Fig. 416. Herzog Wilhelm der Eroberer in der Schlacht bei Hastings mit dem Baculus. Partie aus dem Teppich von Bayeux. Ende 11. Jahrhundert.
Fig. 417. Flüchtender Engländer mit einem Streitkolben bewaffnet. Partie aus dem Teppich von Bayeux. Ende 11. Jahrhundert.
Die Urform des Streitkolbens (mace, macue, macuete, tinel, — engl. mace, lat. macia, ital. mazza, span. maza, herrada) bildet die älteste und einfachste Waffe des Menschen, die Keule, und es ist eine sonderbare Berührung der Gegensätze, dass eine Waffe, der sich ursprünglich nur die barbarischen Völker bedienten, im frühesten Mittelalter bereits zu hohem Ansehen gelangt und ganz besonders von hervorragenden Personen geführt, den Keim bildet, aus dem der Feldherrnstab sich entwickelte. Wir sehen am Teppich von Bayeux den Bischof Odo sowie auch Herzog Wilhelm mit dem Baculus in den Händen in der Schlacht bei Hastings. Dieser Baculus ist eine lange etwa 70—80 cm lange Keule, die vorn in der Form eines Tieres roh zugeschnitzt zu sein scheint. (Fig. 416.) Unter den flüchtenden Engländern aber erblicken wir Leute, welche eine Art Streitkolben führen, die aus einem rosettenartigen Kopf an einem etwa 50 cm langen Stiel bestehen, der ziemlich gewichtig sein muss, da sie ihn auf der Schulter tragen. (Fig. 417.) Wie sehr diese einfache und gewiss wirksame Waffe unter den Tüchtigsten Ansehen genoss, ersehen wir in dem französischen Roman der Aliscans aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, in welchem der Held Rainvars selbst ein Schwert, das ihm geboten wird, verschmäht und mit seinem 15 Fuß langen Streitkolben (tinel) die Sarazenen bekämpft. Die Abbildung eines mit einem einfachen rohen Streitkolben bewehrten Kriegers bringt Viollet-le-Duc aus dem Manuskript des Tristan von ungefähr 12501.
1Dict. du mob. français. Art. Masse.
Fig. 418. Fußknecht in Haubert, Brünne und Waffenhemd gekleidet und mit Schild und Baculus bewaffnet. Randzeichnung aus dem Codex Balduini Treviensis von ca. 1340.
Fig. 419. Streitkolben aus Bronze, unweit Tarnow aus der Erde gegraben. 12. Jahrhundert. Sammlung Rogawski.
Der Streitkolben war weniger eine Waffe des gemeinen Fußvolkes als der Bauern, weshalb wir ihn auch in allen Empörungskriegen finden. In der Reiterei ist er vom 14. Jahrhundert an eine außerordentlich verbreitete Waffe, die geradezu unentbehrlich für den Reiter erschien. Mit dem Streitkolben, dem Streithammer und der Streitaxt war der Reiter imstande, den Helm seines Gegners zu zertrümmern oder den Haubert soweit zu trennen, dass die Schwertklinge einen Eingang finden konnte, ja, ein Schlag mit dem Kolben konnte den bestgeharnischten Arm entzweibrechen; davor schützten den feindlichen Reiter selbst die Schulterschilde nicht; nur der Schild konnte eine Zeit lang den Hieben widerstehen. Bis ins 15. Jahrhundert kommt der Streitkolben in seiner rohesten Form als Baculus im Fußvolk vor. (Fig. 418.) Um nicht nur durch den rohen Schlag allein zu wirken, sondern auch in den Stoff des Hauberts einzudringen, versah man schon um 1280 den Kopf des Streitkolbens mit stumpfen Stacheln. Derlei Formen benannte der Söldnerwitz Morgensterne. (Fig. 419.)
Fig. 420. Streitkolben aus Eisen mit Stiel aus Holz. Aus dem Manuskript der Nationalbibliothek zu Paris: li romans d’Alixandre von ungefähr 1280. Französisch. Nach Viollet-le-Duc, Dictionnaire.
Fig. 421. Streitkolben aus Eisen, zylindrisch mit Schlagblättern und Stacheln. Musée des fouilles des chateaux de Pierrefonds. Ende des 14. Jahrhunderts. Nach Viollet-le-Duc, Dictionnaire.
Fig. 422. Morgenstern aus Eisen mit hölzernem geästeten Stiel. 15. Jahrhundert. Königliches Zeughaus in Berlin. Nach Hiltl.
Ein nicht über einen Meter langer Stiel, der unterhalb mit starken Handriemen ausgestattet war, wurde in einen zylindrischen oder kugelförmigen Körper aus Metall, Blei oder Eisen eingelassen, der mit Stacheln besetzt war. Diese Metallköpfe hatten im Detail verschiedene Formen; am besten bewährten sich die zylindrischen Köpfe, welche am Ende des 14. Jahrhunderts fast ausnahmslos verwendet wurden, weil ihre Trefffläche bedeutend größer war und der Kopf durch eiserne Federn sicherer mit dem Stiel sich verbinden ließ. (Fig. 420, 421, 422, 423, 424.) Am Beginn des 15. Jahrhunderts bildet sich in der Reiterei eine ganz eigene Art von Streitkolben heraus, die unter dem Namen Kürissbengel oder auch Faustkolben bekannt ist.
Fig. 423. Schwerer Streitkolben mit prismatischem, mit Stacheln besetzten Kopf. Der Stiel ist mit Stoff überzogen und mit Nägeln besetzt. Italienisch. 15. Jahrhundert. Königliches Zeughaus in Berlin. Nach Hiltl.
Fig. 424. Streitkolben mit birnförmigem, hölzernem Kopf und mit langen, eisernen Stacheln besetzt. Deutsch. Bauernwaffe. 15. Jahrhundert. Königliches Zeughaus in Berlin.
Schon im 14. Jahrhundert war zuweilen der Kolben mit sogenannten Schlagblättern, welche radial aus dem Körper hervorragten, ausgestattet (quadrelle). Nun bildete sich diese Art in gotischen Formen vollends durch und wir sehen, dass auch der Schaft aus Eisen gebildet ist, was der Waffe ein bedeutendes Gewicht gibt. Diese Veränderung bedeutet nichts anderes, als dem widerstandsfähigen Plattenharnisch, der zu jener Zeit aus einzelnen Teilen zusammengesetzt zu werden pflegte, eine entsprechende Angriffswaffe entgegenzustellen. Den Kürissbengel führte der einzelne Adelige zu Ross mit großer Vorliebe, sie erschien ihm vornehmer als die Streitaxt der Söldner, umso mehr als es längst Sitte geworden war, dass Befehlshaber den Streitkolben führten und mächtige Herrscher, ja die Kaiser selbst, sich eines dem Streitkolben ähnlichen Gegenstandes als Würdenzeichen, des Szepters, bedienten. (Fig. 425.) Am Beginn des 16. Jahrhunderts ist unsere Waffe allenthalben im Gebrauch und bleibt es bis etwa um 1540. Von da an wird sie seltener im Heer, sie schrumpft ein, gleich der Helmbarte; gleich dieser hatte sie sich von dem Zeitpunkt an überlebt, wo die Faustrohre in der Reiterei allgemeiner in Aufnahme kamen. Einzelne Reiter führten den Kolben gleichwohl noch lange am Sattel und Würdenträger erschienen bis ins 17. Jahrhundert nicht ohne den Kolben in der Hand. Dieser Umstand war auch zunächst Ursache, dass die Kunst diese Waffe mit prächtigem Zierrat versah, dass wir schön ausgestattete Kolben nicht selten antreffen. Es haben da die Italiener und vorzugsweise die Mailänder hervorragende Leistungen aufzuweisen. (Fig. 426.)
In Frankreich wurde der Streitkolben im Laufe der Zeit noch mehr als in anderen Ländern zum bloßen Zeichen einer Würde. Zur Zeit Heinrichs IV. führten die Türhüter in Paris, die sogenannten Schweizer, ebenso die Türhüter in den Kirchen Streitkolben, mehr als Würdezeichen wie als Waffe. Im Volk hießen sie sergants massiers. Später erhielten die letzteren Helmbarten, die ersteren aber behielten den Kolben, und aus diesem hat sich der heutige Portierstock herausgebildet.
Fig. 425. Streitkolben des Kaisers Friedrich III. in der Form des gemeinen deutschen Kürissbengels aus vergoldetem Messing in feiner gotischer Gliederung. Länge 65 cm. Deutsch. Mitte 15. Jahrhundert.
Fig. 426. Streitkolben mit acht Schlagblättern aus Eisen, teilweise vergoldet. Italienisch. 16. Jahrhundert. Königliches Zeughaus in Berlin. Nach Hiltl.
Fig. 427. Türkischer Streitkolben aus vergoldetem Silber und mit Edelsteinen besetzt. 17. Jahrhundert.
Bei den Orientalen scheint der Streitkolben als eine ursprünglich tatarische Waffe schon vor dem 13. Jahrhundert in Aufnahme gekommen zu sein. Er hatte sich gegen die wohlgerüsteten Reiter gut bewährt. Joinville berichtet in seiner Histoire de Saint Louis an mehreren Stellen davon, dass die Türken mit Streitkolben bewaffnet erschienen. Die meisten türkischen Streitkolben (tschumâk, güry, der birnförmige: topûz) sind ganz aus Metall und besitzen kugel- oder birnförmige Köpfe. (Fig. 427.) Doch finden sich auch solche mit Schlagblättern, die aber immer dem orientalischen Stil entsprechend konturiert sind. Von den Türken und Tartaren nahmen sie die Ungarn auf und auch bei den Kroaten und Böhmen finden wir sie in orientalisierenden Formen schon im 15. Jahrhundert.
Kein adeliger Ungar erschien noch im 16. Jahrhundert anders als mit dem Streitkolben im Gürtel bei Hof. In Ungarn und besonders in Polen ist der Streitkolben noch bis ins 18. Jahrhundert in Gebrauch geblieben; er bildete zuletzt das Würdenzeichen des Offiziers bis zum Heerführer hinauf. Noch heute aber erblicken wir den Kolbenträger in dem „Massiere des Vatican“.
Nächstes Kapitel: Der Streithammer, Faust- und Reiterhammer.
Zurück zum Kapitel: Das Spetum, der Hakenspieß, die Kriegsgabel und die Sturmsense.