Von H. Kasser in Bern.
Das historische Museum in Bern besitzt unter Nr. 101 einen zusammengehörenden Manns- und Pferdeharnisch mit Sattel aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts. Dieser Harnisch, der mit Hilfe der von W. Boeheim mitgeteilten Marken als ein Werk Lorenz Colmans, Hofplattner Kaiser Maximilians I., gest. 1516 zu Augsburg, erkannt worden ist, wurde anderthalb Jahrhunderte lang im bernischen Zeughaus als solche des Junkers Hans Franz Nägeli, Schultheißen zu Bern und Eroberer des Waadtlandes (1536), gest. 1579, vorgewiesen.
Vor zwei Jahren machte Herr Major Friedrich v. Luternau in Bern den Direktor des historischen Museums auf eine Notiz aufmerksam, die in einer fragmentarischen Familienchronik dieses Geschlechtes enthalten ist. In derselben beruft sich der Verfasser bezüglich eines Wappens auf das «speerfändlein …wie solches an dem ganz gewaafneten ritter von Luternauw so zu Bern im zeughaus auf dem sogenannten Luternauwer ross sitzet, zu sehen» etc. Diese Handschrift datiert aus dem Anfänge des 18. Jahrhunderts.
Hierdurch veranlasst, sahen wir im Staatsarchiv die alten Zeughausinventarien nach und fanden in der Tat in demjenigen vom 21. April 1687, S. 60, folgenden Passus:
«An pferdt rüstungen vff einem ussgeschnitzten pferdt.
«An alten liechten rüstungen mit dem Luternauwer wappen bezeichnet vff eben gedachtem pferdt.
«An standarden führet gedachter reüter.
«An schwerteren hanget gedachtem reüter an der seiten.
Da diese Rüstung damals laut Inventar der einzige Pferdeharnisch im Berner Zeughaus war und durch das ganze 18. und 19. Jahrhundert geblieben ist, so kann sich diese Stelle auf keinen anderen als den vorhandenen beziehen.
Um die Wende des 17. und 18. Jahrhunderts scheint die alte Tradition verlassen worden zu sein. Im Zeughausinventar von 1719, S. 10 liest man:
«Ein Bild mit seinem Dägen, Harnisch und Spiess der Leuwenberger genannt». (Nikolaus Leuenberger war Anführer im Bauernaufstand von 1653.)
«Ein ander Bild mit Pferd- und Mannsharnisch sampt einer alten Standarden.» — Dann folgen noch S. 13:
«Der Herzog Berchdold und sein Harnisch.
«3 andere Bilder mit ihren Harnischen.
«Der Wilhelm Dell mit seinem Kind.»
Der Pferd- und Mannsharnisch kann hier wiederum kein anderer sein, als der vorliegende, und die Art, wie er hier aufgeführt ist, beweist, dass selbst zu einer Zeit, wo man bereits anfing, gewisse Waffenstücke hervorragenden Personen aus der bernischen Geschichte beizulegen, im Zeughaus eine solche Hans Franz Nägelis unbekannt war, wenigstens nicht amtlich als solche bezeichnet wurde. Wir haben dann noch sämtliche Zeughausinventarien bis 1744 verglichen, aber nirgends mehr ähnliche Benennungen einzelner Rüstungen gefunden, sondern stets nur summarische Verzeichnisse. So lautet z. B. dasjenige von 1729, das bis 1744 meist wörtlich wiederkehrt, S. 15: Harnischkammer: «Rüstungen mit ganzen und halben Armschienen .2724
«Panzer. 56
«Reiterrüstungen. 926
«Sturmhauben. .... 207
«Buckelhauben. 4
«Harnisch Handschue. 12
«Sempacher Helmparten. 986
«Schlachtschwert. 78»
Offenbar haben die Zeugherren damaliger Zeit diesen Titulaturen keinen historischen Wert beigemessen. Wie ist nun trotzdem die fragliche Tradition entstanden? Dies ergibt sich am besten aus dem Vergleich von Beschreibungen schweizerischer Merkwürdigkeiten, wie sie im 18. Jahrhundert, als die Schweiz anfing, das Reiseziel des Auslandes zu werden, vielfach verfasst worden sind. Wir heben ein paar Beispiele heraus.
Abraham Ruchat, Pfarrer zu Aubonne (Waadt), der 1714 zu Leiden unter dem Pseudonym G. Kypseler «Delices de la Suisse» herausgab, schreibt S. 115 vom Berner Zeughaus: «Das Arsenal ist schön und groß und eines der am besten ausgestatteten der Schweiz. Man zeigt daselbst die Rüstungen Berchtolds V., Gründers der Stadt, und die Figur von Hans Franz Nägeli, Generals der bernischen Armee, als sie Karl III., Herzog von Savoyen, bekriegte und ihm die Landschaften Waadt, Gex und Ghablais entriss.» — Über dieses Werk fällt Gottl. Eman. v. Haller in seiner «Bibliothek der Schweizergeschichte» I, S. 147, folgendes Urteil: Es sei fehlerhaft und unvollständig. «Die Heftigkeit und Partheylichkeit aber, mit welcher er den Toggenburger Krieg (1712) beschreibt, wie auch seine Leichtgläubigkeit in verschiedenen andern Sachen, sollen diesem Werk billig die Verachtung eines vernünftigen Lesers erwerben.»
1732 erschienen die «Deliciae urbis Bernae» von Grüner. Dieser, offenbar obigen Autor noch erweiternd, sagt, man zeige im Berner Zeughaus «die Waffen und Harnisch Hertzog Berchtolds von Zerringen, Stiffters der Stadt Bern, und Cunos v. Bubenberg, des Baumeisters derselben, item den Pferdeharnisch Junker Hans Frantzten Nägelin, der anno 1536 dem Hertzog Carolo III. von Saffoy das Pais de Vaud zu Händen der Stadt Bern abgenommen samt einer großen Quantität allerhand Harnisch.» Ja der Harnisch Berchtolds V., von dem das Inventar von 1687 noch rein nichts wusste, ebenso wenig von demjenigen Nägelis, spukt noch in der zweibändigen «Description topographique ethistorique de la Ville de Berne» von Walthard, Bern 1827, S. 67: «On y conservait (vor 1798) egalement l’armure et la cuirasse du duc de Zaeringue; celle de Jean Francois Naegueli, qui conquit le Pays-de-Vaud en 1536, y est encore.»
Aus diesen Quellen ergibt sich unseres Erachtens Folgendes: Im 17. Jahrhundert galt die Maximilianrüstung als ehemaliges Eigentum der Familie von Luternau. Im 18. Jahrhundert wurde dieselbe infolge der Sucht, die bedeutendsten Waffenstücke berühmten Persönlichkeiten zuzuschreiben, dem Schultheißen Nägeli zugeschoben, jedenfalls mit ebenso wenig Berechtigung, wie man die Harnische Herzog Berchtolds V. und seines Dieners Cuno von Bubenberg zu besitzen vorgab. Die letzten beiden Namen wurden später als unhistorisch wieder ausgemerzt, derjenige Nägelis dagegen erhielt sich, weil die Erinnerung an die ältere Bezeichnung (von Luternau) erloschen und zeithalber in der Tat eine Möglichkeit vorhanden war, dass Nägeli die ihm zu geschriebene Rüstung getragen hatte. Heute wird es geboten sein, zur älteren Tradition zurückzukehren, die, wenn auch einstweilen dafür urkundliche Belege fehlen, doch nicht sensationsbedürftigen Zeughausdienern und Publizisten entsprungen ist.
Das Geschlecht von Luternau gehört zu den ältesten Adelsfamilien der Schweiz. Viele Urkunden in Band II.—VII. der «Fontes rerum Bernensium» erweisen, dass es als Ministerialen der Grafen von Kyburg bereits im 13. und 14. Jahrhundert in der Gegend von Langenthal (Oberaargau) begütert war. Mit dem Kloster St. Urban lag es im 13. Jahrhundert Jahrzehnte lang in Fehde. Seinen Ursprung leitet es her vom Hofe Luternau in der luzernischen Pfarre Battisholz, verzweigte sich später nach dem Aargau, nach Bern, Solothurn und Biel. Es besaß zeitweise die Herrschaften Castelen und Escholzmatt im Kanton Luzern, Liebegg, Trostburg, Schöftland, Eiswyl, Rohrbach, Grimmenstein, Wynigen und Belp im Kanton Bern; er genoss Bürgerrechte in den Städten Sursee, Zofmgen, Aarau, Beim, Solothurn und Biel und gehörte seit 1669 zu den sogenannten sechs privilegierten Geschlechtern in Bern, die im Rat den Vorsitz gleich nach den vier Vennern führten. Im Wappen führt es im schwarzen Feld eine weiße, mit drei Zinnen versehene Mauer, als Helmzier einen Brackenkopf. Harnische wie der vorliegende können also sehr wohl in seinem Besitze gewesen sein.
Der Harnisch (Fig. 1), von dem vollständigen Typus der geriffelten, sogenannten Maximiliansharnische, zeigt ganz die charakteristischen Formen der frühesten Harnische der Renaissance, wie sich solche nicht ohne instinktives Einwirken des Kaisers Maximilian I. zwischen 1490 und 1508 herausgebildet hatten. Die bereits durchgebildeten Einzelheiten lassen ihn uns um 1510 entstanden sein. Die eigentümlichen und hervortretenden Merkmale jener Periode der Harnischmode sind am Mannsharnisch das stark nach rückwärts ausgetriebene Scheitelstück im Nacken, um bei einem Sturz den Aufschlag zu mildern, die hohen Brechränder, die weit nach abwärts reichenden geschobenen Achselstücke mit steifen Flügen und besonders die weit vorgetriebene Kugelbrust mit stark ausgeschnittenen Armausschnitten und bereits beweglichen Einsätzen.
Eine hier auftretende Beigabe macht uns den Harnisch zu einer großen Seltenheit, ja vielleicht zu einem Unikum: der hier an einem Feldharnisch ersichtliche, wenn auch nur schwache, stangenförmige Rasthaken. Der Reisspieß wurde im Feld nur auf den «Rüsthaken » aufgelegt, der an der rechten Brustseite angeschraubt war. Ein Rasthaken rückwärts war nur bei Stech- und Rennzeugen angewendet, bei denen die schwere Stech- oder Rennstange einen Gegenhalt unbedingt benötigte. Hier finden wir einen Rasthaken an einem Feldharnisch; er verdankte sicher nur einem individuellen Wunsch des Eigentümers sein Entstehen, der sich im Gefecht schwererer Reisspieße bediente als der gewöhnlichen.
Im Weiteren bemerken wir an dem Mannsharnisch noch die angeschobenen Beintaschen, die hoch in die Leisten hinaufreichenden Diechlinge und endlich die breiten Stumpfschuhe. Der Rossharnisch bietet im Ganzen nichts Besonderes. Die ganze Rossstirn mit hoch aufgetriebenem Nasenbein besitzt Augenlöcher mit flach auslaufenden Dächern und halbe Ohrenbecher. Die, nebenher bemerkt, nicht gut zusammengestellte, Halsdecke, der «Kanz», ist geschoben und die Zügelbleche scheinen eine spätere, aber alte Zugabe zu sein. Der Fürbug ist nur wenig nach vorne geschweift, die Streifbuckel treten scharf hervor. Eigentümlich sind die seitlichen starken Auftreibungen oberhalb am Kruppgelieger. Der Rist ist gezahnt. Der Sattel hat bereits die volle Renaissanceform mit tiefem Sitz und Schenkelwulsten an den Seitenblättern.
Wenden wir uns zum Schluss zur Dekoration, so lenken wir die Aufmerksamkeit zunächst auf die Rifflungen, welche derart angeordnet sind, dass selbe breite Streifen bilden, zwischen welchen blanke Felder leer gelassen sind, welche mit stilvollen Arabesken in Schwarzätzung geziert sind. Ein Ätzmaler-Monogramm oder eine solche Marke ist zwar nirgends zu entdecken, wir sind daher außer Stande, den Augsburger Meister zu nennen, und begnügen uns mit der Wiedergabe der Partie eines Ätzstreifens (Fig. 2), aber wir sind doch in der Lage zu bemerken, dass in der Zeichnung und in dem Stil der Arabesken genau die Hand jenes Meisters zu erkennen ist, welcher die geätzten Streifen an dem Harnisch des Johann Friedrich von Sachsen in der kaiserlichen Waffensammlung zu Wien gefertigt hatte, und der sich dort mit dem Monogramm M. G. kennzeichnet. Sacken in seinem Werk «Die k. k. Ambraser-Sammlung», Wien 1855, I, S. 165, vermutet in dem Künstler Mathias Gerung, der allerdings dieses Monogramm geführt hatte.
Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 3. Dresden, 1897-1899.