Von Wendelin Boeheim.
Die Tatsache, dass sich bis zur Stunde noch Niemand in der Literatur mit dem Gebrauche und der Wirkung der Waffen vor Einführung des Schießpulvers eingehend beschäftigt hat; dass alle Materialien dafür noch ganz vereinzelt und ungehoben in alten Zeitchroniken, Poesien und wenigen Briefschaften des Mittelalters stecken, mag ein Streiflicht auf den Wert unserer Kriegsgeschichtsschreibung in der Zeit von der Völkerwanderung bis ins 14. Jahrhundert werfen. Wer es weiß, welchen großen Einfluss die Waffenwirkung auf die Taktik und speziell auf die Gefechtsführung hat und nur einen bestimmten Entwicklungsstandpunkt im Waffenwesen ins Auge fasst, wird sich bei der Lektüre von Gefechtsschilderungen jener Periode, selbst der besten Werke, eines Lächelns nicht erwehren können und mit uns darüber einer Meinung sein, dass alle diese Schlachtberichte Phantasiebilder von Autoren sind, welchen entweder die Kriegskunst an sich ganz fremd gewesen ist oder den Krieg mit dem Auge eines modernen Taktikers betrachtet haben. Wir wollen hier die Strategie, in deren Auffassung nicht weniger sonderbare Anschauungen zutage treten, ganz aus dem Spiel lassen, um unser Thema nicht zu verwirren.
Der Gegenstand, mit dem wir uns hier eingehender befassen wollen, ist allerdings ein solcher, den unsere modernen Taktiker im Allgemeinen nicht sehr heiß anfassen. Die Leitung zwischen zwei formell in den Kriegsschulen gepflegten Disziplinen: der Kriegsgeschichte und der Taktik ist eben noch nicht hergestellt und darum kann auch ein regeres Interesse für das Schulbeispiel eines Verhältnisses der Waffenwirkung zur Taktik aus älterer Zeit und seine instruktive Bedeutung für die Gegenwart nicht vorausgesetzt werden. Ja wir sind uns bewusst, dass wir autoritativ auftretenden Ansichten in besten Fachkreisen entgegenstehen, die alle unsere Bestrebungen, diese wichtige Verbindung zur Förderung der Entwickelung unserer modernen Kriegskunst anzuknüpfen, für müßige Zeitverschwendung erachten. Aber das soll uns nicht abhalten, jede Gelegenheit zu ergreifen, die hohe Wichtigkeit der vergleichenden Waffenwissenschaft zu betonen in der Hoffnung, dass die Ansicht doch einmal schwinden wird: es sei das Gegenwärtige immer das Vortrefflichste und das Vergangene sei, als ein für alle Mal abgetan, keiner Beobachtung wert. Plünderte Beispiele freilich erwiesen schon das Irrige dieser Ansicht bis zur «plötzlichen» Entdeckung der Vorteile des kleinen Gewehrkalibers herab und dennoch wird es viele Mühe kosten, dieselbe in die richtigen Bahnen zu leiten.
Wir haben es hier diesmal mit zwei der bedeutendsten Fernwaffen, ja, wenn wir von den Wurfwaffen: Schleuder, Wurfspieß, Wurfhacke etc. absehen wollen, den einzigen Fernwaffen im Feldkrieg des Mittelalters, dem Handbogen und der Armbrust zu tun und möchten uns, bevor wir in diesen Gegenstand eingehen, im Hinblick auf das eingangs Bemerkte, nur vor der irrigen Auffassung sichern, als sei es unsere Absicht, diese Waffen an sich in ihrem Wert hervorzuheben. Das sei uns fern, denn wir gerieten damit in den gegenteiligen Fehler derjenigen, die eine alte Waffe ohne Weiteres in die Rumpelkammer verweisen. Was wir hier anstreben, ist, den Wert jener Fernwaffen für sich selbst und ihre Zeit festzustellen, ohne jeden Seitenblick auf unsere modernen derlei Waffen, um daraufhin einen richtigen Schluss auf die damalige Gefechtstaktik zu ermöglichen. Das Verhältnis der Waffe zur Taktik von einst im Hinblick auf die Gegenwart und die allgemeinen Lehren, welche daraus erwachsen, wird sich der geneigte Leser dann selbst herausziehen können.
Dass der Gebrauch des Handbogens weit über die geschichtliche Zeit hinaufreicht, darüber belehren uns die Andeutungen im Homer, die bildlichen Darstellungen in ägyptischen Gräbern und die häufigen Funde von Pfeilspitzen selbst in frühester Steinzeit. Ein biegsamer Holzstab, eine Rute von eher weniger denn mehr als Mannslänge im leicht gebogenen Zustand durch eine an beiden Enden befestigte Tiersehne, Darmsaite oder Hanfschnur verbunden, damit ist eine Waffe beschrieben, die durch Jahrtausende eine der hervorragendsten Rollen im Krieg gespielt hat, und man kann sagen, dass dieselbe in ihrer Einfachheit im Verhältnis zu ihrer Leistung selbst nach heutigen Begriffen zu den vorteilhaftesten gezählt werden muss.
So wenig kompliziert sich die Konstruktion des Bogens darstellt, seine Bedienung erforderte zu allen Zeiten eine bedeutende, uns heute kaum begreiflich erscheinende Gewandtheit und Erfahrung. Verschiedene Anzeichen belehren uns auch, dass in den ältesten Kriegsheeren schon die Führung des Bogens auf gewisse Stämme oder Landsmannschaften sich beschränkte, in denen der Einzelne von Jugend auf berufsmäßig geübt worden war. In den bildlichen Darstellungen der Ägypter erscheinen die Bogenschützen in anderem Typus und lichterer Hautfarbe, und es ist bekannt, dass Griechen wie Römer ihre Bogenschützen aus bestimmten Territorien wählten, deren Bewohner von Alters her in dem Ruf der Gewandtheit standen. Bei den Griechen waren es die Thraker und Kreter, bei den Persern die Parther, bei den Ägyptern die Numidier; die Römer benutzten Bewohner der griechischen Inseln und reihten selbe in die Klasse der Veliten.
Später traten gewisse bestimmte Stämme der Araber und Sarazenen als Meister im Bogenschießen hervor und wir wissen, dass selbst in den Kreuzheeren sarazenische Bogenschützen, sogenannte Turkopolen, und unter den deutschen Kaisern in Europa gedient hatten. Bis ins spätere Mittelalter hinein standen Bewohner von Inseln des Mittelländischen Meeres in dem Ruf geschickter Bogenschützen, aber damals machten ihnen bereits die Italiener und die Hochschotten den Ruhm streitig. Man kann sagen, dass jedes der alten Heere vor Einführung des Feuergewehres ihre Bogenschützen nur aus bestimmten Landschaften wählte; nur Frankreich machte da im 13. und 14. Jahrhundert eine Ausnahme, es hielt zwar erhebliche Mengen fremder Bogenschützen, unterschätzte aber deren Wert und nützte sie auch zu seinem eigenen Schaden nicht aus.
Je einfacher eine Fernwaffe ist, desto mehr Anforderungen stellt sie an ihre Bedienung bezüglich der Wirkung des Geschosses und der Treffsicherheit und da bemerken wir in Beziehung auf den Handbogen, dass letztere vorzugsweise in der Fertigkeit und Ruhe der linken (Bogen-)Hand und der blitzartigen sicheren Bewegung der rechten Hand beruhte, welche die Sehne abschnellte. Man überzeugt sich da, wenn man die eigentümlich gewendeten Hände der Bogenschützen am Giebel am Minervatempel zu Aegina studiert, welche eben die Sehne abschnellend dargestellt sind. Die überlegene Sicherheit der Handhabung ist dort mit einem gewissen künstlerischen Raffinement wiedergegeben.
Um die Ausbildung eines Bogenschützen in der Handhabung richtig zu beurteilen, müssen wir erinnern, dass derselbe nicht die geringste mechanische Vorrichtung besaß, um sein Ziel ins Auge zu fassen, die blitzschnelle Richtung des Pfeiles und das mehr gefühlte als berechnete Erfassen, des Abschnellmomentes ergab die beabsichtigte Wirkung. Dabei ist zu bemerken, dass der Schütze auf größere Zielweiten den flachen Bogenschuss und auf geringere den direkten anwendete.
Von besonderen Vorrichtungen in der Ausrüstung des Schützen ist im Altertum nichts bekannt und auch in ägyptischen Abbildungen nichts zu bemerken. Erst spät im 16. Jahrhundert erfahren wir von dem Gebrauch des Ringes am Daumen der linken Hand, auf welchem der Pfeil aufgelegt wurde, bei den Türken; aber es ist bei dem starren Konservatismus des Orients anzunehmen, dass der Daumenringbei den Sarazenen und Arabern bereits in den Kreuzzügen in Anwendung kam. Der Bogenschütze in Westeuropa im späteren Mittelalter schützte seinen linken Vorderarm vor der schnellenden Sehne durch eine Schiene aus Bein oder Metall oder auch durch einen Fleck starken Leders,1 der an den Arm angeschnallt wurde. In diesen Beobachtungen liegen schon Anzeichen einer abnehmenden Gewandtheit.2 Da wir noch in keinem einschlägigen Werk den Gebrauch des orientalischen Daumenringes erklärt gefunden haben, so bieten wir hier in zwei Figuren und zwar in Fig. 1 einen Daumenring für sich und in Fig. 2 dessen Anwendung. Wenden wir uns nun der Leistung des Bogens zu, so sehen wir, dass dieselbe eine nahezu unglaubliche Höhe erreichte. Wir haben hierfür allerdings späte Daten, aber in diesem Fall können wir dieselben selbst für die frühesten Perioden als stichhältig annehmen. Der englische oder schottische Bogenschütze wurde verachtet, der in der Minute nicht 10 bis 12 Pfeile abschießen konnte, ohne sein Ziel zu verfehlen. Die Tragfähigkeit des Bogens war allerdings unseren modernen Begriffen nach äußerst gering. Je nach der Konstruktion, der Spannkraft und Aufzugdimension betrug sie im Durchschnitt beim Bogenschuss 400, beim direkten etwa 250 Schritte.
Zu den weiteren erheblichen Vorteilen des Bogens zählte auch dessen ganz geringes Gewicht, die flüchtige leichte Handhabung gestattete auch dessen Gebrauch im gemessenen Vormarsch und selbst beim Rückzug. Der Gebrauch des Bogens zu Pferd findet sich zuerst bei den Persern und den Numidiern. Das Relief aus dem Goldfund von Nagy Szent Mildös, der dem 5. Jahrhundert zugeschrieben wird, erweist den Bestand von reitenden Bogenschützen zur Zeit der Völkerwanderung bei den östlichen Wandervölkern. In den Kreuzzügen bestanden die Reitertruppen der Sarazenen und Araber durchwegs aus Bogenschützen, bei den Türken später zählte der Bogen nicht ausnahmslos zur Ausrüstung des Reiters, wohl aber bei den Tataren. Die allgemein bekannte Gewandtheit orientalischer Reiter gestattete diesem auch im raschesten Entweichen seinen Pfeil mit überraschender Sicherheit abzuschießen.
Diesen unleugbaren Vorteilen einer Waffe standen auch empfindliche Nachteile gegenüber, die wir hier nicht verschweigen dürfen. So machten anhaltendes Regenwetter den Bogenschützen nahezu wehrlos, da die Sehnen durchnässt und unbrauchbar wurden; allerdings führte später jeder Bogenschütze für solche Zwischenfälle zwei und selbst mehr Sehnen in seinem Köcher, aber auch damit fristete er nur seine Wehrhaftigkeit. Orientalische Heerführer hüteten sich daher wohl, bei andauerndem Regenwetter einen Angriff zu machen, wenn nicht dringende Verhältnisse sie dazu nötigten.
Ein weiterer beträchtlicher Nachteil lag in der schwierigen Erzeugung der Geschosse, der Pfeile, und in deren Ersatz im Gefecht. Der Pfeil erforderte eine ungemeine Sorgfalt bei seiner Fertigung. Abgesehen von seinen allgemeinen passenden Dimensionen zur Bogengröße und einer glatten Oberfläche des vollkommen astfreien Pfeilschaftes bildete die Lage seines Schwerpunktes eine Hauptbedingung für seine Brauchbarkeit. Westeuropäische Pfeile sind uns nicht zur Hand gekommen, orientalische aber haben ihren Schwerpunkt wenige Zentimeter vor ihrer Mitte, aber es ist zu erkennen, dass seine Bestimmung das Resultat einer minutiös genauen Berechnung gewesen ist.
Erwägen wir nun die ansehnliche Schießgeschwindigkeit, die fast an unser modernes Schnellfeuer heranragt, so muss zweierlei angenommen werden, einerseits ein gut organisierter Munitions-Ersatz, anderseits eine strenge Schussdisziplin, und es entsteht da die Frage, ob wir beide unerlässliche Maßregeln überall voraussetzen und nicht sicher annehmen können, dass die Vereitelung einer kriegerischen Absicht auf die Vernachlässigung oder Undurchführbarkeit der einen oder beider zurückzuführen ist?
Mehr als 50 Pfeile konnte ein Schütze nicht im Köcher führen,3 diese konnten in 5 bis 10 Minuten mit Leichtigkeit abgegeben sein und dem Schützen blieb, wenn ihm nicht Ersatz geboten wurde, in seiner Not nichts anderes übrig, als durch das Auflesen herumliegender Pfeile sich noch im Schuss zu erhalten oder zurückzuweichen. Nahm er nun auch rückwärts Munition an sich, so war doch seine Position verloren. In den feudalen Heeren des Mittelalters war jedem Bogenschützen zu Fuß ein Schildträger beigeordnet, der ihn zu decken hatte, denn der teuer bezahlte und brauchbare Schütze war ein kostbares Gut, so wenig er in der Ritterschaft auch Ansehen hatte. Es ist anzunehmen, dass auch diese Schildträger einen Reservevorrat an Pfeilen mit sich trugen und zuweilen selbst für den Ersatz sorgten. Immerhin zählt dieser Umstand zu den empfindlichsten Nachteilen der Waffe.
Weniger schwierig musste sich der Munitionsersatz bei den reitenden Bogenschützen gestaltet haben. Beim Reiter konzentriert sich seine taktische Wirksamkeit an sich nicht lediglich auf die Fernwaffe, ja deren wirksamer Gebrauch drängt sich im Gefecht in der Regel auf einige Momente zusammen, dann ist bei der Beweglichkeit und Schnelligkeit des Reiters ein Ersatz leichter zur Stelle zu schaffen, als bei dem eine Stellung behauptenden Fußstreiter. Auch konnte der Reiter ohne Schwierigkeit eine größere Pfeilzahl mit sich führen.
Der Bogenschütze war zu allen Zeiten ein Feind einer schweren, und man kann selbst sagen, jeder Schutzwaffenausrüstung, ja der orientalische ging selbst ohne jede Schilddeckung ins Gefecht. In den Gefechtsdarstellungen der Tapete von Bayeux trägt nur ein Teil der Schützen einen leichteren Schuppenharnisch, der größere erscheint in gewöhnlichen Kleidern und selbst barhaupt. Mit dieser Anschauung, die auf dem praktischen Bedürfnis beruhte, stand der Schütze im starrsten Gegensatz zu jenen der ritterlichen Parteien. Die irrige Auffassung der Franzosen von der Bedeutung des Bogens und somit der Fernwaffe überhaupt, zeigte sich auch im 13. und 14. Jahrhundert in ihrer Schutzbewaffnung. Schon der Schütze zu Fuß, der Franc-archer, war mit einem schweren Harnisch ausgestattet, die berittenen aber trugen die vollständige Ausrüstung im Haubert, der Brüne mit den Eisenhosen und das Haupt deckte der schwere Topfhelm mit Augenspalt. So sehen wir ihn in Miniaturen, wie in der französischen Handschrift „Histoire universelle“ um 1310. Eine derlei Ausrüstung stand im vollen Widerstreit mit der Natur des Schützendienstes und es ist schon daraus die überaus geringe Brauchbarkeit der französischen Bogenschützen erkenntlich, die sich zu oftenmalen erwiesen hat.
Im ersten Kreuzzug hatte sich gezeigt, dass das Ferngefecht gegen die schwergerüsteten Reiter des Abendlandes eine zu geringe Wirkung hatte und die Sarazenen hatten diesen Nachteil rasch erkannt und waren bemüht, die Durchschlagskraft ihrer Pfeile durch Verbesserung ihrer Bögen zu erhöhen. Von dieser Zeit an erscheinen jene unglaublich spannkräftigen orientalischen Bögen, die wir in den verschiedenen Waffensammlungen erblicken, und von welchen die besten und ältesten, 1555 und 1565 erbeutet, sich in der Waffensammlung des kaiserlichen Hauses zu Wien befinden.
Bestand ehemals der Bogen einfach aus federkräftigem Holz, so wurde er nun aus mehreren flachen Lagen von Steinbockhorn zusammengesetzt. Die Form des Bogens wurde derart bestimmt, dass derselbe ohne Besehnung nach vorwärts oder aufwärts gekrümmt erschien.
Wurde nun der Bogen besehnt, so musste derselbe von aufwärts nach abwärts gekrümmt werden, damit war schon ein bedeutender Teil der Spannkraft in Anspruch genommen und die Sehne schon stark angespannt, bevor sie noch in Aktion trat. Zog nun der Schütze die Sehne, um seinen Pfeil abzuschnellen, weiter an, dann nahm er aber auch schon die relative Festigkeit bis zum äußersten Grad und selbst noch einen kleinen Teil der Zugfestigkeit seines Bogens in Anspruch. Dadurch erlangte der Pfeil eine so bedeutende Geschwindigkeit und Kraft, dass der Haubert und selbst das widerstandsfähigere Panzerzeug aus Ringgeflecht an den Armen und Beinen der Ritter keine genügende Sicherheit mehr gewährten.
Der Handbogen in den westeuropäischen Heeren bestand durchgehends aus Eibenholz und seine Länge betrug anfänglich nie mehr als 1,70 m. Diese Länge entsprach auch am besten der für eine Pfeillänge nötigen Aufzugsdimension. Alle bildlichen Darstellungen und noch die letzten in den Zeugbüchern Maximilians I. überzeugen uns, dass der europäische Handbogen einer einfachen Stange glich und nicht die Gegenkrümmung besaß, wie die orientalischen. Aus diesem Grund ist auch der im Germanischen Nationalmuseum bewahrte Bogen mit schwacher Gegenkrümmung kein solcher für das Feld, sondern entstammt sicher einer italienischen Schützengesellschaft des 16. Jahrhunderts.4 Für dieses Alter zeugt auch die darauf eingebrannte Lapidarschrift: «OCOM». In seiner Länge von 1,70 m und Gestalt bildet er ein Zwischenglied orientalischer und europäischer Formen.
Auch in den abendländischen, den Kreuzheeren, war man bestrebt, die Wirkung des Bogens zu erhöhen. Das erfolgte aber hier nicht in der raffinierten Weise durch eine berechnete Ausnützung der Festigkeit des Materials, sondern durch mechanische Umgestaltungen. Ihnen erschien der Pfeil des eigenen Schützen auf den leicht gepanzerten Orientalen gerade wirksam genug, weit wichtiger erschien ihnen, die Verletzungssphäre zu erweitern, um den Feind sich mehr vom Leibe zu halten. Dass die Reiterei, welche hier allein als maßgebend erachtet wurde, dabei noch bestrebt war, bei ihrer schweren Massentaktik sich selbst immer unverletzbarer und damit noch schwerfälliger zu gestalten, wollen wir hier nur nebenher bemerken.
Der Anfang wurde mit der Vergrößerung der Bogenlängen gemacht; damit nahm aber die Aufzugdimension der Sehne und die Pfeillänge zu, was die Handhabung erheblich erschwerte. Immerhin behielten die Engländer und überhaupt die nordischen Völker, die bis zu 1,70 m langen Bögen bei. Überall aber, und besonders in Italien sah man sich durch dieses Mittel unbefriedigt und dachte an weitere Verbesserungen.
Die gelehrte Tochter des byzantinischen Kaisers Alexius, Anna Komnena (1083 —1148), erwähnt in ihrem Werk «Annae Comnenae Alexiados XIX libri» bei der Beschreibung des ersten Kreuzzuges einer neuen Art Bogen, die sie «tzagrae» nennt, mit den Worten: «Die Tzagra ist ein Bogen, den wir nicht kannten —». Damit ist zweifelsohne die Armbrust gemeint, die ihre Entstehung lediglich dem Streben verdankt, die Kraft des Bogens zu verstärken. Aber die Erfindung der Armbrust ist noch weit älter und schreibt sich von der „arcubalista“ her, wie sie uns bereits Vegetius in seiner Epitome institutionum rei militaris um 385 schildert. Im 4. Jahrhundert scheint die Armbrust stark in Verwendung gewesen zu sein, vom 5. bis ins 10. Jahrhundert schweigen die Nachrichten über selbe gänzlich. Wir sind eben in der Beurteilung der Verwendung der Armbrust auf die Miniaturen angewiesen, und da erscheint sie erst in einem lateinischen Manuskript aus der Zeit Ludwig IV. des Ultramariners, um 937 wieder und in der Miniatur einer Bibel vom Ausgang des 10. Jahrhunderts aus der Abtei von St. Germain, jetzt in der Nationalbibliothek zu Paris, darstellend die Belagerung von Tyrus.
Die Armbrust ist nichts anderes als die mechanische Ausbildung des Bogens zu dem Zweck, um eine Verstärkung der Wirkung zu erreichen, die durch die widerstandsfähiger gestalteten Schutzwaffen (Schilde, Kübelhelme und Hauberts) nötig erschienen war. In der Verstärkung und Verlängerung des Bogens war die äußerste Grenze der Ausnützung der Menschenkraft erreicht worden; ein Schritt weiter und die Mechanik musste zu Hilfe genommen werden. Man griff zu dem System der arcubalistae der Römer zurück und bildete damit ein Mittelding zwischen diesen und den Bögen. Hierzu verband man den im Querschnitt erheblich verstärkten Bogen mit einem starken Holzschaft, der sogenannten «Säule», in welche man auch die einfache Abzugsvorrichtung verlegte. Zum Spannen der Sehne dienten die Hände des Schützen; in diesem Fall konnte eine darauf berechnete Armbrust nur um ein Geringes die Leistungsfähigkeit eines Handbogens überragen, oder mechanischer Vorrichtungen: «Spannhebel» oder «Winden»; in diesem Fall wurde die Handhabung kompliziert und verlangsamt. Was man also in der Wirkung des Schusses gewann, ging in der Zeit verloren.
Jeder Armbrustbogen musste in seiner Stärke und darum auch in seiner Schnellkraft dem Spannmittel entsprechen und es ergeben sich da gradatim nach aufwärts folgende Methoden: das Spannen mit freien Händen, mittelst des Spannhakens, des Hebels (Geißfuß), der englischen (Flaschenzug-)Winde, endlich der deutschen Zahnstangenwinde. Je nach diesen Varianten in der Bewaffnung musste die Leistung eines Armbrustschützen berechnet und beurteilt werden, denn die Unterschiede darin waren sehr bedeutend.
Fragen wir uns nun, was wurde durch diese Neuerung gewonnen? Gemeine Feldarmbrüste eigneten sich nur für den direkten Schuss; bei der weit größeren Dimension und Schwere des Geschosses, hier Bolzen genannt, war die Ertragsdistanz verhältnismäßig nur wenig jene eines Pfeiles überragend; sie betrug nach Maßgabe der oben erwähnten Bogenkräfte 250—350 Schritte. Allerdings war die Durchschlagskraft auf diese Distanzen eine weit größere, als jene des Pfeiles. Der Bolzen einer deutschen Armbrust durchbohrte auf 350 Schritte jeden mit Blech benieteten Haubert und das stärkste Drahthemd. Bedenklich nahm dafür die Schießgeschwindigkeit ab, sie sank bei Handspannung auf 8, bei Spannung mit dem Geisfuß auf 5, bei solcher mit englischer oder deutscher Winde auf gar 3 Schüsse in der Minute.
Noch weit empfindlicher gegen Nässe wie der Handbogen war die Armbrust. Die Sehnen konnten bei dieser nicht im Regenwetter vom Bogen abgenommen und in den Taschen trocken bewahrt werden. Bei deutschen Armrüsten, bei welchen Bogen und Säule durch eine Verschnürung (Verankerung mit Stricken) verbunden war, lockerte sich diese und machte die Waffe unbrauchbar. Nur italienische Armbrüste, bei welchen die Verbindung mittelst eiserner Schienen bewerkstelligt wurde, unterlagen diesem Übelstande nicht. Deutsche, niederländische und englische Armbrüste besaßen ausnahmslos Bögen aus Holz, zuweilen auch in mehreren dünnen Lagen bis zu 7 cm Höhe übereinander mit Birkenrinde oder Pergament überzogen und bemalt. Nur die Italiener und Spanier, in deren Ländern die Temperatur keine tiefen Grade erreichte, führten Armbrüste mit Stahlbogen. Solche würden im Norden bei großer Kälte von etwa -15 Graden Temperatur wie Glas zersplittert sein.
Die Treffsicherheit hatte sich gegenüber jener des Handbogens eher vermindert als vermehrt, ungeachtet die Armbrust an der Säule wie am Bolzen mechanische Zielvorrichtungen besaß. Auf diese Tatsachen wirkten mannigfache Ursachen ein. Die starke Erschütterung beim Abschnellen und der schwerfällige Abzug, beide verhinderten ein ruhiges Zielen.5 Dabei waren die Bolzen kürzer und weit weniger genau gearbeitet wie die alten Pfeile. Die Hauptursache lag aber in der allmählichen Abnahme der Geschicklichkeit der Schützen. Das Bogenschießen war einst ein wie zünftig betriebenes Handwerk, diese nationalen Meisterschützen nahmen aber in den Heeren ab. Im 14. Jahrhundert benützten nur wenige Heere mehr von Jugend auf ausgebildete Schützen, wie die Venetianer Bewohner von Korfu und den ionischen Inseln, die Franzosen Genueser und Leute von der Mittelmeerküste, die Engländer Hochschotten. In Deutschland waren nur Schweizer und Tiroler als Schützen in besserem Ruf. In den Kreisen der Städtebürger waren die Niederländer als Armbrustschützen berühmt.
Dort und in Deutschland wurde das Schießen in Gesellschaften eifrig geübt; in den deutschen Heeren aber fanden sich in der Regel nur Schützenabteilungen von geringer Ausbildung.
Stellen wir uns nun die Verwendung der Armbrustschützen im Gefecht vor. Um bei der geringeren Schussleistung die Wirkung der alten Bogenschützen nur halbwegs zu erreichen, musste die drei- bis vierfache Anzahl angestellt werden. Jeder der Schützen benötigte dabei einen unverhältnismäßig großen Raum für die Manipulation und es empfahl sich deshalb, wenn sie nicht Pavesen oder Sturmwände zum Schutz erhalten konnten, deren Aufstellung schachbrettförmig in zwei Gliedern. Sie störten damit überall die Bewegung der Reiterei, die sie schützen sollte. Durch seine Bewegungen beim Spannen und Schießen war der Armbrustschütze weit mehr der feindlichen Fernwaffe ausgesetzt, als der ruhig arbeitende Bogenschütze; das knarrende Geräusch der Spannvorrichtungen verriet ferner die Stellung der Cranequiniers schon auf weite Distanzen und gestattete dem Feind die nötige Zeit zu Gegenmaßnahmen.
Endlich war eine Veränderung der Stellung bei Armbrustschützen weit schwieriger und umständlicher, als bei flotten, beweglichen Bogenschützenabteilungen. Nur hinter den Wällen von befestigten Städten, zwischen den Zinnen und selbst in Vorwerken derselben, woselbst ihre Bolzen neben ihnen in Haufen aufgeschichtet und eigene Spanner angestellt werden konnten, erwiesen sie sich vorteilhaft. In welche Gefahr vor Selbstverletzung aber der Schütze selbst beim Schuss geraten konnte, darüber gibt der «Theuerdank» des vielerfahrenen Kaisers Maximilian I. und dessen «geheimes Jagdbuch» Auskunft.
Fassen wir nun die Vor- und Nachteile jeder der beiden Waffen zusammen und bringen wir sie gegeneinander in Vergleich, so müssen wir zu dem Schluss kommen, dass in der Armbrust nichts weniger als ein Fortschritt im Feldkrieg gelegen gewesen war. Was zu diesem Urteil führt, hat seine letzte Begründung in der fachlichen Verrohung der Schützen wie in dem zweifelhaften Ersatz der Gewandtheit durch mechanische Mittel. Beide Faktoren stehen im umgekehrten Verhältnis zueinander. Aus der Kriegsgeschichtsschreibung des Mittelalters lässt sich allerdings ein Beweis für die Richtigkeit dieser vergleichenden Betrachtung und des darauf fußenden Urteils nicht ziehen, denn dieselbe ist ganz ungeeignet, hier als Kronzeuge aufzutreten. Selbst Köhler6 in seinem sonst so trefflichen Werk bietet uns da nicht hinreichende Belege, so nahe er auch in taktischer Richtung an die geschichtliche Wahrheit herantritt. Seine Darstellung der Bewaffnung des Mittelalters ist da viel zu wenig eingehend, dieser Umstand wirkt nachhaltig ungünstig auf seine aufgestellten Behauptungen ein. Die Bewaffnung ist ein gar wichtiger Faktor in der Beurteilung einer kriegerischen Aktion, was soll man aber darauf bauen, wenn in den Gefechtsdarstellungen der älteren wie neueren Werke die Abteilungen von Handbogen- und jene von Armbrustschützen in der Regel unter der Bezeichnung «Bogenschützen» subsummiert werden, deren Leistungsfähigkeit ja riesige Differenzen zeigten? So wären gewisse Misserfolge von Armbrustschützen den Handbogenschützen nie begegnet, wie auch, beispielsweise bemerkt, der größte Teil des kriegerischen Ruhmes der Sarazenen, der Araber, der Ungarn etc. nur in der unwiderstehlichen Wirkung ihrer Handbogen gelegen war. Man verwirft in der Welt so oft das Gute, es als überlebt betrachtend, um einem geträumten Besseren nachzujagen, und ist dieses da, dann ist es nicht das Bessere; man hält es aber für das Beste. Es liegt in dem Begriff von Fortschritt oft eine schwere Täuschung.
1 Deutlich erkennen wir diesen Lederschutz am linken Arm eines venezianischen Bogenschützen in einem Gemälde von Vittore Carpaccio von 1493 in der Galerie der Akademie zu Venedig (Saal VIII. 27).
2 Dass der arabische Daumenring im späten Mittelalter auch in Europa bekannt und benutzt wurde, erweist sich aus dem Fund eines solchen 1879 im Schloss zu Pouilly, welcher gegenwärtig im Germanischen Nationalmuseum bewahrt wird. Dabei fand sich auch eine Schiene aus Bein und eine an den Zeigefinger zu schnallende Bolzenrinne aus Horn. Sämtliche Stücke beschreibt uns A. Essenwein in den Mittheilungen des germanischen Museums XX. p. 155 und auch er ist der Ansicht, dass derlei Schutzvorrichtungen vor der schnellenden Sehne kaum von einem Soldaten, sondern von einem Schützen, der zu seinem Vergnügen den Bogen handhabte, gebraucht wurden.
3 Die Bogenschützen der feudalen Heere führten in der Regel nur 24 Pfeile mit sich.
5 Erst am Beginn des 16. Jahrhunderts finden sich Schnellervorrichtungen, die aber nur bei Jagden und Scheibenschießen in Gebrauch waren. Vergl. darüber meine «Waffenkunde». Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1890.
6 Köhler, G., Die Entwicklung des Kriegswesens und der Kriegsführung in der Ritterzeit. Breslau 1886—89.
Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 6, 7. Dresden, 1897-1899.