Im vorstehenden Aufsatz ist vom Eiben- d.h. vom Handbogen aus Eibenholz, die Rede, der noch im Schluss des 15. Jahrhunderts trotz der Entwicklung der Feuerwaffen eine solche Rolle spielte, dass die Übung in einer Handhabung zu den ritterlichen Künsten gerechnet wurde. Er wurde selbst im Krieg noch verwendet, und in Kaiser Maximilians I. Zeugbüchern ist nicht bloß von ihm unter der Bezeichnung „englischer Bogen“ die Rede, es findet sich auch der Gebrauch desselben abgebildet. Die Elastizität des Eibenholzes sowie die Möglichkeit, sich selbst mit dem Schnitzmesser die Waffe zu fertigen, haben dem Eibenbogen so frühe Entstehung gegeben, als man überhaupt daran dachte, aus der Ferne treffen zu wollen. In den Pfahlbauten zu Robenhausen hat man welche gefunden: die jetzt im Museum zu Zürich sich befinden. Die ältesten klassischen Schriftsteller kennen den Bogen als altbewährte Waffe. Alle späteren Zeiten behalten ihn bei. Aber wie alles häufig vorkommende und gewöhnliche, stand der einzelne Bogen nicht in solchem, man möchte sagen, individuellem Ansehen wie z. B. ein gutes Schwert, und so gingen fast alle Exemplare verloren. Unter allen Waffen kommt keine seltener vor, als ein alter Handbogen, obwohl selbst mit dem 15. Jahrhundert der Gebrauch nicht aufhörte, sondern sich bei Schützengesellschaften wohl da und dort bis in unser Jahrhundert erhalten hat. Nur orientalische Bogen finden ich häufig genug vor, da diese bei uns stets als Seltenheit gegolten, daher aufbewahrt worden waren.
Um möglichste Elastizität zu erzielen, musste man ihn so dünn als tunlich und so lange als möglich schnitzen. Ein Exemplar, welches sich erhalten hat und ins germanische Museum gekommen ist (Fig. 1), hat mit den beinernen Endspitzen eine Gesamtlänge von 1,70 m bei einer Stärke in der Mitte von 3 cm. Er ist aus freier Hand derart gespalten und geschnitzt, dass die Fasern des Holzes nach Möglichkeit ganz geblieben und nicht durchschnitten sind. Man hat deshalb Buckel, die durch den Wuchs des Holzes sich ergeben hatten, nicht beseitigt. Das Holz, in der Mitte, wo die Hand es fasste, und an den Enden rund, dazwischen breit, fünfseitig, ist nur wenig gekrümmt und zwar nicht nach innen, sondern nach außen, sodass um so größere Kraft aufgewendet werden musste, um die Sehne straff zu ziehen und das Holz an den Enden einwärts zu biegen. Die Wirkung hing von dem Kraftaufwand ab, über den der Arm des Schützen verfügte, daher auch die Entfernung, innerhalb deren die Pfeile ein Ziel sicher erreichen und noch mit Wirkung einschlagen konnten, eine geringe war.
Mit ausgestreckter Linken den Bogen vor sich haltend, zog der Schütze die Sehne mit der Rechten so straff als möglich zurück, gab dem Holz so viel Krümmung als möglich und zugleich dem Pfeil durch Auflage auf der den Bogen haltenden Linken die Richtung. Ließ die Rechte die angezogene Sehne los, so schnellte das Holz in seine ursprüngliche Lage zurück, und die Sehne trieb den Pfeil zum Flug.
Aus welcher Zeit unser Exemplar stammt, ist schwer zu sagen. Es trägt an zwei Stellen Brandstempel, und zwar je viermal einen Wappenschild mit drei Sternen, der Gestalt nach dem 15 Jahrhundert angehörend, sowie die Schrift OCOM in Majuskeln, die bereits an die Wiederaufnahme der Antike erinnern. Es mag also dem Schluss des 15. Jahrhunderts entstammen, wofür auch die Form der beinernen Enden spricht. Über die Herkunft konnten wir nichts Zuverlässiges erfahren. Das Stück soll von Hohenaschau stammen, was uns aber nicht wahrscheinlich vorkommt.
Der über die Linke hingleitende Pfeil sowie die an den Arm schnellende Sehne mussten jedoch den Schützen selbst belästigen. Dagegen suchte man ich zu schützen. Tat dies wolh auch kaum der Soldat, der mit dem Bogen kämpfte, so doch wenigstens der Schütze, der noch in späterer Zeit ihn zum Vergnügen handhabte. Das Germanische Mueum ist im Besitz einer aus drei Stücken bestehenden Garnitur von Schutzmitteln gegen diese Belästigung, die 1879 im Schloss zu Pouilly beim Aufheben eines Zimmerfußbodens unter demselben gefunden wurde und als Geschenk des damals in Metz lebenden Freiherrn v. Hardenberg in unser Museum kam. Das erste Stück (Fig. 2 u. 3) ist ein rund ausgehöhltes Stück Elfenbein, das über das Handgelenk gedeckt und mittelst lederner Riemen angeschnallt wurde. Es hat eine Länge von 17 cm, bei einer Breite von 8 cm und ist so geformt, dass es bis zur Daumenwurzel vorgeschoben werden konnte. Während die innere Seite glatt ist, trägt die äußere leichte Gliederungsstreifen, dazu noch, mit rohen Linien eingeritzt, ein Bild des hl. Sebastian, dessen Pfeile von einem Engel herausgezogen werden sowie das Wappen von Jerusalem und die Zahl 1095 (vielleicht das Jahr, in welches unter die Vorbereitungen zum Kreuzzug Gottfrieds v. Bouillon die Gründung der Bogenschützengesellschaft verlegt wurde, der der Besitzer angehörte?). Wir sehen jedenfalls in diesem Sgrafitto eine später hinzugekommene, wohl von einem Besitzer selbst eingekratzte, nicht besonders gelungene Verzierung des älteren Stückes. Die Schnalle des Lederriemens trägt die Form vom Ausgang des Mittelalters oder Beginn des 16. Jahrhunderts, dem wohl also das Stück angehört. Ein von einer Hand des 18. Jahrhunderts mit Tinte ins Innere geschriebenes, jetzt aber ganz verwischtes Wort „Micouart“ bezeichnet wohl den Namen eines ehemaligen Besitzers. Das zweite Stück der Garnitur ist ein elfenbeinener Ring zum Schutz des Untergliedes des Daumens, an der Innenseite der Hand schmal, außen, wo er als Deckung diente, breit (Fig. 4 u. 5). Ein im Inneren festgeklebtes, oben über den Ring vorstehendes Stückchen Leder deckte, ohne die Beweglichkeit zu hemmen, das Vorderglied des Daumens. Das dritte Stück (Fig. 6) ist eine Rinne aus grauem Horns die, an den Zeigefinger angeschnallt, dem Pfeil den Lauf über die Hand anwies, ohne dass dieser sich an der Hand rieb. Sie ist etwas nach oben gekrümmt, um jeden Winkel nach der Höhe oder in die Tiefe dem Pfeil anweisen zu können, der stets doch nur an einem einzigen Punkt den Kanal berührte, also in demselben nicht zu viel Reibung fand. Das Anschnallleder dieser Pfeilführung ist außen mit glattem, rotem Samt überzogen. Die beiden letztgenannten Stücke bieten so wenig Anhaltspunkte für eine Zeitbestimmung, dass wir wohl gut tun, sie mit dem Handwurzelschutz, mit welchem sie zusammen gefunden wurden, dem Schluss des Mittelalters zuzuweisen.
Fig. 7 zeigt die mit diesen drei Stücken ausgestattete linke Hand des Bogenschützen, der im Begriff ist, schräg zu schießen.
A. Essenwein, Nürnberg.
Quelle: Mitteilungen aus dem Germanischen Nationalmuseum. Bd. 1 (1884-1886).
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