Von Hermann van Duyse in Brüssel.
Braine le Comte, ein altes Städtchen im Hennegau, welches etwa 8000 Einwohner zählt, hat von seiner einstigen Physiognomie kaum noch ein paar Züge bewahrt. Die Kirche, aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts stammend, ist vielfach umgebaut worden und enthält nichts Interessantes außer den Grabsteinen, welche einst in die Fliesen eingelassen waren und seitdem recht unehrerbietig durch ungezählte Generationen von Gläubigen mit Füssen getreten wurden, bis man sie neuerdings an den Wänden aufgestellt und so vor völliger Vernichtung gerettet hat.
Unter den in solcher Weise erhaltenen Grabplatten befindet sich eine, welche ganz besonders verdient, die Aufmerksamkeit derer zu fesseln, die sich für die Entwicklung des Waffenwesens interessieren; wir geben nebenstehend eine kleine Skizze dieses Denkmals. Es zeigt einen Ritter in ganzer Figur, auf dem Sargpfühl ruhend; die linke Hand stützt sich auf das Gefäß eines langen, plumpen Schwertes; die rechte umfasst einen Streitkolben von so ungewöhnlicher Form, dass man nicht mit Stillschweigen darüber hinweggehen darf.
Die Umrisse des Gesichtes des Ritters, ebenso wie die in den Stein gegrabene Inschrift sind durch die Tritte der frommen Bürger so vollständig verwischt, dass eine Wiederherstellung derselben schlechterdings unmöglich ist. Glücklicherweise ist letztere früher einmal abgeschrieben worden; sie lautet folgendermaßen: «Hier ruht Eloy Goisset, bei seinen Lebzeiten Hatschier bei den Ordonnanzen (Ordonnanz-Offizieren) des Kaisers und bei der Truppe des Edlen Herrn de Roeulx, welcher verschied am 28sten Tage des August im XV hundert XXIXsten Jahre. Betet für die Seele». Ich habe weder Zeit noch Gelegenheit gefunden, weitere Kenntnis über die Persönlichkeit des verstorbenen Eloy Goisset zu erlangen. Ob sein Leben irgendwelche besonderen Umstände enthielt, welche von Belang für die Existenz seiner Kameraden von der Ordonnanztruppe sein würden, ist mir daher nicht bekannt, und die Tatsache hätte für uns nur insofern Wert, als die Frage betreffs ihrer Kleidung und Bewaffnung uns vorzugsweise beschäftigt.
Das Datum 1529, welches ehemals auf der Grabplatte eingemeißelt war, stimmt vollkommen zu der Ausrüstung, welche der Ritter Goisset durch den Bildhauer erhalten hat. Der Helm, in Form einer Sturmhaube mit Visier, deren Einzelheiten nicht mehr erkennbar sind, zeigt noch die mit einer Stielscheibe besetzte Helmbinde, welche am Nakenschirm befestigt ist. Die Eisenhandschuhe sind mit Stulpen versehen. Was noch von den Achselstücken und dem Armzeuge erkennbar ist, lässt auf die ersten Jahre des 16. Jahrhunderts schließen; vollends der Streitkolben für zwei Hände, welchen man dem Toten in die Faust gegeben hat als das charakteristische Hauptstück seiner Ausrüstung entspricht aufs Vollkommenste den Dienstpflichten, welche den Hatschieren der Truppe de Roeulx’s oblagen: sie waren nämlich nichts anderes als die Leibwache Karls V.
Der Streitkolben hat von jeher zu den Abzeichen derjenigen Fußknechte gehört, welche insbesondere mit der Wache um die Person des Herrschers betraut waren. Es ist bekannt, welche Rolle die Kolbenträger oder «sergents d’armes» Philipp Augusts an dem blutigen Tage von Bouvines gespielt haben. Das Denkmal, welches Ludwig der Heilige am Eingang der Kirche St. Catherine in Paris zum Gedächtnis der glorreichen Verteidigung der Brücke von Bouvines durch die Leibwache Philipp Augusts errichtete, ist durch den Pater Daniel im IX. Buch seiner «Geschichte des französischen Kriegswesens» abgebildet worden. — Dieser Schriftsteller bietet eine Überfülle an Einzelheiten für die Geschichte der von Philipp August gegründeten Truppe der «sergents d’armes» der Könige von Frankreich; demungeachtet aber wird uns der hervorragendste Charakterzug dieser Truppe in nachstehenden Zeilen des Geschichtsschreibers Rigord entwickelt: «Instituit Rex ad majorem cautelam custodes corporis Sui, claves(?) semper oereas in manibus portantes et per totane noctene olnotinef?) circa ipsum vigilantes.» (Sammlungen der Benedictiner, fortgesetzt durch das Institut de France, T. XVII, p. 37 B.)
Nur sehr wenige Waffen übertrafen an kräftiger Wirkung diese Streitkolben von Erz in einer Zeit, da die Rüstung ausschließlich aus Maschenpanzern und Lederwerk bestand; daher war auch Philipp Augusts Wahl jener Waffe äußerst verständig. Ungeachtet der Wandlungen in den Verteidigungswaffen behielt die Leibwache des Königs, deren Kopfzahl vielfach wechselte, den Streitkolben als ihre Hauptwaffe. In einer Abhandlung über Zweikämpfe spricht Brantome von einem eigenartigen Kampf zur Zeit Karls VI. zwischen einem Edelmann namens Le Gris und dem Sire de Carronges und erzählt dabei, dass «die Kämpfer am ganzen Körper gewappnet waren und als Angriffswaffen Streitkolben führten, gleich den von den hundert Edelleuten getragenen, welche nach denselben «Becs de Corbin» genannt werden1.
Der Name, mit welchem Brantome die Leibwache Karls VI. bezeichnete, erhielt sich noch im 17. Jahrhunderte für zwei Kompagnien, von denen eine im Jahre 1688 aufgelöst wurde, während die andere, laut Zeugnis des bereits genannten Pater Daniel, im Jahre 1712 unter dem Befehl des Herzogs von Lauzun stand und noch immer den Titel der Truppe «der üblichen hundert Edelleute vom Hause des Königs» oder «der Edelleute vom Bec de Corbin» führte. Dieser «Bec de Corbin» (Rabenschnabel) war eher ein Streithammer als ein Kolben, die Form mochte verschieden sein. Unter sehr weitschweifigen Erörterungen Pater Daniels über die Einrichtung dieser erlesenen Truppe finden wir eine Verordnung vom Jahre 1585, in welcher es heißt: «Ferner will S. Majestät, dass die Edelleute vom Dienst sich in Seinem Vorzimmer um 6 Uhr des Morgens einfinden, *) um S. Majestät in gewohnter Weise mit ihren Äxten zu begleiten bis zu Seinem Mittagessen, und während des Nachmittags bis zu Seinem Abendessen.» Die Herrscher bildeten augenscheinlich ihre Leibwache derjenigen der Könige Frankreichs genau nach.
Der erste Herzog von Burgund, Philipp der Kühne, hatte eine «Truppe» von Rittern und Leibhatschieren, deren Hauptmann Eugenaud de Conci hieß. Unter Johann dem Unerschrockenen bestand diese Truppe aus 50 Waffenträgern, 24 Hatschieren und 20 Schützen. Philipp der Gute hatte 24 Leibhatschiere; Karl der Kühne hatte deren 62, und Ollivier de la Marette hat uns den Kostenüberschlag für den Haushalt des Herzogs und schätzbare Einzelheiten über die Zusammensetzung seiner Leibwache hinterlassen. Philipp der Schöne vermehrte nach seiner Vermählung mit Johanna von Aragonien diese Truppe bis auf 100 Hatschiere, und da ihm seine Leibwache nach Spanien folgte, so galt sie von diesem Zeitpunkt an für eine spanische Garde.
Im dritten Band seines Werkes «Die Größe Spaniens» gibt uns Gil Gonsalez hierüber Auskunft: Margarethe von Österreich, als Regentin der Niederlande, richtete eine Truppe von 50 berittenen Hatschieren unter der Führung eines Edelmannes ein, der sich in dem Krieg von . . 2) ausgezeichnet hatte, namens Claude Bouters; später wurde er Rat bei Karl V. und im Jahre 1519 als Träger einer wichtigen Mission nach England geschickt. Der Graf de Roeulx, Befehlshaber der Leibwache Karls V., wurde unter Philipp II. Generalkapitän der . . 2) Garden im . . 2) von Spanien. Philipp II. gab der neugestalteten und auf einen Bestand von 110 Mann gebrachten Garde den ersten Hauptmann in der Person des Grafen Hornes, dessen tragisches Ende bekannt ist. Um in dieser Kompagnie aufgenommen zu werden, musste der Bewerber adelig, Untertan Sr. Majestät, aus den Niederlanden oder der Grafschaft Burgund gebürtig und von stattlichem, angenehmem Äußeren sein. Er durfte weder am Herzen noch an der Gicht leiden, keinerlei Vergehen der Feigheit oder betrügerische Handlung begangen oder irgendwelchen Schimpf erlitten haben.
Unter Philipp II. gehörten zur vollständigen Ausrüstung der Hatschiere folgende Stücke: die Halsberge und der Panzer, die Schulterbleche und die Ärmel aus Eisenmaschen, der Eisenhut (Sturmhut), der Spieß und die Pistolen. Im Felde trugen sie außerdem den Visierhelm, Armschienen und Eisenhandschuhe, und wenn sie den König begleiteten, kam dazu noch die Pike. Wie man sieht, ist der Streitkolben, der am Hof der französischen Könige noch beibehalten wurde, der «Bec de Corbin» aus dieser vollständigen Rüstung der Leibwache Philipps II. verschwunden; ein umso wichtigeres Interesse bietet daher der Grabstein in Braine le Comte.
Man darf ihn nicht als ein bloßes Denk- und Wahrzeichen einer alten kriegerischen2 Tradition betrachten, welche vermöge der im Laufe der Zeit erfolgten Veränderung in der ritterlichen Bewaffnung abgeschafft worden ist; vielmehr verdient die Waffe in Eloy Goissets Hand allen Respekt. Infolge der Abnutzung der Grabplatte ist eine Reihe der scharfen Spitzen unsichtbar geworden, welche den oberen Teil des Streitkolbens beschwerten und die Wuchtigkeit der zerschmetternden Hiebe verstärkten. Die Waffe war ein plumpes Werkzeug, wahrscheinlich aus sehr hartem Holz, umschlossen von einem Reifen oder Gitter aus Metall. Am Stiel befindet sich ein Gefäß (Handschutzscheibe) mit dickem Knauf und nach innen gebogenen Stäben, welches, wenn es breiter wäre, an den Korb eines zweihändigen Schwertes erinnern würde.
Dies war also eine Waffe, welche zu ihrer geschickten Handhabung einer gewissen Übung bedurfte, dafür aber auch in der Hand eines kraftvollen Kämpen in weitem Umkreis zu wirken und tödliche Streiche auf Kopf und Schultern auszuteilen vermochte.
In ihrer Konstruktion und Handhabung, abgesehen davon, dass an dem schweren oberen Teil der Spieß fehlt, zeigt die Waffe der Leibwache Karls V. eine sehr nahe Verwandtschaft mit dem flämischen «Goeden-Dag»; sie ist jedoch künstlicher zusammengesetzt und entspricht folglich weniger dem Begriff einer Waffe, welche aus dem Stegreif geschaffen wurde, als 1302 der Aufruhr der Niederländer gegen Philipp den Schönen mit der Schlacht von Groeninghe zum Ausbruch kam, wobei der Graf von Artois und die Blüte der Ritterschaft zu Grunde gingen. Ob noch irgendwo eine Waffe existiert, dem Vorbild gleichend, welches der Bildhauer dargestellt hat, als ihm der Auftrag ward, das Andenken Messire Eloy Goisset’s zu ehren? — Ich hoffe es, allein mir selber ist nie eine solche vorgekommen; daher ist es einigermaßen von Wert, die getreue Abbildung dieser Waffe denjenigen vorzuführen, welche sich für Forschungen auf dem Gebiet des Waffenwesens interessieren.
1 Abhandlung über die Zweikämpfe. Edit. Buchon, T. I, p. 704.
2 Unleserlich im französischen Manuscript.
Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 4. Dresden, 1897-1899.