedoch, dass trotz der zahlreich aus dem Osten entlehnten Spezialbezeichnungen für kriegerische Kopfbedeckungen, die einzelnen Bestandteile des Helmes, wie Kranz (wenéz), Naseneisen (noss), Nackenschutz (satylok), Gesichtsschirm (polka), Backenstücke (uschi oder nauschi) rein slawische Bezeichnungen tragen. Der gewöhnliche Rundschild (russisch schtschit) sowie seine Teile weisen in ihren Benennungen ebenfalls keinen orientalischen Einfluss auf, während die Tartsche, russisch tartsch oder tortsch unzweifelhaft morgenländischen Ursprunges ist (vom arabischen darake — nach Dr. Karabacek, nach Sawaitow vom arabischen turs).
Es sei noch hinzugefügt, dass die Form der russischen Tartsche, oder vielmehr der Schutzwaffe, welche man in Russland mit diesem Namen belegte, aus den uns zugänglichen Quellen sich nicht bestimmen lässt; in der Orushejnaja Palata (III, 2 Nr. 5174) wird eine Tartsche «mit linkem Arm und Degen» bewahrt, und im Jahre 1591 trifft in Moskau ein Geschenk des Polenkönigs Sigismund III. ein, zu welchem unter anderem «eine Tartsche, am Sattel angebracht, in einer Scheide mit vergoldetem Ortband» gehörte (also hier offenbar ein Panzerstecher).
Unter den blanken Waffen ist zunächst das Krummschwert oder der Säbel rein orientalischen Ursprunges. Der Name wird verschieden hergeleitet, vom arabischen seif, dem baktrischen sufra, sanskrit schubra usw., den Slawen ist diese Waffe jedenfalls von Alters her bekannt und wird in den Chroniken bereits im Jahre 968 erwähnt, wodurch es sich vielleicht erklären lässt, dass die einzelnen Teile des Säbels wie Griff (krysh), Klinge (polossá), Schneide (lésvije), Parierstange (ognívo) slawische Benennungen tragen; nur ein direkt von den Mongolen entlehntes Detail, die breite, zweischneidige, an der Rückenseite eckig eingezogene Spitze der Säbelklinge wird nach dem entsprechenden tatarischen Wort jelmán genannt. Gleichfalls asiatischer Herkunft ist der Panzerstecher mit drei- und vierkantiger, meist pfriemenförmiger Klinge, russisch kontschár (arabisch chandshér, persisch chanshár, mongolisch kingár — Dolch, Messer). Auch den Palasch, russisch palásch (vergl. das türkische pala) dürften wir dem Orient verdanken. Dolche kannten die Russen früher nur in der Form von Messern, erst mit der Mongolenherrschaft erscheint der kinshál — Dolch (mongol. kingár). Endlich wäre noch hinzuweisen auf den kórtik, einen kurzen Jagddegen oder Hirschfänger (persisch kard = einschneidiges, kurzes Schwert, polnisch kord, mit welcher Wurzel die Bezeichnungen courtelas und kordelatsch in engstem Zusammenhang stehen) und den tesák, eine säbelartige, breite, einschneidige Hiebwaffe, welche im 15. Jahrhundert in Europa den Namen Dusägge trug.
Unter den russischen Stangenwaffen finden wir keine Hinweise auf orientalische Abstammung, mit Ausnahme der vielleicht eher zu den Fernwaffen gehörigen, zu zweien und dreien mit einem kurzen Schwert zusammen in einer Scheide aufbewahrten Wurflanzen, russisch dschid genannt. Diesen Namen leitet man gewöhnlich von dem betreffenden arabischen Wort dshirid her, doch verdient Dordshi Bansarow’s Bemerkung hervorgehoben zu werden, dass bei den Mongolen noch heutigen Tages die Lanzen dshada oder dshida genannt werden.
Unter den Schlagwaffen tragen eigentlich nur zwei orientalische Namen, und zwar die beiden schestopjór. und busdychán benannten Arten von Streitkolben. Schestopjor bedeutet, wie auch das persische Stammwort scheschper «sechs Federn» und weist auf sechs am zylindrisch oder kantig geformten Köpfe, des Kolbens radial gestellte Schlagblätter hin; über die Busdychan genannte Waffe herrschen jedoch verschiedene Ansichten: Sawaitow sieht darin eine Art Morgenstern, dessen Kopf mit spitzen Nägeln versehen war, Weltmann — einen dem schestopjor identischen Streitkolben mit Schlagblättern, während Dr. Karabacek diesen Namen einer Streitaxt mit Hammer beilegt.
Der Bogen und seine Bestandteile weisen in ihren russischen Benennungen keine deutlichen Spuren von orientalischem Einfluss auf, dagegen finden wir unter den von den Russen benutzten Pfeilarten die tomára mit zapfen- oder birnenförmiger Holzspitze, die sévergi (vom mongol. dzebe?) und kaidáliki, welche lautlich nach Asien zu gehören scheinen, über deren Form aber genauere Daten fehlen. Unter den Feuerwaffen können wir eigentlich nur auf den Namen tjufják (türkisch tüfenk = die Flinte) als aus dem Orient stammend, hinweisen; doch muss dabei erwähnt werden, dass mit diesem Wort wenigstens bis zum Ende des 14. Jahrhunderts Schleudermaschinen zum gleichzeitigen Abschnellen vieler Pfeile oder Wurfspieße, nicht aber Feuerrohre bezeichnet wurden. Auch für die Lunte (russisch fitil) ist der türkische Name entlehnt worden (fetil tüfenk = das Luntengewehr).
Aus obiger flüchtig und skizzenhaft zusammengestellten Notiz irgendwelche Schlüsse ziehen zu wollen über Art und Zeit der Entlehnung orientalischer Rüststücke durch die Russen wäre natürlich voreilig und durch nichts gerechtfertigt. Es war dieses auch nicht der Zweck der Mitteilung. Wir hoffen aber durch die angeführten Beispiele zur Anregung und Verbreitung der Idee beigetragen zu haben, dass ein sorgsames Sammeln und Sichten des einschlägigen linguistischen Materials im Allgemeinen und des orientalischen im Besonderen der historischen Forschung über die Entwicklungsgeschichte des Waffenwesens zur Seite stehen und — wenn richtig gehandhabt — auch entschieden zu lohnenden Resultaten führen muss.
1 Der durch unseren im Fache hervorragenden, talentvollen Mitarbeiter angeregte Gedanke ist für die Geschichte des Waffenwesens so bedeutungsvoll, dass man in der Verfolgung desselben mit Sicherheit einen Umschwung der historischen Waffenwissenschaft Voraussagen kann. Der vorliegende Artikel, dem ein längerer Briefwechsel des Redakteurs mit dem Autor vorangegangen ist, kann bei seinem umfassenden Thema nur als ein Programm, als ein Präludium einer vollen Umgestaltung unseres Lehrgebäudes betrachtet werden. Wenn auch die Durchführung des Gedankens nicht das Werk eines Einzelnen sein kann, so erkennen wir doch in E. v. Lenz eine Kraft, die vollkommen geeignet erscheint, einen hervorragenden Antheil an der Lösung der Aufgabe zu nehmen, wie dem Autor auch das Verdienst der ersten Anregung gebührt.
2 Der wissenschaftliche Erfolg wird zuversichtlich viel weiter reichen, als zur Herstellung eines trockenen Wörterbuches; er wird unsere bisherigen Annahmen über Entstehung und Fortbildung der Waffenformen auf andere Grundlagen stellen. Die Bescheidenheit des Autors lässt ihn nur die nächsten Ziele ins Auge fassen.
3 Es sind hier nachstehende Werke benutzt worden: Wörterbücher: Sresnewsky (altrussisch), Wostokow (kirchenslawisch). Dahl (neurussisch), Girgas (arabisch-russisch), Joussouf (türkisch-französisch). Spezialschriften: Wiskowatow, Die Bewaffnung des russischen Heeres; Weltmann, Die Orushejnaja Palata in Moskau; Sawaitow, Die kaiserlichen Regalien usw. in der Moskauer Orushejnaja Palata; Dordschi-Bansaro w, Über orientalische Benennungen einiger altrussischer Rüststücke; Gille, Über eine tatarische Rüstung in dem kaiserlichen Museum zu Zarskoe-Selo; Prof. Dr. Karabacek, Erläuterungen der orientalischen Objekte in der historischen Ausstellung der Stadt Wien 1883.
Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 5. Dresden, 1897-1899.