Von M. V. Ehrenthal in Dresden.
Im königl. historischen Museum zu Dresden wird eine Fahne bewahrt, deren historischer und künstlerischer Wert eine Besprechung an dieser Stelle wohl rechtfertigen dürfte. Die Fahne, deren Abbildung wir hier bringen, ist nur noch zum Teil, glücklicherweise aber in ihrem Hauptteil erhalten. Sie misst in der Höhe 1,70 m, in der Breite 1,50 m. Der Konservierung wegen ist sie auf Leinwand aufgeklebt und unter Glas aufgestellt worden.
Aus goldschimmernder Seide in feinem Muster gewebt, zeigt die Fahne als Mitteistück einen thronenden Christus auf phantastisch geschmücktem Sessel in Temperamalerei. Der von einem goldenen Heiligenschein umgebene Kopf des Heilandes lässt den orientalischen Typus in veredelter Auffassung erkennen. Die linke Hand des Erlösers hält das Buch des Lebens, die rechte ist segnend nach vorwärts gestreckt. Das rotfarbene Unterkleid ist mit goldenen Borten besetzt; ein hellblauer Mantel, dessen kräftiger Faltenwurf namentlich an der unteren Partie hervortritt, umhüllt den größeren Teil der Gestalt.
Zu beiden Seiten des Heilandes befanden sich ehedem aufgemalte Sterne und Inschriften, die jedoch heute nur noch auf der linken Hälfte der Fahne erhalten sind. Die Übersetzung der lesbaren Inschrift lautet: «In der Tapferkeit wirst du siegen.» Sie weist darauf hin, dass die Fahne dem Kampf geweiht war. Betrachten wir die Malerei mit kritischem Auge, so ergibt sich trotz einiger Verzeichnungen an der Figur immerhin ein beachtenswertes Stück byzantinischer Kunst. Zwar haben wir kein Werk vor uns, welches die Kunst seiner Zeit repräsentierte, sondern nur das Produkt einer Kunstrichtung, welche Jahrhunderte lang fast unverändert in den christlichen Kulturstaaten des Orients sich erhalten hatte, bis ihr der Untergang des Oströmischen Reiches ein Ende bereitete.
Die Pflegstätte dieser Kunst war auch dort wie im Abendland die Kirche; insbesondere waren es die zahlreichen Klöster, aus denen die Gemälde zur Ausschmückung von Kirchen und Kapellen und ebenso auch profane Kunstwerke hervorgingen. Dem konservativen Geist der Kirche entsprach auch die von ihr gepflegte Kunst, sodass sie schließlich einem starren Schematismus anheimfiel. So hat denn auch der fromme Künstler, der die Malerei der Fahne schuf, nicht aus sich selbst geschöpft, sondern sich eines Vorbildes bedient, das er mit einigen dem Zweck entsprechenden Änderungen wiedergegeben hat. Höchstwahrscheinlich war es das Mosaik über dem Portal der Sophienkirche in Konstantinopel aus der zweiten Hälfte des VI. Jahrhunderts, welches von ihm in Temperafarben auf Seide übertragen wurde. Es zeigt dieses Mosaik, von dem man in W. Lübkes Grundriss der Kunstgeschichte, S. 274, eine Abbildung findet, den Heiland in derselben allgemeinen Auffassung, wie wir ihn hier wiedersehen. Nur die Umgebung des thronenden Christus ist auf der Fahne eine andere wie auf dem Mosaik. Hier sieht man zu beiden Seiten des Heilandes die Medaillons der Madonna und des Erzengels Michael, dort Sterne als Symbol einer besseren Zukunft und Inschriften, welche die Krieger zur Tapferkeit anfeuern sollen.
Denselben Kopf des Heilandes wie auf unserer Fahne findet man auch auf einem Bildnis des Antlitzes des Erlösers in der Kapelle St. Simon und Juda im Dom zu Prag, inschriftlich nach einem alten byzantinischen Gemälde von Thomas von Mutina 1368 gemalt.
Die bulgarische Fahne gelangte als Geschenk des Herzogs Ernst Günther von Holstein (1606— 1689) an Kurfürst Johann Georg II. (1613 —1680) in den Besitz des Hauses Sachsen Albertinischer Linie, vielleicht zu gleicher Zeit mit einigen anderen byzantinischen Malereien, deren Überbringer der Oberst Christoph von Degenfeldt war1. Das zwischen 1680 und .1684 angelegte Inventar der kurfürstlichen Rüstkammer besagt, dass die Fahne «von den Moldauern erbeutet» worden sei. Aufgrund dieser Aufzeichnung galt sie lange Zeit als eine moldauische, bis Kaiser Nicolaus I. von Russland bei seinem Besuch des Museums im Sommer des Jahres 1838 sie mit Sicherheit als eine bulgarische bezeichnete. Der Czar fügte hinzu, dass er ein ähnliches Stück in der Eremitage zu St. Petersburg besitze. Inzwischen haben wissenschaftliche Forschungen die Richtigkeit des kaiserlichen Ausspruches bestätigt. Schon die altbulgarischen Schriftzeichen, die Inschriften in bulgarischer Sprache weisen auf den Ursprung der Fahne hin.
Höchstwahrscheinlich stammt sie aus der Zeit, als das bulgarische Volk unter seinem tapferen König Schischman III. mit den über den Balkan vordringenden Osmanen um Freiheit und Glauben kämpfte, aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Mit dem Bildnis des Heilandes geschmückt, von den Priestern geweiht, war diese Fahne wohl ein heiliges Feldzeichen der Krieger, das Symbol des Kreuzes gegen den Halbmond. Als das Bulgarenvolk trotz seiner Tapferkeit der feindlichen Übermacht erlag, fiel die Fahne in die Hände der Osmanen und wurde von ihnen als Kriegstrophäe bewahrt. Drei Jahrhunderte nachher, in einem der siegreichen Kämpfe der Moldauer gegen den türkischen Erbfeind, wurde das Stück von jenen wieder erbeutet und gelangte in den Besitz des Herzogs Ernst Günther. So und nicht anders dürfte, nachdem der Ursprung der Fahne als feststehend erscheint, der Inventarvermerk zu verstehen sein.
1 S. 2 und 3 des Kataloges der königl. Gemäldegalerie zu Dresden von Carl Woermann.
Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 1. Dresden, 1897-1899.