Was wir heute unter dem Wort „Turnier“ verstehen, deckt nicht vollständig den in früherer Zeit mit dem Wort verbundenen Begriff, ja im Lauf der Jahrhunderte ist unter der Bezeichnung „Turnier“ nicht immer ein und derselbe Vorgang verstanden worden.
Unter der Bezeichnung Turnier (turney) verstehen wir allgemein einen Waffengang im Frieden, ein Kampfspiel. Genau genommen umfasst der Ausdruck aber eben sowohl einen Ernstkampf zwischen einzelnen, ein sogenanntes Gottesgericht, als auch einen ritterlichen Waffengang zwischen Zweien nach bestimmten Regeln, in dem es nicht so sehr darauf ankam, den Gegner zu gefährden, als vielmehr die eigene Geschicklichkeit in der Führung der Waffe vor Augen zu stellen. Immerhin empfiehlt es sich, der Verständlichkeit halber, für die genannten Waffengänge die generelle Bezeichnung „Turnier“ beizubehalten, wenn sie auch der Fachsprache nach nur ganz bestimmten Übungen zukam.
Die Germania des Tacitus, das Beowulf Lied und die beiden Edda enthalten die ältesten Andeutungen über die Liebhaberei der Deutschen für Scheinkämpfe, ja es scheint sogar aus den Bemerkungen des Tacitus (Kap. 24) hervorzugehen, dass die römischen Kaiser durch diese Leidenschaft der Deutschen zur Einführung der Gladiatorenkämpfe veranlasst wurden.
Auf diese altgermanische Streitlust geht auch der Ursprung der Kampfspiele im Mittelalter zurück. Neithart, der Neffe Karls des Großen, erzählt (Lib. III.), wie 844 das Gefolge Ludwigs des Deutschen und seines Bruders Karl sich in gleiche Scharen teilte und ein Scheingefecht lieferte, wobei auch die beiden Prinzen an der Spitze von jungen Leuten selbst sich in den Streit mischten. Gottfried von Preuilly (gest. 1066) scheint der erste gewesen zu sein, der für dieses Kampfspiel zwischen zwei Haufen eigene Regeln aufgestellt hat. Anfänglich war dafür die Bezeichnung Buhurt üblich, während der Name „Turnier“, von tourner, tornare, erst im 12. Jahrhundert, und zwar für das Kampfspiel in Scharen bei den Franzosen auftritt und sich von ihnen auf andere Nationen überträgt. Dieser Umstand erklärt, dass von dieser Zeit an die ursprünglichen deutschen Fachausdrücke im Turnierwesen verschwinden und französische, später italienische dafür üblich werden. Wie das Turnier deutschen Ursprungs ist, ebenso waren es die Deutschen, die bei der Weiterbildung desselben in Bezug auf die Manier und Ausrüstung den Ton angaben.
Nicht im Gegensatz zu dem, was allgemein unter „Turnier“ verstanden wird, sondern als bestimmte Einzelform ist das Gestech (joute, von juxta, treffen) anzusehen, bei welchem nur zwei Gegner in die Bahn traten, um ihre Geschicklichkeit in der Handhabung der Waffen an den Tag zu legen.
Sicher war das Gestech, wie überhaupt alle Turnierarten nur eingerichtet, um die adlige Jugend in der Handhabung der Waffen und des Pferdes zu üben. In der ältesten Zeit findet sich keine Spur eines Kampfpreises oder materiellen Dankes für den Sieger; es genügte diesem vollkommen, den Beweis seiner Tüchtigkeit erbracht zu haben. Später, im 13. Jahrhundert, als sich in der Ritterschaft das Bestreben nach Vornehmheit und feiner Sitte mehr und mehr geltend machte und die Verehrung des weiblichen Geschlechtes den Adligen zur Pflicht wurde, bildete die Anerkennung, der Dank der Dame, den höchsten Preis für den Sieger. Mit dieser Wendung im Zusammenhang steht eine bis zum Übermaß reifende Ausbildung des Zeremoniells, dessen Ausübung von eigenen Fachmännern, den Herolden, gehandhabt wurde.
In den ersten zwanzig Teilen des Nibelungenliedes finden sich in Bezug auf das Turnier zahlreiche Bemerkungen, die sich noch aus der ursprünglichen Fassung des Gedichtes erhalten haben müssen. Denn im 13. Jahrhundert, in welches man allgemein die jetzige Bearbeitung des nordischen Epos setzt, hatten die Turniergebräuche bereits eine Ausbildung erfahren, von der in den Schilderungen der Turniere im Nibelungenlied noch nichts zu finden ist. Diese Wahrnehmung wird bestätigt, wenn man jene Schilderungen mit dem fast gleichzeitigen Frauendienst vergleicht. So begegnen wir dort nirgends der Bezeichnung turnay, die wir im Frauendienst häufig lesen können; wir finden darin längst veraltete Sitten, wie das Abreichen von Kleidern an den Sieger (X, 4841—4842), ferner sehen wir die Verehrung des weiblichen Geschlechtes weitaus nicht so entwickelt, wie in den höfischen Gedichten des 13. Jahrhunderts.
Zum richtigen Verständnis des Turnierwesens ist die Kenntnis der Ausrüstung und der Streitweise, wenn wir sie so nennen wollen, unerlässlich. Diese Kenntnis ist freilich umso schwieriger zu erlangen, als sich die äußeren Formen des Kampfspiels bei den verschiedenen Nationen und im Laufe der Zeiten beträchtlich veränderten und sich ins Unglaubliche vervielfältigten. So war am Ende des 11. Jahrhunderts das Anrennen der Gegner mit der unter dem Arm gehaltenen Spießstange noch nicht allgemein im Gebrauch. Der Teppich von Bayeux zeigt uns vielmehr, wie die Kavaliere ihre langen, dünnschäftigen Spieße beinahe alle mit erhobenem Arm, wie die Alten den Wurfspieß, das pilum, führen.
Bis ins 14. Jahrhundert blieb die Ausrüstung und Bewaffnung im Turnier dieselbe wie im Krieg. Im Nibelungenlied spricht sich der Dichter darüber bei der Beschreibung des Wettkampfes mit Brunhild aus. Ein Waffenhemd aus Seide (dem pfellil aus Libyen, sicherer wohl aus Spanien), eine feste Brünne, darüber die Eisenplatten, die stahelzein, genäht. Die Helme werden aufgebunden. Ein Schild, von Gold berandet, stark und breit; der schildvezzel, Schildriemen, war mit Steinen besetzt. Wenn wir in der Erzählung von dem unter dem Buckel drei Handbreiten dicken Schilde lesen, den vier der Kämmerer kaum zu tragen vermochten, so lässt uns dieses nur auf das Bestreben schließen, die Schilde zu verstärken, die sich gegen den Hieb und besonders gegen den Stoß zu schwach erwiesen. Wiederholt wird von durchstoßenen Schilden und von solchen gesprochen, in denen die Spieß- oder Speerschäfte stecken geblieben waren. Zu den Stoßwaffen sind der Speer und der ger oder Wurfspieß zu zählen. Die Sättel waren mit Steinen besetzt und mit goldenen Schellen behangen. Alle diese Merkmale deuten eher auf die Mitte des 12., als den Beginn des 13. Jahrhunderts, denn zu jenem Zeitraum waren die Schilde bereits an der Schulter befestigt und man bediente sich nicht mehr des Wurfspießes, sondern ausnahmslos der Speere. Die Schäfte waren zu schwach, um mit ihnen beim Anrennen den Gegner hinter das Ross zu setzen; man liest darum in den älteren Teilen des Nibelungenliedes nirgends einen solchen Fall, wohl aber, dass die Schafttrümmer wie Spreu in die Luft flogen. Erst in dem jüngeren Teil, der XXVI. Aventiure, wird gelegentlich der Erzählung des Kampfes zwischen Gelpfrat und Hagen erwähnt, dass letzterer hinter das Ross gesetzt worden, ersterer vom Pferd gefallen sei. Dabei lesen wir die bemerkenswerten Verse:
„Wer in die ros behielte,
Daz ist mir vnbechant“.
Wir sehen aus dieser Stelle, wie alt die Gepflogenheit ist, in den Turnieren eigene Leute zur Seite zu haben, deren Aufgabe es war, die Pferde aufzuhalten und den aus dem Sattel gehobenen Reitern behende beizuspringen, um die Wucht des Falles zu mäßigen. Diese wichtige Hilfeleistung, mit der vom 15. Jahrhundert an eigene geschulte Leute, die Grieswärtel betraut waren, wird gleichwohl in den Turnierbüchern gern verhehlt. Ohne sie wären die Gesteche und Rennen des 15. und 16. Jahrhunderts weit gefahr- und opfervoller gewesen.
Mehr fachlich entwickelt erscheint das Turnier im Frauendienst des Ulrich von Lichtenstein, der uns als eine vorzügliche Quelle für diese ritterlichen Spiele dienen kann. Hier unterscheiden wir den Waffengang zu zweien, den tyost oder das Gestech, von dem buhurt, dem turnay im engeren Sinn, bei dem die Gegner in zahlreichen Scharen in die Bahn traten.
Die Ausrüstung und Bewaffnung unterscheidet sich nur sehr gering von der im Krieg üblichen. Der Wappenrock ist wie die Decke des Pferdes (parsen) aus Leder, beide wohl auch mit Samt von einerlei Farbe überzogen und mit Schildchen aus Eisenblech besetzt. Halsberg, spaldenier (espalderium), der auch bis über die Achseln reichte, und Beinkleider, îsenhosen, bestanden aus Panzerzeug. Der Schild von dreieckiger Form scheint etwas kürzer als der im Krieg verwendete gewesen zu sein. Der schwere Topfhelm wird erst nach vollendeter Wappnung mit seidenen Schnüren aufgebunden. Die Speere haben bereits kleine Brechscheiben, die dort speerscheiben genannt werden.
Im Tyost zu Tarvis traten Reinprecht von Mureck und Ulrich von Lichtenstein in die Bahn, jener schlug seinen Speer unter den Arm — das war die gebräuchliche Art — dieser setzte ihn tief am Schenkel, „an den diech“, an.
Am Beginn des 13. Jahrhunderts ist bereits das Ziel des Waffenspieles geändert und bestimmter ausgesprochen. Die Absicht auf beiden Seiten ist, entweder den Speer kunstgerecht an dem an der linken Schulter hangenden Schild zu verstechen, sodass der Schaft beim Anrennen zersplitterte, oder den Gegner hinter das Ross zu setzen. Für beide Gegner war es im ersten Fall selbstverständlich, dass sie den mäßigen Stoß „auszusitzen“ imstande waren, d. h. nicht vom Pferd fielen. Für diesen Fall wurde die Stellung zum Anreiten nahe, der puneiz (von poser, ponere, stellen) kurz genommen. In dem anderen Fall, wo der Stecher die Absicht hat, den Gegner seine Kraft und Geschicklichkeit fühlen zu lassen oder ihn zu beschämen, nahm er seine Stellung entfernter, „den puneiz lanc“, und warf ihn mit kunstgerechtem Stoß hinter das Ross, wobei natürlich beide Speere gleichfalls zerschellten. Es ist hieraus zu ersehen, dass die Speere seit dem 12. Jahrhundert allmählich stärker wurden. Immerhin aber besaßen sie noch einen 6,5 cm nicht überschreitenden Durchmesser und blieben damit so handsam und leicht, dass sie ohne Auflager (Rüsthaken) angesetzt werden konnten. Die Knechte Ulrichs von Lichtenstein führten beim festlichen Einritt jeder drei zusammengebundene Speere in der Hand.
Wir unterscheiden im 13. Jahrhundert bereits zweierlei Turniere, das Wanderturnier und das ausgeschriebene. Jenes ist ein zufälliges oder absichtliches Begegnen zweier Ritter auf dem Weg, wobei es ohne einiges Speerverstechen nicht abging. Der eine setzte sich am Weg und forderte den anderen meist unter schwulstigen Reden und ruhmredigen Worten zum ritterlichen Kampf auf; er erscheint hier als der Aventurier. Der andere musste sich ihm stellen, als Mantenador. Auf dem Weg hinter Clemun hatte der Ritter Mathie sein Zelt vor Ulrichs Weg geschlagen, um ihn vor der Weiterreise zum Stechen aufzufordern; da maß er sich mit 11 Rittern und die Trümmer, trumzen, der Speere und etliche Schilde lagen auf der Erde. Das häufig große Gedränge des Trosses und des herbeigeeilten Volkes bewog Ulrich, den Ring des Turnieres abzustecken. Die Ecken eines Rechteckes wurden durch vier in die Erde gesteckte Paniere bezeichnet, die Linien dazwischen durch 200 Speere mit Fähnlein in der Farbe von Ulrichs Schild bezeichnet. An den kurzen Seiten befand sich in der Mitte je ein Eingang, durch welchen niemand reiten durfte, der nicht zum tyost bereit war. Das war damals eine Neuerung, für die man Ulrich sehr erkenntlich war.
Fig. 609. Abbildung eines Gesteches. Aus dem Codex Balduini Trevirensis von ca. 1330.
Dieses Wegelagern im Stil des Stegreifritters währte bis ans Ende des 14. Jahrhunderts, in Deutschland sogar noch bis ins 16. Jahrhundert, und es lag in der Natur dieser Zufallsgesteche, dass bei ihnen nur solche Waffen benutzt wurden, die auch im Feld gebräuchlich waren, so z. B. die Brusttartschen aus Holz, deren wir bei Beschreibung der Feldharnische des 15. Jahrhunderts gedacht haben. Sie bildeten gleichfalls ein wichtiges Ausrüstungsstück. Vergleiche Fig. 187 und 194. (Fig. 609.)
Das ausgeschriebene Turnier wurde, wie es der Name schon bezeichnet, infolge einer Einladung, die an die Ritterschaft erging, auf einem bestimmten Platz abgehalten. Schon viele Monate vor dem anberaumten Tag durchzogen Sendlinge oft weit entfernte Länder und überbrachten vorzugsweise an berühmte Turniergenossen die Aufforderung, bei dem ritterlichen Wettkampf nicht zu fehlen.
Diesen allgemeinen Charakter behielten die Turniere bis gegen Ende des 14. Jahrhunderts und die Ausrüstung folgte genau allen Wandlungen, welche sich bis dahin im Krieg merkbar machen. Erst um 1350 oder doch wenig früher beginnen die Formen der Ausrüstung um Turnier von jener im Krieg sich zu unterscheiden. Diese Erscheinung erklärt sich daraus, dass man, um im Turnier kühn und tapfer zu erscheinen, allgemach auf Mittel sann, den Effekt für das Auge des Zuschauers zu erhöhen. Wir werden im Verlauf unserer Darstellung Gelegenheit erhalten, diesem Streben Schritt für Schritt zu folgen.
Fig. 610. Turnierschwert. Aus dem Livre des tournoirs des Königs René. 15. Jahrhundert. Nach Jacquemin.
Fig. 611. Turnierkolben. Aus dem Livre des tournoirs des Königs René. 15. Jahrhundert. Nach Jacquemin.
Schon im Verlauf des 14. Jahrhunderts hatte der Buhurt, nun Turnier genannt, besonders in Südfrankreich und Italien eine Veränderung dadurch erfahren, dass die Gegner in der Regel nur einen Speer verstachen und dann zu stumpfen Schwertern griffen, mit denen sie sich unter lautem Geschrei, in Deutschland unter dem Ruf: „Wicha herre, wicha wich!“, anfielen, bis eine Partei, von den Streichen des Gegners erschüttert, sich oft unter Rücklassung von ritterlich Gefangenen für überwunden erklärte.
In Deutschland kam vom Beginn des 15. Jahrhunderts an das sogenannte Kolbenturnier zu Ross in Gebrauch, das immer nur zwischen zwei Gegnern ausgetragen wurde. Die Waffen in diesem Gang bestanden aus stumpfen, aber schweren Schwertern (Fig. 610) und Kolben. Letzterer, aus hartem Holz gefertigt, hatte eine durchschnittliche Länge von 80 cm. Die Handhabe besaß insgemein einen kugelförmigen Knauf und statt einer Parierstange eine Scheibe aus Eisenblech oder einen Nodus (Fig. 611). Der Kolben selbst hatte einen polygonen Querschnitt und verstärkte sich allmählich gegen das Ende zu.
Diese mächtig wirkenden Waffen waren die nächste Veranlassung zu einer Veränderung der Helmform beim Turnier zu Ross, da ein Schlag mit solchen auf den alten Topfhelm, welcher auf dem Scheitel aufsaß oder doch mit diesem in Berührung stand, lebensgefährlich werden konnte. Der neue Helm wurde kugelförmig gebaut und war so umfangreich, dass ihn der Kopf des Mannes nirgends berührte und lediglich auf den Schultern und der Brust aufsaß; desungeachtet wurde der Kopf des Trägers durch eine dick mit Werg gefütterte Haube, harnaschkappe, geschützt. Zum ersten Mal finden wir jetzt die Teile am Hals und im Nacken eingezogen. Derlei Kugelhelme kommen in unterschiedlichen Detailformen vor, sehr gebräuchlich waren die Helme, die aus einem starken Eisengerippe bestanden, worüber ein Überzug von starkem, gesottenem Rindsleder kam. An der Stelle des Gesichtes war der Helm offen und dieser Teil durch ein starkes Gitter aus Eisen und Draht geschützt. Das ganze Scheitelstück war mit Leinwand überzogen, mit Kreidegrund bedeckt und mit der Wappenfigur des Eigners in Temperafarben bemalt. Der Hals sowie der Bart- und Rückenteil bestanden aus Eisenblech. Die Befestigung an der Brust sowie am Rücken, an dem Lentner oder an dem Plattenharnisch wurde durch Eisenbänder bewirkt, die in entsprechende Naben eingefügt wurden. Ebenso wie der Topfhelm des 12. und 13. Jahrhunderts, so war auch der Kugelhelm mit einer Helmzier am Scheitel, dem sogenannten Zimier, ausgestattet. Die Formen dieser Helmzieren wechselten nach dem Geschmack oder der Laune des Eigners. Zuweilen finden sich darin in vollplastischer Ausführung die Wappenfiguren der Eigner wiedergegeben, oft aber eine andere bizarre Figur, nicht selten Anspielungen an eine geliebte Dame und selbst Andenken von solchen, wie Tücher, Handschuhe, Schleier und dergleichen, werden an den Zimieren angebracht. So findet man denn an allen noch vorhandenen alten Helmen Vorrichtungen zur Befestigung von Helmzieren, die in einer Röhre oder einem eisernen Stab bestehen. Die Anfertigung der Zimiere, der Lederparschen für die Pferde, der ledernen Rossköpfe, Rossstirnen, der Schilde und dergleichen, die alle insgemein bemalt waren, gehörte in den Bereich des Schilterhandwerks. (Fig. 612 und 613.) Auch hier zeigt sich das Streben nach Erhöhung des Effektes, insofern es beim Kolbenturnier vorzugsweise darauf abgesehen war, dem Gegner das Zimier vom Helm zu schlagen.
Eine andere Art von Kugelhelmen für das Kolbenturnier bestand aus geschlagenem Eisen, mit ähnlicher Form des Scheitelstückes aber mit breitem aufschlächtigem Visier; zuweilen mit bauchig vorgetriebenem Gitter. Derlei blanke Helme wurden zum Schutz vor den Sonnenstrahlen in der Regel mit Helmdecken getragen, welche unterhalb des Zimiers befestigt, über den Rücken herabfielen. Diese Helmdecken, schon im 13. Jahrhundert an den Kübelhelmen häufig in Gebrauch, waren aus Seide oder feiner Leinwand in den Farben des Wappens des Trägers gehalten und meist an den Rändern ausgezackt (gezaddelt).
Fig. 612. Turnierhelm für das Kolbenturnier zu Ross, bestehend aus einem Eisengestell, welches mit gesottenem Leder überzogen und in Temperatechnik bemalt ist. Der vordere Teil ist mit einem Gitter aus Eisenspangen und Draht geschützt. Um 1480. Sammlung Mayerfisch in Sigmaringen. Nach Suttner, Der Helm.
Der Brustharnisch, anfänglich von starkem, gesottenen Rindsleder, mit Nägeln besetzt, als Lentner, hatte beim Kolbenturnier einen starken eisernen Ring an jeder Seite. An dem linken wurde das stumpfe Schwert, an dem rechten der Kolben mit starken Hanfschnüren befestigt. Später, als der Plattenharnisch in Aufnahme kam, um 1440, pflegte man das Brust- und Rückenstück der Transpiration wegen zu durchlöchern. An Brust und Rücken schlossen sich vorn die geschobenen Bauchreifen und rückwärts ein kurzer Schurz an. Das Armzeug hatte, je nachdem es aus Leder oder Eisenblech gefertigt war, eine verschiedene Form. Von Leder wurden die Achseln kugelförmig gestaltet und diese ebenso wie die Armröhren und Kacheln durch starke aufgenähte Hanfstricke verstärkt. Die Handschuhe aus schwerem Rindsleder waren nicht gefingert (Hentzen) und meist der linke an der Oberseite der Hand wie am Stulp mittelst angebundener eiserner Scheiben geschützt. Diese waren das Vorbild für die Stielscheiben, die an den Handschuhen der Harnische vom Ende des 15. Jahrhunderts auftreten.
Ging dem Kolbenturnier ein Spießbrechen voraus, was nicht selten vorkam, dann wurde an die linke Seite der Stechschild gehängt und der Riemen lief über die rechte Schulter und unter dem linken Arm durch. Die Schildform war verschieden, meist dreieckig, später aber auch viereckig, konkav gebildet, mit schneckenförmig aufgerollten Rändern, zumeist heraldisch bemalt oder mit Stoff überzogen. Je nach Bedürfnis waren sie aus Holz, das mit Leder überzogen wurde, oder aus Eisenblech gefertigt.
Über dem Harnisch trug der Turnierende häufig ein Harnischröckchen (harnaschhemt) aus Seide oder feiner Leinwand in den Farben des Wappens, oft auch mit den wechselnden Figuren desselben. Die Beine wurden anfänglich mit Panzerwerk (Musszeug) geschützt, die Knie im 14. Jahrhundert gleich den spitzen Schuhen mit Eisenblech. Später bestand der Beinschutz aus Diechlingen, Kniebuckeln, Beinröhren und Spitzschuhen aus Eisen.
Fig. 613. Turnierhelm für das Kolbenturnier zu Ross, ähnlich dem vorigen, mit röhrenartiger Vorrichtung zur Befestigung des Zimiers. Um 1480.
Auch die Pferderüstung zeigte im Turnier einige Abweichungen von jener im Krieg. Schon für das Kolbenturnier und vermutlich da zuerst, erhielten die Sättel ein erhöhtes Sitzblatt. So entstanden die sogenannten „Sättel im hohen Zeug“, damit verfolgte man die Absicht, dass der Reiter in der Handhabung der Waffe durch das Pferd nicht gehindert war. (Fig. 614.) Die Konstruktion des Sattels war eine derartige, dass der Reiter nahezu in den Bügeln stand. Der mit Eisen beschlagene Vordersteg reichte zum Schutz der Lenden des Reiters sehr hoch hinauf und verbreitete sich auch stark nach seit- und abwärts. An dem oberen Rand befand sich ein starker eiserner Bügel, um beim Ausfall dem Reiter für die linke Hand einen Anhalt zu bieten. Der Hintersteg fehlte bei derartigen Sätteln zumeist gänzlich, doch umschloss ein eisernes Band den Körper des Reiters derart, dass dieser nicht vom Pferd fallen konnte. Der übrige Teil der Pferderüstung war gleich der im Krieg üblichen, wie wir sie bereits beschrieben haben, nur wäre zu bemerken, dass das Pferd stets mit einer Parsche aus schwerem Rindsleder bedeckt war; darüber wurde eine Decke gelegt, die auch über den Sattelsteg reichte und gemeiniglich ganz gleich dem Harnischröckchen mit heraldischen Emblemen ausgestattet war. Das Kolbenturnier zu Ross kam am Ende des 15. Jahrhunderts außer Übung. (Fig. 615.)
Schon im frühen Mittelalter kommt neben den beschriebenen Turnierarten unter ganz ähnlichen Zeremonien eine andere vor, die von diesen wesentlich absticht. Man nannte sie „Kämpfen“, später im 15. Jahrhundert mit etwas mehr Emphase „den alten deutschen Fußkampf“. Der Ursprung dieses Fußkampfs zu zweien ist in den uralten Ordalien der Deutschen, den Gottesurteilen, zu suchen, bei denen der Unterliegende sein Schicksal mit dem Leben bezahlte. Bei den späteren Kämpfen dieser Art kam allmählich die religiöse Grundlage abhanden, sie wandelten sich zu Waffenspielen um, bei denen die Absicht nicht mehr allein auf die Vernichtung des Gegners gerichtet war, der Siegespreis vielmehr in der Anerkennung der Waffentüchtigkeit oder in der Gunst einer Dame gesucht wurde.
Fig. 614. Turniersattel im hohen Zeug, für das Kolbenturnier zu Ross. Zweite Hälfte 15. Jahrhundert. Germanisches Nationalmuseum zu Nürnberg. Nach Leitner, Freydal.
In der Tat scheint das Zurückgreifen auf eine uralte Sitte, wie sie der „Kampf“, d Zweikampf zu Fuß, im Mittelalter darstellt, keinen anderen Zweck gehabt zu haben, als das Waffenspiel mannigfaltiger zu gestalten. Bei der hohen Achtung, die man in der Ritterschaft vor allen alten Gebräuchen hegte, wurde auch der Fußkampf vom Beginn an mit außerordentlicher Wichtigkeit behandelt und strenge Gesetze dafür aufgestellt. Die ganz verschiedene Kampfweise führte auch zunächst zu einer wesentlichen Veränderung der Schutzwaffe, aus der sich allmählich die Form des Kampfharnisches herausbildete.
Bei dem Aufkommen dieser Übung scheinen die alten Fechtmeister, die Markusbrüder, auf die Ausrüstung wie auf das Zeremoniell und die Fechtweise einigen Einfluss geübt zu haben, darauf deuten manche Ähnlichkeiten, die sich in den alten Fechtbüchern wieder finden; man ist aber von diesen Förmlichkeiten später abgegangen, um praktischere Einrichtungen an die Stelle zu setzen.
Fig. 615. Herzog Georg von Bayern-Landshut auf dem Kolbenturnier zu Heidelberg am 18. August 1482. Aus Hans Burgkmayrs Turnierbuch. Aquarell von ca. 1554. Im Besitz des Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen. Nach Hefner.
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Quelle: Wendelin Boeheims "Handbuch der Waffenkunde"