Auf diesen Holzkern wird nun zunächst den Rücken entlang eine dicke Schicht sorgfältig gereinigter, entfetteter und präparierter, aufgeweichter Sehnenfasern gepresst, die dann beim Trocknen zu einer knochenharten, überaus festen und elastischen Masse erstarrt und sich mit dem Holz fast unablösbar verbindet. Die Innenseite des Bogens aber wird mit zwei langen Hornstäben belegt, die genau in der Mitte lückenlos aneinanderstoßen und fast an die umgebogenen Ohren heranreichen. Um eine möglichst innige Verbindung zwischen Holz und Horn zu sichern, werden beide Flächen mit einer Art Kammhobel angerissen und die Kontaktfläche für den Leim dadurch mehr als verdoppelt, was auch auf dem Querschnitte durch die Wellenlinie zwischen Holz und Horn zum Ausdruck gelangt. Das dünne wegstehende Ohr ist, wie d zeigt, durch eine Hornplatte verstärkt. Es hat außen eine tiefe Querrinne zur Aufnahme der Schnur und innen, da wo es vom Grat abgeht, eine kleine Knochenplatte mit einer Längsrinne, welche das seitliche Abgleiten der Schnur verhindert. Der Rücken wird dann noch mit feinem rotem oder grünem Maroquin-Leder überzogen, das gewöhnlich mit Goldpressungen verziert ist, meist mit Ranken und Blumen, oft auch mit Schrift in schönen persischen Zügen. Die Innenseite des Bogens, also die Hornfläche, bleibt ohne Überzug; nur in der Mitte greift die Lederhülle des Rückens auch auf den Bauch über, sodass der ganze Griff mit Leder überzogen und die Linie, in der die beiden Hornstäbe zusammenstoßen, bei dem unversehrten Bogen der Beobachtung entrückt ist.
Die Herstellung eines solchen Bogens ist also keine leichte Arbeit, erfordert eine große Summe von Kenntnissen, eine nicht geringe Geschicklichkeit und vor allem sehr viel Zeit, etwa 5 bis 10
Jahre, da viele lange Trockenpausen nötig sind, wenn das Werk den Meister loben soll.
Von diesem typischen Turk-Bogen nun unterscheidet sich der persische vor allem dadurch, dass die einfachen Hornstäbe durch schmale, parallel gelegte Hornstreifen ersetzt sind. Um diese besser
halten zu machen, wird der ganze Bogen noch mit einer Sehnenschicht umfangen, darüber kommt noch Birkenrinde und eine Lackschicht. Außerdem erscheint der Griff etwas handlicher und stärker: der
Querschnitt lässt denn auch erkennen, dass in der Ausdehnung des Griffes ein zweites Stückchen Holz auf den eigentlichen Holzkern aufgeleimt ist — ganz unter dem dicken Sehnenmantel verborgen und
überhaupt nur auf dem Querschnitte nachweisbar. Auch die Arme des persischen Bogens sind etwas breiter und dünner als die unseres Turk-Bogens; aber all das sind ganz unwesentliche Unterschiede,
und man muss sehr genau hinsehen, um sie überhaupt wahrzunehmen.
Noch ähnlicher ist unserem Paradigma der indische Bogen; er ist stärker gekrümmt und ganz grell bemalt und lackiert, aber im Querschnitt stimmt er fast völlig mit dem Turk-Bogen überein. Nur
liegen auf der Innenseite neben dem Hornstab noch rechts und links ein Paar Sehnenbündel unter der Lackschicht. Etwas weiter entfernt sich der chinesische Bogen; er ist größer und hat sehr große
knöcherne Auflager für die Schnur. Im Querschnitt zeigt er neben dem Kernholz auch einen Bambusstab, und was sehr sonderbar ist, an den Schmalseiten neben dem Hornstab jederseits je einen ganz
schmalen dünnen Hornstreifen, dessen Zweck und Nutzen ich nicht verstehe, der aber seine direkte Analogie in den gleichartig angeordneten dünnen Holzstreifen findet, die wir bei dem abgebildeten
Baschkirenbogen, Fig. 8 Nr. 3a, kennenlernen werden.
Das sind also die Haupttypen des zusammengesetzten Bogens in Asien. Auch der ganze zirkumpolare Norden dieses Weltteils hat Bogen, die sich diesen Formen unmittelbar anschließen, nur werden sie
immer länger und einfacher; der Überzug mit Lack und mit Leder verschwindet, sie sind nur mehr mit Birkenrinde überzogen und verlieren zum Teil auch schon den Hornstab, sodass einzelne Typen nur
mehr aus Holz und Sehnenschichten bestehen.
1. Bogen vom McCloud-River, Kalifornien.
1a. Querschnitt.
2. Bogen aus Kalifornien.
2a u. b. Querschnitt und oberes Ende.
3. Bogen der Baschkiren.
3a u. b. Querschnitt und oberes Ende.
4. Bogen, angeblich der Baschkiren.
4a. Querschnitt.
Diese nordischen Formen leiten uns schon direkt zu den zusammengesetzten Bogen von Osteuropa. Auf Fig. 8, Nr. 3 ist ein Baschkiren-Bogen abgebildet, Nr. II. 1173 der Berliner Sammlung; er ist 1,25 m lang, leider ohne Schnur und sehr stark angewittert, aber sonst ein vorzüglicher Vertreter seiner Art. Am Rücken sehen wir, da der früher vorhanden gewesene Überzug aus Birkenrinde meist zerstört ist, die mächtige Sehnenschicht; auf der Innenseite liegt der Hornstab zutage, nicht dunkel wie bei den Turk-Bogen, sondern ganz hell gelblich-grau, wohl vom Ochsen stammend. Die allgemeine Form gleicht sonst völlig den oben beschriebenen; besonders auch die steil gestellten Ohren und die Art, wie die Schnur eingehängt werden soll, sind typisch auch für den Turk-Bogen. Merkwürdig sind zwei dünne Holzleisten an den Schmalseiten; sie erinnern an die dünnen Hornstäbchen, die wir an derselben Stelle bei dem chinesischen Bogen gefunden haben. Dass die Ohren und die Grate aus einem besonderen Stück Holz hergestellt und in das Kernholz der Arme eingelassen sind, kann man bei genauer Betrachtung mit Sicherheit erkennen; hingegen möchte ich glauben, dass auch das Holz des Griffes und der Arme nicht ein einziges Stück ist, wie bei allen bisher beschriebenen Typen, sondern dass da zwei Stücke vorhanden sind, welche in der Gegend des Griffes miteinander fest verbunden sind. Doch wage ich nicht, das mit Sicherheit anzugeben, da ohne eine wirkliche Zerstörung des immerhin seltenen und wertvollen, jedenfalls für unsere Sammlung einzigen Stückes eine genaue Einsicht in den Bau nicht zu gewinnen ist. Sollten in anderen Sammlungen mehrere solcher Bogen vorhanden sein, so würde eine eingehende Untersuchung eines der Stücke sich sicher als sehr lohnend erweisen.
In diese Gruppe gehört auch ein sehr schöner, noch aus dem 18. Jahrhundert stammender großer Bogen in dem Braunschweiger Stadtmuseum, den ich dank der besonderen Güte des Hrn. Direktors Dr. Fuhse
hier Fig. 8, Nr. 4, abbilden darf. Er trägt die Bezeichnung A. I. K. 22 und ein Fragezeichen neben der Angabe "Baschkiren". Er ist 1,33 m lang, richtig bespannt, aber leider durch Wurmfraß fast
schwammartig durchlöchert. Das Stück ist erst seit kurzer Zeit in den Besitz des Städtischen Museums gelangt, wo eine sich noch jetzt durch den Geruch verratende Petroleumkur der fortschreitenden
Verderbnis allerdings ein Ende gemacht hat: aber der Bogen wäre sonst innerhalb weniger Jahre in sich selbst zerfallen und ist auch jetzt schon nur mit äußerster Vorsicht zu behandeln. Soweit ich
sehen kann, besteht er aus Eschenholz, ist in der Mitte zusammengespleißt und hat eingedübelte Grate; das feinere Detail dieser Anordnung ist ohne Zerstörung des Stückes nicht zu ergründen. Wohl
ist es aber ganz zweifellos, dass er niemals irgendwelchen Hornbelag gehabt hat. Man sieht, dass die gegenwärtige Innenfläche von jeher so war, wie sie sich jetzt zeigt, und dass nur der Rücken
des Bogens mit Sehnenschichten verstärkt war. Da der Bogen früher auch durch Feuchtigkeit gelitten hatte, so ist die Verbindung zwischen Holz und Sehnenschicht an den Kanten etwas gelockert, und
der schematische Querschnitt Fig. 8, Nr. 4a dürfte daher ziemlich korrekt sein und der Wirklichkeit fast genau entsprechen. Die Sehnenschicht und der ganze Griff waren früher mit Birkenrinde
überzogen, von der jetzt nur noch Reste erhalten sind. Knochenlager für die Schnur an den Graten waren anscheinend niemals vorhanden.
Ob dieser Bogen tatsächlich von Baschkiren stammt, ob also bei den Baschkiren typische Turk-Bogen neben zusammengesetzten Bogen ohne Hornschicht vorkommen, wage ich nicht zu entscheiden, da mir
die meist russische Literatur über die Baschkiren so gut wie unbekannt ist. Hoffentlich veranlasst die vorliegende Studie irgendeinen besseren Kenner der Baschkiren zu einer genauen Feststellung
der Sachlage. Einstweilen halte ich die Braunschweiger Angabe für richtig; denn die beiden Stücke, der sichere Baschkiren-Bogen in Berlin und der unsichere in Braunschweig, sind untereinander
nahe verwandt; Form, Größe, Technik, ganz besonders auch die Anordnung der Grate und Ohren sind völlig gleichartig, ebenso auch die Anordnungen zur Aufnahme der Schnur, die sonst bei nordischen
Bogen ganz anders aussehen. Allein nur das Fehlen der Hornschicht unterscheidet den Braunschweiger Bogen von dem Berliner.
Ein dritter Bogen, der den Baschkiren zugeschrieben wird, ist übrigens literarisch zu einer Berühmtheit gelangt, da er im Besitz von Goethe war. Eckermann pries einst das Bogenschießen,
erzählte, wie er in Brabant gesehen, dass die Leute da so gut eingeschossen waren, dass auf 60 — 80 Schritt von 15 Pfeilen fünf das talergroße Zentrum getroffen hätten, und meinte, er kenne keine
körperliche Übung, die nur irgend mit dem Bogenschießen zu vergleichen sei. Da erinnert sich Goethe, dass er selbst einen "Baschkiren-Bogen" besitzt, holt ihn herbei und schießt sogar damit. Die
beiden alten Herren untersuchen ihn dann sehr eingehend, aber keiner von ihnen scheint zu merken, dass er "zusammengesetzt" ist und sich also von den westeuropäischen Eiben-Bogen, die Eckermann
in Brabant doch allein kennengelernt haben kann, toto caelo unterscheidet. "Auf den ersten Blick sieht das Holz aus, wie junge Eiche oder wie Nussbaum. Es ist ein Holz von grober Faser, auch sehe
ich Merkmale, dass es geschlachtet worden." Das ist alles, was Eckermann über den Bau des Bogens angibt; er erwähnt nicht, dass er reflex ist, er erwähnt keinen Sehnenbelag, keine Hörner und
Grate, nichts, was irgend darauf schließen ließe, dass ihm irgendein Unterschied mit seinen Stabbogen aufgefallen wäre. Es würde interessant sein, wenn sich jemand die Mühe nehmen würde, im
Goethe-Museum nachzusehen, ob dieser Bogen da noch erhalten ist und wie er eigentlich aussieht.
Ebenso möchte ich hier die Aufmerksamkeit auf eine große Anzahl zusammengesetzter Bogen lenken, die von der Völkerschlacht bei Leipzig stammen und sich im Besitz des Leipziger historischen
Vereins befinden sollen. Ich wäre sehr dankbar, wenn diese mir oder einem anderen Bogenkenner einmal zur Untersuchung anvertraut werden könnten.
Der Vollständigkeit wegen haben wir nun noch bei den Bogen der sibirischen Völker einen Augenblick zu verweilen. In den Amur-Ländern gibt es einfache Bogen, die aber oft in der Form an
chinesische erinnern und auch nach chinesischem Vorbild bemalt werden. Auch bei den Ostjaken und Jakuten scheinen manchmal einfache Bogen gefunden zu werden; der typische Bogen dieser Völker aber
ist mit einer Sehnenschicht versehen und gleicht im Wesentlichen dem Braunschweiger "Baschkiren"-Bogen, nur dass die Befestigung der Schnur ganz abweichend erfolgt. Die Schnur wird nämlich
geradezu in die Stirnflächen des Bogens eingehängt, die dazu mit einer tiefen Rinne versehen sind. Natürlich müssen die Ohren deshalb besonders kräftig sein und sind darum mit Knocheneinlagen
verstärkt.
Wenden wir uns nun nach Amerika, so finden wir zunächst in den Händen einzelner Eskimo-Stämme die bereits oben erwähnten, aus mehreren Knochen- und Rentierhorn-Stücken gebauten Bogen, die ich
vorschlagen möchte nicht zusammengesetzt, sondern "gestückt" zu nennen. Sie sind am Rücken mit einem kräftigen Sehnengeflecht oder mit dicken Sehnenschnüren verstärkt und gehören wohl auch
genetisch nicht zu den zusammengesetzten Bogen, sondern sind einfach aus dem Mangel an geeigneten Hölzern hervorgegangen.
Die anderen Eskimo-Stämme haben richtige Holzbogen, die am Rücken mit dichten Sehnengeflechten oder auch mit Sehnenschnüren verstärkt sind, manchmal auch Knocheneinlagen haben und sich im Übrigen
durchaus an die typischen "verstärkten" Bogen der Alaska-Indianer anschließen.
Hingegen finden wir über einen großen Teil von Nordamerika, südlich von dem Küstengebiet der Eskimo und südlich und östlich von Alaska, bei richtigen Prärie-Indianern wirkliche zusammengesetzte
Bogen, allerdings ohne Horn-, aber mit fest aufgepresster Sehnenschicht. Die schönsten dieser Bogen stammen aus Kalifornien. Sie sind sehr ausgesprochen reflex und im unbespannten Zustand fast
rein C-förmig, wie Fig. 8, Nr. 2. zeigt; bespannt sehen diese Bogen aus wie das ebenda Fig. 1 abgebildete Stück. Bemerkenswert ist vor allem, dass die Sehnenschicht an den Enden noch über den
Holzkern hinausragt und (natürlich im feuchten Zustand) sogar so geformt wurde, dass sie Rinnen zur Aufnahme der Schnur darbietet. Wenn diesem jetzt nur auf einen Teil von Nordamerika
beschränkten Bogen auch Grat und Ohren des typischen asiatischen Bogens fehlen, so scheint es mir doch ganz zweifellos, dass er genetisch mit diesem zusammenhängt. Die Aleuten und die Inseln des
Bering-Meeres sind die Brücke auch für diese Form des zusammengesetzten Bogens gewesen, ebenso wie für so viele andere ethnographische Besitztümer.
Weiter im Süden verschwindet der Sehnenbelag und wir haben durch beide Kontinente, bis hinunter zu den Feuerländern, nur mehr einfache Bogen zu verzeichnen — mit Ausnahme vielleicht jener schon
früher erwähnten großen Langbogen aus Guiana und Surinam, auf deren flachem oder eingekehltem Rücken jetzt ab und zu eine dünne Schnur gefunden wird, die man als kärglichen Rest einer ehemaligen
wirklichen Verstärkungsschnur auffassen könnte.
Dem Schluss dieser Betrachtung zueilend, haben wir nun nur noch die Verbreitung zusammengesetzter Bogen auf afrikanischem Gebiet zu verfolgen. Fr. Ratzel hat schon 1891 darauf hingewiesen, dass
die einfachen Bogen der Somal-Völker ihrer Form nach an die zusammengesetzten Bogen erinnern. Das tun in geringerem Maße auch die Bogen der Waha, Warna und Wamarungu, und das würden in
allerhöchstem Maße auch die damals von Ratzel, Taf. V, Fig. 48 und 49. abgebildeten Stücke der Nuer und Dinka tun, wenn sie überhaupt Bogen wären und nicht zweifellos nur als Schilde betrachtet
werden müssten. Es gibt aber auch wirkliche, echte zusammengesetzte Bogen in Afrika. Sie sind von den Arabern eingeschleppt worden, genau so, wie schon in den ältesten historischen Zeiten die
beiden vorderasiatischen Bogen nach Ägypten gelangt sind, die ich Eingangs beschrieben habe.
Nur auf eine unklare und zweideutige Ausdrucksweise P. Reichards in Ratzels oben erwähnter Studie ist die ab und zu auftauchende Vermutung zurückzuführen, als seien auch Reichards Marungu-Bogen
zusammengesetzt. In der Tat werden diese Bogen vor ihrer Fertigstellung in Wasser erweicht und erwärmt und dann an große Schablonenhölzer festgebunden, wodurch die Enden eine bleibende Abbiegung
erfahren. Reichard drückt das aber so aus, dass das Schablonenholz "in die Biegung eingebunden wird" und fügt dann hinzu, dass die Biegungsstellen immer dicht umwickelt bleiben. Es ist klar, dass
mancher das so verstehen wird, dass die Biegungsstellen der Marungu-Bogen tatsächlich mit besonderen Holzeinlagen verstärkt sind. Dies ist nicht der Fall, was ich hier formell feststellen will;
die Berliner Sammlung besitzt eine große Menge derartiger Bogen, die ich alle genau daraufhin untersucht habe; die betreffende Stelle ist allerdings dicht umwickelt, wenn man aber die Umwicklung
zur Seite schiebt, so sieht man nur einen zweifellos unverstärkten Teil des Bogens mit einfachem rundem Querschnitt.
Überaus gespannt hingegen müssen wir auf die zusammengesetzten Bogen sein, die Dr. Kersting bei den Pygmäen am Kivu-See entdeckt hat. Dieser ausgezeichnete Forscher, der sich seither wirklich
unvergängliche Verdienste um die Völkerkunde erworben hat und dem die Berliner Sammlung ganze Schränke voll der auserlesensten Prachtstücke aus Togo verdankt, konnte damals keinen dieser Bogen
nach Europa bringen; er beschrieb sie nur als "aus mehreren Stäben zusammengebunden". Inzwischen hat jetzt auch ein anderer Gönner unseres Museums, Dr. R. Kandt, diese selben Pygmäen aufgesucht,
und die neuesten Nachrichten, die von ihm an uns gelangt sind, melden, dass mehrere zusammengesetzte Bogen dieser Leute für uns unterwegs sind. Selten sehe ich einem angekündigten Zuwachs unserer
Sammlung mit ähnlicher Spannung entgegen, wie gerade diesen Bogen, deren Vorkommen in dieser Gegend zunächst völlig rätselhaft erscheint.
Ganz unaufgeklärt ist auch das Auftreten des zusammengesetzten Bogens in Benin. Wir kennen einstweilen nur die Tatsache, dass auf mehreren Benin-Kunstwerken, die etwa dem 17. Jhd. angehören,
Bogen dargestellt sind, welche ausgesprochen zusammengesetzt erscheinen. Auf Taf. II ist ein Stück aus einer der hierher gelangten Benin-Platten abgebildet, das einen Jäger mit einem solchen
Bogen zeigt. Daran, dass dieser Bogen zusammengesetzt ist, wird man nicht zweifeln dürfen; außerdem ist er durch zahlreiche Querringe verstärkt und seine Schnur läuft, was ich ganz besonders
hervorhebe, der Länge nach über die Stirnflächen und lässt sich an beiden Enden noch weit den Rücken entlang verfolgen; ich kenne keine moderne Analogie für eine solche Anordnung. Nur ein ganz
kurioser Bogen des Braunschweiger Museums, der angeblich aus Tahiti stammen soll, hat eine ähnliche Anordnung: auch da läuft die Schnur über die Stirnseiten des Bogens, während bei dem Bogen der
Ostjaken und Jakuten es nur die Schnurschlinge ist, die in eine quergestellte Rinne der Stirnseite eingehängt wird. Aber auch der Braunschweiger „Tahiti"-Bogen kann in keiner Weise als ein
wirkliches Analogon zu dem Benin-Bogen aufgefasst werden, denn er ist ein einfacher drehrunder Holzstab. Hr. Direktor Puhse hat die Güte gehabt, meinem Ansuchen zu entsprechen und uns den Bogen
hierher zu senden, sodass ich ihn hier vorlegen und eine Zeichnung (Fig. 3a) veröffentlichen kann. Er stammt aus dem Herzogl. Museum, wo er unter Nummer 1203 inventarisiert war und sich seit
mindestens hundert Jahren befand. Er ist 157 cm lang und hat in der Mitte 2,5 cm im Durchmesser. Die Sehne, die anscheinend wirklich zu dem Bogen gehört, ist eine siebensträhnige, sehr fest und
schön gearbeitete Baumwollschnur, deren Provenienz ich nicht feststellen kann. Die sehr eigenartigen kapitell-ähnlichen Verzierungen an den Enden sind zweifellos nicht gedreht, sondern
geschnitten; aber ich bin nahezu sicher, dass sie nicht ohne ein gutes Stahlmesser hergestellt wurden. Es liegen also mehrfache Gründe vor, die Herkunftsangabe Tahiti zu beanstanden; ich bin aber
nicht imstande, eine bessere an ihre Stelle zu setzen und würde für einen gütigen Hinweis stets zu Dank verbunden sein.
Für die Herkunft der zusammengesetzten Benin-Bogen wird dieses Stück allerdings niemals in Frage kommen können. Für diese werden wir viel eher entweder an direkte arabische Einfuhr und
Beeinflussung denken müssen, oder an die zusammengesetzten Bogen, welche im 15. Jahrhundert und vielleicht schon früher aus Vorderasien nach Italien gelangt sind und von da nach Frankreich und
wohl auch nach Portugal verbreitet wurden. Leider ist es mir bisher nicht möglich gewesen, näheres über die Entwicklung dieser Bogen auf westeuropäischem Gebiet zu erfahren. —
Fassen wir nun den Inhalt der vorstehenden Mitteilung kurz zusammen, so sehen wir, dass man die sämtlichen Bogen in folgende Hauptgruppen bringen kann:
1. Einfache Stabbogen.
2. Einfache Bogen, deren Form an zusammengesetzte erinnert.
3. Umwickelte Bogen; ihre Umwicklung dient:
a) gegen das Loslösen von scharfen Splittern.
b) gegen das Zersplittern.
4. Verstärkte Bogen; sie sind verstärkt:
a) durch ein Sehnengeflecht,
b) durch eine Sehnenschnur,
c) durch Zusammenbinden von Stäben.
5. Zusammengesetzte Bogen:
a) aus Horn, Sehne und Holz.
b) ohne Horn, nur aus Sehne und Holz,
6. Gestückte Bogen.
Eine Betrachtung wie die eben vorgelegte scheint mir schon an und für sich, und auch vom rein deskriptiv-systematischen Standpunkt aus nicht ganz ohne Interesse zu sein. Es ist aber klar, dass
sie auch darüber hinaus bedeutsam werden und mit zu der Lösung großer allgemeiner Fragen beitragen kann, die sich auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit beziehen.
Quelle: Zeitschrift für Ethnologie, 31. Jahrgang. Berlin, 1899.
1. Auflage von 2018
Taschenbuch mit 266 Seiten, in deutscher Sprache.
Mit 473 Abbildungen und 445 handgezeichneten Skizzen.
Das vorliegende Buch beinhaltet eine zum ersten Mal veröffentlichte Sammlung von Pfeilspitzen beginnend von der Bronzezeit bis zum Mittelalter sowie von Geschossspitzen der mittelalterlichen
Armbrust, die einmalig in der Literaturgeschichte ist.
Der Leser hat die Möglichkeit, dieses Werk als Grundlage für die Bestimmung von europäischen Pfeil- und Geschossspitzen zu nutzen und anhand der ausführlichen Beschreibung einen tiefen Einblick
in die Geschichte beider historischer Distanzwaffen zu erhalten.
Dabei wird auf die neolithische Entwicklung der Pfeilspitzen des Bogens, der Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit bis zum Früh- und Spätmittelalter sowie im 3. Kapitel die Entwicklung der
Armbrust-Geschossspitzen thematisch eingegangen. Kurztexte zum Aufbau einer Pfeilspitze, wie der Zweck von Mittelrippen und Nietlöchern, runden die Kapitel inhaltlich ab. Auch finden zeitliche
regionale Sonderformen Europas Eingang in dieses Werk.
Mit hunderten Detailaufnahmen von Pfeil- und Geschossspitzen und hunderten handgezeichneten Skizzen ist dieses Werk ein unschlagbarer Ratgeber für professionelle Sammler und Historiker.
Alle abgebildeten Pfeil- und Geschossspitzen sind mit Gewichts- und Längenangaben versehen. Weiterlesen