Unsere verehrten Leser werden es uns zu Gute halten, wenn wir hier auf Gegenstände unsere Blicke werfen, die an sich betrachtet dem Waffenfach fern liegen. Es sind ein paar Ofenkacheln in grüner Glasur vom Anfang des 16. Jahrhunderts, jede 16,5 cm im Quadrat, welche sich in den großherzoglich badischen Sammlungen für Altertums- und Völkerkunde befinden, und deren Abbildungen uns deren Direktor, ein Freund unseres Wissenschaftszweiges, Geheimrat Dr. E. Wagner, gütigst eingesendet hat. Selbst der Umstand, dass auf beiden in Relief Reiter im Gestech abgebildet erscheinen, würde uns noch nicht bestimmt haben, dieselbe zum Gegenstand unserer Betrachtung machen, wenn wir nicht damit die Gelegenheit fänden, über das Gestech an sich und dessen Ausrüstung hier einige Worte anfügen zu können, über die allenthalben noch eine unklare Auffassung sich bemerkbar macht.
Bevor wir nun diese Absicht ausführen, wollen wir nur kurz bemerken, dass diese beiden Ofenkacheln, von welchen wir eine Abbildung bringen, zu den Funden einer Grabung zählen, welche die obige Direktion unter den Trümmern der ehemaligen Tiefburg Schmalenstein, östlich des Dorfes Weingarten, Amt Durlach, mit großem Erfolg unternommen hatte. Was nun die dargestellten Sujets betrifft, so sind Abbildungen von Reitern im Gestech (stikhern, Stechern) schon an und für sich und zumal auf Öfen eine große Seltenheit und es ist ein Glück zu nennen, dass sich gerade die beiden Gegenstücke erhalten haben, die in gewechselter Reihung allein das Ziermotiv gebildet hatten. Diese Erhaltung ist freilich nur bedingungsweise anzuerkennen, denn Schmalenstein ging ersichtlich durch eine Feuersbrunst zu Grunde, deren verderbende Spuren noch auf den Oberflächen sich erkennen lassen.
Auf den beiden Kacheln sind nur zwei gegeneinander anreitende «Stecher» dargestellt, der eine trägt auf seiner Stechtartsche das badische Wappen, der Blason auf jener des andern ist nicht zu erkennen, doch dürfte darin das württembergische Wappen: die drei Hirschgestänge, dargestellt gewesen sein. Betrachten wir uns einmal diese Reliefs vom rein fachlichen Gesichtspunkt, so bemerken wir von vornherein, dass der eine Stecher mit dem badischen Wappen im Spiegelbild dargestellt ist, offenbar um das Wappen ersichtlich zu machen. Das Haupt beider Reiter deckt der schwere Stechhelm mit Helmzier (Zimier), die bei beiden undeutlich ist. Eine besondere Beigabe bilden bei beiden flatternde Helmdecken, die nicht überall im Gebrauch standen; im Turnierbuch Herzogs Wilhelm IV. von Bayern, in jenem des Hans Burgkmair oder im Freydal wird man sie vergebens suchen, aber vielleicht hat sich der alte Meister eine künstlerische Lizenz gestattet, um seinen Grund entsprechend auszufüllen.
Von den Bruststücken ist nichts zu sehen, jedoch treten die Armzeug mit der steifen Stechtatze deutlich hervor. Die stangenführende Hand ist gleichfalls nicht sichtbar, aber wir gewahren vollständig bei beiden Reliefs die Stechstangen mit den drei- oder vierzackigen Eisen an der Spitze, den «Krönigen ». Die mit Stricken an die Bruststücke angebundenen« Stechtartschen sind nun nicht wie üblich behängt, sondern scheint der Blason auf die Tartsche selbst gemalt; die Form derselben ist ganz gleich der Schildform am Ende des 15. Jahrhunderts, doch sind, wie erwähnt, die Darstellungen jünger. Das alte deutsche Gestech bietet in der Ausrüstung zwei charakteristische Varianten, die sich vorzüglich in der Form der Sättel markiert. Im Gestech «im hohen Zeug» war der Sattel ungemein hochgestellt, der Reiter befand sich in den Stegreifen nahezu völlig stehend, und der Unterleib derselben war durch ein eisernes Band gehalten, durch welches eine Trennung vom Sattel verhindert werden sollte. Hier finden wir die Stecher «im niederen Zeug» mit kurzen Stegreifriemen, bei welchem der Stechsattel nur mit einem hohen Hintersteg versehen war. Derselbe war nicht geschlossen.
Wir sehen darin die späteste Ausrüstung für das alte deutsche Gestech, das sich übrigens schon zur Zeit der Fertigung der Kacheln bereits überlebt hatte und dem neuen Gestech gewichen war, zu welchem nicht mehr «Zeuge», sondern «Harnische» gebraucht wurden, die sich aus dem Feldharnisch der Renaissance herausgebildet hatten. Die Ausrüstung der Rosse besteht in sehr kurz geschnittenen Parschen, aus starkem Elenleder gefertigt gedacht, nur das Rosshaupt erscheint durch einen schweren «Rosskopf» aus Eisen geschützt. Die Parsche wie die breiten Zügelriemen sind durch aufgelegte Zierbänder mit anhängenden Rosetten geziert. Auch die Ausrüstung des Rosses ist an beiden Darstellungen nicht richtig und fachgemäß. Das Ross trug für diesen Zweck allerdings eine Lederparsche, darüber aber eine feine seidene oder leinene Decke, den sogenannten «sackh», der, bis über die Sprunggelenke reichend, mit unterschiedlichen selbstgewählten, oft launigen Bildern und Sprüchen bemalt war. Derlei Auszierungen zählten zur «Invention». Selbst der bestdressierte Stechhengst brach beim Anprall nach der Seite aus und machte den Stoss des Krönigs unsicher. Der Rosskopf oder die Rossstirn deckte daher die Augen völlig, und nicht selten wurden auch die Ohrenbecher verstopft; man nannte das «plendt und thört».
Da aber damit die Gefahr nahetrat, dass die Pferde beim Anprall sich verletzten, wurde ihnen ein mit Stroh gefülltes wulstiges Polster, «Stechpolster» an die Brust geschnallt, das unterhalb des Sackes zu liegen kam. Wer nun alte Abbildungen von Gestechen zu Gesicht bekommt, wird sich die so stark aufgetriebene Brust der Pferde in selben, die sonst unnatürlich schien, erklären können. W. B.
Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 4. Dresden, 1897-1899.