Von den Fälschungen germanischen Goldschmucks, die durch den Kunsthändler H. Marwitz vertrieben wurden, ist in dieser Zeitschrift vor kurzem die Adlerfibel1 ausführlich erörtert worden. Zu der Erwiderung von Dr. F. A. van Scheltema2 hier Stellung zu nehmen, ist kein Anlass, da der Herausgeber des „Mannus“ die Aufnahme einer kurzen Entgegnung zugesagt hat. Dagegen ist es notwendig, zur Abwehr der Täuschungsgefahr, welche die neuerliche rege Fälschertätigkeit bedeutet, weitere Stücke bekannt zu machen, die durch die Hände von Marwitz gegangen sind.
Wenn nach der Adlerfibel nunmehr die Schmuckscheibe der Wikingerzeit (Taf. 34,1) aus der Reihe der übrigen Fälschungen herausgegriffen wird, so unter anderem deshalb, weil dieser Fall in manchem merkwürdig an die Geschichte der Adlerfibel erinnert. Auch die Schmuckscheibe ist von Dr. van Scheltema in der Zeitschrift Germanen-Erbe3 veröffentlicht worden. Als Fundort wird das Kirchspiel Vallstena (Gotland) genannt, ohne irgendeinen Zweifel oder die Andeutung einer Unsicherheit, ganz wie bei dem unterschobenen Fundbericht der Adlerfibel, dass die Angabe von Marwitz herrührt, ist ebenso selbstverständlich, wie dass der Name Marwitz in dem ganzen Aufsatz fehlt. Am Anfang heißt es nur, die beiden Stücke (von dem zweiten, einer Schalenspange, wird gleich zu reden sein) seien ,,in deutschem Privatbesitz“. Es ist recht interessant, dass die Abänderung des ursprünglichen Manuskriptes („in Münchener Privatbesitz“) auf Marwitz selbst zurückgeht. Zu Beginn des Jahres 1939 war immerhin schon bekannt, dass von München aus verdächtige Stücke in den Handel gelangt waren. Unter diesen Umständen ist vermutlich das Ausbleiben eines genaueren Fundberichtes — im Gegensatz zur Adlerfibel — auf bewusste Überlegung zurückzuführen; Marwitz konnte damals schon Zweifel bekommen haben, ob sich so eingehende Angaben bewähren würden, wenn sich kritischere Gutachter mit ihnen befassten.
Zusammen mit der im gleichen Besitz befindlichen Schmuckscheibe bildete Dr. van Scheltema, wie schon angedeutet, eine wikingische Schalenspange ab, die in der Nähe von Wien gefunden sein sollte, worüber er selbst einen Zweifel äußerte. P. Paulsen, dessen eingehende Untersuchung über diese Gruppe4 bekannt ist, nimmt (brieflich) an, dass diese Spange im ganzen echt ist, während vier an ihr angebrachte Knöpfe mit maskenähnlichen Darstellungen gefälscht sind. Das Stück wird im folgenden nicht weiter erwähnt5. Seine Bedeutung in unserem Zusammenhang besteht in der Hauptsache darin, dass es zu den gerichtlich sichergestellten Gegenständen aus dem Besitz von Marwitz gehört; es war nicht schwer, daraufhin die Herkunft der heute verschwundenen goldenen Schmuckscheibe zu erraten. Die letztere hat nämlich Marwitz angeblich dem Vorbesitzer zurückgegeben — dem Yorbesitzer, dessen Namensnennung er wie in den früheren Fällen verweigert. Mag das Stück noch irgendwo verborgen sein und in späteren Jahren etwa in amerikanischem Sammlerbesitz wiederauftauchen, mag die Goldscheibe vielleicht längst im Schmelztiegel vernichtet worden sein, so gestattet doch die Abbildung ein hinlängliches Urteil.
Dr. van Scheltema hat die Schmuckscheibe (Taf. 34,1) ausführlich beschrieben und dabei keineswegs übersehen, dass der Tierkopfwirbel in der Mitte auf einem Stück der späten Wikingerzeit auffallend ist; auch versäumt er nicht, das Vergleichsmaterial heranzuziehen, das P. Paulsen6 bei der Erörterung der Schmuckscheibe von Hiddensee eingehend behandelt hat. Leider unterläßt er es, sich über den Erhaltungszustand zu äußern, was doch gerade bei einem ungewöhnlichen Gegenstand eine Grundregel ist. Ein Stück aus einem Versteckfund kann bei günstigen Umständen gewiß so gut wie ohne Beschädigung geborgen werden; aber auf der Abbildung zeigt doch sowohl der Mittelteil der Scheibe wie der Grund der breiten Zone, auf welche die leierartigen Zierate aufgelötet sind, einen allzu verdächtigen Glanz, und insbesondere gilt dies von dem zentralen Buckel. Eine Beschädigung der Randeinfassung scheint nicht erheblich, wäre aber vielleicht eine gute Beobachtungsstelle.
2 Mannus 33, 1941, 61 —70.
3 4, 1939, 11 — 15 („Später nordgermanischer Schmuck“)
4 Studien zur Wikingerkultur (1933).
5 Während der Drucklegung dieses Beitrags hat bereits P. Reinecke oben S. 139f. die auffällige Fundortangahe beanstandet und zugleich Zweifel an der Echtheit der gleichzeitig veröffentlichten Goldscheibe geäußert.
6 Mannus 26, 1934, 88 —100, sowie in: Der Goldschatz von Hiddensee (1936).
Ferner teilt Dr. van Scheltema mit, dass die Unterlage der Scheibe von einer verzierten Bronzeplatte gebildet wird und dass der Rand des Goldbleches auf diese übergreift, also umgebogen ist. Dazu macht mich P. Paulsen darauf aufmerksam, dass bei den sämtlichen vergleichbaren Scheiben, ob aus Silber oder aus Gold, die Unterlage stets aus dem gleichen Metall besteht und dass die Bronzeplatte für Fälschung spricht. Dagegen sind Bodenplatten aus Bronze an Rundfibeln der Merowingerzeit geläufig; dass sich der Verfertiger oder sein Berater mit solchen befasst hat, darf schon aus der gleich falls durch Marwitz veräußerten gefälschten Fibel von Gerstheim geschlossen werden.
Leider ist es bei dem Fehlen des Originals nicht möglich, über manche technische Einzelheiten genauere Betrachtungen anzustellen, die den Fälschungsnachweis stützen würden. Immerhin genügte die Abbildung für einen so guten Kenner des Wikingerschmuckes wie P. Paulsen, um (brieflich) zu erklären, dass schon die äußere Umrandung der Schnüre ganz unmöglich ist und dass die Klammern der Voluten eine moderne Bearbeitung verraten. Ähnliche geflochtene Drähte wie auf der Goldscheibe erscheinen auf dem Bügel der angeblich von Sziräk, Kom. Nograd, stammenden Fibel1. Mit dem Vorbehalt, den das Verschwinden der Scheibe auferlegt, sei angedeutet, dass es sich um die gleiche Werkstatt handeln könnte. Allerdings scheint die Granulation auf der Scheibe etwas besser gelungen als auf der Fibel, deren allzu plumpe in öder Regelmäßigkeit angeordnete Körner den modernen Stümper verraten; aber man wird auch einem Fälscher zubilligen, dass er seine Fertigkeiten im Laufe der Zeit zu steigern vermag.
1 Veröffentlicht, mit, einem auf Marwitz zurückgehenden Fundbericht, von E. Schaffran (Germanien 10, 1938, 278ff.). Vgl. Germania 24, 1940, 268 f.
Wenn die technische Ausführung der Scheibe Verdacht erweckt, so wird dieser durch die Prüfung des Ornaments nachdrücklich bestätigt. P. Paulsen hat überzeugend dargetan, dass unter dem Einfluss der romanischen Kunst auf wikingischen Schmuckscheiben neben und anstelle der ursprünglich verschlungenen Tiergestalten Pflanzenornamentik aufkommt. Zwei prächtige Goldscheiben aus dem Fund von Hornelund, Amt Ribe, Jütland, sind hervorragende Vertreter der neuen Stilrichtung, und eine von ihnen (Taf1. 34, 2) ist zum Verständnis des uns beschäftigenden Stückes von Bedeutung. Sie weist eine Randeinfassung aus herzförmig umgebildeten Palmetten auf; das Hauptmotiv der Mitte bilden drei gleiche kunstvoll verbundene Ornamente, die als eine freie Umgestaltung der herzförmigen Palmette zu erklären sind. Die Umwicklung, welche die auswärts gerollten Enden verknüpft, und die darüber angebrachte Schlinge mit Körnerfüllung lassen sich aus der Vorlage leicht ableiten. In die drei Hauptornamente sind im Rhythmus der erwähnten eingerollten Enden symmetrische Bandstücke eingehängt, welche in analoger Weise umwickelt sind; die körnergefüllte Schlinge wird als gedoppeltes Ziermuster wiederholt. An diese Schöpfung einer Meisterhand schließen sich Arbeiten niederen Ranges an, welche zum Teil Einzelheiten aus dem kunstvollen Ganzen herausreißen und bis zur Ermüdung wiederholen. Ein Beispiel gibt eine bei Salin Abb. 212 und nach diesem durch van Scheltema wiedergegebene Schmuckscheibe aus Gotland oder Uppland (hier2 Abb. I). Dr. van Scheltema hat wohl die Übereinstimmung des leierartigen Ornaments von Abb. 1 und Taf. 34,1 gesehen, aber nicht erkannt, dass das neu aufgetauchte Stück eine bei der Kostbarkeit des Metalles doppelt auffallende Verbalhornung der Vorlage darstellt. Die Zone mit dem im Gegensinne wechselnden Ornament ist von einer Starrheit und Eintönigkeit, die der Wikingerkunst fremd ist. Man braucht nur die Scheibe von Hornelund zu vergleichen, um sich den Unterschied zwischen altem Meister und modernem Pfuscher klarzumachen. Selbstverständlich gibt es unter den echten Silberscheiben auch Werke geringeren Ranges, aber sie alle, auch Abb. 1, haben doch immer noch etwas von dem Stilgefühl der Wikingerkunst, das der Fälschung — begreiflicherweise! — mangelt. Ebenso schlimm wie um die Zone ist es um das Mittelstück der Scheibe bestellt. Dr. van Scheltema erkennt wohl die Verwandtschaft mit den Wirbelmustern gotländischer Stil-II-Fibeln (Abb. 2) und weist sogar auf die Übereinstimmung der Tierköpfe mit Stil-I-Beispielen (Abb. 3) hin, ohne ein Bedenken gegen die Echtheit zu empfinden. Er meint: „Hat hier das ausgehende nordische Altertum noch einmal bewusst auf die um fünf Jahrhunderte ältere Formbildung zurückgegriffen ?“ Man mache sich klar: auf einem Schmuckstück, das dem 11. oder 12. Jahrhundert angehören soll, erscheint ein Ziermuster des Tierstiles II (also des 7. Jahrhunderts) zusammen mit Tierköpfen des Stiles I (des 6. Jahrhunderts). Eine solche Kombination widerspricht aller Erfahrung.
1 Paulsen, Der Goldschatz von Hiddensee 49 Taf. 21. — Eine zweite Scheibe von Hornelund (a. a. O. Taf. 20) zeigt am Rande reines Pflanzenornament, während in der Mitte das alte Motiv der vier Tiere bewahrt ist.
2 Paulsen, Der Goldschatz von Hiddensee 85 (Schweden Nr. 8). Scheltema führt a. a. O. 14 eine Auskunft von S. Lindqvist an, nach der das Stück nicht von Gotland, sondern aus Uppland (Ksp. Skaa) stammt.
Bei der Behandlung der Adlerfibel haben wir ausgesprochen, dass niemand ein Echtheitsgutachten außerhalb seines engeren Arbeitsgebietes zugemutet werden kann. Was im vorstehenden ausgeführt ist, wurde aufgrund hinreichender Unterlagen, aber ohne eingehende Kenntnis der nordischen Originale geschrieben, die dem festländischen Forscher im Allgemeinen schwerer erreichbar sind. Der Fall ist indessen so klar, dass zuständigere Fachgenossen nur zu einer Vermehrung der Einzelbeweise gelangen werden. Dies erhärtet das Gesamturteil P. Paulsens, der aufgrund umfassender Kenntnis des Wikingerschmucks sprechen kann und dieses Stück (brieflich) als „eine vollkommene Fälschung“ bezeichnet.
Dem Gesagten ist nur noch wenig beizufügen. dass die Scheibe gefälscht ist, wurde bereits bei der Veröffentlichung der Adlerfibel ausgesprochen3. Dr. van Scheltema hat in seiner Entgegnung dies ebenso übergangen wie wesentliche Fragen, die bei der Verurteilung der Adlerfibel erörtert wurden. Was das Vorgehen bei der Veröffentlichung solcher Stücke betrifft, so kann eine grundsätzliche Bemerkung nicht unterdrückt werden. Im Laufe des Jahres 1938 war die Adlerfibel bereits angezweifelt worden. Unter diesen Umständen war eine gewisse Vorsicht bei der Veröffentlichung eines Stückes gleicher Herkunft angebracht. In einem Aufsatz, der eine Veräußerung einleiten konnte, hätte der Hinweis nicht unterlassen werden sollen, dass Marwitz der derzeitige Besitzer war.
3 Germania 24, 1940, 269 Anm. 4.
Quelle: Zeiß, Hans: Germania - Anzeiger der Römisch-Germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts. Bd. 25 Nr. 3 (1941)
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