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Das Pulver und die ballistischen Anschauungen im 14. und 15. Jahrhundert

Von Paul Reimer, k. pr. Secondelieutenant im Badischen Fuß-Artillerie-Regiment Nr. 14, Charlottenburg.

 

Wenn schon die Nachrichten über die ältesten Geschütze recht lückenhaft sind, so finden sich Angaben über das älteste Pulver noch viel spärlicher. Indessen lassen sie im Verein mit der auf den verschiedenen Abbildungen ersichtlichen Konstruktion der Geschütze immerhin einige Schlüsse über die Art des Pulvers, sowie über die ballistischen Anschauungen im 14. und 15. Jahrhundert zu. Es wird hier und da erwähnt, dass das Auswaschen der großen Kaliber nach jedem Schuss sehr umständlich und zeitraubend gewesen, und Solms führt (1559) als Vorteil der Hinterladung an, dass man hierbei nur nötig habe, den Ladungsraum nach jedem Schuss auszuwaschen, da der Rückstand des vorhergehenden Schusses durch das Geschoss des nachfolgenden aus der Seele des Rohres fortgenommen werde. Es geht hieraus hervor, dass der Rückstand des Pulvers so bedeutend und von solcher Beschaffenheit gewesen ist, dass er das Laden erschwerte, denn bei der meist von vorneherein unebenen und rauen Seele der ältesten Rohre hätte ein feinverteilter, schlammartiger Rückstand, wie er bei dem heutigen Schwarzpulver auftritt, die alten Artilleristen wohl kaum zum sorgfältigen Auswaschen der Rohre veranlasst.

 

Hieraus folgt, dass der Rückstand hart gewesen ist und fest an den Seelenwänden und dem Ladungsraum haftete. Ein solcher Rückstand ergibt sich aber, wenn die Bestandteile des Pulvers nicht fein genug zerkleinert und nicht innig genug gemischt wurden, ferner, wenn nicht genügend Kohle in dem Pulver enthalten ist. Da das Pulver nicht gekörnt, also auch nicht durch Stampfen etc. derart verdichtet war, dass jedes Teilchen des Pulvers, wie das heutige Mehlpulver, Salpeter, Schwefel und Kohle in annähernd richtigem Verhältnis enthielt, so mussten sich die lose nebeneinander liegenden Bestandteile des Pulvers beim Schütteln auf dem Transport — nach den Abbildungen im Weiskunig wurde selbst um 1500 das Pulver noch in großen Säcken ins Gefecht transportiert — nach ihrem spezifischen Gewicht ordnen, unten Salpeter, dann Schwefel und oben Kohle.

 

Man kann sich also hiernach das Pulver nur als ein sehr ungleichmassiges Gemenge der drei Bestandteile vorstellen, in welchem besonders der sehr schwer zu zerkleinernde Schwefel noch in kleinen Stückchen vorhanden war. Das damalige Pulver dürfte also ungefähr auf der Stufe desjenigen gestanden haben, welches sich Schulknaben zu verbotenen Schiessversuchen gelegentlich wohl anzufertigen pflegen. Solms führt bereits eine große Reihe von Pulversorten angeblich verschiedener Wirkungsweise an, welche außer Salpeter, Schwefel und Kohle noch andere zum Teil ganz indifferente Stoffe enthielten. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass auch die älteren Büchsenmeister aus Aberglauben und unrichtiger Vorstellung der Wirkungsweise des Pulvers dem von ihnen angefertigten Pulver noch die verschiedenartigsten Stoffe beifügten, welche zumeist lediglich den Rückstand vermehrten. Dass das Pulver vor seiner Verwendung noch einmal gründlich gemengt wurde, lässt sich kaum annehmen.

 

Die bekannte Tatsache, dass gekörntes Pulver heftiger verbrennt als Mehlpulver, hat darin ihren Grund, dass die an der Stelle der Entzündung erzeugte Stichflamme sich durch die Zwischenräume der Körner in kürzester Zeit in der ganzen Ladung fortpflanzen und so eine fast gleichzeitige Verbrennung aller Teile veranlassen kann. Diese Verbrennung ist umso heftiger, je mehr Zwischenräume zwischen den Körnern vorhanden sind, also je feinkörniger das Pulver ist, dabei aber immer vorausgesetzt, dass jedes Korn die drei Bestandteile in richtigem Verhältnis enthält. Mehlpulver backt sich ohne Zwischenräume fest zusammen, die Entzündungsflamme kann sich daher erst auf die folgenden Mengen übertragen, wenn die zuerst entzündeten verbrannt sind, die Verbrennung schreitet daher nur langsam fort.

 

Wenn dies bei dem heutigen, gut bearbeiteten Mehlpulver der Fall ist, wie langsam und ballistisch ungünstig muss erst die Verbrennung des ältesten Pulvers gewesen sein, bei welchem nach den obigen Ausführungen die Verteilung der Bestandteile sehr unregelmäßig war. Vielleicht wollte man diesen letzteren Übelstand dadurch etwas beseitigen, dass man das Pulver in kleinen Mengen aus Messgefäßen in das Rohr schüttete und feststampfte, wie aus Tafel A III und IV in «Essenwein, Quellen zur Geschichte der Feuerwaffen» deutlich hervorgeht. Der Hauptgrund für das Feststampfen wird aber wohl der gewesen sein, in den gegebenen Verbrennungsraum eine größere Menge Pulver einzubringen, also eine möglichst große Kraftleistung zu erhalten.

 

Gasdruck und Verbrennungsgeschwindigkeit steigern sich gegenseitig! Wie heutzutage manche Pulversorten nur bei einem in gewissen Grenzen liegenden Gasdruck ballistisch günstig verbrennen, so bedurfte auch das damalige so träge Pulver eines gewissen Druckes, um gehörig in Brand zu geraten. Dies scheint den alten Büchsenmeistern bekannt gewesen zu sein, sonst hätten sie nicht den großen Wert auf gute Verteilung der Pulverladung mit einem Holzklotz gelegt. Die Unterschrift unter Tafel II im «Essenwein» verlangt einen Klotz aus Birkenholz, recht weich, um ihn ganz fest in das Rohr keilen zu können. Ohne den Klotz wäre die Verbrennung des Pulvers jedenfalls sehr gestört worden, indem die durch Verbrennung der zuerst entzündeten Pulvermengen entstandenen Gase — das Zündloch war stets am hinteren Teil des Ladungsraumes angeordnet — die davor liegende Ladung vorwärts getrieben und das Geschoss einfach aus dem Rohr gerollt hätten oder aber durch den Spielraum zwischen Geschoss und Rohr entwichen wären. Der Widerstand des Klotzes gestattete daher das Anwachsen des Gasdruckes und die Erreichung einer Verbrennungsgeschwindigkeit, welche das rasche Vortreiben des Geschosses ermöglichte. Das Geschoss wurde ebenfalls durch Lumpen, Lehm oder dergleichen festgelegt.

 

Diese umständliche, aber durch die Natur des Pulvers bedingte Ladeweise lässt darauf schließen, dass die Feuerwaffe in der ältesten Zeit nur da Verwendung fand, wo der einzelne Schuss von Wirkung war und wo sie die Wirkung der bis dahin gebräuchlichen Waffen übertraf oder bequemer erreichen ließ, d. h. in erster Linie zur Zerstörung von Mauern. Hier bot das Geschütz den Vorteil, dass man nicht, wie bei den Widdern etc., bis dicht an die Mauern heranzugehen brauchte, sondern besser gedeckt aus einiger Entfernung schießen konnte. Die zur Zerstörung von Mauerwerk notwendige lebendige Kraft hätte man nun erreichen können einerseits durch große Geschwindigkeit bei kleinem Kaliber, andererseits durch großes Kaliber bei mäßiger Geschwindigkeit. Da man nun mit Steinkugeln schoss, die, mit großer Geschwindigkeit verfeuert, beim Anprall jedenfalls zersprangen, so blieb nichts anderes übrig, als große Kaliber anzuwenden, wie sie selbst heute nicht wieder erreicht sind. Dagegen konnte die Verteidigung Rohre kleineren Kalibers brauchen, um die leichten Deckungen des Belagerers zu durchschlagen; doch dürfte das Bedürfnisse hierzu erst hervorgetreten sein, nachdem die Belagerungen regelmäßig durch eine Strecke von der Mauer aufgestellte und so durch keine andere Waffe wirksam zu bekämpfende schwere Geschütze unterstützt wurden. Dieser Umstand dürfte ein Grund dafür sein, anzunehmen, dass leichte Feuerwaffen erst nach den schweren allgemein in Gebrauch kamen. Handfeuerwaffen vollends konnten wegen der schwierigen Ladeweise nur eine ganz untergeordnete Bedeutung haben und bildeten wohl mehr eine moralische Waffe.

 

Hätte man die schweren steinernen Kugeln, z. B. von mehr als 2,5 Fuß Durchmesser, wie sie 1399 vor Tannenberg gebraucht wurden, einfach aus einem kesselartigen Geschütz werfen wollen, so hätte man zum Verkeilen der Ladung eines ungeheuren Holzklotzes bedurft, der indessen bei seiner großen Oberfläche bereits zu Bruch gegangen wäre, bevor der zur Erreichung einer genügenden Verbrennungsgeschwindigkeit des Pulvers erforderliche Druck aufgetreten war. Man ließ daher in der ersten Zeit das Rohr hinten spitz zulaufen und erreichte so einen engeren Ladungsraum; bald aber ordnete man eine besondere, lose oder feste Kammer an, welche eine verhältnismäßig große Ladung in Gestalt einer langen Pulversäule aufnehmen konnte und sich leicht verkeilen ließ.

 

Wenn bei manchen Geschützen schweren Kalibers die Kammern verhältnismäßig klein sind, so darf man nicht vergessen, dass die verlangten Schussweiten sehr gering waren, eine größere Anfangsgeschwindigkeit des Geschosses, so erwünscht sie auch war, aber hätte einen wesentlich höheren Gasdruck und damit eine größere, unter den gerade vorliegenden Umständen vielleicht nicht erreichbare Festigkeit des Rohres bedingt, ganz abgesehen von dem noch erhöhten Gewicht dieser an sich schon schwer zu bewegenden Kolosse. Es ist immerhin anzunehmen, dass das richtige Verhältnis zwischen Geschossgewicht und Ladung annähernd festgestellt war.

 

Nach dem Feuerwerkbuch von Conrad Kauder (1429)1 muss man die Einführung gekörnten Pulvers in den Anfang des 15. Jahrhunderts verlegen. Von da ab konnte das Verkeilen der Pulverladung fortfallen, ein Umstand, der in erster Linie den Handfeuerwaffen zugutekam, die denn auch in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts sehr in Aufnahme gelangten. Dass sich das gekörnte Pulver alsbald auch für Geschütze allgemein einführte, lässt sich kaum annehmen. Die Konstruktionen der Rohre bleiben im Wesentlichen dieselben, wie am Ende des 14. Jahrhunderts, auf eine dem höheren Gasdruck des schnell verbrennenden Kornpulvers Rechnung tragende Verstärkung der Kammer ist nur in seltenen Fällen berücksichtigt. Dagegen nehmen die Kammern an Länge ganz bedeutend zu, ein Zeichen, dass man nach Einführung widerstandsfähiger Kugeln durch Vergrößerung der Ladung die Geschossgeschwindigkeit, den erweiterten Aufgaben der Geschütze entsprechend, zu erhöhen suchte. Dies konnte jedoch erst gelingen, als man auch den vorderen Rohrteil, den «Flug», entsprechend verlängerte, um den Pulvergasen Gelegenheit zu geben, längere Zeit auf das Geschoss einzuwirken.

 

Auf diese Weise gelangte man zu 20 bis 40 Kaliber langen Rohren, wie sie im 15. Jahrhundert ziemlich häufig sind. Der mehrfach erwähnten Ladeweise gemäß konnten diese Rohre nur Hinterlader mit beweglicher Kammer sein. Gegen Ende desselben Jahrhunderts scheint man dann auch bei Geschützen hier und da zu Kornpulver übergegangen zu sein, wenigstens finden sich schon verhältnismäßig lange Geschütze mit kurzer Kammer, also für eine kleinere Ladung aus rasch verbrennendem Pulver bestimmt, und zu Anfang des 16. Jahrhunderts scheint die Verwendung des ungekörnten Pulvers ganz aufgehört zu haben. Die Geschütze wurden damals von vorne mittelst Ladeschaufeln geladen. Durch die Bestrebungen Kaiser Maximilians I. wurde dann die Artillerie derart gefördert, dass um die Mitte des 16. Jahrhunderts bereits Beutelkartuschen in Anwendung waren, und die Länge der Rohre auf das für Verwendung, Bedienung und Transport günstigste Maß gebracht wurde. Die Kammer behielt man für Wurfgeschütze bei, da sie auch für die kleinen Ladungen gekörnten Pulvers die günstigste Verwertung ergab.

 

1 Essenwein, S. 25.

Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 7. Dresden, 1897-1899.


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