Der Degen, eigentlich nur eine Abart des Schwertes, unterscheidet sich von diesem bloß durch die schmälere, mehr auf den Stich als auf den Hieb berechnete Klinge. Der Name ist wie bei der Glefe und anderen Waffen eine Übertragung von einer anderen Stichwaffe, die im Verlauf der Zeit eine geänderte Benennung erhielt. Schon vom 12. Jahrhundert an erscheint in Deutschland der von den Adligen getragene lange Dolch unter der Bezeichnung dêgen, wie ja noch heute der Dolch im Französischen dague, im Italienischen und im Spanischen daga benannt wird. Da in keiner Sprache der westlichen Nationen außer der deutschen für diese Art Waffen, die Spezialform des Stoßdegens, fr. estoc, ital. stocco, ausgenommen, eine besondere Bezeichnung existiert und dieselbe allenthalben als Schwert benannt wird, so ist nur anzunehmen, dass die Deutschen, welche diese Waffe erst am Beginn des 16. Jahrhunderts, und zwar aus Spanien erhielten, mit ihr auch eine provinzielle Bezeichnung, dagon, langer Dolch, in ihre Sprache herübernahmen, da die ersten Degen in der Tat keine besonders langen Klingen besaßen und es damals oft schwer zu sagen war, was noch als langer Dolch und was als Schwert bezeichnet werden sollte. Wenn auch der Degen durch die Kavaliere Karls V. und Ferdinands I. nach Deutschland kam, so ist doch die Entstehung dieser leichten Blankwaffe in jenem Land zu suchen, in welchem die Fechtkunst ihre ersten Anfänge hatte, in Italien; denn keine Waffe ist in ihrer Form so sehr auf die Geschicklichkeit in der Führung angewiesen wie der Degen. Aus dieser Ursache sehen wir auch auf den Faustschutz beim Degen weit mehr Sorgfalt verwendet als beim Schwert, ja Spanien, Italien, später auch die Niederlande und Frankreich rivalisieren im 16. und 17. Jahrhundert in ebenso komplizierten als raffiniert konstruierten Formen zur Erzielung eines ausgiebigen Faustschutzes. Die ersten Griffformen im 15. Jahrhundert stellen sich als Spangengriffe dar, mit langen, geraden Parierstangen anfänglich mit nur außen liegendem (einfachen), später mit beiderseits angeordnetem Parierring. Später kamen die Faustschutzbügel (pas d’âne) hinzu, welche, wie bereits erwähnt, tief herabreichten, um die Faust in der Parade mehr zu sichern. Mit diesen in Verbindung treten die Spangenkörbe auf mit oft bizarren Formen. Erst um Mitte des 16. Jahrhunderts und anfänglich nur bei italienischen Hofdegen erscheinen die Griffbügel, mit diesen zugleich die sogenannten Stichblätter, welche wir einseitig, öfter aber zweiseitig antreffen; sie sind mehr in Italien in Gebrauch. In allen diesen oft voneinander abweichenden Formen bekundet sich immer vonseiten des Verfertigers eine sorgsame Berechnung der Eventualitäten im Einzelgefecht.
Die Griffformen an Degen des 16. und 17. Jahrhunderts sind so mannigfaltig, einzelne dabei so kompliziert, dass es wünschenswert erscheinen muss, die häufigst vorkommenden derselben hier anzuführen und deren einzelne Teile zu benennen: 1. Degen mit einfacher Parierstange. — 2. Degen mit Parierbügeln (zwei nach abwärts gegen die Klinge zugerichtete gebogene Spangen; der Übergang zum Faustschutzbügel). — 3. Degen mit einseitigem oder zweiseitigem Parierring (ein an der äußeren oder an beiden Seiten an Mitteleisen befindlicher Ring, der bestimmt ist, den Hieb an der Parierstange aufzufangen). — 4. Degen mit einseitigem oder zweiseitigem Faustschutzbügel. (Er entsteht eigentlich nur aus einer Verbindung der Parierbügel durch eine gebogene Spange, die eigentlich den Zweck hat, den Hieb noch in angemessener Entfernung von der Faust parieren zu können.) Fig. 320. — 5. Degen mit ein- oder zweiseitigem doppelten Faustschutzbügel (eigentlich ein Faustschutzbügel vor dem anderen, die Form kommt seltener vor Augen.) — 6. Degen mit Griffbügel. 7. Degen mit Griffbügel und Spangen (der Übergang zum Korb). — 8. Degen mit Faustschutzbügel und Spangen (eine S-förmig gebogene Spange, gewöhnlich nur äußere, die von der Parierstange quer zum Faustschutzbügel herabreicht). — 9. Degen mit Faustschutz und einem oder zwei Parierknebeln (ein oder zwei Fortsätze, die, von der Parierstange oder vom Faustschutz etwas aufwärts gebogen, nach vorne zu reichen. Sie dienen zum Schutz der Knöchel; die Form ist ursprünglich mailändisch). (Fig. 321, 322.) — 10. Degen mit Stichblatt im Parierring (einfachste Vorkehrung, um sich gegen den Stich zu schützen). (Fig. 323). — 11. Degen mit Stichblatt am Faustschutzbügel (ein meist durchbrochenes eiförmiges Blechstück, das am unteren Teil des Bügels haftet und nach aufwärts reicht (ihre Bestimmung ist, den Stich schon in gewisser Entfernung von der Hand aufzunehmen). — 12. Degen mit halbem oder ganzem Korb (entweder Spangenkorb, durchbrochenem Korb aus Blech oder Drahtkorb. Man unterscheidet den runden, tellerartigen Korb, vom Scheibenkorb und vom geschwungenen). Zieht man nun die Kombinationen dieser einzelnen Vorrichtungen in Rechnung, so kann man sich nur nach dem hier gegebenen Schema die zahllosen Varianten in den Griffformen vorstellen.
Fig. 320. Degen aus geschnittenem Eisen, teilweise vergoldet und tauschiert. Der Griff enthält Parierstange, Parierbügel, einfache Faustschutzbügel und geschweiften Griffbügel. Kaiserliche Waffensammlung zu Zarskoë-Selo.
Fig. 321. Degen Karls V. aus geschnittenem Eisen mit Verzierungen in Goldtausia. Die flache Klinge ist in Hochätzung ausgestattet und enthält den Kalender des Jahres 1530, ferner die Inschrift „Carolus Romanorum semper vltra 1530. Ambrosio Gemlich de Monaco etc.“ Der Griff besteht aus geschwungenen Parierstangen als Übergang zum Griffbügel, Parierbügeln und einem Parierknebel.
Der Degen erscheint am Beginn des 15. Jahrhunderts zuerst an spanischen und einigen italienischen Fürstenhöfen, wo er überhaupt den Dolch ersetzte; weit später, im 16. Jahrhundert, taucht er als Haudegen unter den leichten spanischen und italienischen Reitergeschwadern auf. Hier erhält er auch eine oft übertriebene Klingenlänge. Ist die Klinge des Degens einschneidig und nur an der Spitze zweischneidig, dann bezeichnet man sie als Haudegenklinge; ist sie zwei-, drei- oder vierschneidig, als Stoßdegenklinge. In einer Herausforderung des Hans von Degenfeld (1464) erscheint die Bezeichnung „pratspieß“; damit ist nicht eigentlich ein Degen, sondern ein Pörschwert gemeint.
Degen mit breiteren zweischneidigen Klingen werden zuweilen, wiewohl fachwidrig, als Haudegen bezeichnet. Sind die Klingen sehr schmal, pfriemenartig und nicht sehr oder gar nicht federkräftig, dann nannte man sie Stecherklingen; sehr biegsame aber Rappierklingen, besonders dann, wenn sie in breite Körbe gefasst waren.
Fig. 322. Degen aus geschnittenem Eisen und reich vergoldet. Der Griff besteht aus einer gebogenen, in den Griffbügel übergehenden Parierstange, Parierbügeln und zwei Parierknebeln. Italienisch. Zweite Hälfte 16. Jahrhundert. Kgl. hist. Museum in Dresden.
Fig. 323. Degen aus geschnittenem Eisen. Der Griff besitzt ein Stichblatt im Parierring und zwei Parierknebel. Italienisch. Zweite Hälfte 16. Jahrhundert. Kgl. hist. Museum in Dresden.
Mit der Bezeichnung stocco verstand der Italiener anfangs nur jene Stecher oder Stoßdegen, deren Klingen vollständig unbiegsam waren, im Gegensatz zur puma, womit eine biegsame Klinge bezeichnet wurde. Diese letztere Bezeichnung übertrug sich auch in die deutsche Sprache, indem man professionelle Degenfechter Federfechter nannte. In späterer Zeit erhielt das italienische Wort stocco, wie das französische estoc einen etwas erweiterten Begriff dadurch, dass er sich nun auf alle Degenformen ausdehnte. Um 1560 wird das Tragen von Degen auch im Fußvolk Sitte. Im ganzen südlichen Europa wird nun der Degen zur Kavalierswaffe, nebenher zum unzertrennbaren Begleiter für alle Glücksritter, Abenteurer und Raufbolde. In dieser Sphäre erhält er eine charakteristische Form als Raufdegen mit kurzer Handhabe, halbkugelförmigem, durchbrochenem Blechkorb und Parierstange. Derlei Sorten kamen in der Mehrzahl aus Sevilla und Brescia. (Fig. 324.) Beim Fechten bediente man sich dabei auch des sogenannten Parierdolches der Linkhand, welcher, in der linken Hand geführt, hauptsächlich zum Parieren des gegnerischen Ausfalles diente1. Einen solchen Dolch werden wir an entsprechender Stelle beschreiben. Aus dem Raufdegen entwickelte sich jene erst im spanischen Stiergefecht gebrauchte Waffe, der sogenannte Matadordegen, mit langer, unbiegsamer Stecherklinge, kurzem Griff, langer Parierstange und mit rotem Stoff umwickeltem Griffbügel, der bei dieser Volksbelustigung in ganz gleicher Form noch heute gebraucht wird.
Abgesehen von diesen besonderen praktischen Verwendungen wurde der Degen schließlich ein Zubehör der Hoftracht und verlor in dieser Eigenschaft allgemach seine Bedeutung als Waffe. Er wird zum Attribut einer Würde, zu einem äußeren Abzeichen für eine im Staat hervorragende Rangklasse und ist in seiner Ausstattung als Zierstück nur noch vom kunstgeschichtlichen Gesichtspunkt aus zu würdigen.
Beim Degen des 16. Jahrhunderts mit herabreichendem Faustschutzbügel (Fig. 325) besitzt die Angel eine derartige Länge, dass sie noch bis an das Ende der Bügelringe hervorragt. Dieser sichtbare Teilansatz, wird, wie wir schon im Abschnitt „Das Schwert“ bemerkten, dazu verwendet, um die Marken der Meister und die Zeichen der behördlichen Beschau darauf einzuschlagen. An diesem Punkt ist somit der Degen bezüglich seiner Herkunft vorerst zu betrachten. Die besten Degenklingen kamen in jener Zeit aus Toledo, Sevilla, Mailand, Serravalle, Brescia und aus Solingen. Die behördlichen sowie die hervorragendsten Marken der Meister werden wir am Schluss dieses Werkes zur Kenntnis bringen. Je geringer der Querschnitt einer Klinge ist, desto mehr Sorgfalt ist bezüglich ihrer Brauchbarkeit auf die Fertigung zu legen. Toledaner Klingen standen darin anfänglich in bedeutendem Ruf, sie wurden, um ihre unübertreffliche Elastizität zu demonstrieren, auch kreisförmig eingebogen in den Handel gebracht. Am Ende des Jahrhunderts hatten aber die Belluneser und Brescianer Werkstätten ihre Rivalen in der Güte der Klingen erreicht, ja teils überflügelt, denn diese erzeugten nun Klingen von vollständiger Güte, dabei aber von so fabelhaft geringem Gewicht, als seien sie aus Holz gefertigt. Die berühmten Belluneser Schwertfeger Ferrara versendeten um 1560 ihre Klingen gleichfalls in eingebogenem Zustand.
1In Ermangelung eines Parierdolches umwickelte der Spanier im Zweikampf auch wohl die linke Hand mit dem Mantel und vollführte mit dieser die Paraden.
Fig. 324. Fechtdegen. Der Griff aus geschnittenem und durchbrochenem Eisen besitzt lange Parierstangen, Griffbügel und einen vollen (schalenförmigen) Korb. 17. Jahrhundert. Italienisch.
Berühmt sind die Degenklingen mit Giftzügen geworden, in welchen zuerst die Mauren, später die Spanier ihre ungemeine Geschicklichkeit im Schmieden des Eisens bewiesen1. Wir haben bereits erwähnt, dass schon im 11. Jahrhundert sich deutliche Spuren von dem Bestreben zeigen, die Klinge dadurch zu erleichtern, dass man sie durchlöcherte; nun aber wurde diese Kunst mit einer Geschicklichkeit weitergebildet, die alles Staunen erregt, denn nun werden die Klingen mit tiefen Rinnen und hohen scharfen Rippen ausgestattet und nicht nur letztere, sondern auch nach der Quere die Rinnen unzählige Male derart durchlöchert, dass die Klinge selbst von allen Seiten betrachtet durchsichtig erscheint. Auch diese eminente Fertigkeit hatten die Mailänder und Brescianer den Spaniern bald abgelauscht, sie fertigten schon um 1560 die kunstreichsten Giftzugklingen. In dieser Kunsttechnik treten auch häufig Dolchklingen auf. Schon auf den ältesten Degenklingen findet man und zwar meist in den Blutrinnen die Namen der Meister in einer ganz eigenen lateinischen Majuskelschrift eingeschlagen, die für den Ungeübten oft schwer oder gar nicht zu lesen ist, umso mehr als Verwechselungen von Buchstaben nicht selten vorkommen. Der dekorative Abschluss von derlei Klingeninschriften, zumeist eine ankerähnliche Figur darstellend, wird häufig, aber irrig als Marke des Meisters angesehen. Nebst den Meisternamen finden sich auch Sinnsprüche wie: IN DIO · SPERAVI, VIVE · LE · ROY und dergleichen. Auf späteren französischen Klingen des 17. Jahrhunderts lesen wir häufig den Mahnspruch: „Ne me tirez pas sans raison, ne me remettez pas sans honneur“. etc.
1Die Behauptung, dass diese Durchlöcherungen dazu dienten, um einen Giftstoff, in welchen die Klinge getaucht wurde, in dieser aufzunehmen und wirksam zu erhalten, ist, wenigstens für den Kriegsgebrauch, nirgends zu erweisen. Überhaupt gehören die meisten Erzählungen von vergifteten Klingen ins Gebiet der Romantik.
Fig. 325. Degen mit Griff aus geschnittenem Eisen, teilweise vergoldet. Letzterer besteht aus geraden Parierstangen, aus einem vom Parierring aufgeschwungenen Griffbügel und doppeltem Faustschutzbügel (pas d’âne).
Als Zierwaffe ist der Degen stets der beliebteste Gegenstand für eine künstlerische Ausschmückung gewesen und es haben sich da noch Beispiele erhalten, welche zu den bedeutendsten Werken des Kunsthandwerks zählen.
Bedeutende Künstler und Kunsthandwerker lieferten Zeichnungen für Degen, so Hans Mielich, Polidoro da Caravaggio, der Lothringer Pierre Woëiriot u. a. Von letzterem ist eine Serie ausgezeichneter Kupfertafeln 1555 erschienen.
Herrlich ausgestattete Degengriffe in Eisenschnitt, mit Email und Tausia geziert, lieferte Spanien, die schönsten aber Mailand und Florenz.
Fig. 326. Kleiner Hofdegen mit Griff aus Bergkristall. Die Fassung aus vergoldetem Silber ist mit Edelsteinen besetzt. 17. Jahrhundert.
Fig. 327. Kleiner Hofdegen, auch als Zierwaffe auf der Jagd gebraucht. Der Griff ist mit Perlmutter belegt, die Fassung ist aus vergoldeter Bronze, die Klinge zeigt feine Ätzungen. Französisch. 17. Jahrhundert.
Noch am Ende des 17. Jahrhunderts erblicken wir Hofdegen mit Griffen in geschnittener Eisenarbeit von hoher künstlerischer Ausführung (Fig. 326, 327). Mittlerweile aber hatte sich, von Frankreich ausgehend, eine Schablone herausgebildet, die nun in allen Ländern sich verbreitete. Sie ist allerdings einfach genug, es ist der moderne Degengriff aus gegossenem Messing mit eiförmigen Stichblättern und Griffbügel.
Im 18. Jahrhundert, in welchem sich alles verzierlichte, treten uns die Hofdegen aus geschliffenem Blankstahl vor Augen. Simple Facettierung ohne jeden Kunstwert, die relativ hübschesten erzeugte man in Paris. In dieser Form und als blau angelaufener Trauerdegen lebt sich heute diese Waffe aus. Der Degen gleich dem Schwert wurde im 16. Jahrhundert an einem schmalen Riemen um die Mitte des Leibes getragen, von welchem an der rechten Seite, an einem Ring befestigt, eine dreiseitige sogenannte „Tasche“ herabhing, die aus einer Anzahl von Riemen und Schnallen bestand, in welcher die Waffe steckte. Ein weiterer schmaler Riemen lief vorne von der Tasche gegen den Leibriemen, sodass die Waffe in einer schiefen Lage hing. Erst im 17. Jahrhundert kamen die Bandeliere auf, welche über die rechte Achsel getragen wurden; die Waffe stak anfänglich in einer ganz ähnlichen, mit dem breiten Bandelierriemen verbundenen Tasche. (Fig. 328.)
Im Orient hat der Degen zu keiner Zeit Eingang gefunden. Aus dem alten Pörschwert des 14. und 15. Jahrhunderts, das die Bestimmung hatte, die Maschen des Panzerhemdes zu durchstoßen, entwickelte sich der Panzerstecher mit pfriemenförmiger aber sehr langer Klinge, der gewissermaßen als der Vorläufer des allerdings weit leichteren Degens zu betrachten ist. Selbstständig entwickelt sich der orientalische Panzerstecher (Fig. 329), der sich hauptsächlich durch seine Fassung unterscheidet, sonst aber die gleiche Bestimmung hatte. Der orientalische Panzerstecher, den wir bei den Arabern, Persern und Türken bis ins 17. Jahrhundert antreffen, war immer ein Bestandteil der Pferderüstung und wurde auch hinter dem linken Sattelblatt versorgt. Außerdem führte der Mann den Säbel.
Fig. 328. Degenkuppel mit Tasche aus gesticktem Samt und Beschlägen aus vergoldetem Eisen. Ende 16. Jahrhundert. Kgl. hist. Museum in Dresden.