Das Bundrennen. Bei dieser Rennart, welche zu den gefährlichsten gehörte, wurde das Rennzeug mit einer sogenannten Bundrennbrust getragen, auf der ein Mechanismus angebracht war, der bei gelungenem Stoß die darüber gelegte Renntartsche über den Kopf des Renners hinweg in die Luft schleuderte. Da hier der Renner unter der Tartsche keinen eisernen Bart trug, so konnte eine geringe Unregelmäßigkeit leicht Gefahr bringen. Die Tartsche glitt beim Abspringen mit dem oberen Teil über zwei Spangen (Krippen) hinweg, die von der Rennbrust bis an den Rand des Rennhutes reichten. Im Weiskunig heißt es: „Er (Maximilian) hat auch under den pundten vilmal gerennt, da im treffen baid schilt in die höch sprungen, das dann lustig ist zu sehen, Aber sorgklich zu tun.“ In den kaiserlichen Sammlungen zu Wien findet sich noch ein Mechanismus für das Bundrennen, der aber gleichfalls nicht mehr vollständig ist.
Fig. 647. Streiftartsche für den Schutz der Oberschenkel beim Rennen. Ende 15. Jahrhundert.
Anzogenrennen. Der Renner erschien im Rennzeug ohne Arm- und Beinzeug auf der Bahn. Das geblendete Ross trug über der Parsche die Decke. Im Anzogenrennen ist die Tartsche an die Rennbrust ein- oder zweimal fest angeschraubt („anzogen“). Es war dabei darauf abgesehen, die Stangen zu brechen und den Gegner abzurennen. (Fig. 652.)
Fig. 648. Rechtsseitige Dilge für den Schutz des Oberschenkels beim Rennen. Ende 15. Jahrhundert.
Fig. 649. Kleiner Rennsattel, sogenannter silla rasa. Ende 15. Jahrhundert.
Das „Krönlrennen“ ist nur eine Variante des vorigen, um Abwechselung in die Unterhaltung zu bringen. Bei diesem trat ein Gegner im Stechzeug einem solchen im Rennzeug entgegen, die Rossrüstung war die in jeder Art übliche; der eine führte eine Rennstange, der andere einen Krönig. Die Absicht war auf das Brechen der Stangen wie auf das Fällen des Gegners gerichtet.
Das Feldrennen. Der Renner erschien im Rennzeug mit Arm- und Beinzeug (wie im Feld) auf der Bahn. Das Ross, nicht immer geblendet, trug einen Kürisssattel und die lederne Parsche. Hier war es bloß auf das Brechen der Stangen abgesehen. Zum Schluss der Turniere „im Zeug“ bringen wir in Fig. 653a und b Abbildungen der bei selben angewendeten Sporen.
Im Feldturnier, in welchem die Gegner in zahlreichen, geordneten Reihen einander gegenübertraten, sollte ein vollkommener Reiterangriff wie im Feld dargestellt werden. Hierzu erschien jeder Reiter im gewöhnlichen ganzen Feldharnisch auf geharnischtem (geliegertem) Ross mit dem gemeinen Reisspieß in der Hand. Der Vorgang wird nicht überall in gleicher Weise geschildert. In vielen Fällen war nur ein Spießbrechen beabsichtigt; dann erschienen die Renner ohne Schwert. Oft folgte aber nach gebrochenen Spießstangen ein Angriff mit dem Schwert. Ja in einem Feldturnier, das im Turnierbuch Herzog Wilhelms IV. von Bayern abgebildet ist, erschienen die Renner mit je zwei Schwertern.
Fig. 650. Bruststück mit Federmechanismus zum Geschiftscheibenrennen. Die Maschine ist insofern inkomplett, als nur der Auslöseapparat der gespannten Tartsche hier vorhanden ist. Ende 15. Jahrhundert.
Obwohl das jüngste unter den vorher beschriebenen Turniergattungen, kann das Fußturnier, da es noch unter Kaiser Maximilian in Aufnahme kam, unter die älteren gerechnet werden. Die Gegner erschienen in gewöhnlichen Feldharnischen, jedoch meistenteils ohne Beinzeug, mit gewöhnlichen Reisspießen bewaffnet, in großer Zahl auf der Bahn und bekämpften sich über eine hölzerne Schranke hinweg, um an ihren Gegnern die Stangen zu brechen. Diese wurden hierbei mit beiden Händen in der Art der Landsknechte geführt. Jedem Turnierer war gestattet, fünf bis sechs Stangen zu brechen. Es wurde streng darüber gewacht, dass kein Gegner unterhalb der Beintaschen getroffen wurde. In der Regel wurde später jedes Stechen oder Rennen durch ein lebhaftes Fußturnier eingeleitet, um den Stechern oder Rennern Zeit zur Rüstung zu gewähren. Dann erst wurde die Bahn geräumt und das eigentliche Ritterspiel zu Ross nahm seinen Anfang.
Fig. 651. Sigmund von Welsperg im Scharfrennen, gehalten am Weißen Sonntag 1497 zu Innsbruck. Aus Hans Burgkmayrs des Jüngern Turnierbuch von ca. 1554. Im Besitz des Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen. Nach Hefner.
Wenn es auch gegen Mitte des 16. Jahrhunderts noch immer einige tüchtige Männer gab, welche das Stechen oder Rennen „im Zeug“ als eine ehrwürdige und die einzig wahre ritterliche Übung ansahen und pflegten, so kam doch das alte Turnierzeug allmählich außer Gebrauch. Der im Zeitalter der Renaissance überhandnehmende Einfluss der Italiener, die von jeher den plumpen Formen des deutschen Turniers abhold waren und nur widerwillig eine Zeitlang der Strömung aber immer in gemildeteren Formen folgten, machte sich nun auch im Turnierwesen mit aller Macht geltend. Daher kam es auch, dass das deutsche Turnier allgemach verdrängt und ausnahmslos durch italienische Formen ersetzt wurde. So blieben um die Mitte des 16. Jahrhunderts eigentlich nur zwei Arten in Übung, das Freiturnier, auch Freirennen genannt, und das Gestech über das Dill, alla pallia, womit die Planke bezeichnet wurde, welche die Gegner trennte.
Fig. 652. Herzog Wilhelm IV. von Bayern im „Anzogen rennen“, gehalten Mittwoch nach St. Paulstag 1512. Aus dem Turnierbuch Herzog Wilhelms IV. von Bayern. Nach Schlichtegroll.
Für das Freiturnier war immer nur der gewöhnliche Feldharnisch, mit einigen Verstärkungsstücken, in Gebrauch. Für das Gestech über das Dill, für das, wie wir bemerkt haben, anfänglich die Stechzeuge üblich waren, wurden allmählich leichtere derartige Zeuge gefertigt, bis diese endlich in die Form der Feldharnische übergingen. Um 1550 unterscheidet sich der Harnisch zum „neuen“ Gestech über das Dill vom Feldharnisch dadurch, dass an jenem das Bruststück keinen wulstartigen Oberrand hat und dass an das Bruststück der neue Stechhelm angeschraubt wird, der in seinem Äußeren nur noch leichte Spuren seiner Abstammung aufweist und mehr dem geschlossenen Helm eines Feldharnisches ähnlich sieht
War der Harnisch selbst von den Feldharnischen kaum zu unterscheiden, so wurde er doch unter der Hand der deutschen Plattner, die ihn mit schweren Verstärkungsstücken versahen, zu einer plumpen Masse, die deren Träger noch weit beschwerlicher fiel als das schwerste Stechzeug, weil sich deren Gewicht nicht wie dort direkt aufs Ross übertrug, sondern zum größten Teil auf dessen Körper lastete. (Fig. 654.)
Ein kolossales und gewichtiges Verstärkungsstück bildete die Doppelachsel, die sich über die ganze Schulter, den Oberarm, den Oberteil der Brust und über die linke Wandseite des Helmes erstreckte. Ein weiteres, nicht minder plumpes Stück war das steife linke Armzeug, das mit der Hentze in Verbindung stand, sich über den linken Ellenbogen verbreitete und dort eine riesige Stauche bildete. (Fig. 655, 656 und 657.)
Fig. 653. Turniersporen. a. Sporn zum Stech- und Rennzeug mit 21 cm langen Hälsen. b. Sporn zum Stech- und Rennzeug mit 17 cm langen Hälsen. Beide Ende 15. Jahrhundert.
Edelleute, die italienische Turniere mit Augen gesehen hatten, wendeten sich bald von der schweren deutschen Ausrüstung ab und bedienten sich der gewöhnlichen Feldharnische in weit leichterer Ausstattung und Verstärkung, wie solche in Italien in Aufnahme gekommen waren.
Fig. 654. Herr Andreas Welser im Welschen Gestech über das Dill auf dem Hochzeitsturnier zu Augsburg am 9. Jänner 1553. Aus Hans Burgkmayrs des Jüngern Turnierbuch von ca. 1554. Nach Hefner.
Fig. 655. Blanker Harnisch für das Neue Welsche Gestech über das Dill des Karl Schurff von Schönwert (gest. um 1628). Innsbrucker Arbeit um 1580.
Fig. 656. Steifer Bart zu einem Harnisch für das Neue Welsche Gestech über das Dill. Italienische Form. Museum zu Zarskoë-Selo.
Fig. 657. Linksseitige Achselverstärkung zu einem sächsischen Stechharnisch mit angeschraubtem Haken.
Fig. 658. Tartsche für das Realgestech mit schwarz geätzten Verzierungen in den Rautenfeldern. Deutsch. Um 1550.
Diese Harnische, für das Realgestech oder Plankengestech kamen um 1540 in Deutschland in Übung1. Sie erschienen in der Regel in nachstehender Zusammenstellung. Auf dem Haupt ist der burgundische Helm, seltener bereits der neue Stechhelm, mit linksseitiger Visierverstärkung üblich. An die linke Achsel wird eine sogenannte Stechtartsche (Fig. 658) aus Eisenblech geschraubt, die sich bis an die Brustmitte erstreckt und unterhalb etwas aufgebogen ist. Sie bildet das Ziel der Stechstange und ist mit starken Eisenstäben belegt, die sich gitterartig kreuzen. Diese Verstäbung sollte verhüten, dass der Krönig von der Tartsche abglitte. (Fig. 659.) Weitere Verstärkungen bildet ein Stechmäusel (garde-bras) und eine Verdoppelung der linken Beintasche. Der gesamte Harnisch bot den Anblick der Leichtigkeit; nur staken die Füße zum Schutz vor Verletzungen an der Planke in manchmal plumpen und schweren Eisenschuhen, die über die Harnischschuhe angelegt wurden. (Fig. 660.)
1Nach einer „neuen furm“, bemerkt der Hofplattner Ferdinands I. zu Innsbruck, Jörg Seusenhofer, in seiner Rechnung über einen dem Erzherzog Ferdinand von Tirol 1547 gelieferten Harnisch.
Fig. 659. Harnisch für das Realgestech, getrieben und mit geätzten und vergoldeten Verzierungen, aus der Jugendzeit Kaiser Karls V. Arbeit des Plattners Koloman Helmschmied in Augsburg 1516. Armeria Real in Madrid.
Bald nach Mitte des 16. Jahrhunderts finden wir, und vorzüglich am sächsischen Hof, eine eigene Art Turnierharnische, die als ein Formengemisch vom alten Stech- und vom Rennzeug erscheinen. Ihrer Hauptform nach Stechharnische für das Gestech über das Dill, besitzen sie hinwieder Rennhüte, die, damit sie nicht vom Kopf abgestoßen werden können, mit dem Rücken durch ein Gestänge verbunden sind. Derlei Zeuge, die in Dresden und einigen Museen im nördlichen Deutschland noch zahlreich zu finden sind, dürften der Erfindung eines Plattners am Hofe Kurfürst Augusts I. ihr Dasein verdanken; sie scheinen eine Zeitlang sehr beliebt gewesen zu sein. Wir benennen sie zur Unterscheidung Sächsische Turnierharnische. (Fig. 661 a und b.)
Der Harnisch für das Realgestech ist als der letzte Turnierharnisch zu betrachten. Als auch dieser um 1590 außer Gebrauch kam, blieben in den nächsten Jahrzehnten nur noch die Freiturniere und die sogenannten Scharmützel, die ein Bild des Krieges darstellen sollten, in Übung. Aus Italien kam sodann ein anderes ritterliches Spiel, das nur wie eine abgeblasste Erinnerung an das alte Turnier erscheint, das Ringelrennen (corso all’ annello). Es bestand darin, dass die phantastisch aufgeputzten Kavaliere mit langen Rennstangen (Fig. 662) nach einem an einem erhöhten Punkt an einem Faden aufgehängten Ring stachen. Im Stallgebäude zu Dresden sieht man noch heute die zierlichen bronzenen Säulen, zwischen welchen die Ringe an Schnüren aufgehängt wurden. Als um 1700 auch dieses Spiel außer Übung kam, klang das alte Turnier des Mittelalters in den Rossballetten aus.
Fig. 660. Schwerer Doppelschuh zum Schutz vor der Planke, einem Lederschuh ähnlich gebildet. Italienisch. Um 1570. Museo Poldi-Pezzoli in Mailand.
Lediglich um irrigen Auffassungen zu begegnen, erwähnen wir zum Schluss noch der sogenannten Quintana, franz. quintaine, engl. quintain. Das Quintanrennen ist keine Turnierform in unserem Sinn, sondern nur eine Vorübung zum Stechen oder Rennen; als solche bietet es keine Eigentümlichkeiten in der Bewaffnung. Es war lediglich ein Spiel, bei welchem ein Reiter mit dem Spieß mitten auf den Schild eines auf einem Pfahl gestellten Gliedermannes treffen musste. Dieser Gliedermann war um den genannten Pfahl drehbar; an dessen ausgestreckten rechten Arme hing ein mit Sand gefüllter Leinensack. Gelang es dem an der linken Seite des Gliedermannes in Galopp anreitenden Kavalier die Mitte des Schildes zu treffen, dann zerbrach der Lanzenschaft und die Quintana war gemacht. Fehlte er aber nur um ein geringes, so drehte sich der Gliedermann um den Pfahl und der angehängte schwere Sack legte sich im Schwung unsanft auf seinen Rücken: ein Ereignis, das immer zu ungemeiner Heiterkeit der Zuschauerkreise Anlass gab. Die Quintana ist schon im 12. Jahrhundert nachweisbar und wahrscheinlich zuerst in Frankreich aufgekommen; in England war sie noch am Ende des 16. Jahrhunderts in Übung. Noch Shakespeare erwähnt ihrer, wenn auch nur als einer besonderen ritterlichen Übung. Im 17. Jahrhundert trat anstelle der Quintana das Karussell, bei welchem Türken- oder Mohrenköpfe aus Pappe oder Holz von aufgestellten Pfählen heruntergestochen wurden.
Fig. 661. Sächsischer Turnierharnisch, blank ohne Verzierungen, mit Rennhut, Bart und Achselverstärkung. a. Ansicht von der linken Seite. b. Ansicht von der rechten Seite.
Fig. 662. Ringelrenneisen. Anfang 17. Jahrhundert.
Das Wappen der Schwertfeger Venedigs. Relief an dem Haus 662 in der Spaderia dort. Ende 14. Jahrhundert.
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Quelle: Wendelin Boeheims "Handbuch der Waffenkunde"