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Die Stangenwaffen. Der Spieß Teil 2

Fig. 366. Gemeines Reisspießeisen. Zweite Hälfte 15. Jahrhundert.

 Fig. 366. Gemeines Reisspießeisen. Zweite Hälfte 15. Jahrhundert.

 Fig. 367. Schweres Knebelspießeisen. Waffe der Trabanten des Herzogs Friedrich IV. späteren Kaisers. Graviert mit Spuren von Vergoldung und mit der Inschrift: „dux federic. dux austrie“. Anfang 15. Jahrhundert.

 

Seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts nimmt die Freude an prunkvollen und schönen Waffen allenthalben überhand. Die Klingen erhalten reiche Verzierungen in Goldätzung, Tausia etc., nicht selten auch in kunstvollem Eisenschnitt. Etwa von der Hälfte des Jahrhunderts an erscheinen die „gerippten“ oder „gepickten“ Schäfte.

Fig. 368. Gemeiner Ahlspieß mit 83 cm langer Stoßklinge und dem eingeschlagenen Stempel der Stadt Wien. Roh gearbeitet. Deutsch um 1470.

Fig. 368. Gemeiner Ahlspieß mit 83 cm langer Stoßklinge und dem eingeschlagenen Stempel der Stadt Wien. Roh gearbeitet. Deutsch um 1470.

Fig. 369. Arabischer Reiterspieß mit orientalischen Gravierungen und in gehauener Technik geziert. Im Besitz des Verfassers.

 

Das Verfahren zu ihrer Erzeugung ist eigentümlich. Der als Schaft bestimmte Stamm wird, ehe er abgeschnitten wird, zur Frühlingszeit von der Rinde befreit, sodann werden in die Oberfläche mittelst eines spitzen Messers nach beliebiger Ordnung tiefe Einschnitte gemacht und darauf der Stamm leicht eingebunden. Nach einiger Zeit schwellen diese eingeschnittenen Stellen auf und bilden daselbst scharfe, warzenförmige Erhöhungen. Sind diese in wünschenswertem Grad vorgeschritten, so wird der Stamm abgeschnitten und, bevor er verwendet wird, gut ausgetrocknet. Besonders fein zu zierende Schäfte werden nicht bloß einfach eingestochen, sondern mittelst scharfer Meißel, welche einfache Figuren, wie Lilien, Sterne etc., enthalten, eingepickt. Dem Verfahren selbst liegt die Absicht zugrunde, den Schaft derart rau zu machen, dass er nicht so leicht der Faust entgleiten kann.

 

Von den Spießeisenformen des 15. Jahrhunderts, welche wir in den nebenstehenden Figuren bringen, sind zu bemerken der gemeine Reisspieß (Fig. 366), der Knebelspieß, eigentlich ein Fußknechtspieß (Fig. 367), der sein Vorbild in jenem des 8. Jahrhunderts findet, nur weit gewichtiger und plumper ist, und der Ahlspieß, eine Waffe, die zuerst in der Schweiz und Hochburgund auftritt, später aber mit Vorliebe von den Böhmen geführt wird. (Fig. 368.)

 

Orientalische Fußstreiter des Mittelalters führten Spieße mit schwachen, aber in der Regel langen Schäften, die leichten, roh gefertigten Spießeisen sind teils pfriemenartig, teils bärtig, d. h. mit Widerhaken versehen.

 

Reiter führten, wie noch heute, die lange Lanze mit dünnen, kaum 15 mm starken und 4 bis 4,5 m langen Schäften. Am Dillenhals finden sich herausgestemmte, nach abwärts gerichtete Zacken, um welche verschiedenfarbige Schnüre aus Kamelhaaren gewunden sind. (Fig. 369.)

 

Ein dünnschäftiger, aber kürzerer, höchstens 3 m langer Reiterspieß mit langer Stoßklinge, welcher im 15. Jahrhundert bei den Türken zuerst allgemeiner wird, führt den Namen Copie. (Fig. 370.) Zweifelsohne war diese Spießgattung und unter dieser Bezeichnung schon seit Jahrhunderten unter den Völkern des oströmischen Reiches geführt. Der Name stammt aus dem griechischen κοπίς, was zurzeit eine Hiebwaffe asiatischer Völker bedeutete, später aber auf alle Waffen ausgedehnt wurde. Unter dem Namen Copie erscheint sie auch im 16. Jahrhundert in Italien, Spanien und in den türkisch-slavischen Ländern. In der Türkei wird die Sipâhi- (Reiter-) Lanze sünü genannt.

Fig. 370. Türkische Copie mit silbernem, innen hohlen, 2,50 m langen, gerauteten Schaft. 16. Jahrhundert.

Fig. 370. Türkische Copie mit silbernem, innen hohlen, 2,50 m langen, gerauteten Schaft. 16. Jahrhundert.

 

Fig. 371. Tscherkessischer Spieß mit 3,16 m langem Schaft aus Pfefferrohr mit geschnittenem Wurzelknollen am unteren Ende. 17. Jahrhundert (?). Waffenmuseum zu Zarskoë-Selo. Nach Gille. Fig. 372. Turkmenischer Spieß mit 4,74 m langem Schaft aus Bambusrohr

Fig. 371. Tscherkessischer Spieß mit 3,16 m langem Schaft aus Pfefferrohr mit geschnittenem Wurzelknollen am unteren Ende. 17. Jahrhundert (?). Waffenmuseum zu Zarskoë-Selo. Nach Gille.

Fig. 372. Turkmenischer Spieß mit 4,74 m langem Schaft aus Bambusrohr und nielliertem Spießeisen. 17. Jahrhundert (?). Waffenmuseum zu Zarskoë-Selo. Nach Gille.

 

Fig. 373. Spieß mit 7,6 cm langer Klinge aus geschnittenem und in Gold tauschiertem Eisen und 2,28 m langem, reichgeziertem Schaft des Tuman Bey, letzten Sultans der Mameluken in Ägypten (getötet 1517). An der mit Gold verzierten Schnur mit schwerer Quast

 Fig. 373. Spieß mit 7,6 cm langer Klinge aus geschnittenem und in Gold tauschiertem Eisen und 2,28 m langem, reichgeziertem Schaft des Tuman Bey, letzten Sultans der Mameluken in Ägypten (getötet 1517). An der mit Gold verzierten Schnur mit schwerer Quast befindet sich eine goldene Kapsel, in welcher einst ein auf kleine Blättchen geschriebener Koran eingeschlossen war. Waffensammlung zu Zarskoë-Selo. Nach Gille.

 Fig. 374. Landsknechtspieß, Totallänge 4,5 m. Anfang des 16. Jahrhunderts. Deutsch.

 

Bei allen Völkern Asiens kommt die lange und dünnschäftige Reiterlanze in Verwendung. Die Schäfte bestehen aus Holzarten, welche in den betreffenden Landstrichen eben häufiger vorkommen, nicht selten aus Rohr vom Pfefferstrauch, vom Bambus und dergleichen. (Fig. 371 und Fig. 372). Der Orientale schätzt vorzugsweise einen leichten Spieß, daher es nicht selten vorkommt, dass Spießstangen mit aller Kunstfertigkeit durchbohrt und damit hohl gebildet werden. Die zumeist sehr langen, schmalen Spießeisen sind häufig reich verziert, die Hälse stilvoll gegliedert. Die Orientalen haben von der ältesten Zeit an der Form wie der Auszierung des Spießes das peinlichste Augenmerk zugewendet. Nicht nur die Lanze selbst wurde vom Waffenschmied reich mit Ornamenten in Tausia, Niello und Vergoldung ausgestattet, der Besitzer selber behängte sie auch mit Geflechten und Quasten aus Yakwolle und Seide. Vorzüglich liebte man Wurfspieße, djerid ähnlich auszustatten. In ältester Zeit bildete die Spende einer Lanze das Zeichen höchster Gunst des Sultans und immer das wertvollste Geschenk. Vornehme Araber und Türken trugen an den Spießen goldene Schnüre mit langen Quasten, an welchen in einer platten Kapsel ein auf kleinen Blättchen geschriebener Koran eingeschlossen war. (Fig. 373.)

Im 16. Jahrhundert finden wir den Spieß, teils in neuen Formen, als vorzüglichste Stoßwaffe in den Landsknechtheeren. Die Taktik der Landsknechte erforderte eine langschäftige, aber dabei leichte Waffe, welche dazu bestimmt war, den ersten Stoß auf den Feind auszuführen. Für den Nahkampf war das kurze Schwert bestimmt. Dieser Kampfweise entsprechend erhielt die überwiegend größte Menge der Leute eines Fähnleins den Landsknechtspieß, die sogenannte Pinne (korrumpiert aus dem mittelalterlichen pennon). Die Spieße der Landsknechte, die man mit den späteren Piken des 17. Jahrhunderts nicht verwechseln darf, hatten ein blattförmiges Spießeisen mit kurzen Schaftfedern; ihr Schaft von durchschnittlich 4,5 m Länge war in der Mitte stärker als an den Enden1. (Fig. 374.) Ihre Formen finden sich in vollster Deutlichkeit auf vielen Blättern der Zeugbücher Maximilians I. von 1514 wiedergegeben, welche Nic. Glockendon zugeschrieben werden. Das Vorbild des Landsknechtspießes ist in den Spießen der Schweizer zu finden. In den Händen dieser Truppe war aber seine Form und seine Führung eine andere. Noch im 15. Jahrhundert war er nicht länger als etwas über 3 m. Im Landsknechtheer wuchs er zu einer Länge von 4,5—5 m an und wurde so geführt, dass der Mann kaum mehr als einen Meter Schaft hinter sich hatte. Die Schweizer ergriffen beim Vorrücken den Spieß mehr in der Mitte. Die ein höheres Kommando führenden Personen eines Landsknechtkörpers führten, mehr als Zeichen ihrer Würde, einen kurzschäftigen, leichten Spieß mit blattförmigem Eisen. So sehen wir sie abgebildet in den Holzschnitten von Nicolaus Meldemann, Hans Guldenmund, David de Necker und Hieronymus Formschneider, welche uns die Landsknechte um 1529 wiedergeben. Als Zeichen der Würde führten den leichten Spieß mit kürzerem, dünnen Schaft die höchsten Personen. So erscheint Karl V. in dem bekannten Gemälde von Tizian in der Galerie in Madrid dargestellt2. Wir haben dabei kaum nötig, zu bemerken, dass diese Sitte nichts anderes als das Zurückgreifen in eine frühere Zeit ist, in welcher der Spieß als das Würdenzeichen der Höchsten erschien.

 

1Die in den verschiedenen Waffenmuseen, wie im Musée d’Artillerie in Paris befindlichen, als Landsknechtspieße bezeichneten Stangenwaffen sind gemeine Piken des 17. Jahrhunderts. Wirkliche Landsknechtspieße sind äußerst selten. In ansehnlicherer Menge finden sie sich noch im Museum zu Salzburg.

2Derlei leichte Spieße von der Form der Wurfspieße wurden von den Herren meist auf der Jagd, sonst bei festlichen Anlässen, selten aber im vollen Harnisch geführt. Auch Karl V. erscheint auf dem obenerwähnten Gemälde von 1548 nur im halben Harnisch.

Fig. 375. Großes Schefflineisen, innen hohl gebildet. Anfang 16. Jahrhundert.

 Fig. 375. Großes Schefflineisen, innen hohl gebildet. Anfang 16. Jahrhundert.

 Fig. 376. Kleines Schefflineisen, innen hohl gebildet. 16. Jahrhundert.

 Fig. 377. Gemeiner Pikenierspieß. Totallänge 5,11 m. 17. Jahrhundert. Deutsch.

 


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Quelle: Wendelin Boeheims "Handbuch der Waffenkunde"