In diesem Artikel wird kurz die Baugeschichte des schönen Schlosses Hartenfels in Torgau (Sachsen) vorgestellt. Vom Burgturm (Eintrittspreis 2020 liegt bei 1,- EUR) aus hat der Besucher einen vollen Rundumblick auf die verwinkelte mittelalterliche Stadt Torgau.
Allgemeine Geschichte des Schlosses bis zum Regierungsantritt des Kurfürsten Ernst und des Herzogs Albrecht von Sachsen 1464
Das östliche Deutschland, von den Hussitenkriegen gebrandschatzt und verwüstet, zeigte in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine fast vollständige Unfruchtbarkeit in künstlerischen Dingen. Das Volk, von den religiösen und sozialen Lehren, eines Hus aus seiner geistigen Stumpfheit geweckt, von der eigenartigen Erscheinung und der Leidenschaftlichkeit der unverstandenen Reden eines Capistrano in Aufregung versetzt, begann sich von der geistigen Vormundschaft der Kirche freizumachen und aus den schwankenden und sich widersprechenden Äußerungen der Wanderprediger eine eigene Meinung zu bilden. Was die weitgehenden Lehren eines Hus nicht vermochten, brachten die streitenden Prediger fertig: das Volk in eine geistige Bewegung zu bringen. Welche Wirkungen dies auf den Kirchenbau hatte, ist bereits geschildert worden. Für die weltlichen Bauten in Sachsen von einflussreicher Bedeutung war noch der Umstand, dass das Volksleben nach Abschluss der zerstörenden Bruderkriege der Wettiner in ruhigere Bahnen gelenkt wurde. Es begann mit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein starker Aufschwung der wirtschaftlichen Lage, der Handel wuchs, die Gewerbe blühten empor. Es hing dies unmittelbar mit den Silberfunden im Erzgebirge um 1470 zusammen. Die Schätze des Schneebergs, die Zunahme der Einkünfte der Fürsten, die Befestigung ihrer Staatsgewalt innerhalb der deutschen Kleinstaaterei, die Notwendigkeit, feste Zentren für ihre Verwaltung zu schaffen, endlich auch die Anregungen, die die Fürsten auf ihren Reisen nach Palästina von den Wohnsitzen befreundeter Herrscher bekamen, erweckten den Wunsch, ihre unbequemen und unansehnlichen Burgen in größere, dem veränderten Geiste und ihrer politischen Machtstellung entsprechende Wohnsitze umzubauen. So begann die Erbauung des Meißner, des Dresdner, der Torgauer, des Wittenberger Schlosses und der Moritzburg in Halle.
Für den Baumeister entstanden jetzt neue Aufgaben. Waren bisher nur Bauten zu kirchlichen Zwecken ihre Aufgabe gewesen, war man bei den Klosterbauten nicht über eine Aneinanderreihung einzelner
Räume zu einer Häusergruppe hinausgekommen, so trat nun das Verlangen auf, ein Gebäude zu schaffen, welches alle dem Bedürfnisse entsprechenden Räume in sich aufnahm. Wie meisterhaft diese
gänzlich neue Aufgabe von Arnold von Westfalen gelöst
wurde, zeigt die Albrechtsburg. Formal noch in gotischen Traditionen ausgebildet, zeigt sie als das erste Schloss Deutschlands bereits das neue Gesicht, die Zeichen einer neuen Zeit, das
Entstehen individuellen Schaffens und einer von mittelalterlicher Anschauung losgelösten Selbständigkeit. Mit Arnold beginnt ein Wandel in der Geschichte der Baukunst, die jetzt auch in
Deutschland anfängt, eine Geschichte der Baukünstler zu werden. Noch ist es allerdings nicht vollkommen gelungen, die wirklich künstlerisch schaffenden Meister von den nur handwerklich
schaffenden Steinmetzen zu sondern und ihnen diejenige Stellung in der Kunstgeschichte zuzuweisen, die sie verdienen. Männer, wie Arnold von Westfalen, Conrad Pflüger und Conrad Krebs, sind längst keine Handwerker mehr. Aus dem Handwerk des
Steinmetzen hervorgegangen, häufig auch, wo es sich um bedeutendere künstlerische Arbeiten handelte, selbst noch den Meißel führend, haben sie sich zu frei und künstlerisch schaffenden Meistern
hervorgearbeitet.
Die kurze Darlegung der Arbeitsweise und des Bauvorganges zu jener Zeit auf den Bauten der sächsischen Fürsten hat ihre Stellung klargelegt und ihre Tätigkeit gewürdigt. Es geht daraus hervor, dass es den leitenden Baumeistern oblag, die hauptsächliche architektonische Gestaltung, die sie ihrem Bau geben wollten, zu bestimmen, dass sie jedoch in der dekorativen Ausbildung der Einzelteile ihren Steinmetzen ziemlich freie Hand ließen. Schon aus der Art, wie damals Pläne für die Bauten gemacht wurden, wo man sich mit dem Aufriss der Hauptlinien und der zahlenmäßigen Angabe und mit bei geschriebenen Notizen begnügte — die erwähnten Pläne im Weimarer Staatsarchiv vom Jahre 1533 oder der für die technische Ausführung unmögliche Giebelentwurf Cranachs zu einem Torturm für das Wittenberger Schloss aus dem Jahre 1523 zeigen uns dieses Verfahren deutlich — geht hervor, dass den Steinmetzen eine größere Freiheit und Selbständigkeit bei ihren Arbeiten eingeräumt wurde, als der heutige Baubetrieb ihnen zuzuweisen pflegt, wo der Architekt jedes Detail und jedes Ornament sorgfältig durchgezeichnet dem Steinmetzen zur Nacharbeit vorlegt. Der in seiner handwerklichen Ausbildung auf der Höhe stehende Steinmetz durfte ein gut Teil Kunst in sein Schaffen flechten, indem ihm überlassen wurde, aus eigener Phantasie seine Arbeit ornamental zu gestalten, und ihm nur die eine künstlerische Fessel aufgelegt war, sein Werk der Gesamterscheinung des Bauwerks einzuordnen, wie auch in der Gotik in der Blütezeit ihrer Dekoration jedes Kapitäl und jedes Konsolfigürchen bis zu einem gewissen Grade den freien Stempel seines ungenannten Verfertigers trägt. Wenn trotzdem ein einheitlicher Zug durch die Ornamentik des Torgauer Schlosses geht, so wird dadurch nur der stete Anteil des leitenden Architekten bekundet, der stets ihre Ausführung bewachte, vielleicht auch hier und da die Formen skizzierte.
Man pflegt als Hauptmerkmal der Renaissance das Erwachen der
Individualität des Menschen anzusehen. Man müsste konsequenterweise den Beginn der Kunst der Renaissance in Deutschland demnach auf einen viel früheren Zeitpunkt legen, als formale Gründe dazu
die Veranlassung geben, wie ja auch eine Reform des Geistes bereits eingetreten war, bevor die Reformation durchdrang. Nicht äußere Merkmale, nicht das Auftreten italienischer Motive hier und da können den Zeitpunkt des Eintritts der
Renaissance bestimmen, sondern die vollkommene Veränderung, die im allgemeinen Geistesleben und Kunstschaffen überhaupt vor sich ging, wo einzelne Gestalten aus dem bisherigen korporativen
Kunstbetrieb herauszutreten und als künstlerische Persönlichkeiten sich zu entwickeln anfingen, Die vergeblichen Bemühungen der Steinmetzen, die zünftlerischen Fesseln um ihren gesamten Stand
enger zu legen, die „Ordnungen“, die sie zu errichten für notwendig erachteten, beweisen, mögen sie ihrer äußeren Veranlassung nach in wirtschaftlichen Ursachen zu suchen sein, nichts anderes,
als dass die Zeiten handwerklichen Arbeitens vorüber waren, dass mehr und mehr selbständige Männer auftraten, die sich dem bisher gewohnten zünftlerischen Zwang nicht unterordnen wollten und sich
dagegen aufzulehnen die Kraft hatten. Es ist geradezu überraschend, zu sehen, wie sich fast ein Jahrhundert früher ganz ähnliche Verhältnisse in Oberitalien abspielten, als dort eine neue Zeit
anbrach und eine neue Formenwelt sich den schaffenden Meistern eröffnete. Auch hier aus dem Handwerk kommend, Versuche, das Handwerkliche abzustreifen und künstlerisch zu schaffen. Versuche, die
den Italienern später vollkommen gelangen, in Deutschland jedoch solche blieben, weil es den Meistern nicht gelang, sich aus dem engbegrenzten Schaffenskreis zu freier Größe herauszuarbeiten,
weil sie, in der Kleinkunst sich entfaltend, keine Gelegenheit fanden, an großen Aufgaben ihre Kräfte zu üben, weil sie, selbst mit einer Fülle von Phantasie und Gestaltungskraft begabt, durch
die vielen Anregungen, die ihnen von Italien von einer reifen, bald überreifen Kunst zuteil wurden, nicht Zeit und Muße fanden, sich künstlerisch zu klären. Ihr überschäumender schöpferischer
Geist, dessen Entfaltung naturgemäß an architektonischen Aufgaben beschränkt war, ist die Ursache, weshalb die deutsche Renaissance im Bauwesen nichts eigentlich Großes geschaffen hat und in der
Kleinkunst unübertroffen blieb.
Der Grund für den Mangel an Widerstandsfähigkeit der neuen im fremden Land erstarkten Kunstrichtung gegenüber ist darin zu suchen, dass die Ausdrucksfähigkeit der gotischen Formen erschöpft war. Gern und dankbar nahm man daher die italienische Formenwelt an, die eine willkommene Bereicherung der künstlerischen Ausdrucksmittel war. Es ist kein Zweifel, dass keiner der Meister, welche die neuen Formen anwandten, eine auch nur einigermaßen klare Vorstellung von den Formen der alten Kunst hatte. Daher wurde alles Neue willig aufgenommen, ja selbst der romanische Stil, den man hier wie in den Niederlanden für römisch nahm, wurde herangezogen. Hatte doch die Eyckschule mit ihren reichen Architekturen an die Aufnahme romanischer Formen gewöhnt, war es doch bei der Unkenntnis der Formen leicht erklärlich, dass romanische Monumente auf deutschem Boden vielfach für Abkömmlinge der römischen Antike gehalten und als Vorbilder angeschaut wurden. Ein Beispiel dafür bietet das Portal am Eingang zum großen Saal in Torgau, welches in seiner Nebeneinanderstellung gleichartiger Profile im Gewände, ihrer Verkröpfung im Kämpfergesims, der Ausbildung der Archivolte starke Anklänge an romanische Kunstweise aufweist.
Wie fanden jedoch die andersgearteten Formgestalten Eingang in das deutsche Kunstschaffen? Es ist erklärlich, dass nicht die Florentiner oder Römische Kunst den Ausgangspunkt für die neuen
Anregungen bildete, sondern dass die „wälsche“, die „antikische“ Art fast ausschließlich die oberitalienische war. Denn die deutschen „Malerknaben“, Steinmetzen, Bauleute und Kunsthandwerker, die
damals über die Alpen zogen, kamen schon aus dem prosaischen Grunde des Geldmangels meist kaum weiter gegen Süden als zur lombardischen Ebene und nach Venedig.
Doch auch ein innerer Grund rechtfertigt dieses Verhalten der deutschen Renaissance zu Oberitalien. Dasselbe wurzelt in der Verwandtschaft der nationalen Phantasie. Die malerische Neigung der
oberitalienischen Kunst fand in dem nordisch-germanischen Kunstgeist freudigsten Widerhall. Dass deutsche Steinmetzen schon im 15. Jahrhundert in Italien tätig waren, ist bekannt, bei der großen
Wanderlust derselben auch weiter nicht verwunderlich. Auf ihrer Wanderschaft werden viele die welschen Formen kennengelernt und Erinnerungen, vielleicht der eine und der andere auch eine im
Arbeiten im neuen Stil geübte Hand in ihre Heimat zurückgebracht haben. Vor allem aber sind es die Werke der Plastik und Malerei, des Buch- und Kunstdruckes, welche bahnbrechend und
stilverbreitend auf die Architektur wirkten, Vischer durch seine Grabdenkmäler, Dürer, Burkmair und Holbein, in Sachsen vor allem der Italiener Jacopo de Barbari und durch ihn beeinflusst Lucas Cranach, dann die Kleinmeister durch ihre zahlreichen Zeichnungen, die im
Holzschnitt und Kupferstich die weiteste Verbreitung fanden und in der Ornamentik den bedeutendsten Einfluss ausübten. Mit der Erfindung der Buchdruckerkunst tritt im Kunstleben eine bisher
unbekannte Erscheinung ein, nämlich, dass Kunstbücher und kunstgewerbliche Blätter von Meistern verfasst und herausgegeben wurden, welche zwar nicht Vorlagen, aber doch eine große Anzahl von
Motiven allen Interessenten bieten wollen. Gelingt es nicht selten, eine Entlehnung von Einzelmotiven nachzuweisen, so sind doch direkte Kopien italienischer Vorlagen bei deutschen Stechern vor
1550 mit Ausnahme der Hopfer überaus selten, „aber die wenigen Fälle, in denen ein Zusammenhang über jedem Zweifel steht, beweisen nur, wie frei man mit den fremden Anregungen schaltete“.
Das Ornament am Schloss zu Torgau, welches schon zu einer Zeit ausgeführt wurde (1535), wo die Produktivität jener Kleinmeister und Ornamentstecher noch eine sehr bescheidene war, zeigte auch
noch eine vollkommene Selbständigkeit in Zeichnung und Inhalt und eine vorbildlose Dekoration, zu welcher verwandtschaftliche Beziehungen herzustellen, mir nicht gelingen wollte. Es
charakterisiert sich besonders durch die mäßige Anwendung von Kandelabern, das Vorherrschen des pflanzlichen Elements, die geringe Verwendung des Weinlaubs, welches in Oberitalien so beliebt war, durch die
häufige Wiederkehr von Masken. Überall ist eine gleichmäßige Verteilung des Ornaments in der Fläche wahrzunehmen, wie auch die ornamentale Verkleidung und der tektonische Kern in einen
organischen Zusammenhang gebracht ist. Die Blattbildung ist stark knorpelig, in der Zeichnung und Modellierung noch stark ans Spätgotische erinnernd. Auch in der Darstellung des Figürlichen
besteht eine Abweichung von der oberitalienischen Plastik, welche meist einfachen Faltenwurf zeigt, obwohl auch dort in den Trachten Vorliebe für bunte Zerschlitztheit üblich war. Die Torgauer
Plastik repräsentiert sich meist in modischer Kleidung mit reichem Kopfputz und Geschmeide.
Auf architektonischem Gebiet wirkten von den oberitalienischen Bauten besonders anregend auf die Kunstweise der deutschen Renaissance die Certosa bei Pavia, der Dom zu Como, die Colleoni-Kapelle in Bergamo, der Palazzo del Consiglio zu Verona und die Venezianer Bauten. Doch nur die Schmuckweise und die Zierform, nicht aber die Gestaltung der Raumgebilde oder gar die konstruktiven Mittel der italienischen Baukunst waren von Einfluss. Die charakteristischen Formelemente, welche nachgeahmt wurden, sind vor allem die kandelaberartige Säule, „das Wahrzeichen der lombardischen Frührenaissance“, dann das Bildnismedaillon, die Vorliebe für die ornamentierten Pilaster, für die Grotesken, Putten, Sirenen, Delphine, Vögel, überhaupt für alle Lebenserscheinungen, zu deren Darstellung eifriges in Italien und Deutschland gleichzeitig geübtes Naturstudium reizte. Aber auch bei der Aufnahme architektonischer Motive überall eine freie Verwendung derselben und eine andersartige Behandlung, nie ein Kopieren. Bezolds sehr lehrreiche Nebeneinanderstellung der Porta della Rana am Dom zu Como und des Georgentores vom Dresdner Schloss beweist, mit welcher Freiheit der deutsche Meister sein Vorbild benutzt hat, wie er verstanden hat, eine Kunstform zu schaffen, die ausgesprochenen Eigenwert besitzt und durch und durch deutsches Wesen trägt. Das Torgauer Schloss verdient, abgesehen davon, dass es nach dem Altenburger Schloss den ersten Monumentalbau in dem neuen Stile in Deutschland darstellt, auch dadurch noch kunstgeschichtlich besondere Beachtung und sein Meister Conrad Krebs bedeutendere Wertschätzung, dass seine Detaillierung vollkommen dem Sandstein angemessen und nicht der italienischen Marmorbehandlung nachgeahmt ist, wie es später beispielsweise beim Otto-Heinrichsbau zu Heidelberg geschehen ist.
Je mehr die Kenntnis der italienischen Renaissanceformen bei den Steinmetzen sich ausbreitete, je mehr an Stelle eines harmlos naiven Schaffens in jenen Formen eine bewusste Aufnahme und
Verwendung derselben trat, desto geringer wurde die Eigenart der Meister. Der innere Drang, ihre jugendlich überschäumende Phantasie überall dekorativ zum Ausdruck zu bringen, nimmt ihnen
allmählich die tektonische Übersicht und die planmäßige Beherrschung der Massen. Sie verlieren sich in der Herstellung prächtiger Architekturteile, wo sie Gelegenheit haben, ihre außerordentliche
Meißelgewandtheit zu zeigen. Kein Wunder, dass die Ausführung der größeren sächsischen Bauten in die Hand von Leuten überging, die mehr Kriegsmänner und Festungsbaumeister als eigentliche
Architekten waren.
Textquelle und Bildquelle: Beiträge zur Bauwissenschaft. Schloss Hartenfels bei Torgau. Max Lewy. Berlin, 1908.