Von Wendelin Boeheim.
Man ist in militärischen Fachkreisen noch der Ansicht, dass der Fortschritt in der Artillerie, nur in allerneuester Zeit ein so rasches Tempo angenommen habe, und dass das ganze Geschützwesen vor dem 18. Jahrhundert, wenn nicht stationär geblieben sei, doch nur unwesentliche technische Errungenschaften zu verzeichnen habe. Diese völlig ins Blut gedrungene Ansicht, hervorgegangen aus dem weit lebhafteren Eindruck des Gegenwärtigen und aus der Wirkung des Überraschenden, das jedem Neuen anhaftet, ist aber völlig irrig, und man darf nur die Periode der Reformen Kaiser Maximilians I. von 1490 bis 1519 in der Nähe betrachten, so ersieht man zu seinem Erstaunen, dass der Fortschritt im Geschützwesen und der Ausrüstung ein geradezu fabelhaft rascher gewesen ist.
Wenn der Kaiser seine genialen Reformen im gesamten Artillerie-Zeugwesen in Tirol begann, so waren da politische und strategische Umstände ausschlaggebend und beileibe keine technischen, denn er fand auch dort keine Einrichtungen vor, welche geeignet gewesen wären, um, an sie anschließend, weiter bauen zu können. Maximilians System war ein vollständiger Neubau nach einem tiefdurchdachten Plan.
Zwar war schon Herzog Friedrich mit der leeren Tasche ein eifriger Förderer seines Geschützwesens, ja er war einer der Ersten, welcher gegossene Geschütze schwerster Gattung, sogenannte «Hauptstücke», erzeugen ließ. Sein sonstiger Vorrat bestand aber aus einer großen Zahl schmiedeiserner Rohre der verschiedensten Größen, die in ihrem Verhältnis gar keinem System folgten und nur handwerksmäßig roh, nach dem äußeren Ansehen in Hauptstücke, Schlangen, Haufnitzen und Steinbüchsen (Pumharts) unterschieden wurden.
Sein Nachfolger Erzherzog Sigmund der Münzreiche setzte das Werk mit nicht geringerem Eifer fort und richtete seine Aufmerksamkeit, vorzüglich auf die Erzeugung von Bronzegeschützen schwerster Gattung, von denen er sich große Wirkung versprach. Sein Gussmeister Linhart Peringer vermochte ihm da nicht Genüge zu tun; so entstand ein Park von Riesengeschützen, die mehr eine Augenweide boten, als praktische Verwendbarkeit besaßen. Waren die Hauptstücke Friedrichs noch ohne jede Lafetteneinrichtung und nur bestimmt, zur Hälfte in den Boden eingegraben in Verwendung zu gelangen, so traten unter Sigmund, von Italien angeregt, Versuche auf, die leichteren Rohre in schwere Holzblöcke zur Hälfte einzulassen. Damit entstand die «Lade», und um zu verhindern, dass das Rohr aus selber beim Schuss herausgeschleudert wurde, versah man erstere mit vier seitlich angeordneten Zapfen (Schildzapfen). Das waren die ersten Anfänge der Lafette.
Die kleineren Geschütze, teilweise schon in Bronze gegossen, erhielten, wenn sie zum Werfen dienten, ähnliche Laden, in welchen die Rohre aber mit Eisenreifen befestigt wurden. In den Größenverhältnissen zueinander herrschte allerdings noch die alte Systemlosigkeit, aber in Italien, namentlich in Venedig, Genua, Pisa, Florenz und Mailand, hatten sich, ein jeder der Kleinstaaten für sich, mittlerweile gewisse feste Bezeichnungen für bestimmte Rohrgrößen1 gebildet, und es entstand dort zuerst das auf Erfahrung gegründete Streben, die Rohre zu erleichtern und bei gleicher Wirkung beweglich zu gestalten.
Diese Wahrnehmung in den Kriegen mit den Venezianern und Mailändern konnte nicht ohne Wirkung auf die Deutschen bleiben; auch sie waren gezwungen, auf eine Erleichterung ihrer Geschütze zu denken, und da trat von 1490 an Kaiser Maximilian I. in der völligen Umgestaltung des deutschen Geschützwesens bahnbrechend voran; aber so rasch folgten sich die Verbesserungen, dass sein System wenige Jahre nach seinem Ableben durch die genialen Gedanken anderer Meister weit überholt wurde.
Schon die Reformen Maximilians, durchgeführt unter der Leitung seines Hauszeugmeisters Bartholomäus Freysleben, erschienen seinen Zeitgenossen großartig und alles Vorhandene weit hinter sich lassend. Maximilian verfolgte aufmerksam alle Verbesserungen im Ausland, ergriff energisch das ihm als das Beste Erscheinende und staltete es in seiner Weise um. Er war der Erste, welcher die alte Lafettenform mit «Lade und Bank», die alte «Burgunderlafette», verwarf und dafür die Blocklafette einführte, mit deren Konstruktion die Einführung der «Balanceschildzapfen» Hand in Hand ging.
Eine Verbesserung, deren Bedeutung nicht hoch genug anzuschlagen ist, wenn man erwägt, dass sie noch heute nach allen sich überstürzenden technischen Weiterbildungen sich erhalten hat. Er führte die ersten Richtmaschinen ein, fand aber da einen unbesiegbaren Widerstand in seinen Büchsenmeistern, die von der alten Art des Richtens mittelst der «Keile» nicht lassen wollten und ihn veranlassten, selbe wieder aufzugeben. Sein hervorragendstes Verdienst liegt in der Vereinfachung der Rohrgattungen und Anbahnung eines Systems für selbe. Die übernommenen Hauptstücke erwiesen sich, abgesehen von ihrer Unbeweglichkeit, gegen Quadermauern wirkungslos, da die Steinkugeln an ihnen zerschellten. Die Basilisken und langen Schlangen in Burgunderlafetten waren als Feldgeschütz nicht fortzubringen, und die Haufnitzen waren bei aller Leichtigkeit ein noch sehr unsicheres Wurfgeschütz.
Maximilian folgte in seinem neuen Artilleriesystem italienischen Vorbildern und führte auf der Basis des Hauptstückes als 100-pfündiges (Steinladung) Geschütz die 50-pfündige Scarpamezza, die abgekürzte halbe Bombarde, im Deutschen korrumpiert in «Scharfmetze», ein. Ihr zunächst stand die Viertelbüchse mit 25 Pfund Steinladung, die Quartana, im Deutschen Kartaune. Die Scharfmetze wie die Kartaune schossen bereits eiserne geschmiedete Kugeln. Damit erhielt der Kaiser erst ein taugliches Breschgeschütz, aber die Kugeln kosteten unerschwingliche Summen. Sein bestes Feldgeschütz waren die Schlangen, die er in lange, Mittel- und kurze Schlangen teilte; letztere hießen Serpentinelles, aus welcher Bezeichnung das deutsche «Scharfentindlein» wurde. Daneben liefen freilich noch allerlei teils veraltete, teils Versuchsformen, wie die Haufnitzen, Dorndrell (tornarelli), die Terrasbüchsen (terrasche), Kammerschlangen (Hinterlader), Basilisken etc. Aus den kleinen Stücken wurden nebst eisernen auch bleierne Kugeln geschossen, die sich als weniger kostspielig erwiesen.
Um 1510 war bereits der gesamte Artilleriepark des Kaisers mit neuartigen Blocklafetten ausgestattet. Dieselben erhielten Vordergestelle, die nach einem italienischen Muster, den «Procedimenti», angefertigt wurden, aus welcher ursprünglichen Bezeichnung sich das Wort Prozze entwickelte. Nur die Basilisken und ein Teil der langen Schlangen behielten noch die alten Burgunderlafetten mit Lade und Bank. Die kurzen Schlangen erhielten leichte Karrenlafetten, die ohne Protze von einem Pferd gezogen wurden, welches in eine Gabel gespannt war. Das leichteste Maximiliansche Feldgeschütz. Wir finden es außer in den Zeugbüchern nur ein einziges Mal im Weiskunig (Fragbuch Cod. H der Wiener Hofbibliothek 3034) abgebildet.
So primitiv die Bedienung gewesen, so umständlich war sie, dabei von teils religiösen, teils abergläubischen Gebräuchen umrankt. Der Büchsenmeister mit seinen Knechten hatte einen vollkommen handwerksmäßigen demokratischen Charakter, er war enge verwandt mit den Elementen der Landsknechte und streng geschieden von dem aristokratischen Reiter, dem Reisigen. Die Kenntnis des Ladens und Richtens war von tiefem Geheimnis umgeben, und jeder Büchsenmeister besaß eine Abschrift irgendeines der alten Feuerwerksbücher, das er mit Mühe und Kosten schwer an sich gebracht hatte und strenge vor seinen Kameraden versteckt hielt.
In den Zeugbüchern des Kaisers Maximilian2 werden nur zwei sehr einfache Requisiten zur Bedienung abgebildet: die Ladeschaufel und der Wischer, beide mit entsprechend langen Stangen. Der Wischer bestand aus einem dichten Ballen von einem bräunlichen Stoff, vielleicht Buchenschwamm, der immerhin gebraucht werden konnte, da er nur zum Auswaschen diente. Auf dem Marsch aber waren die wichtigsten Werkzeuge die Bandhacke und der Hebebaum, häufig auch Krampe und Schaufel, um die nicht selten im Kot stecken gebliebenen schweren Kolosse wieder in Gang zu bringen; so sehen wir auch die Stuckknechte im Triumph ihre Geschütze mit Bandhacken auf den Schultern begleiten.
War das Geschütz mühselig in seine Stellung gebracht, dann erst spielte die Zimmermannshacke eine erste Rolle. Es musste die Bettung gemacht und die Prellwand aufgerichtet werden, an welch’ letztere der Protzstock angestemmt wurde, um den Rückstoß aufzuheben. Bei den schweren Geschützen wurde die Prellwand nach mehreren Schüssen zertrümmert und musste ersetzt werden, aber auch die Blocklafette erlitt durch die Erschütterung häufig Schaden. Die Errichtung von Brustwehren und von Blendungen durch Balken war schon seit den Hussitenkriegen und noch unter Maximilian im Gebrauch. Die Rohre mussten nach jedem Schuss ausgewaschen werden, daher war bei jeder Stellung, auch in offener Feldschlacht, die Nähe eines Gewässers eine Vorbedingung.
Man sieht, dass ungeachtet der staunenswerten Verbesserungen Maximilians die Bedienung eines Geschützes einesteils zu den schwersten, andernteils zu den umständlichsten Arbeiten zählte. Man hatte zwar bereits annähernd richtige Vorstellungen von der Flugbahn einer Kugel und bediente sich beim Schuss eines Aufsatzes, beim Wurf des Quadranten, aber derlei Instrumente würden von den Büchsenmeistern noch geheim gehalten.
Während die Artillerie des Kaisers Maximilian in der Welt als ein Muster erkannt wurde, arbeiteten Gelehrte und geniale Guss- und Büchsenmeister im Stillen an einer weiteren, das Bestehende weit hinter sich lassenden Reform des Geschützwesens. Bekannt sind die Berechnungen und die Aufstellung der Kaliberskala nach den vier Geschlechtern: Metzen, Kartaunen, Falken und Schlangen, des gelehrten Vicars Georg Hartmann zu Nürnberg um 1520, weniger sicher war man aber über jene Meister, welchen die Konstruktionen der Rohre und Lafettierungen zu danken ist, nach welchen die vereinfachten und bedeutend erleichterten Artillerieparks Kaiser Karls V., König Ferdinands I., der Reichsfürsten und Städte hervorgegangen sind.
Man nimmt als den hervorragendsten Reformator Gregor Löffler in Innsbruck (geb. ca. 1490, gest. 1565) an, allein dieser bedeutendste aller Guss- und Büchsenmeister der Renaissance hatte sich allerdings ein großen Verdienst an der Umbildung des Geschützwesens erworben, er begann aber erst 1529 selbstständig zu arbeiten, während seit dem Tod Maximilians 1519 schon hier und da sich deutliche Spuren einer Reformtätigkeit erkennen lassen. Da scheint uns ein literarisches Werk, ein geschriebenes Guss- und Büchsenmeisterbüchlein, das auch verschiedene andere Rezepte enthält, geeignet, die Lücke von mindestens zehn Jahren auszufüllen. Es ist das Büchsenmeisterbuch des Christof Seselschreiber vom Jahr 1524 in der königl. Hof- und Staatsbibliothek zu München3, das uns einen wichtigen Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des deutschen Geschützwesens liefert.
1 Gelcich Jos., Die Erzgiesser der Republik Ragusa. Aus dem Italienischen übersetzt von W. Boeheim. Mittheilungen der k. k. Central-Commission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und hist. Denkmale, 1891, Bd. XVII. Wir sagen hier absichtlich nicht «Kaliber», weil diese. Bezeichnung an sich ein System voraussetzt und überhaupt erst mit den Tabellen des gelehrten Vicars der St. Sebaldskirche zu Nürnberg, Georg Hartmann (1489 — 1564), als Terminus technicus auftritt.
2 Boeheim W,, Die Zeugbücher Kaiser Maximilians, Jahrbuch der kunsthist. Sammlungen, Bd. XIII, XIV.
3 Cod. germ. 973. Der Schreiber dieses Aufsatzes nimmt hier Anlass, der geehrten Direktion der königl. Hof- und Staatsbibliothek seinen verbindlichsten Dank für die zeitweilige leihweise Überlassung dieses Kodex auszusprechen.
Bevor wir in die Betrachtung dieses Bildkodex eingehen, sei es uns gestattet, über die Persönlichkeit des Meisters einige Andeutungen zu machen. Christof Seselschreiber ist der Sohn des bekannten Malers Gilg, der von 1509 bis 1516 an der Fertigung der Statuen am Mausoleum des Kaisers Maximilian I. zu Innsbruck beschäftigt, aber dann entfernt worden war. Auch Christof mit seinem Bruder Philipp und seinem Schwager Sebastian Heuserer arbeiteten am sogenannten «Maxgrabe» als Modelleure und Gießer.
Die Familie stammt aus Bayern. Christof begab sich nach Abdankung seines Vaters nach Nürnberg und scheint bald darauf Anstellung als Büchsenmeister bei Herzog Wilhelm IV. von Bayern gefunden zu haben; er war aber auch für den Kaiser, für Württemberg und andere deutsche Fürsten, wie auch für Ungarn tätig.
Sein Todesjahr ist bis jetzt noch nicht zu eruieren möglich gewesen. Christof führte das Wappen seines Vaters: die drei Schildlein.
Der Bildkodex, 16 cm breit und 21,5 cm hoch, besteht aus 145 nummerierten und einer Anzahl leerer unnummerierter Papierblätter inzwischen und am Schluss. Dieselben sind in einem Pergamentumschlag, dessen Binderiemchen abgerissen sind. Auf dem Pergamentrücken liest man in einer Schrift der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts: «Christoph Seselschreiber von Glocken- und Stuckgießerei, Feuerwerk u. a. m. 1524.» An der Innenseite des Umschlages ist ein ex libris in Kupferstich mit dem kurbayerischen Wappen und dem goldenen Vlies geklebt, das die Inschrift: «Ex Electorali Bibliotheca Sereniss. Vtrivsq. Bavariae Ducum» trägt. Wie ein rot aufgedruckter Stempel auf Blatt 1 erweist, befand sich der Kodex eine Zeit lang in der Bibliotheque Nationale zu Paris.
Die Blätter enthalten eine fortlaufende Reihe von Rezepten zur Glockengießerei, Stückgießerei, zum Richten und Laden der Geschütze, zur artilleristischen Ausrüstung, zur Fertigung von Bohrwerken, Heb- und Brechzeugen und Messinstrumenten, zur Kunstfeuerwerkerei, zur Pulvererzeugung, zur Fertigung von Tauchervorrichtungen, endlich zu Badeanlagen, Wasserhebapparaten und Kunstbrunnen. Die Schrift besteht teils in Lapidar-, teils in Kurrentlettern; erstere mit kleinen Figuren, Eicheln, Sternen, Schellen etc., in den Wortteilungen im älteren Miniaturenstil ist etwas affektiert gegeben, die S und N sind durchwegs verkehrt gezogen und verraten damit einen jugendlichen Schreiber. Die zahlreichen Abbildungen in Aquarell sind unbeholfen und inkorrekt, doch zuweilen anschaulich und meist verständlich. Nahezu auf jeder Seite finden wir den Namen des Autors mit der Jahreszahl 1524, ferner eine ziemliche Anzahl von Länder- und Städtewappen, aus denen zu vermuten ist, dass Seselschreiber für den Kaiser, in Bayern, Nürnberg, Augsburg, in Württemberg und auch in Ungarn gearbeitet hatte. Ein Titelblatt ist nicht vorhanden und wahrscheinlich verloren gegangen.
Was nun den Text selbst in Bezug auf den artilleristischen Teil betrifft, so schließt er im Allgemeinen in Stil und Inhalt an die älteren Feuerwerksbücher sich an, von denen unter vielen als das älteste jenes des Abraham von Memmingen anzusehen ist, bringt aber nicht wie viele andere Abschriften der alten oft unverständlichen Rezepte, sondern auf eigener Erfindung und Erprobung beruhende Verbesserungen, die allerdings bei dem gewundenen Stil hier und da unverständlich erklärt werden.
Von Blatt 1 bis 11 laufen Vorschriften über das Formen und den Guss der Glocken, über den Mechanismus der Gehänge u. dgl., die uns hier nicht weiter berühren. Blatt 11a bringt ein Rezept «Biltu ain guet polfer macen», das unzweifelhaft die Abschrift eines älteren Textes ist.
Erst mit Blatt 15 beginnen die Lehrsätze zur Stückgießerei und zunächst mit der Einteilung der äußeren Verstäbung, die entschieden gegenüber der des gleichzeitigen Rohrkonstrukteurs Jörg Kölderer in Innsbruck einfacher gehalten ist, aber doch die verschiedenen Unterschiede in den Teilungsverhältnissen anderer Gussstätten bringt. So sagt er Blatt 15: «Item wieltu ain schlangen aussdaulen (austeilen) auff die Niernberger artt, so nimm steur1 an die zapfen 23 kuegel, der köpf ain kuegel und die zapfen ain kuegel und ain finger» etc. Auf Blatt 15 a erblicken wir die Austeilung der «potierßischen schlangen», auf Blatt 16 und 16 a die einer «kaißerischen canellung», die indes von der Kölderischen verschieden ist. Auf Blatt 17 und 17 a wendet er sich zu der Konstruktion der Falken, die er «Falguna» benennt. Auf Blatt 18 wird eine Singerin, auf 18 a eine Scharfmetze («scharpfe metzen») dargestellt. Nun folgen auf Blatt 19 der Durchschnitt einer Kartaunenkugel mit der Beischrift: «die ist zu burtzburg» und auf Blatt 19 a eine solche mit der Beischrift «das yst die hoben kuegel zu Niernperg».
Die weiteren Blätter bis 21 enthalten Austeilungen und Durchschnitte, so auf Blatt 20 a den württembergischen Falken «scheusst lxv Heißen». Von Blatt 23 beginnt der Autor mit einem wichtigen Kapitel: der zur Bedienung des Geschützes nötigen mathematischen Instrumente, teils mit Abbildungen klar dargestellt. Hier steht er auf dem Boden des ureigenen Studiums und der Erfahrung und schreitet entschieden seinen Kollegen voran. Er eröffnet seinen Exkurs mit einer Setzwaage, Richtscheit, wie er sie nennt, unterbricht ihn aber, um auf Blatt 24 das Tragen und Abfeuern einer Bockbüchse darzustellen, deren Einrichtung aber gegen die kaiserlichen jener Zeit zurücksteht.
Plötzlich, Blatt 24a, wendet er sich dem Laden der Geschütze zu, das er recht deutlich erklärt. Hier tritt der Autor als der Erste hervor, der nicht nur den Ladezeug und die Geschützrequisiten zur Manipulation bestimmt, sondern auch Vorschriften über deren Unterbringung an der Lafette macht, wie sich selbe im Wesentlichen bis zur Aufnahme des Hinterladegeschützes um 1860 erhalten haben. Seselschreiber ist der Erste, der uns den Wischer aus Borsten vorschreibt und in Abbildung bringt und den Ladezeug damit vereinfacht, dass er den Wischer an einem Ende, den Setzer an dem anderen Ende der Stange anbringt. Er unterscheidet in den Requisiten: die Ladeschaufel, den Kolben (Setzer), die Bürste (Wischer), den Stecher und den Kugelbohrer, letzteren zur Entladung von Bleikugeln. (Fig. 1.)
Nun schiebt der Autor wieder Anweisungen zur Bestimmung der Pulverladungen und zum Laden der Rohre dazwischen. Interessant erscheint seine Methode zum Richten des Geschützes und der dabei zu verwendenden Instrumente: Aufsätze, Visierrohre mit Gradbögen und Senkeln, Quadranten u. dgl. Ist Manches davon unpraktisch und auf irrigen Grundsätzen beruhend, so erweist doch alles den tüchtigen Fachmann und ernsten Denker, in einzelnen Fällen wird er wieder zum genialen Erfinder; so erblicken wir auf Blatt 30 den ersten Schuberaufsatz. In den Details gerät er zuweilen auf unpraktische Verkünstelungen in den Anweisungen, vier Kugeln nacheinander oder Pfeile zu schießen. Ganz trefflich ist wieder seine Vorschrift für das Richten und Schießen bei Nacht.
Am bedeutsamsten tritt Seselschreiber als Konstrukteur von Lafetten hervor, und er wird da geradezu bewundernswert durch seine schöpferische Kraft. Auf Blatt 42a-43 bringt er «ain muster zu ainem haubtstuck auf reter» in Abbildung und bemerkt «ist zu München gemacht worden». Das Rohr mit doppelten Schildzapfen ruht in einer «Lade», die wieder auf einer kurzen «Bank» aufliegt. Letztere ist vorne mit schweren, hinten mit kleineren Blockrädern versehen. Die Richtung erfolgt durch eine vertikale Schraube. Auf Blatt 43a-44 erblicken wir in der Abbildung einer Schlange mit Balaneschildzapfen in einer Blocklafette die älteste Ausrüstung eines Feldgeschützes mit Requisiten. (Fig. 2.)
Auf Blatt 44a erblicken wir eine Protze ohne Munitionskasten mit starken Achsmitnehmern. Der Autor benennt die Lafette «gefess», die Protze »feurwagen». Auf Blatt 46 erscheint ein Streitwagen ziemlich in der Form der Maximilianischen mit sechs quer auf den Langbäumen ruhenden Kammerbüchsen (Hinterlader), jede mit zwei Kammern ausgerüstet. Der Autor verweist sie richtig zur Verwendung in einer Wagenburg.
Sehr interessant ist die Darstellung auf Blatt 46a mit der Überschrift: «da hastu die paireschen (bairischen) falknett gerecht kunterfett». Darunter ist das bayerische Feldgeschütz auf dem Marsch dargestellt. Das Rohr in Karrenlafette mit Protze, darauf ein Munitionskasten, gezogen von einem Pferd, auf welchem ein Fuhrknecht reitet. Voran geht ein Landsknecht mit einem Luntenstock in der Hand. In letzterem erblicken wir die älteste Abbildung dieses Requisites. (Fig. 3.) Die Konstruktion der Lafette lässt jedoch keinen Fortschritt vor der erwähnten Maximilianischen Karrenlafette erkennen.
Der Rest der Blätter enthält Darstellungen, welche sich mehr oder weniger als nicht dem Waffengebiet angehörig, unserer Beobachtung entziehen. Wir erwähnen als das uns Nächstliegende nur einen sehr gut konstruierten Bohrzeug für Hakenbüchsenläufe und einige Rezepte für Feuerwerk, besonders Feuerpfeile. Auf einem dieser Blätter steht unterhalb Seselschreibers der Name «Filip» geschrieben.
Wir sind zu schließen gezwungen. Der Raum einer Zeitschrift gestattet nicht dieses für die Geschichte der Entwicklung des deutschen Geschützwesens so wichtige handschriftliche Quellenwerk nach seiner vollen Bedeutung bis ins Einzelne zu beschreiben. Was wir hier geboten haben, soll lediglich auf die Bedeutung der Quelle hinweisen und feststellen, dass wir in Christof Seselschreiber einen der hervorragendsten Reformatoren auf artilleristischem Gebiet zu erblicken haben.
1 Steuer, das Grund- oder Einheitsmaß, der Model.
Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 3. Dresden, 1897-1899.