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Zusammengesetzte und verstärkte Bogen Teil 1

von Hr. v. Luschan

 

Die Bogen, die wir aus Afrika und aus der Südsee kennen, sind fast durchweg einfache Holzstäbe. Je nach der ethnographischen Provinz, aus der sie stammen, wechselt ihre Form, ihre Größe und das Holz, aus dem sie hergestellt sind; aber mit wenigen Ausnahmen, die wir unten besprechen werden, sind es „einfache" Bogen. Um sofort zu sehen, was das bedeutet, brauchen wir hier, neben dem Querschnitt durch einen einfachen, nur einen solchen durch einen „zusammengesetzten" Bogen aus Turkistan zu betrachten.


Ein solcher Bogen besteht nur zum geringsten Teil aus Holz, er hat hinten (oder innen, d. h. auf der Schnurseite) eine mächtige Schicht von Büffel- oder Steinbockhorn und vorn, oder außen, mehrere Schichten fest aufgepresster und angetrockneter Faserbündel aus der Achilles-Sehne oder vom Nackenband des Rindes. Wir werden bald sehen, dass ein derartig gebauter Bogen eine Waffe ersten Ranges ist und sich zu dem einfachen Bogen der Afrikaner etwa verhält, wie ein modernes Repetier-Gewehr zu einer alten Luntenflinte.


Vorher möchte ich aber noch erklären, was unter einem "verstärkten" Bogen zu verstehen ist. Wenn wir einen gewöhnlichen einfachen Laubholzbogen weiter spannen, als er verträgt, so bricht er; aber er bricht fast niemals quer, sondern er splittert der Länge nach, oft so, dass ein oder der andere Splitter die Hälfte oder zwei Drittel der Länge des ganzen Bogens hat. Das steht natürlich damit in Zusammenhang, dass das Holz für den Bogen nicht mit der Säge, sondern durch Spalten (oder "Schlachten", wie der technische Ausdruck lautet) gewonnen wurde. Nur ganz schlechte Bogen brechen quer ab, gute splittern. Es lag natürlich sehr nahe, dieses Splittern dadurch zu verhindern, dass man in gewissen, nicht zu großen Abständen feste Ringe um den Bogen legte, aus Leder, aus Flechtwerk, aus Darmsaiten oder sonst einem geeigneten Material. Ebenso pflegte man anderswo den Bogen in seiner ganzen Ausdehnung oder wenigstens da, wo er am meisten in Anspruch genommen war und also zuerst zu splittern drohte, mit Streifen aus Leder, Schlangen- oder Eidechsenhaut oder auch mit irgendeiner Schnur dicht zu umwickeln. In gewissem Sinne würde man alle diese derart behandelten Bogen schon als "verstärkt" bezeichnen können. Es empfiehlt sich aber, diese Bezeichnung für eine andere, ausgiebigere Art der Verstärkung aufzusparen und diese Bogen einfach als "umwickelt" zu bezeichnen. Ganz nebenbei sei hier eingeschaltet, dass es in Südamerika mehrfach Bogen aus Palmholz gibt, die in ihrer ganzen Ausdehnung mit einem dünnen Bindfaden umwickelt sind; bei diesen kann es sich natürlich nicht einmal um den Versuch einer Verstärkung handeln. Diese Art von Umwicklung hat zweifellos nur den Zweck, die Loslösung ganz kleiner spitzer Splitter zu verhindern, die sonst häufig wie scharfe Stacheln sich von dem Holz ablösen, und die Hände leicht empfindlich verletzen können. Ich habe selbst lange mit einem Salomo-Bogen geschossen, der erst ganz ausgezeichnet war, mir aber durch seine Neigung, ganz dünne, oft nur nadelfeine Splitter abzustoßen, so unbequem wurde, dass ich ihn schließlich ganz umwickelte.


Alles das hat aber mit der Verstärkung im engeren Sinne des Wortes nichts zu tun. Hingegen finden wir, besonders in Alaska, dünne schwache Bogen aus Zedernholz, welche am Rücken ein dichtes, sehr hartes und festes Geflecht aus gedrehten oder gezöpften Sehnenfäden haben. Dieses Geflecht liegt dem Bogen lose auf, wird aber durch zahlreiche, ganz um den Bogen laufende Ringe festgehalten und ist außerdem noch an den Enden ganz besonders fest mit dem Bogen verschnürt. Da haben wir nun eine wirkliche Verstärkung vor uns, die ungemein wirksam ist, da sie nicht nur den Bogen vor dem Splittern schützt, sondern auch durch ihre eigene Elastizität den Wert des Bogens wesentlich erhöht.


Eine andere Art der Verstärkung kennen wir gleichfalls besonders aus Alaska. Da befindet sich auf dem Rücken des Bogens, fest an ihn gebunden, eine sehr dicke und starke Schnur, die natürlich genau ebenso funktioniert, wie das Rückengeflecht, und nur eine einfachere, vielleicht ältere und primitivere Form derselben darstellt.

Querschnitt durch einen einfachen Stabbogen.
Querschnitt durch einen einfachen Stabbogen.
Querschnitt durch einen zusammengesetzten Bogen aus Turkistan.
Querschnitt durch einen zusammengesetzten Bogen aus Turkistan.

Auch in der Südsee hat es einst eine gleiche Art der Verstärkung gegeben: sie wird für Tahiti von W. M. Moseley ganz ausführlich, und so, dass ein Missverständnis ausgeschlossen erscheint, beschrieben; doch ist kein einziger derartiger Bogen auf uns gekommen, und was gegenwärtig in den verschiedenen Sammlungen an Bogen mit der Angabe Tahiti verwahrt wird, stimmt nicht entfernt zu der Beschreibung von Moseley. Hingegen kennen wir eine kleine Anzahl von Bogen aus Tonga, die durch eine tiefe Längsrinne ausgezeichnet sind. Schon Cook und Forster haben sich über diese Bogen gewundert, sie abgebildet und ausführlich beschrieben. „Der Bogen war sechs Fuß lang, ungefähr so dick als ein kleiner Finger, und wenn er nicht gespannt war, nur wenig gekrümmt. Längs der konvexen oder äußeren Seite lief für die Senne ein vertiefter Falz oder eine halbe Hohlröhre, welche zuweilen so tief ausgeschnitten war, dass auch der ungefähr 6 Fuß lange Pfeil, der aus einem Rohrstabe gemacht und mit hartem Holz zugespitzt war, darin Platz hatte. Wenn nun der Bogen gespannt werden sollte, so musste solches nicht durch stärkere Krümmung seiner Biegung geschehen, sondern völlig umgekehrt, sodass der Bogen erst gerade und dann, nach der entgegengesetzten Seite hin, krumm gebogen ward. Die Senne durfte dabei niemals straff angezogen werden, denn durch bloße Änderung der natürlichen Biegung des Bogens bekam der Pfeil Trieb genug, und das Wiedereinspringen des Bogens und der Senne war nie so heftig, dass die Hand oder der Arm des Schützen davon hätte beschädigt werden können. Ehe unsere Seeleute mit diesem Gewehr umgehen lernten, zerbrachen sie viele Bogen, indem sie solche nach der sonst gewöhnlichen Manier aufspannen wollten. Die ungeheure Menge von Waffen, welche wir bei den Einwohnern fanden, stimmte aber gar nicht mit der friedfertigen Gesinnung, die sie in ihrem ganzen Betragen gegen uns, und vornehmlich auch durch die Bereitwilligkeit äußerten, uns solche zu verkaufen. Sie müssen folglich, ihrer friedfertig scheinenden Gemütsart ohnerachtet, oft Händel untereinander haben, oder auch mit den benachbarten Inseln Krieg führen; doch konnten wir hiervon, bei aller Nachfrage, nichts Befriedigendes erfahren.

Links ein Stabbogen, rechts ein Bogen mit Längsrinne.
Links ein Stabbogen, rechts ein Bogen mit Längsrinne.

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Quelle: Quelle: Zeitschrift für Ethnologie, 31. Jahrgang. Berlin, 1899.