Von Eduard V. Lenz in St. Petersburg.
I. Die Waffensammlung in der kaiserlichen Eremitage zu St. Petersburg.
Im Jahre 1885 erfolgte ein kaiserlicher Erlass, betreffend die Gründung einer besonderen Abteilung an der kaiserlichen Eremitage zu St. Petersburg in den Räumen, welche bis zu der angegebenen Zeit im Erdgeschoss des Winterpalais von dem Reichsrat und Ministerkomitee eingenommen wurden, und diese in 20 größeren und kleineren Gemächern untergebrachte Sektion erhielt den Namen: «Abteilung für Kunstgegenstände aus dem Mittelalter und der Renaissance-Epoche». Zusammengesetzt wurde die Abteilung aus den in Paris angekauften Sammlungen des bekannten Kunstfreundes A. P. Basilewsky und dem früheren Museum von Zarskoie-Selo, dessen Überführung und Aufstellung längere Zeit in Anspruch nahm, sodass die neue Abteilung erst im Februar 1888 dem Publikum zugänglich gemacht werden konnte.
Das Museum von Zarskoie-Selo, einer kaiserlichen Residenz dieses Namens, 20 km südlich von St. Petersburg gelegen, leitet seinen Ursprung von einer Waffensammlung des Kaisers Alexander I. her, welche 1811 in einem kleinen, vom Engländer Menelas in spätromanischem Stil erbauten Jagdschlösschen untergebracht und vom Kaiser Nikolaus I. bedeutend erweitert wurde. Die in großer Menge vorhandenen prachtvollen orientalischen Waffen bildeten den Hauptwert des 1860 bereits über 5000 Nummern zählenden Museums, dessen reichhaltiger Bestand, gelegentliche Schenkungen verschiedener Mitglieder des Kaiserhauses ungerechnet, hauptsächlich folgenden Quellen entstammt:
Die orientalische Abteilung verdankt ihre besten Nummern der Kriegsbeute aus den Feldzügen 1826—1829. So wurden in der ersten Kampagne (1826) in Ardebil altertümliche, den Schahs Nadir und Abbas dem Großen zugeschriebene Waffen erbeutet, ähnliche Stücke schickte der General Krassowski aus Eriwan. 1829 lieferte der General Diebitsch dem Museum eine Reihe prächtiger Säbelklingen aus Matschin und Varna ein, im Jahre 1829 aus Silistria. Die Eroberung des Arsenals in Erzerum (1829) brachte eine neue Serie orientalischer Trophäen. Die blutigen Kämpfe mit den Bergvölkern des Kaukasus (1831, 1834 und 1840) lieferten reiche Kriegsbeute an Fahnen und besonders alten Rüststücken. 1843—1844 wurden größere Partien indischer Waffen in Delhi und Calcutta käuflich erworben. Im Jahre 1852 erhielt das Museum die seit den Zeiten Katharinas II. in der Akademie der Wissenschaften und im kaiserlichen Marstall aufbewahrten luxuriösen, von orientalischen Gesandtschaften den russischen Herrschern dargebrachten Geschenke, die vom Kaiser Nicolaus I. persönlich gesammelten orientalischen Gegenstände und einen großen Teil der Sammlung des Großfürsten Michail Pawlowitsch.
Weiterhin wurde das Museum durch schöne Waffen bereichert, welche der Stadt Ak-Metschet am Lyr-Darja (1853 erobert) und den 1861 gestürmten Festungen des Chanats Khokand entstammten. Endlich (1861) erhielt das Museum einen außerordentlich wertvollen Zuwachs durch die Erwerbung von 267 Waffenstücken aus den Kunst Sammlungen des Fürsten Peter Soltikoff, welche im genannten Jahre in Paris zur Versteigerung gelangten, und deren europäischer Teil vom Kaiser Napoleon III. für das Schloss Pierrefonds angekauft wurde. Diese berühmte Privatsammlung, ausschließlich der europäischen und orientalischen Waffen 1109 Nummern zählend, wurde von dem kunstliebenden Fürsten im Laufe von 40 Jahren mit großem Fleiß und großer Mühe zusammengetragen, besonders während seiner Reisen nach Ceylon, Delhi und Lahore, deren Geschichte in einer besonderen, reich illustrierten Beschreibung unter dem Titel «Voyage dans l’Inde pendant les annees 1841 —1843 (Paris, Auguste Bry, folio)» niedergelegt ist.
Es sei noch bemerkt, dass die orientalische Abteilung fortgesetzt durch die reichen Geschenke bereichert wird, welche von den asiatischen Sultanen, Schahs, Khanen und Emiren dem russischen Kaiserhaus dargebracht werden. Die europäische Abteilung des Museums verfügt über eine ganze Reihe von künstlerisch schönen Rüstungen, darunter schöne Exemplare von Turnierrüstungen, vornehmlich dem 16. Jahrhundert angehörig; auch sind reich geschnittene Degengriffe und eine große Zahl von Armbrüsten vorhanden. In den Bestand dieser besonders vom Kaiser Nicolaus I. geförderten Sammlung sind ganze Kollektionen, so die von Melville und andere englische, die Rüstkammer des Lüneburger Schlosses, hervorragende Gegenstände aus Franken und der Pfalz, endlich die große Sammlung von Rüstungen, Waffen und Glasmalereien des russischen Gesandten in Wien, D. Tatischtschef, übergegangen. Endlich hat die Überführung des städtischen Arsenals in Narwa dem Museum eine große Auswahl von Rüstungen und Waffen der See- und Landtruppen aus dem 16. und 17. Jahrhundert zugebracht.
Die russische Abteilung setzt sich zusammen aus den Altertumssammlungen des verstorbenen Gelehrten Pogodin, den alten, im Jahre 1831 aus Polen übergeführten Kriegs- und Prunkwaffen und den käuflich erworbenen Sammlungen des Malers Orlowski (russisch-polnische Waffen des 16. und 17. Jahrhunderts) und der Erben des Feldmarschalls Kutusoff (albanesische und montenegrinische Feuergewehre).
Die in Paris erworbene Sammlung von A. P. Basilewski repräsentiert eine ununterbrochene Reihe von Denkmälern des europäischen Kunsthandwerkes von den Anfängen des Christentums bis zum Ende der Renaissanceperiode und zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass ihr der Charakter der zufällig, sporadisch zusammengetragenen Liebhabersammlungen vollständig abgeht. An der Zusammenstellung haben hervorragende Künstler und Gelehrte mitgewirkt, die einzelnen Stücke sind mit großer Auswahl von Fachleuten auf Echtheit und künstlerischen Wert geprüft. Es sind freilich in dieser Sammlung nicht alle Kunstgebiete gleich stark vertreten; monumentale Skulptur und Malerei z. B. sind wenig berücksichtigt, dafür aber andere Zweige des Kunsthandwerkes überaus reich repräsentiert, so unter anderem: Emailarbeiten aus Limoges und vom Rhein, Kirchengerät aus dem 11. bis 14. Jahrhundert, Majoliken und Fayencen, Elfenbein- und Holzschnitzereien der altchristlichen Zeit und des Mittelalters.
Der Ausverkauf der bemerkenswerten Sammlung altchristlicher Kunstgegenstände des Cardinais Guadagni, Vicars von Rom, im Jahre 1732 legte den Grund zu einer nicht zahlreichen, aber ausgesuchten Kollektion von Denkmälern der frühchristlichen Zeit, welche in der Folge vervollständigt wurde durch Ankäufe bei Detsch in Köln, Germaux, Pourtales; die Elfenbeinschnitzereien stammen meist aus den Sammlungen Soltikoff und Dogny, die Holzschnitzereien aus denen von Germaux, Carpentier u. a.
Einzelne, besonders hervorragende Kirchengeräte wurden aus der Fuldischen Sammlung und dem Baseler Münster erworben; ebenso entstammen die Emails den besten Quellen: den Kollektionen von Soltikoff, Bouvier, Fulda, Pourtales, Debruges-Dumenil; die Majoliken sind aus den Sammlungen Castellani, Parker, Marquis d’Azelio Cajani, Tordelli; die venezianischen Glasmalereien aus der Fuldischen Sammlung, die Fayencen aus der Sammlung Pior.
Die Abteilung der russischen Altertümer und Denkmäler des russischen Kunsthandwerkes entstand schon in Zarskoie-Selo, umfasste aber nur altes Hausgerät und blieb lange Zeit wenig beachtet, bis die an der numismatischen Abteilung der Eremitage bestehende Sammlung russischer Altertümer aus der vormongolischen Zeit derselben einverleibt wurde, welche eine ganze Reihe, von der kaiserlichen archäologischen Kommission erworbene Ausgrabungen und Funde vom 9.—13. Jahrhundert umfasste. Hierher gehören die Ausgrabungen von Smolensk, Orel, Kursk, Charkow, Podolien, Woronesh, Saratow, Kasan, sowie die in den Gouvernements von Perm, Wjatka, Wilna und Wolhynien gemachten archäologischen Funde; besonders kostbar sind die in Kiew, Rjasan, Tschernigoff und Wladimir ausgegrabenen Email-Ohrgehänge, Medaillons und Ketten aus dem 11.—12. Jahrhundert.
Nicht minder kostbar sind die aus der Zeit der Völkerwanderung stammenden Gegenstände, welche durch Ausgrabungen im Kaukasus, im Land der Donischen Kosaken, in den Gouvernements Taurien und Stawropol zutage gefördert wurden.
An der Beschreibung und Veröffentlichung dieser Kunstschätze ist seit einem halben Jahrhundert gearbeitet worden, und wenn bis zum heutigen Tage auch nicht ein allen Ansprüchen der Wissenschaft genügender Katalog vorhanden ist, so kann das nicht ohne Weiteres den an der Eremitage Angestellten zur Last gelegt werden. Die erst seit kurzer Zeit erfolgte Vereinigung der verschiedenen Sammlungen, die ungeheure Reichhaltigkeit des Materials, der sehr fühlbare Mangel an Spezialwerken über Geschichte und Technik der Waffen im Orient überhaupt und Russland im Besonderen, endlich der Mangel an geistigem und wissenschaftlichem Zusammenwirken der einzelnen Museen und kunsthistorischen Institute lassen an das bisher Geleistete einen wesentlich anderen als im Westen üblichen Maßstab anlegen und mit Dank anerkennen, was die Einzelnen ohne Nachschlagebücher und Sammelwerke, nur auf eigene Kraft und auf ihr Spezialstudium hingewiesen, in dieser Richtung zustande gebracht haben, ihren Nachfolgern den Weg ebnend.
Der erste Katalog des Museums von Zarskoie-Selo ist in russischer Sprache im Jahre 1840 von dem kaiserlichen Bibliothekar Sayger verfasst und in beschränkter Anzahl von Exemplaren gedruckt worden. Dieser Katalog umfasst 2747 Nummern und bietet auf 446 kleinen Oktavseiten ein kurzes Inventar der Sammlung. Bereits fünf Jahre früher wurde die Herausgabe des illustrierten Prachtwerkes in vier Bänden begonnen, welches im Jahre 1853 beendet und von Welten in St. Petersburg und Karlsruhe veröffentlicht wurde: «Musee de Tzarskoie-Selo ou Collection d’armes de Sa Majeste l’Empereur de toutes les Russies. Ouvrage compose de 180 planches lithographiees par Asselineau d’apres les dessins originaux de A. Rockstuhl, avec une introduction historique par Flor. Gille. St. Petersbourg 1835—-1853.» Als Ergänzung zu diesem Werk erschien im Jahre 1869 in französischer und russischer Sprache ein Folioband unter demselben Titel: «Musee de Tzarskoie-Selo ou collection d’armes de Sa Majeste l’Empereur. Par George de Kaemmerer, avec 15 planches chromolithographiques et 27 planches lithographiques; les dessins par Rockstuhl et Bogdanoff.»
Im Jahre 1860 war bereits ein kurzer Katalog erschienen, welcher als Führer durch die Sammlung dienen konnte: «Notice sur le Musee de Tzarskoie-Selo, renfermant la collection d’armes de Sa Majeste l’Empereur.» Es werden in demselben, ausschließlich der Soltikoff’schen Sammlung, folgende Gegenstände aufgezählt: 332 Säbel, 619 Schwerter und Degen, 353 Dolche und Jatagans, 52 Bogen und Köcher, 627 Stangenwaffen, 426 Flinten, 199 Pistolen, 83 Pulverhörner und anderes Zubehör, 49 Armbrüste, 182 Schilde, 671 Rüstungen, 62 Kettenpanzer, 184 Sättel, 131 verschiedene Waffen, 138 Fahnen und Standarten und 30 Geschütze.
Ebenfalls den Sechzigerjahren gehört eine große Arbeit an, welche jedoch leider nicht veröffentlicht wurde: das Institut für Anfertigung der russischen Staatspapiere fertigte für die Pariser Weltausstellung von 1867 über 400 Photographien von den zum Museum von Zarskoie-Selo gehörigen Kunstgegenständen an und brachte ein Exemplar derselben, zu einem schönen Album geordnet, dem Kaiser Alexander II. dar. Seine Majestät schenkte diese prachtvollen Fotografien, vornehmlich die schönsten Waffen der Sammlung darstellend, dem Museum, doch ist jetzt nur noch ein Bruchteil derselben erhalten; die Negative jedoch liegen noch heute in der Expedition zur Anfertigung von Staatspapieren in St. Petersburg, und es wäre wohl ein sehr verdienstvolles Werk, neue Abzüge herzustellen und dem Publikum zugänglich zu machen.
Im Jahre 1891 endlich gab der dermalige Konservator an der kaiserlichen Eremitage, Professor der Kunstgeschichte Kondakow, einen kurzgefassten Katalog in russischer Sprache heraus, welcher, alle Sammlungen der Abteilung des Mittelalters und der Renaissance umfassend, nach des Verfassers eigenen Worten nur ein «Anzeiger» sein soll, dessen Ziel darin besteht, durch kurze Herzählung der Gegenstände und gedrängte Charakteristik einzelner Gruppen derselben dem Beschauer die Übersicht zu erleichtern und der Verbreitung allgemeiner kunsthistorischer Begriffe zu dienen.
Dieser Zweck wird nun bedauerlicherweise aus zum Teil vom Autor unabhängigen Gründen nicht erreicht; die Beibehaltung der alten Nummerationen früher selbstständiger, gegenwärtig aber räumlich nicht mehr getrennter Sammlungen einerseits, ihre rein dekorative Aufstellung andererseits, und endlich der Umstand, dass im Katalog nicht alle, sondern nur die besonders bemerkenswerten Gegenstände namentlich aufgeführt werden, erschweren die Orientierung bedeutend, und das umso mehr, als die Verteilung der Objekte in den Sälen häufig ebenso durch Zahl- und Raumverhältnisse, wie durch Zeitalter und Herkunft bestimmt wurde.
Ohne im Geringsten die Schwierigkeit einer solchen Aufgabe zu unterschätzen, deren Bewältigung vielleicht Jahrzehnte erfordern würde, können wir nicht umhin, dem lebhaften Wunsch vieler Ausdruck zu geben: es möge möglichst bald zur Herausgabe eines vollständigen historischen Kataloges geschritten werden, welcher die Schätze einer der reichsten Waffensammlungen der Welt sowohl dem großen Publikum, als auch dem engen Kreis der Altertumsforscher und Kunstfreunde aller Länder erschließen würde.
II. Die Waffensammlung in der Rüstkammer (Orushejnaja Palata) zu Moskau.
Als Sammlung erst von dem ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts seinen Ursprung herleitend, stammen die in der Orushejnaja Palata aufbewahrten Gegenstände aus viel früherer Zeit, vornehmlich aus dem 15. und 16. Jahrhundert, einer Zeit, wo die Schatzkammer der Zaren außer den Reichskleinodien auch das persönliche Besitztum der Herrscher, die zahllosen Geschenke für deren Umgebung und die von fremden Mächten, unterworfenen Völkern und eigenen Untertanen dargebrachten Kostbarkeiten enthielt.
Das alte Gebäude der Schatzkammer (Kasjonni dwor), wahrscheinlich unter Johann III. (1462—1505) erbaut und 1494 bereits handschriftlich erwähnt, lag zwischen den Kathedralen Archangelsky und Blagoweschtschensky, war quadratisch gebaut und trug ein pyramidal geformtes hohes Dach. Hier wurden die Reichskleinodien aufbewahrt: die Krönungsregalien des Wladimir Monomach (1113—1125), die Kronen und sonstigen Kopfbedeckungen, die Festgewänder und der Schmuck der Herrscher; außerdem lag hier der Privatschatz des regierenden Zaren, seiner Gemahlin und seiner Kinder; hierselbst befand sich auch die große zarische Rüstkammer, die kostbaren Rüstungen und Waffen der Herrscher, auserlesene Kriegsbeute und Geschenke enthaltend. Der «Reservehof» endlich, oder vielleicht richtiger durch «Vorratskammer» übersetzt, ein großes, am Hügelabhang gelegenes Gebäude, diente zur Aufbewahrung der Festgewänder, Prunkrüstungen und Paradewaffen, welche bei gewissen Gelegenheiten an die nächste Umgebung des Zaren und an ins Ausland abgehende Gesandtschaften verteilt wurden.
Endlich befanden sich hier noch umfangreiche Werkstätten, in denen ununterbrochen der Vorrat an Waffen, Rüstungen, Prunkgewändern, Tafelgeschirr, Schmucksachen usw. ergänzt und vergrößert wurde; die Arbeiter, fast ausschließlich Russen, teilten sich in verschiedene Gewerke: Goldschmiede, Steinschleifer, Juweliere, Silber- und Filigranarbeiter, Emailleure, Elfenbein- und Holzschnitzer, Schwertfeger, Helmschmiede, Plattner, Schneider, Schuster, Spitzenklöppler, Färber und unzählige andere, eng begrenzte Gebiete des Handwerkes umfassend.
Die Leitung und Verwaltung lag in den Händen der zarischen Werkstättenkammer (Masterskaja Palata), welche genaue und detaillierte Rechnungsbücher über Einnahme und Ausgabe, Löhnung, namentliche Arbeiterregister, Bestellungen usw. führte; dieses handschriftliche Material, vornehmlich dem 16. und 17. Jahrhundert angehörend, hat sich fast vollständig im Archiv der Orushejnaja Palata erhalten und bietet in ca. 10.000 Manuskripten, die erst zum geringen Teil publiziert sind, unschätzbares archäologisches und historisches Material. Daselbst finden wir z. B. ein Verzeichnis der bevorzugtesten Arbeiter unter der Regierung des Zaren Alexei Michailowitsch (1645—1676); es werden genannt: die Goldarbeiter Michail Wassiljew, Iwan Michailow, der Laufschmied Afanasi Wjatkin mit seinen Gehülfen, der Helmschmied Nikita Dawidow mit seinen Gehülfen; die besten Bogen werden von Sarin Iwanow und Schpagin gearbeitet, gezogene Läufe stellen Grigorij Wjatkin, Wassili Titow und Roman Komarow her.
Das 17. Jahrhundert lässt sich überhaupt als Blütezeit der Moskowitischen Waffenschmiedekunst betrachten; außer den Arbeiten der genannten Meister lassen sich als Musterstücke der 1616 vom Meister Konowalow verfertigte Harnisch des Zaren Michail Feodorowitsch (1613—1645) und das vom Czechen Nil Prosvit gearbeitete, durchbrochene, reich in Gold tauschierte Schwert (1617) desselben Herrschers anführen; auch die an ausländische Fürsten verteilten Geschenke wurden von Moskauer Meistern verfertigt, so der vom Zar Boris Godunoff 1604 dem Schah Abbas gesandte Harnisch und zwei Feuergewehre. Im Jahre 1737, während des großen Brandes im Kreml, wurde auch die Rüstkammer (Orushejnaja Palata) vom Feuer zerstört, wobei viele kostbare Denkmäler der alten Zeit und jüngere Kriegstrophäen (so z. B. die den Schweden bei Poltawa abgenommenen Fahnen) verloren gingen; jedoch blieb die Schatzkammer der Zaren, durch feste Gewölbe geschützt, unversehrt. Später wurden die vom Brand zerstörten und angegriffenen Gebäude vollends niedergerissen und die Kostbarkeiten in das alte Schloss überführt. Doch hat die altehrwürdige Sammlung noch schwerere Verluste im Laufe der Zeiten zu tragen gehabt als diesen; vor allem dadurch, dass bis zu der Übertragung der Residenz nach St. Petersburg die Moskauer Schatz- und Rüstkammern ein stetig in Ab- und Zunahme begriffenes, ewig fluktuierendes Betriebskapital repräsentierten: Gaben für Söldner an Zahlungsstatt, Gnadenbeweise an die persönliche Umgebung und hervorragende Kriegsleute, Geschenke für ausländische Fürsten und Gesandtschaften. Alles wurde dieser Quelle entnommen und teils durch einlaufende Geschenke, zum größten Teil aber durch neu verfertigte Gegenstände ersetzt. Einen historischen Wert, die Weihe des Alters gab es damals nicht, die Preiswürdigkeit des Materials und der Arbeit war ausschlaggebend, und so ging manches unschätzbare Stück für seinen Metallwert dahin.
Als endlich der Hof nach St. Petersburg übersiedelte, versiegten die Einnahmequellen der Orushejnaja Palata für immer, umso mehr, als gleichzeitig die Produktion in den Werkstätten aufhörte, die Ausgaben aber fortliefen, bis ein Erlass des Kaisers Alexander I. dem Treiben Halt gebot und durch Errichtung des jetzigen Gebäudes der Orushejnaja Palata und Vereinigung aller übrig gebliebenen Waffen und sonstigen Kunstgegenstände der früheren zarischen Schatzkammer das jetzt noch in seinen Trümmern großartige Museum ins Leben rief. Im Jahre 1810 war das neue Gebäude fertiggestellt, der Einbruch der Franzosen unterbrach jedoch das begonnene Werk; die Sammlungen wurden rechtzeitig nach Nishny Nowgorod in Sicherheit gebracht und erst 1814 zurückgeführt und aufgestellt.
Es begann nun eine langjährige, beschwerliche Arbeit, denn alle nicht durch Inschriften datierten Gegenstände waren durch Vertauschung und Abhandenkommen ihrer Nummern, Etiketten und Legenden in Bezug auf Provenienz unkenntlich geworden; die alten Sachregister, von 1687 an fortlaufend, sowie einzelne Beschreibungen, von Privatpersonen bei Gelegenheit als Notizen niedergeschrieben, gaben auch keine sicheren Anhaltspunkte, sodass es erst im Jahre 1835, Dank der Energie des Kaisers Nicolaus I. und seines Hofministers, des Fürsten P. M. Wolkonsky, gelang, ein fünf Bände starkes genaues Verzeichnis aller geretteten Sachen herzustellen, welches über 10.000 Nummern enthält. Eine solche restitutio in integrum wäre natürlich nicht möglich gewesen ohne das reiche handschriftliche Material, welches sich im Archiv der Orushejnaja Palata unversehrt erhalten hat.
Außer dem oben angeführten Werk sind in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts noch sechs andere mehr oder weniger vollständige Beschreibungen der Kunstsammlungen in der Orushejnaja Palata, sämtlich in russischer Sprache, veröffentlicht. Es sind dieses: Walujew, Beschreibung des alten russischen Museums, Moskau 1807, der in sieben Kapiteln eine detaillierte Herzählung der bedeutendsten Stücke, durch 30 Tafeln illustriert, bietet. In Swinjin, Anzeiger der in den Werkstätten der Orushejnaja Palata erhaltenen hervorragendsten Denkwürdigkeiten, St. Petersburg, 1826, werden unter Anderem 80 der bemerkenswertesten Waffen beschrieben. Die von Ewrejnow 1834 in Moskau herausgegebene «Kurze Beschreibung der Orushejnaja Palata in Moskau» beschäftigt sich nicht eingehend mit der Waffensammlung. Snegirew’s Mitteilungen über die Orushejnaja Palata finden sich in den «Denkmälern des Moskauer Alterthums», 1842 — 1845, und in dem Sammelwerk «Alterthümer des Russischen Kaiserreiches», Moskau, 1849—1853, zerstreut. Weltmanns «Moskauer Orushejnaja Palata», Moskau, 1844 und 1860, ist der zweite Teil ausschließlich den Rüstungen, Waffen und dem Pferdezeug gewidmet; dieses Buch besitzt vor vielen anderen den großen Vorzug, dass ihm ein besonderes alphabetisches Verzeichnis der unendlich reichhaltigen, verwickelten und jetzt zum großen Teil unverständlichen altrussischen technischen Kunstausdrücke beigefügt ist. Den gleichen Vorzug hat ein Werk des jüngst verstorbenen Archäologen Sawwaitoff «Die Moskauer Orushejnaja Palata», welcher, ausschließlich auf meist noch unveröffentlichtes archivalisches Material gestützt, folgende Gruppen von Gegenständen genau beschreibt und technisch sowohl wie künstlerisch eingehend erläutert: 1. die Gewänder, Waffen, Harnische und das Reitzeug des Zaren Boris Godunoff vom Jahre 1589; 2. die Gewänder des Zaren Michail Feodorowitsch vom Jahre 1629; 3. Waffen und Harnische desselben Herrschers vom Jahre 1640; 4. Gewänder und Waffen des Zaren Alexei Michailowitsch vom Jahre 1676; 5. Regalien und Gewänder des Zaren Feodor Alexejewitsch vom Jahre 1682; 6. die Geschenke desselben Herrschers an den Fürsten Galytzin 1681 und 1682; 7., 8. und 9. Kleidung und Schmuck der Zarinnen Jewdokia Lukjanowna 1642, Sophia Alexejewna 1673 und Agafia Simeonowna 1681. Ein vorzüglich zusammengestelltes alphabetisches Verzeichnis der technischen Bezeichnungen, sowie verschiedene Beilagen, wie z. B. eine Untersuchung über das alte russische Münzwesen, verleihen dem Buch einen besonderen Wert.
Eine vollständige Beschreibung aller in der Orushejnaja Palata befindlichen Kunstschätze endlich erschien in Moskau im Jahre 1893 in 10 Bänden, und ist besonders die in 4 Bänden behandelte Waffensammlung, Dank den jahrelangen Bemühungen der Herren Konservatoren Filimonow und Pawlinow, in durchaus anerkennenswerter Weise sorgfältig und eingehend beschrieben. Fast bei jedem Stück werden die betreffenden Stellen aus den archivalischen Manuskripten und älteren Inventaren in extenso oder wenigstens im Auszug angeführt, Herkunft eines jeden Stückes, so weit möglich, erwähnt und nachgewiesen, Inschriften, Meistermarken, Details der Muster und Verzierungen auf lithographischem Wege und in Holzschnitt reproduziert. Dazu gehören 500 fototypische Tafeln mit Abbildungen der bemerkenswertesten Gegenstände. Laut diesem Verzeichnis enthielten die Sammlungen der Orushejnaja Palata 10.340 Nummern, von denen viele mehrere Gegenstände umfassen; davon entfallen 5767 Nummern auf kriegerische Ausrüstung, und zwar: Fahnen, Standarten und Feldzeichen 322, Rüstungen und deren Teile 335, Helme und andere Kopfbedeckungen 104, Armschutz, Handschuhe 129, Schilde 122, Abzeichen der kriegerischen Würde 104, Schlagwaffen 348, Stangenwaffen 124, Schwerter 95, Degen und Panzerstecher 153, Säbel 249, Dolche und Messer 171, Bogen, Köcher und Wurfspieße 89, deren Zubehör 22, Handfeuerwaffen 1461, Pistolen (fast alle paarweise unter einer Nummer) 647, Zubehör 63, Geschütze 28, Sättel, Zäume, Steigbügel 1200. Von den übrigen Nummern entfallen auf: Regalien und Ornat der Zaren 525, goldenes und silbernes Geschirr 1840, Geschirr aus anderem Material 483, Uhren, Schreibgerät, Schatullen 400, Ringe, Ohrgehänge, Knöpfe 358, Möbel und Stoffe 153, Bilder und Büsten 236, Heiligenbilder und Kreuze 75, verschiedene Gegenstände 502. Ein Nachtrag im 10. Band bringt das genaue Verzeichnis aller auf den fototypischen Tafeln abgebildeten Gegenstände, eine vergleichende Tabelle der laufenden Textnummer mit der Nummer jeder Tafel und ein chronologisch geordnetes Verzeichnis sämtlicher auf den Silbersachen befindlichen Meistermarken.
Einem solchen Werk gegenüber, an dem die Zeitdauer, der Kostenaufwand und die Bewältigung nicht geringer Hindernisse mit höchst ungenügenden Hilfsmitteln jedem billig Denkenden Achtung einflössen muss, fällt es schwer, Ausstellungen zu machen, welche leicht als kleinliche Nörgelei ausgelegt werden könnte. Trotzdem möchten wir uns zwei Bemerkungen erlauben und zugleich den Wunsch aussprechen, dass bei einem ähnlichen Werke über die Waffensammlung der St. Petersburger Eremitage diese Fehler vermieden werden möchten: die erste Bemerkung betrifft die fototypischen Tafeln, auf deren Herstellung nicht die nötige Sorgfalt verwendet worden ist; auf manchen derselben verschwimmen die abgebildeten Gegenstände vollständig mit dem dunkeln Hintergrund, auf anderen wieder werfen die einzelnen Stücke tiefschwarze Schlagschatten, noch andere endlich zeigen eine große Zahl von Gegenständen in so massenhafter und wenig übersichtlicher Anordnung, dass der Nutzen einer solchen Abbildung vollständig illusorisch wird.
An zweiter Stelle wollen wir unser Bedauern ausdrücken, dass den waffentechnischen Details im Text des Buches so wenig Raum gegeben ist, dass dem Fachmann dadurch viel wertvolles Material zu vergleichenden Studien verloren geht. Als Beispiel mag nur angeführt werden, dass bei Beschreibung der über 2000 Nummern zählenden Feuerwaffen die Konstruktion der Gewehrschlösser ganz unberücksichtigt geblieben ist, eine Lücke, welche nur zum Teil und jedenfalls nur in wenigen Fällen durch entsprechende Abbildungen ausgefüllt wird; ähnlich verhält es sich mit technischen Einzelheiten anderer Waffengattungen. Doch wir wiederholen es hier ausdrücklich, die zitierten Unzulänglichkeiten tun dem Werk keinen ernstlichen Abbruch, es ist und bleibt dieser zehnbändige Katalog ein Quellenwerk ersten Ranges, dem man nur wünschen kann, dass es von Seiten der übrigen russischen Museen baldigst Nachahmung finde.
III. Das Artillerie-Museum zu St. Petersburg.
Die Entstehung dieses für die Geschichte der Feuerwaffen in Russland hochwichtigen Institutes ist auf das, vorige Jahrhundert zurückzuführen. Am 14. November 1756 erfolgte der Erlass der Kaiserin Elisabeth an den General-Feldzeugmeister Grafen Peter Schuwalow, welcher beauftragt wurde, das in den Institutionen des geistlichen Ressorts, vornehmlich den Klöstern, aufbewahrte Rüstzeug, soweit es tauglich, denselben zu entnehmen und nach Moskau zu bringen. Die Erfüllung dieses Auftrages wurde dem Unterleutnant des Semenow’schen Leibgarde-Regimentes, Kropotow, übertragen, welcher, nach Einholung detaillierter Berichte aus sämtlichen Klöstern des Reiches, deren Rüstkammern gegen entsprechende Vergütung alle altertümlichen Rüststücke, Handfeuerwaffen, Geschütze usw. entnahm und nach Moskau einlieferte. Gleichzeitig verfügte der General-Feldzeugmeister, es sollten sowohl in beiden Residenzen des Reiches, als auch an anderen Orten «die kuriosen Gegenstände und Erfindungen» (wörtlich «Inventorischen Stücke», d. h. allerhand Projekte und Verbesserungen, speziell im Artilleriefach) gesammelt, genau beschrieben und in sicheren Räumen auf bewahrt werden; in Ausführung dieses Befehles berichtete noch im selben Jahre 1756 der Lieutenant Möller, dass die im St. Petersburger Magazin des Belagerungsparkes und an anderen Stellen gefundenen «inventorischen» und sonstigen denkwürdigen Kuriositäten gesammelt und in einem leeren Magazin des Kanonenhofes untergebracht seien.
Es ist dieses also die Wiege des späteren St. Petersburger Artillerie-Museums, wohin in der Folge alle dahin gehörigen Gegenstände von ihren Fundorten übergeführt wurden, und als intellektueller Urheber der Sammlung ist Graf Schuwalow anzusehen. Es sei jedoch hier gleich bemerkt, dass der Feldzeugmeister sowohl bei Sammlung der alten Klosterwaffen, als auch der übrigen Kuriositäten durchaus nicht die Bildung eines Museums zum Studium der Waffenkunde im Auge hatte, sondern in beiden Fällen sich von rein praktischen Beweggründen leiten ließ. Die den Klöstern entnommenen Waffen sollten nämlich, soweit sie tauglich befunden wurden, in einem Reservedepot vereinigt und eventuell zur Bewaffnung der zahlreichen und ungenügend armierten irregulären Truppen verwendet werden. Die mannigfaltigen und oft wirklich kuriosen Erfinderprojekte auf dem Gebiet der Ballistik benutzte der Graf, selbst ein tätiger Projektenmacher, zu seinen vielseitigen, nicht selten erfolgreichen Verbesserungen in dem seit dem Tod Peters des Großen stark im Niedergange begriffenen Artilleriewesen.
Nach dem Jahre 1761 wurde die von Möller zusammengetragene Kollektion dem St. Petersburger Arsenal einverleibt, woselbst sie bis in die jüngste Zeit verblieb, bis die Sammlung endlich, immer größere Dimensionen annehmend, als selbstständiges Institut etabliert wurde; es wurde seither diese Sammlung als zentraler Aufbewahrungsort aller interessanten Denkmäler des Artilleriewesens angesehen, was zur Folge hatte, dass alle übrigen Zeughäuser die in ihrer Verwahrung befindlichen einschlägigen Gegenstände nach Petersburg einlieferten, welches bald mehrere Tausend Nummern zählte. Besonders gefördert wurde das Museum durch den Chef der Artillerieverwaltung, General-Adjutanten Woronzow, Dank welchem eine Menge von kostbaren Denkmälern im Wege des Tausches, Kaufes und nochmaliger Requisition in den Klöstern des Reiches erworben wurde, sodass im gegebenen Augenblick das Museum eine großartige Fülle von Feuerwaffen vom 15. bis zum 19. Jahrhundert umfasst und in Bezug auf Vielseitigkeit und Reichtum des wissenschaftlichen Materials wohl schwerlich irgendeinem der westeuropäischen Museen nachsteht.
Die Ordnung, Aufstellung und Beschreibung der Sammlung in einem besonderen Gebäude der Peter Pauls-Festung zu St. Petersburg ist das Werk des Generalmajors N. v. Brandenburg, dessen glänzende Lösung der Aufgabe umso höher anzuschlagen ist, als die Klassifizierung der einzelnen Nummern große Schwierigkeiten bot, weil im Jahre 1742 ein großer Brand innerhalb der Festungsmauern sämtliche auf die Herkunft der verschiedenen Objekte bezüglichen Dokumente zerstört hatte. Ein sachlich und technisch vorzüglich verfasster Katalog ist von N. v. Brandenburg in fünf Perioden geteilt, welche die ganze Geschichte des russischen Artilleriewesens umfassen: 1. von Einführung der Feuerwaffen bis zu den Reformen Peters des Großen, 2. von Peter I. bis zu der Reorganisation des Artilleriewesens durch den Grafen Schuwaloff, 3. von Schuwaloff bis zum Kaiser Paul I., 4. von Paul I. bis zur Einführung der gezogenen Geschütze und 5. die gezogenen Geschütze der neueren Zeit; ein besonderer Teil des Katalogs ist den in der Sammlung befindlichen Exemplaren westeuropäischer Geschütze und einzelnen, mit dem speziellen Gebiet des Museums nicht in direkter Verbindung stehenden Gegenständen von allgemein historischem Interesse gewidmet. Es liegt uns im Augenblick leider nur der erste, in St. Petersburg 1877 herausgegebene Teil des Katalogs vor, der die älteste Periode russischer Geschützkunst bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts umfasst, doch bietet gerade dieser Band besonders reiches Material, und es sei uns deswegen vergönnt, auf einige Nummern desselben hinzuweisen.
Unter den ältesten Exemplaren finden wir ein 1852 bei Dänemark auf dem Meeresboden gefundenes Geschütz westeuropäischer Konstruktion vom Ende des 14. oder Anfang des 15. Jahrhunderts; der Lauf ist aus Eisenblech gebogen, an mehreren Stellen durch übergezogene eiserne Reifen verstärkt, mit auszuhebender Kammer versehen, welche durch einen besonderen Bügel gehalten und verkeilt wurde. Der Lauf ist in eine grob behauene Lade aus Eichenholz gelagert. Zwei weitere Hinterlader mit aushebbarer Kammer, dem Anfang des 15. Jahrhunderts angehörend, bestehen aus eisernen Stangen, welche in ihrer ganzen Länge durch aufgeschweißte eiserne Ringe zusammengehalten werden; jedes Geschütz wiegt ca. 3 Pud. Eines der ältesten, dem 15. Jahrhundert angehörenden Geschütz ist in Russland, und zwar im Nowgorodschen Gebiet, aus geschmiedetem Eisen gefertigt und wiegt 4 Pud 28 Pfund.
Höchst interessant ist ferner das älteste bekannte in Russland in Kupfer gegossene und datierte Geschütz; es trägt eine recht gut erhaltene Inschrift, welche besagt, dass es unter der Regierung des Großfürsten Joann Wassiljewitsch III. (1462 —1505) im Jahre 1485 von dem Meister Jacow (Jakob) gegossen wurde. Das Gewicht beträgt 4 Pud 26 Pfund. Von schwerem Belagerungsgeschütz sind erhalten: «Das Einhorn», 17,5 Fuß lang, Kaliber 8,5 Zoll, Gewicht 454 Pud, im Jahre 1577 von dem Meister Andrej Tschechow gegossen.
Ein merkwürdiges Geschick hat dieses Stück gehabt: In den Jahren 1633—1634 befand es sich in dem Belagerungspark vor Smolensk und fiel dem Polenkönig Wladislaw IV. in die Hände, welcher die Stadt entsetzte, und 70 Jahre später ging es bei der Eroberung von Elbing in den Besitz des Schwedenkönigs Karl XII. über, wie eine auf dem mittleren Teil des Laufes angebrachte Inschrift bezeugt: «Med Guds hielp af Kon. Carl d. XII tagit med staden Elbing d. 3 Decemb. 1703.» Im Jahre 1723 endlich wurde dieses Geschütz von einem gewissen Prim in Stockholm erstanden und nach Russland zurückgebracht.
Ein ähnliches Schicksal wurde einem im Jahre 1590 von dem Meister Andrej Tschechow gegossenen, «der Löwe» benannten Bronzegeschütz von 17 Fuß Länge, 7,2 Zoll Seelenweite und 344 Pud Gewicht zu Teil. Es fiel, wie eine ähnliche Inschrift auf dem Lauf besagt, am 20. November 1700 bei der unglücklichen Belagerung der Stadt Narwa dem Könige Karl XII. in die Hände, zusammen mit dem «Bären», einem ebenfalls im Jahre 1590 vom Meister Semenka Dubinin gegossenen Bronzegeschütz.
Eine ganze Reihe ähnlicher Geschütze vom Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts, deren Inschriften die Namen russischer Meister aufweisen, zeugt von der Kunstfertigkeit derselben in diesem Zweig der Waffentechnik; außer den genannten Meistern treffen wir noch die Namen: Login Shichorew, Pronja Fedorow, Jacow Dubina, Chariton Iwanow, Peter Walenius (Ausländer), Claudi Fremi aus Amsterdam (ebenfalls), Martian Ossipow, Jewsewij Danilow, Ossip Iwanow, Jakim Mikiforow, Karp Jossifowitsch, Grigorij Naumow, Iwan aus Nowgorod, Alexej Jakimow, Bogdan, die Schüler Timofej und Peter u. a. m.
Interessant sind ferner einige aus Bronze gegossene Mörser aus den Jahren 1587 (Länge 46,5 Zoll, Gewicht 77 Pud 10 Pfund), 1598 (Länge 38,5 Zoll, Gewicht 49 Pud 30 Pfund), 1606 (das einzige aus der kurzen Regierungszeit des falschen Demetrius erhaltene Geschütz, Länge 51,6 Zoll, Gewicht 116 Pud 32 Pfund). Eine Inschrift aus dem Jahre 1703 besagt, Kaiser Peter I. hätte verboten, dieses Geschütz umzugießen, welches Schicksal nach dem Verlust der gesamten Artillerie vor Narwa wohl unzählige andere alte Geschütze ereilte.
Es folgen sodann eine Menge alter Festungsgeschütze aus Guss- und Schmiedeeisen vom 15., 16. und 17. Jahrhundert, meist in Russland gearbeitet. Auch mehrläufige Stücke sind in nicht geringer Zahl vorhanden, so z. B. 7 nebeneinander auf einem Brett angeordnete Flintenläufe, in Sibirien gefunden; derartige Geschütze wurden in Russland «Elstern» genannt und werden häufig in Dokumenten des 16. Jahrhunderts erwähnt. Mehrere sogenannte Totenorgeln aus dem 17. Jahrhundert, aus 61, 52 und weniger Flintenläufen bestehend, endlich sogenannte «Batterien», aus mehreren Reihen terrassenförmig über einander angeordneten kleinen Kanonen zusammengesetzt, zeugen von dem auch in Russland tätig gewesenen Erfindergeist.
Unter den zahlreichen im Museum aufbewahrten Geschossen verdient ein großer eiserner Wurfpfeil (Länge 66,5 Zoll, Gewicht 5 Pfund 10 Solotnik, mit drei ebenfalls eisernen Federn versehen) besondere Aufmerksamkeit; da er bei dem Grabmal des 1165 verstorbenen Fürsten Isjaslaw Andrejewitsch in der Uspenski-Kathedrale zu Wladimir eingemauert gefunden wurde, lässt sich mit Wahrscheinlichkeit sein Alter bis zum 12. Jahrhundert zurückführen. Eine Reihe Hinterlader und gezogene Geschütze vom Anfang des 17. Jahrhunderts vervollständigen die reiche Sammlung des Museums, welches, abgesehen von ausnehmend reichem Material auf dem engeren Gebiet des Artilleriewesens vom 14.—19. Jahrhundert, auch nicht wenig andere Waffen in sich birgt. Inhaltlich ist das Museum durchaus reich zu nennen, — doch ist der Raum im Erdgeschosse des alten Festungsgebäudes für eine derartige Sammlung ungenügend; es fehlt Luft und Licht.
Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 1. Dresden, 1897-1899.