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Die Darstellung eines Reiters im alten deutschen Gestech

Herzog Wilhelm von Bayern im deutschen Gestech 1510 Montag nach Sebastiani. Zeichnung Heinrich Ostendorffers von 1541. Nach Schlichtegroll.
Herzog Wilhelm von Bayern im deutschen Gestech 1510 Montag nach Sebastiani. Zeichnung Heinrich Ostendorffers von 1541. Nach Schlichtegroll.

Wir haben in einer Abhandlung: «Die Waffen auf der Millenniums-Ausstellung in Budapest» in Seite 10ff. dieses Bandes bemerkt, «dass die Vorführung eines Reiters im. alten deutschen Gestech in gedachter Ausstellung nicht fachrichtig zusammengestellt war» und es veranlasst uns dieses kritische Urteil, das, wie unsere Leser sich überzeugen können, vollständig objektiv hingestellt war, uns über die «korrekte» Ausrüstung eines «Stechers» (stickhers) aus dem Grunde näher auszusprechen, weil wir einerseits dem Verdacht uns entziehen wollen, ungerechtfertigt und aufs Allgemeine hin ein Urteil gefällt zu haben andererseits, weil es unserer Ansicht nach nur wünschenswert erscheinen kann, eine richtige Ansicht über den angeregten Gegenstand zu gewinnen. Wir werden uns hierbei nicht unmittelbar auf die in der Millenniums-Ausstellung vorgeführte Figurine beziehen; wir können von selber umso leichter absehen als selbe in dem Werk Dr. J. Szendrei’s Ungarische kriegsgeschichtliche Denkmäler», Seite 245 in Abbildung dargestellt und unter Nr. 787 umständlich beschrieben ist, der verehrte Leser sich demnach durch Vergleich sein Urteil selbst zu bilden imstande ist.

 

Das «alte deutsche Gestech» ist keine Erfindung des Kaisers Maximilians I., wie hier und da angegeben wird, sondern schreibt sich in seinen Übungsformen und Regeln wie in seiner Ausrüstung aus dem Ende des 12. Jahrhunderts her. Wenn auch in Bezug auf letztere bis ans Ende des 15. Jahrhunderts mancherlei Veränderungen vorgenommen wurden, so erweist doch die unverkennbare Ähnlichkeit des «Stechhelmes» mit dem «Topfhelm» des 13. Jahrhunderts das ältere Herkommen.

 

Um die Ausrüstung eines Stechers wenigstens in der letzten Periode des Bestehens dieser Turniergattung zu erkennen, muss man einige gleichzeitige Bildwerke genauer betrachten und studieren. Da ist zunächst Plans Burgkmairs Turnierbuch, im Besitz Sr. Hoheit des Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen. Eine neuere Ausgabe1 von selbem mit zwar nicht den alten Charakter wiedergebenden doch dem Studium genügenden illuminierten Kupferstichen veranstaltete Dr. J. H. von Hefner. Ein weiteres Quellenwerk ist das Turnierbuch des Herzogs Wilhelm IV. von Bayern, in der kgl. Hof- und Staatsbibliothek zu München, von welchem gleichfalls eine spätere Ausgabe2 in illuminierten Lithographien von Friedrich Schlichtegroll erschienen ist.

 

Die vorzüglichste Quelle bietet aber wohl der «Freidal des Kaisers Maximilian I.» in den kunsthistorischen Sammlungen des kaiserlichen Hauses, welches umfangreiche Bildwerk in der Literatur durch die Prachtausgabe in ausgezeichneten Heliogravüren vertreten ist, welche unter der Leitung des Oberstkämmerers Grafen Folliot de Crenneville von Quirin von Leitner veranstaltet wurde.3 Dieses letztere Werk ist noch außerdem von hohem Wert, als es das einzige ist, in welchem das Material genau erklärt wird und daher in allen Fällen zu Rat gezogen werden kann. Auch Schreiber dieser Zeilen hat bei seinen Studien dieses grundlegende Werk benützt und manches Detail davon als wertvolle Frucht in seine «Waffenkunde» aufgenommen.

 

Gefährlich ist es, namentlich für jüngere Kollegen, welche den Gegenstand berühren müssen, sich von diesen zeitgleichen Quellen zu entfernen oder sie gar zu übergehen und in gewissen Werken der modernen Literatur sich Rat zu erholen. Da hat ein französisches Werk: Viollet-le-Duc, «Dictionnaire du mobilier Francais», das nur von gewiegten Kennern des historischen Waffenwesens benutzt werden kann, die Spreu vom Weizen zu sondern verstehen, in jüngeren Köpfen schon die irrigsten Begriffe entstehen lassen, weil eben ein Blinder den andern geführt hatte.

 

Wir haben in unserem Werk: «Handbuch der Waffenkunde» das gesamte zum Stechzeug gehörige alte Material, wie wir glauben, so genau beschrieben, dass man mit diesen Erklärungen an der Hand eine korrekte Zusammenstellung eines Stechers immerhin unternehmen könnte. Wir müssen bei dieser Gelegenheit betonen, dass es nicht fachrichtig ist, das ältere Material fürs Gestech: «Harnisch» oder gar «Rüstung» zu benennen. Für dieses besteht einzig die Bezeichnung das Stechzeug, nach altem Sprachgebrauch der Stechzeug. Mit dem Namen «Stechharnisch» .bezeichnet man die Ausrüstung für das «neue deutsche Gestech über das Dill», die aus dem Feldharnisch der Renaissance vor ca. 1510 hervorgegangen ist und gewisse Varianten mit selbem nur in dem Helm und einigen Verstärkungsstücken aufweist.4

 

Auch dem Material für das alte deutsche Gestech steht das alte italienische entgegen, welches sich von jenem hauptsächlich dadurch unterscheidet, dass das Bruststück zwar einen Rüst- aber keinen Rasthaken beisitzt, denn die Italiener bedienten sich weit leichterer Stechstangen. Auch die sogenannten Helmfenster oder Luftgeber an den Helmen sind eine Spezialität dieser Zeuge, die man übrigens hier und da auch an deutschen findet.

 

Die kaiserliche Waffensammlung zu Wien besitzt drei derlei (welsche) Zeuge, das kompletteste und instruktiv wertvollste erblicken wir in dem irrig Boabdil, später ebenso irrig Karl V. zugeschriebenen Stechzeuge in der Armeria Real zu Madrid.5 Das deutsche Stechzeug besteht aus dem Stechhelm, der vorne an die Brust angeschraubt, rückwärts mittels der senkrecht stehenden «Helmzagelschraube» stellbar befestigt ist. Das Bruststück bildet an der rechten Seite eine flache Wand, an welche zunächst dem Rüsthaken die schwere Schiene des Rasthakens angeschraubt ist, welcher den Gegenhalt der gewichtigen Stechstange vermittelte. An die Brust schließt das auffällig stark gehaltene «Magenblech», welches auf dem Sattel aufruhte, sodass der Mann nahezu völlig entlastet wurde. Zu gleichem Zweck diente auch ein Ansatz von Blech am Unterrand des Rückens, das sogenannte «Schwänzel», welches an den Leib des Reiters mit Riemen geschnallt wurde und auf dem Rückteil des Sattels aufsaß. An die Bauchreifen waren weiter schwere «Beintaschen« geschnallt, welche die Weichen deckten. Nur eine Zierde bildete das kurze faltige, meist reich gestickte «Harnischschößchen» aus gesteiftem Stoff. Die geschobenen Achseln reichten weit über den Oberarm herab. Das Unterarmzeug charakterisierte sich durch eine die Armbeuge deckende Muschel, das linke war eine sogenannte «steife Hentze», welche in einer «Tatze» endete.

 

Die rechte Hand war ohne Handschuh. Zur Deckung der Achselhöhlen dienten sehr große «Schwebescheiben». An der linken Brustseite bei fanden sich Löcher; durch selbe wurden die Stricke gezogen, mittels welchen die «Stechtartsche» an die Brust geknüpft wurde. Diese Stechtartsche, das Ziel der Krönigstöße, hatte die Form eines Wappenschildes und bestand aus einer Holzplatte, auf welcher in musivischer Anordnung Beinplatten genietet waren. Das Ganze war mit Blankleder überklebt. Eine Bedeckung der Tartsche mit einem bemalten oder gestickten Seiden- oder Leinenstoffe ist nur zur Auszierung, der sogenannten «Invention» zu zählen. Die Beine des Stechers waren unbewehrt, die Füße stacken in schweren wattierten Wollschuhen. Als Ausrüstungsstück sind nur die Sporen mit langen Hälsen zu rechnen. Es gab auch ungarische Turniersporen für das Gestech, die sich durch überaus breite Stege und Hälse erkennen lassen. In der kaiserlichen Waffensammlung finden sich mehrere derlei Paare.

 

Auch in der Millenniums-Ausstellung war ein derlei Sporenpaar aus dem Besitz Sr. Exzellenz des Grafen Hans Wilczek zu sehen (792, Seite 247), wurde aber dort nicht als ein «ungarisches» bezeichnet. Rechnet man hierzu noch die den Kopf des Stechers deckende Haube aus mit Werg ausgestopftem Zwilch, wie solche Originale nur in Wien zu sehen sind, so ist das Material des Zeuges für den Mann beschrieben. Der Stecher bediente sich als Waffe der schweren Stechstange, an deren oberem Ende der drei- oder vierzackige «Krönig» sich befand. Der Reiter in Budapest führte irrig eine Stange mit «Renneisen». Die Hand des Stechers deckte die an die Stange geschraubte «Brechscheibe».

 

Nun gelangen wir zur Ausrüstung des «Stechhengstes». Den Kopf desselben deckte die sogenannte «geblendete Rossstirn». Um nämlich das Seitwärts-Ausbrechen des Hengstes im Augenblick des Anpralles zu verhindern, wurden die Augen desselben vollständig verdeckt. Die Rossstirn besaß daher keine Augenausschnitte, ja selbst die «Ohrenbecher» wurden häufig mit Werg verstopft; man nannte das «plendt und thört». Außer dieser Stirn besaß der Hengst keine Sicherheitsdeckung mit Ausnahme des sogenannten Brustkissens, welches aus Zwilch gefertigt und mit Stroh gefüllt, an dem Sattel befestigt, die Brust des Hengstes deckte, um beim Anprall einer Verletzung des letzteren vorzubeugen. Der Sattel im sogenannten «niederen Zeug» besaß nur einen hohen Vorder- und gar keinen Hintersteg; später bediente man sich nur mehr kleiner Sättel ohne Stege, sogenannte «Silla rasa».

 

Das Riemenwerk, welches durch die Parsche verdeckt war, bestand aus Hanfbändern, nur die Steig- und Zügelriemen waren aus Leder. Über den Vorder- und Hinterteil des Rosses wurde eine weit herabreichende Decke, der «Sack» (sackh), gelegt, welcher den ganzen Körper bis zu den Sprunggelenken einschließlich des Brustkissens bedeckte. Ebenso wurden die Riemen der Stangenzügel mit derlei Stoffstreifen behängt. Alle diese Textilstoffe wurden in der Regel mit Stickerei verziert oder bemalt. Den Gegenstand bildeten Phantasiefiguren, ernste und launige Sinnbilder u. dgl. als Erkennungszeichen. Kopf und Schwanz des Hengstes waren mit Federn oder anderem Aufputz geziert, auch die Stechstangen wurden häufig mit Girlanden umwunden, um den Effekt zu steigern. «Dilgen», zum Schutz der Oberschenkel, gehörten speziell nur zu einer Rennzeug-Ausrüstung.

 

Wir bringen hier zum Vergleich die Darstellung des Herzogs Wilhelm IV. von Bayern im deutschen Gestech mit dem Grafen Christof von Oldenburg 1510 (Tafel V.) Selbe ist bezeichnet «Hans Ostendorfer 1541.» Sie ist aus der obenerwähnten Ausgabe des Turnierbuches dieses Herzogs von Schlichtgroll entnommen.

 

W. Boeheim

 

1 Frankfurt a. M. 1853.

2 München 1817. Es enthält übrigens nur vier deutsche Gesteche, alle übrigen Tafeln stellen «Rennen» dar.

3 Wien 1880 —1882.

4 Waffenkunde Fig. 654 S. 565. Das Wort Dill, italienisch Pallia, bezeichnet die Holzplanke, welche beide Stecher trennte.

5 Waffenkunde Fig. 630 S. 544. Es gehörte wohl Ferdinand dem Katholischen.

Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 7. Dresden, 1897-1899.