Sühnesteine werden auch Martern genannt. Nachfolgend wird die Erklärung dazu aus dem Buch "Blutrache und Totschlagsühne" veröf-fentlicht:
Martern
Einem ähnlichen Gedanken wie die Einschreibung in die Totenbücher entsprangen ferner die sogenannten Martern. Auch sie dienten dem Zweck, das Andenken an den Erschlagenen sowie gleichzeitig an
die Untat, welche seinem Leben ein Ende setzte, aufrecht zu erhalten und durch ihr Dasein Vorübergehende aufzufordern, für die Seele des Dahingeschiedenen ein stilles Gebet zu verrichten. Man
begegnet den Martern bereits in Totschlagsühnen des 14. Jahrhunderts und das Vorkommen derselben in fast allen Sühneverträgen aus dieser und der Zeit des 15. Jahrhunderts lässt sowohl auf ihre
große Beliebtheit wie außerordentliche Verbreitung schließen. Die zahllose Menge gesühnter und ungesühnter Totschläge berechtigt zu der Annahme, dass es im mittelalterlichen Deutschland kaum eine
Feldmark gab, in der sich nicht ein oder mehrere dieser Denkzeichen befanden.
Am gebräuchlichsten war es, sie auf der Stelle zu errichten, wo sich die Untat zugetragen hatte, doch waren dem individuellen Geschmack der Hinterbliebenen hierin keine Schranken gesetzt, daher
denn auch häufig der Platz an einer Wegscheide, Brücke, Kirche und sogar über Stadttoren gewählt wurde. Gewöhnlich setzte man dem Täter zur Errichtung eine bestimmte Frist. Wenn die Berechtigten
sich über den Platz nicht sofort schlüssig waren, stand die Wahl nicht im Gutbefinden des Täters, vielmehr musste er alsdann bei den Berechtigten Anfrage halten, wohin die Marter gesetzt werden
sollte. Die Herrichtungskosten hatte natürlich der Täter zu tragen. Die Martern waren teils hohe, schmale Steinplatten, teils Kreuze aus Eichenholz oder Stein. Da nähere Vorschriften über Größe
und Form dieser Denkmäler in den Urkunden sehr häufig fehlen, indem nur ganz allgemein die Errichtung einer Marter angeordnet ist, und man andererseits nicht annehmen kann, dass dieser Punkt
lediglich dem Belieben des Täters überlassen war, so rechtfertigt sich die Annahme, dass jede Gegend schon frühzeitig ihr eigenes Muster ausbildete und wenn nichts Gegenteiliges verabredet war,
die Anfertigung der Marter in der ortsüblichen Form zu geschehen hatte.
Öfters findet sich allerdings Größe, Form und Verzierung genau vorgeschrieben. In den in Monum. Zollerana, V, S. 132 mitgeteilten Sühnen sollten auf dem Kreuz Helm und Schild des erschlagenen
Götz von Lochhof gemeißelt sein. In der bei Hontheim, Historia Trevir. dipl., T. II, S. 290 nachzulesenden Sühne sollte das Kreuz auf drei Stufen (gradus) stehen, zehn Fuß hoch und mit dem Wappen
des Erschlagenen versehen sein. Und in der erwähnten Stralsunder Sühne von 1458 ist eine 12 Fuß hohe steinerne Waage mit eingehauenem Kruzifix und Namen des Toten beansprucht.
Seit Mitte des 15. Jahrhunderts steigerten sich die Ansprüche. Man begnügte sich — in Schlesien wenigstens — schon nicht mehr mit einem Kreuz, sondern verlangte statt oder neben demselben sehr
häufig eine Kapelle aus Eichenholz oder Stein, welche einen Altar nebst zugehöriger Decke und Kruzifix, zuweilen auch noch das Bildnis der Jungfrau Maria und einiger Heiligen enthalten musste. In
einer Breslauer Sühne von 1497 verpflichtete sich der Täter, ein steinernes Kruzifix mit den Statuen der Jungfrau Maria und des Apostels Johannes an der St. Barbarakirche aufstellen zu lassen.
In der Altertumszeitung „Iduna und Hermode“, I. Jahrgang, Nr. 12 berichtet ein Mitarbeiter, dass er im Jahr 1812 auf einer Reise durch das schlesische Gebirge in verschiedenen Feldmarken und Dörfern 88 steinernen Kreuzen begegnet sei. Alle waren roh gearbeitet, zum Teil sehr groß und breit. Referent wollte der Angabe, dass es Denksteine für Erschlagene seien, nicht beipflichten, weil es ihm unwahrscheinlich vorkam, dass man so viel Umstände mit einem Erschlagenen sollte gemacht haben. Er entschied sich daher für Gottesgericht-Denkmäler oder solche für erschlagene Heidenbekehrer.
Noch heute begegnen in Gebirgsgegenden mit katholischer Bevölkerung dem Wanderer auf Straßen und Bergpfaden an einem Baum oder Pfahl befestigte Holztafeln mit der abbildlichen Darstellung eines tötlichen Unfalls und der Bitte um ein stilles Gebet für den Verunglückten. Dass diese Sitte sich von den „Martern“ herschreibt, erscheint umsoweniger zweifelhaft, als sich sogar der Name für dieselbe Sache bis auf unsere Tage erhalten hat. So lässt Karl Stieler in seinen Gedichten: „Um Sunnawend“ (Stuttgart 1878) S. 5 einen Wilderer sagen:
Mei Ahndl hat si’ droben verfallen
Beim Wildern auf der roten Wand,
Mei’m Vater hat’s derissen d’ Hand
Zwoa Brüder san erschossen worn,
As (wo) Martertafei steht da vorn Am Steig!
Marter heißt in der Sprache des Mittelalters soviel wie Blutzeugnis, Leiden Christi, in weiterer Anwendung jede unsägliche Qual und Pein, weshalb sich auch für die Tortur derselbe Ausdruck
einbürgerte. Vgl. über das Wort und seine mannigfaltigen composita: Leser, Mittelhochdeutsches Wörterbuch, Bd. I, S. 2054.
Dort steht auch die Friedenseiche vom Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648!