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Die Zweihänder

Links: Italienischer Zweihänder, Brescianer Typus. 16. Jahrhundert, Anfang. Rechts: Deutscher Zweihänder, steierischer Typus. 16. Jahrhundert, Ende.
Links: Italienischer Zweihänder, Brescianer Typus. 16. Jahrhundert, Anfang. Rechts: Deutscher Zweihänder, steierischer Typus. 16. Jahrhundert, Ende.

Von Wendelin Boeheim.

 

Unter den alten Waffen sind es die zweihändigen Schwerter, «Zweihänder», «Bidenhander», auch «Schlachtschwerter» genannt, welche, ungeachtet ihres relativ geringen Alters, allenthalben unter den Amateuren und Sammlern besonderer Aufmerksamkeit begegnen und mit Vorliebe erworben werden, sodass man sagen kann, dass die überhaupt noch vorhandenen in festen Händen sich befinden und Zweihänder verhältnismäßig selten auf den Markt gelangen. Gerade diese günstige Meinung, deren sich diese eigentümliche Waffe erfreut, veranlasst uns, selbe zum Gegenstand einer Besprechung zu machen.

 

Das zweihändige Schwert ist eine Waffe der Renaissance, und seine Anfänge selbst reichen nicht weit in die Jahre der Spätgotik hinauf. Um seine Entstehung richtig aufzufassen, muss man sich erinnern, dass jede Waffe abhängig von dem Stand der Eisenindustrie ist und Klingen von einer Länge über 95 cm im 15. Jahrhundert noch zu den Seltenheiten zählten. Allerdings war es im 14. Jahrhundert in den feudalen Reitertruppen Mode geworden, sich Schwerter zu bedienen, deren Klingen jene der gewöhnlichen Reiterschwerter bedeutend überragten und «Schwerter zu anderthalb Hand» genannt wurden, zu deren Führung auch die Zügelhand mithelfen musste. Das Fußvolk aber wurde noch im 15. Jahrhundert viel zu wenig beachtenswert angesehen, als dass man selbe mit Waffen ausgerüstet hätte, die damals noch als technische Spezialitäten anzusehen waren.

 

Und dennoch spukt der Zweihänder bereits im 15. Jahrhundert in verschiedenen Sagen, und hier und da wurden alte große Schwerter bewahrt, die traditionell mit alten Helden oder Riesen in Verbindung gebracht wurden. Aus der alten kaiserlichen Waffenkammer zu Wien stammt ein zweihändiges Schwert, dessen flache Klinge eine Länge von nicht weniger als 150,5 cm besitzt. Eine später geätzte (!) Inschrift auf selber lautet: «Genannt Herr Dietrich von Berns schwert». Ein anderes im Ganzen sehr roh gearbeitetes Schwert mit einer 145 cm langen alten Passauer Klinge befand sich in der Innsbrucker Waffenkammer gewiss schon zur Zeit des Erzherzogs Sigmund von Tirol, es wird in dem Inventar von 1583 als «das risenschwert» bezeichnet, und sehr wahrscheinlich bezieht sich selbes zu den Riesen Havmo und Thyrsus, die in den Tiroler Volkssagen eine so bedeutende Rolle spielen. Beide Schwerter werden jetzt in der kais. Waffensammlung zu Wien bewahrt.

 

Man sieht also, dass übermäßig große Schwerter für Fußstreiter bereits in uralte Sagen eingeflochten werden, wenn auch ihr Entstehen kaum über das 14. Jahrhundert hinaufreicht. Diese Beziehungen, an sich urdeutsch, fanden ihren Ursprung in dem epischen Charakter des Volkes, die Art aber, in der sie in den Poesien erwähnt werden oder figürlich vor Augen kommen, beweist, dass sie überall nur vereinzelt auftreten und nur den gewaltigsten Helden deren Besitz und Führung zugemutet wird. Wir aber müssen die Einführung des Zweihänders in die Zahl der allgemein gebrauchten Kriegswaffen ins Auge fassen, und da vereinigen sich alle älteren Fachschriftsteller in der Meinung, dass derselbe unter den Schweizern im 15. Jahrhundert zuerst in Gebrauch kam, ohne irgend Belege für selbe beizubringen.

 

Dass der Zweihänder in den Schlachten der Schweizer gegen Burgund in Verwendung gelangte, ist bekannt, das spricht aber noch keineswegs für dessen erste Verwendung, umso weniger, als die Waffenindustrie der Schweizer damals kaum auf der Höhe gewesen war, um gut brauchbare Klingen von so bedeutender Länge von ca. 130—150 cm und in ansehnlicherer Zahl zu liefern. In der Tat waren die Waffen der Schweizer damals von der primitivsten Art, meist Schlagwaffen, zweihändige Kolben, Streitäxte und Stangenwaffen, zumeist schwere Spieße, die für den Angriff bei ihrer Taktik jedenfalls entsprechender zu erachten sind als das schwere, nur mit dem Aufwand vieler Kraft und Kunst zu führende Schlachtschwert.

 

Wenn man die Schlachtberichte jener Periode durchgeht, so findet man den Zweihänder im 15. Jahrhundert als Kriegswaffe des Fußvolkes allerdings in den Händen der Schweizer, aber jener in fremdem Sold, und dieser Umstand macht da in der Beurteilung einen bedeutenden Unterschied. Meyrick setzt ihren Ursprung in die Regierungszeit Heinrichs V. von England, also um 1420, ein Datum, das vielleicht etwas zu früh angesetzt ist. Viollet-le-Duc sagt: «II ne parait pas, que cette tactique ait été habituelle á l’infanterie française á la fin du XVc siécle», und er kommt in dieser Ansicht unseres Erachtens der Wahrheit näher, wenn er auch seiner künstlerischen Phantasie etwas stark die Flügel schießen lässt mit der Bemerkung: «Ils (les Suisses) avaient dans leur infanterie un certain nombre d’hommes porteurs d’énormes épées á deux mains qu’ils manoeuvraient habilement, et avec lesquelles ils fauchaient dans les escadrons de cavallerie comme dans un champ.»

 

Immer war das Schlachtschwert auf nur wenige Rotten in einem Schweizer Regiment beschränkt. Die Auswahl der Träger traf die stärksten und dabei die gewandtesten Männer, die auch einen höheren Sold erhielten und sich bald in ein höheres Ansehen zu setzen wussten. Die Handhabung beschränkte sich anfänglich auf wenige schwingende und Hiebbewegungen, wie wir sie noch in den alten Fechtbüchern abgebildet finden. Den Schlachtschwertrotten war, und es ist das bezeichnend für die beschränkte Verwendung ihrer Waffen, anfänglich nur der Schutz der Fahne, später des Obersten während der Schlacht zur Aufgabe gestellt. Eine Verwendung in der vordersten Schlachtlinie, wie sie uns Burgkmair im «Weisskunig» darstellt und bei anderen Meistern zur Ansicht kommt, war nie im Gebrauch.

 

Von den Schweizertruppen gelangte das zweihändige Schwert zunächst zu den von Kaiser Maximilian I. gebildeten Landsknechtregimentern, die in der Organisation und Bewaffnung den Schweizerregimentern sich annäherten, und unter diesem großen Heeresbildner erhielten die Schlachtschwerter jene charakteristischen Gestalten, wie wir sie in den Sammlungen erblicken. Maximilian deckte den Waffenbedarf für seine Heere teils in Steiermark, teils im Mailändischen, teils in Friaul, sehr wenige Waffen bezog er aus Passau.

 

Dadurch unterscheidet sich in der Form der deutsche von dem italienischen Typus. Das deutsche Schlachtschwert besitzt einen übermäßig schweren, oft 40—50 cm langen belederten Griff mit rohen eisernen, viel verschnörkelten Parierstangen und glatten Daumen- und Parierringen. (Fig. 2.) Die Klingen mit langen Ansätzen und hornartig gebogenen Parierhaken sind oft im Verhältnis zur Klinge kurz und nicht selten geflammt mit stumpfer Spitze. Das italienische Schlachtschwert besitzt hingegen einen feinen eleganten, mit Eisen beschlagenen Griff, meist gerade lange Parierstangen, Parierringe und Spangen, aber auch statt dieser aufgebogene Parierknebel. Die Klingen sind in der Regel leichter, besitzen meist tiefe Blutrinnen und entweder gar keine oder geradestehende, scharf zugespitzte Parierhaken. (Fig. 1.)

 

Unter den italienischen Zweihändern finden wir zuweilen die mannigfachsten Versuchsformen, während die deutschen ihre Formen vom Beginn des 16. bis ans Ende des 17. Jahrhunderts beibehalten. So bewahrt die kaiserliche Waffensammlung zu Wien einen Zweihänder aus friaulischer Werkstätte mit beledertem Griff, schnabelförmiger Kappe, äußerem Parierknebel und mit einer einschneidigen Klinge, welche nicht in der Richtung des Griffes läuft, sondern gegen den Rücken einen Winkel von ca. 11 Graden bildet, somit säbelartig wirkt.

 

Auf die Handhabung der Waffe haben sehr früh schon die italienischen Fechtschulen einen immer mehr sich verbreitenden Einfluss geübt. Aus diesen bildeten sich die bekannten deutschen «Schirrmeister» und «Meister vom langen Schwert». Besonders war es die Schule von St. Marcus in Venedig, deren unmittelbare und mittelbare Schüler, Marcusbrüder genannt, teils als Fechtmeister in den Städten saßen, teils als Schlachtschwertträger und Doppelsöldner in den Heeren dienten. Um 1540 wurde kein Schwertträger mehr aufgenommen, der sich nicht durch ein schriftliches Zeugnis eines Meisters vom langen Schwert als «ausgelernt» ausweisen konnte. Die deutschen Fechtböden nationalisierten sich zwar früh, aber sie können, wie ihre Fechtbücher erweisen, alle ihren italienischen Ursprung nicht verleugnen.

 

Und trotz des bedeutenden Einflusses der Fechtschulen konnte der Zweihänder in den italienischen Heeren nur überaus schwer Eingang finden. Die Italiener, wie überhaupt die romanischen Völker, sind keine Freunde der Hiebwaffe, zu deren Gebrauch bedeutende physische Kraft aufgewendet werden muss. Sie legen im Gefecht mehr Wert auf die Stichwaffe, zu deren Führung weniger Kraft, aber mehr Gewandtheit erforderlich ist. In den mailändischen Fußregimentern war die Fahne zwar auch mit Rotten aus Doppelsöldnern umgeben, allein diese führten keine Schlachtschwerter, sondern zweihändige Stecher. Solche finden sich noch in einigen italienischen Waffensammlungen; einen sehr schönen bewahrt die Sammlung Sr. kais. Hoheit des Erzherzogs Franz Ferdinand in Konopist in Böhmen; er ist von Antonio Piccinino in Mailand 1584 gefertigt.

 

Seit jeher wurde die Leistungsfähigkeit der Waffe wie ihrer Träger überschätzt. Das Schlachtschwert erfordert zu seiner Führung einen unverhältnismäßig großen Kraftaufwand und ermüdet nach wenigen Schwingungen den stärksten Mann; dabei bedingt der unbehinderte Gebrauch einen weiten Raum, der gerade im Gedränge bei der Verteidigung eines Gegenstandes nicht zur Verfügung steht. Schließlich ist der Effekt des Hiebes durchaus nicht so entsetzlich, als Viollet-le-Duc sich das vorstellt, und übertrifft durchschnittlich nicht die eines guten Haudegens. Trotz dieser bescheidenen Leistungen nahmen die Schlachtschwertträger mit ihren riesigen Waffen jederzeit die allgemeine Bewunderung selbst in den Heereskreisen in Anspruch, und man bemaß nicht selten den Wert eines Regimentes nach dem martialischen Auftreten seiner Fahnenrotten. In Wahrheit hatten diese meist faulenzenden, aber allenthalben bramarbasierenden Enakssöhne gerade so viel Wert als die Tambourmajors in den Napoleonischen Infanterieregimentern.

 

Das Schlachtschwert ist seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts aus dem Heer verschwunden. Im Passauer Kriegsvolk, welches 1603 Erzherzog Leopold dem Kaiser Rudolf II. zur Hilfe aufgestellt hatte, dürfte es seine letzte Verwendung gefunden haben. Heute als Sammlungsgegenstand wird die imposante Waffe vielfältig irrig aufgefasst; es erweist sich das schon daraus, dass selbe, als gemeine Fußknechtwaffe, häufig einem Reiterharnisch in die Hentzen gedrückt vor Augen kommt. Diese scheue Bewunderung und Bewertung der Waffe an sich auf das richtige Maß zurückzuführen und deren Bestimmung festzustellen ist der Zweck dieser Zeilen.

 

Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 3. Dresden, 1897-1899.