Der beispiellose Aufschwung deutschen nationalen Lebens in der ersten Hälfte des 16. Jahrhundert hat dauernde Frucht nicht getragen. Der Augsburger Religionsfriede, zu früh zwischen unversöhnlichen Gegensätzen geschlossen, brachte eine Zeit dumpfen Stillstandes, die schon den Zerfall anbahnte. Der Volksgeist, ausgeschlossen von großen nationalen Aufgaben, verfiel langsamer Zersetzung durch die beständige Reibung religiöser Gegensätze, die den staatlichen Partikularismus verschärfen halfen – eine schmerzliche Mahnung für unsere unbelehrbare Zeit. Die Verstumpfung, genährt durch das träge Behagen eines lange Jahrzehnte hindurch nicht gestörten Friedens musste auf das Kriegswesen erstickenden Druck ausüben. Den Zeiten voll kraftvoller Entwicklung neuer Formen, stolzen Selbstgefühls folgten solche epigonenhaften Genügens, die nur vom Erbe der Vergangenheit zehrten ohne es zu mehren. Die Taktik bewegte sich in den alten Bahnen weiter; was an Fortschritten zu bemerken ist, entsprang der Anregung von außen, die erst von den Niederländischen und Hugenotten-Kriegen, dann von dem großen Schwedenkönig ausging. Es handelte sich dabei hauptsächlich darum, dem unaufhaltsamen Übergewicht der Feuerwaffen gerecht zu werden, wenn auch die ethische Anschauung der Zeit dem nur mit Widerwillen nachgibt. „So wird schier kein Mann oder Tapferkeit in Kriegssachen mehr gebraucht, dieweil alle List, Betrug, Verräterei samt dem gräulichen Geschütz sogar überhand genommen, also dass weder Fechten, Balgen, Schlagen, Gewehr, Waffen, Stärke, Kunst oder Tapferkeit mehr helfen oder etwas gelten will. Denn es geschieht oft nur viel, dass etwa ein männlicher tapferer Held von einem losen verzagten Buben durch das Geschütz erlegt wird, welcher sonst einen nicht freventlich dürfte besehen oder ansprechen.“
Das Problem der Verbindung zwischen den blanken Waffen und den immer zahlreicheren Feuergewehren löste Moriz von Oranien durch geniale Anwendung der altrömischen Manipulartaktik. Er löste die schwerfälligen Gewalthaufen in kleinere Einheiten auf, abwechselnd aus Spießern und Hakenschützen bestehend und schachbrettartig in drei Treffen geordnet. Diese Grundsätze gewannen in den protestantischen Heeren rasch Geltung, während die katholischen an der Überlieferung festhielten.
Der nächste bedeutende Fortschritt geschah durch Gustav Adolf
in der Richtung der Feuertaktik. Durch Abschaffung der Gabel, auf die bisher der Schütze die Muskete auflegte, ermöglichte er ein weit schnelleres feuern. Denn nun brauchte nicht mehr das
schießende Glied dem nächsten Platz zu machen, viel mehr konnten mehrere Glieder vom Platz aus feuern. Im Dreißigjährigem Krieg war denn auch die einst die Schlachtfelder beherrschende
Spießertaktik als veraltet in den Hintergrund gedrängt. Anschaulich drückt das der Verfasser des „Simplicissimus“ aus: „Ein Musketier ist zwar eine wohlgeplagte arme Kreatur, aber er lebt in herrlicher Glückseligkeit gegen
einen elenden Pikenier. Es ist verdrießlich, daran zu denken, was die guten Tröpfe für Ungemach ausstehen müssen und ich meine, wer einen Pikenier niedermacht, den er verschonen könnte, der
ermordet einen Unschuldigen und kann solchen Totschlag nimmer verantworten. Denn obgleich diese armen Schiebochsen kreiert sind, ihre Brigaden vor dem Einhauen der Reiter im freien Feld zu
schützen, so tun sie doch für sich selbst niemand ein Leid und dem geschieht ganze recht, der ja einem von ihnen in seinen langen Spieß rennt. In Summa, ich habe mein Lebtag viel scharfe Aktionen
gesehen, aber selten wahrgenommen, dass ein Pikenier einen umgebracht hätte.“
Teil 20 wird nächste Woche veröffentlicht.
Quelle Bild und Text: "Der Soldat in der deutschen Vergangenheit" miteinhunertdreiundachtzig Abbildungen und Beilagen nach den Originalen aus dem 15. - 18. Jahrhundert, von Georg Liebe; Leipzig, 1899.