Gegenüber den Eisenschwertern der vorrömischen Eisenzeit erscheinen diejenigen des ersten Mittelalters technisch ungleich höherstehend. Man setzt den größten Stolz in Klingen von größter Zähigkeit und Durchschlagskraft und weiß dies durch vielfaches und sorgfältigstes Ausschmieden des Eisens in vorher nie gekannter Weise zu erreichen. Höher als andere Schätze oder äußerlichen Schmuck am Schwert selbst galt dem Kriegsmann der Besitz eines Schwertes, dessen Klinge unverletzt jede Brünne durchhieb. Die alten Heldensagen verherrlichen derlei Schwerter, ihren Schmied und ihren Träger; sie berichten von Klingen, die so scharf waren, dass sie schwimmende Wolle durchschnitten und den schwer gerüsteten Gegner mitten auseinanderhieben.
Wie die späteren Damaszenerklingen, zeigen bereits in dieser Epoche einzelne Schwerter „wurmbunte“ Klingen, d. h. Eisen, dessen Fäden vielgewunden durcheinanderlaufend verschmiedet waren; es sind
die „Wurmklingen“, die „Wurmschwerter“. Man hat solche in Merowinger- wie Frankengräbern gefunden und sie werden sogar ausdrücklich erwähnt in dem Brief Theoderichs des Großen an den
Vandalenkönig Thrasamund (um 520), worin diesem für eine Sendung Waffen gedankt wird, „deren Klingen blank wie der Spiegel und mit schönen Vertiefungen, wie mit kräuselndem Gewürm, geziert
seien“.
Die Wertschätzung derartiger Schwerter brachte eine gewisse Verehrung derselben mit sich — man gab ihnen Namen und um ihren Besitz wurde gestritten und gerungen. Siegfrieds Schwert hieß
bekanntlich „Balmung“. Rolands Schwert, von Schmied Madelger von Regensburg gearbeitet, „Durandel“, war ebenso berühmt. Königs Artus Schwert, auf der Insel Avalon geschmiedet, hieß „Caliburn“:
Richard Löwenherz soll es später besessen haben. Karls des Großen Schwert hieß „Joyuse“ („Joyeuse“; ebenso „Shoyuse“ dasjenige des Wilhelm von Oranse). Das Schwert Turpins trug den Namen
„Almance“; jenes von Ganelon „Mulagir“ und das des Mohrenkönigs Paligan „Preciose“.
In karolingischer Zeit vollzieht sich nun insofern eine Wandlung, als die erwähnten oberen und unteren Abschlüsse des Schwertgriffes nicht mehr mit dessen Holzteilen durch Stifte verbunden
werden, sondern den Holzgriff einfach dadurch festhalten, dass man ihn auf die kurze Parierstange aufsetzt und durch scharfes Aufzwingen der Knaufteile in seiner Lage festhält.
War bisher die Parierstange mehr eine Art schmächtigen Stichblattes, so nimmt sie nun mehr den Charakter der eigentlichen Parierstange an. Sie verliert ihre länglich-ovale Grundform und erhält
mehr die Form einer starken soliden Eisenbarre. Gleiches gilt für die Platte, auf welcher der kleine Knauf sitzt und ebenso für diesen selbst, denn auch er nimmt an Stärke und Größe zu. Er wird
nun direkt an diese Platte angeschweißt und zeigt uns damit den Schwertknauf in einer neuen Phase. So präsentiert sich uns der Schwert-Typus, dessen Klinge im Vergleich zu demjenigen der
Merowingerzeit nach vorn etwas stärker verjüngt erscheint. Gegenüber der Spatha der Merowingerzeit hat dies Schwert eine etwas größere Länge; es erreicht 95 cm, also nahezu Meterlänge. Seine
ganze Form, vor allem auch das gar nicht zum Stoß geeignete Klingenende, lassen erkennen, dass dieses Schwert ebenso wie das der Merowingerzeit noch ausgesprochene, ja fast ausschließliche
Hiebwaffe war.
Das romanische Schwert zeigt zwei Phasen der Entwicklung, eine ältere und eine jüngere. Die ältere, dem 11. und 12. Jahrhundert angehörige, schließt sich eng an das Karolingerschwert, zeigt aber
verbreiterte Parierstange und anstelle des mehrfach gegliederten Knaufes oder einen aus einem einzigen Stück Eisen geschmiedeten Knauf von Halbkreisform. Auf der Klinge dieser Typen
erscheinen nicht selten eintauschiert die Namen der Waffenschmiede, besonders VLFBERH+T und INGELRED.
Die jüngere Phase dieser Schwerter, der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts angehörig, setzt mit der weiteren Umbildung am Knauf ein, indem die bisher geradlinige Basis des Knaufes nach aufwärts
gekrümmt wird und dadurch der halbkreisförmige Längsdurchschnitt Linsengestalt annimmt. Da aber mit dieser Änderung eine Verminderung des Knaufkörpers und damit des Knaufgewichtes verbunden
gewesen wäre, andererseits aber gerade in dieser Zeit die Tendenz zur weiteren Verstärkung des Knaufgewichtes vorlag, hat man diese letztere Absicht durch allseitige Verbreiterung des Knaufes zu
erreichen versucht. So erhält der linsenförmige Knauf des 12. und 13. Jahrhunderts allmählich immer ausgeprägtere Pilzform.
Das erhöhte Gewicht des Knaufes steht im Zusammenhang mit der allem Anschein nach in derselben Zeit zum Durchbruch gelangten Erkenntnis, dass der schwere Knauf wie eine Art Hebelgewicht der Klinge ein Gegengewicht bot und damit beim Hieb dessen Wucht verstärkte. Dieses Gegengewicht war natürlich umso wirksamer, je leichter die Klingenspitze ausgestaltet war. Auch dieses Verhältnis müssen die Waffenschmiede jener Zeit erkannt haben, wie die fortschreitende Verschmälerung der vorderen Klingenhälfte nahelegt.
Die Griffangel ist in der Zeit vom 11. und 12. Jahrhundert gegenüber derjenigen des Karolingerschwertes wenig verändert und misst anfangs, wie früher, an innerer Griffweite zwischen 8 und 9 cm.
Dagegen zeigt die Parierstange ganz wesentliche Fortbildung; sie wird immer länger, ein deutliches Zeichen, dass man ihren Wert als Mittel zum Auffangen von Hieben voll erkannt hatte. Maß ihr
Vorsprung über die Klingenbreite hinaus in karolingischer Zeit kaum 1—2 cm, so verlängert er sich nun allmählich immer mehr. Im 11. Jahrhundert beträgt jenes Übergreifen bereits je 3—4 cm; im 12.
und 13. Jahrhundert steigt es allmählich auf 5 und 6, schließlich bis auf 8 cm und erreicht die Parierstange eine Totallänge von ungefähr 20 cm. Meine Messungen an zahlreichen unrestaurierten
Schwertern haben für die verschiedenen Jahrhunderte folgende Durchschnittslängen der Parierstangen ergeben:
Merowinger Spatha ca. 6. Jhd. ca. 6—9 cm.
Karolinger Spatha ca. 9. Jhd. ca. 7—10 cm.
Frühromanisches Schwert ca. 11. Jhd. ca. 10—12 cm.
Spätromanisches Schwert ca. 12. u. 13. Jhd. ca. 15—22 cm.
In diesen Zahlen kommt deutlich die Tendenz zum Ausdruck, die Parierstange so stark als es möglich war, d. h. ohne, dass durch die große Länge die Handhabung behindert war, zu verlängern.
Zweifellos sah man in dieser Verlängerung einen erhöhten Schutz der fechtenden Hand und selbst des Armes.
Die völlig veränderte Schwertform der spätromanischen Zeit lässt auf eine veränderte und ich glaube sagen zu dürfen entwickeltere Fechtkunst schließen. Wenn wir die Heldengedichte des ersten Jahrtausends durchmustern, sehen wir, dass das Schwertgefecht jener Helden meist nur in einem bloßen gegenseitigen Aufeinanderloshauen und -loshacken bestand, wo eben zumeist derjenige Sieger blieb, welcher die beste Brünne, den solidesten Helm und den widerstandskräftigsten Schild besaß. Im Einklang damit steht die durch all diese Heldengedichte jener Zeit wie ein roter Faden sich durchziehende, fast abergläubische Verehrung besonders widerstandsfähiger Schutzwaffen. Das Schwert ist in jener Zeit, wie schon gesagt, ausschließlich Hiebwaffe und war dies bis ungefähr ins 11. Jahrhundert. Tatsächlich zeigt die anno 1066 entstandene Tapete von Bayeux unter den vielen Schwertkämpfern keinen, der sein Schwert gegen eine Brünne zum Stoß führt; stets nur holt er damit zum Hieb aus.
Ein etwas anderes Bild zeigt uns der in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts im Elsass entstandene Hortus deliciarum der Äbtissin Her- rad von Landsberg. Auch dort ist das Schwert in der Hauptsache noch Hiebwaffe und spaltet Helm und Brünne, aber bereits auch erscheinen einige Gewappnete, welche sich des Schwertes als Stoßwaffe bedienen. Von da an wird es in dieser letzteren Eigenschaft immer häufiger. Allem Anschein nach — dafür sprechen sowohl die Abbildungen, wie die Formen des Schwertes selbst — datiert erst ungefähr aus der Zeit zwischen dem 12. und 13. Jahrhundert eine eigentliche Schwertfechtkunst. Es ist eben die Zeit, wo das Schwert sich aus der reinen Hiebwaffe zu einer Waffe für Hieb und Stoß entwickelt. Das konnte auch erst mit dem Moment geschehen, wo das Schwergewicht der Klinge von ihrer vorderen nach der hinteren, nach der Griffhälfte verlegt wurde, und wo Knauf und Parierstange sich der neuen Form und der neuen Fechtweise anpassten.
Das gotische Schwert baut sich vollkommen auf dem eben geschilderten auf. Es sucht neue Verbesserungen und bietet deshalb mancherlei Umgestaltung. Gleichzeitig aber zweigen sich aus der gegebenen
Stammform allerlei selbstständig sich weiterbildende Spezialformen ab, welche besonderen Zwecken zu dienen hatten und verschieden waren für die verschiedenen Arten des Kampfes, verschieden für
den Kampf zu Fuß und den zu Ross, verschieden für Parade und verschieden für die mancherlei Gattungen des Waidwerkes.
Der dadurch geschaffene Formenreichtum wurde noch vermehrt durch Zwitterformen, welche infolge Neuverwendung alter Klingen entstanden. Man versah alte Klingen mit neuen und schweren Knäufen und
wohl auch noch mit neuen breiten Parierstangen. Nicht selten begegnet man derartigen Waffen und sie bilden oft genug das Kopfzerbrechen von Sammlern und Museumsdirektoren. Wo es sich um Schwerter
handelt, welche dergleichen Umformungen in alter, nicht erst in neuerer Zeit infolge schlechter Ergänzung, erfahren haben, darf man sie wohl als ausrangierte Ritterwaffen bezeichnen, welche
geringem Fußvolktruppen, dem Tross und den Bauern des 14. und 15. Jahrhunderts als Wehr zugewiesen waren.
Von diesen wenig charakteristischen Exemplaren sticht das ritterliche Schwert des 14. Jahrhunderts als eine sich durch Schönheit und Kraft der Form auszeichnende Waffe vorteilhaft ab.
Es hat abermals Verlängerung erfahren. Die Klinge ist an der Wurzel verbreitert, die Parierstange verstärkt und der Knauf noch schwerer geworden. Ganz besonders wichtig und beachtenswert ist aber
die um 1300 einsetzende und im 14. Jahrhundert immer greifbarer gewordene Verlängerung des Griffes: Nachdem man den Wert eines schweren Knaufes als Gegengewicht zur Schwere der Klinge erkannt,
geht man einen Schritt weiter und erhöht durch Verlängerung des Griffes die Hebelkraft des Knaufes. Wie sehr der Waffenschmied bei der Berechnung der Größenverhältnisse mit dieser Hebelkraft
rechnet, geht aus der Beobachtung hervor, dass je größer und schwerer die Klinge, je größer und schwerer stets auch der Knauf ist. — Dieser geht allmählich aus der Pilz- oder Linsengestalt in
eine abgeflachte Kugel über — in eine liegende, gedrückte Ovalkugel oder in den regelrechten Rundknauf, der seinerseits dann wieder senkrecht gestreckt wird und allerlei Varianten erlebt.
Das Schwert dieser Zeit geht auf Hieb wie Stoß, ist aber im 14. Jahrhundert noch mehr Hieb- als Stoßwaffe. Wie ehedem Brünnen, ist jetzt seine vornehmste Aufgabe das Durchhauen der Plattenpanzer und Eisenhüte.
+ CHVNRAT •VIL •VERDER • SHENKE „Konrad viel werter Schenke
+ HIE • BI • DV • MIN • GEDENKE • Hierbei Du mein gedenke
+ VON • VINTER • STETEN • HOHGEMVT Von Winterstetten hochgemut
+ LA • GANZ • DEHAINE • USENHVT. Lass ganz keinen Eisenhut.“
So steht auf dem, dem Conrad Schenk von Winterstetten (1209—1243) zugeschriebenen, vielleicht zu dessen Andenken gefertigten Schwert im Dresdener Johanneum61. Um 1400 hat sich das Schwert dann
aber zu einer Waffe ausgebildet, die gleichmäßig für Hieb wie Stoß berechnet ist.
In der Folgezeit zeigt sich nun eine merkwürdige, aber gerade in der Entstehungsgeschichte der Waffen öfters zutage tretende Erscheinung. Statt weiterhin im Schwert Hieb- und Stichwaffe
gleichmäßig zu vereinigen, schafft man zwei getrennte Arten, die eine mehr Hiebwaffe, die andere mehr dem Stoß dienend. Es entstehen derart zwei oder vielmehr drei Gruppen von Schwertern. Die
eine ist ganz auf den Stoß, den Stich eingerichtet, die andere mehr oder weniger ausschließlich auf den Hieb berechnet; die dritte endlich bewegt sich zwischen beiden Gattungen, d. h. hält die
alte Tradition, beiden Zwecken zu dienen, aufrecht.
Es ist interessant, hier, wo das Schwert seine Einheit verliert, sich, wie oben erwähnt, in zahlreiche Abarten verästelt, einen Rückblick zu werfen auf das Bild, welches sich uns bietet bei
Betrachtung des Verhältnisses zwischen Hieb- und Stoßeigenschaft des Schwertes im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende:
Wir sahen es zur Steinzeit als Dolch ein Urstadium durchleben und in der ersten Metallzeit als Kurzschwert auftreten, als eine anfänglich ganz nur dem Stoß dienende Handwaffe. Wir sahen dann, wie diese allmählich auch dem Hieb angepasst und später gleichzeitig Hieb- und Stoßwaffe wird; wie sodann in der Eisenzeit die Spatha immer ausschließlicher zur reinen Hiebwaffe sich ausgestaltet. Die Völkerwanderungs- und Karolingerzeit verraten eine direkte Übernahme und Weiterbildung der von der vorrömischen Eisenzeit vorgezeichneten Traditionen. Erst in der romanischen Epoche tritt dann der Wunsch nach einem auch dem Stich dienenden Schwert wieder intensiver hervor und die Gotik trägt dieser Tendenz durch Schaffung einer Schwertwaffe Rechnung, welche wieder gleichmäßig für Hieb und Stich geeignet ist. Mit der Spätzeit der Gotik beginnt dann das nebeneinander Vorkommen der verschiedensten Schwerttypen, sodass von dort an das Bild sich zersplittert. — Der ganze Entwicklungsgang, speziell das Auf- und Niederwogen des Verhältnisses zwischen Hieb- und Stoßeigenschaft, ergibt in Prozent Ziffern und Kurven ausgedrückt die folgende nicht uninteressante Tabelle:
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Quelle des Textes und der Bilder:
Die Schwerter und Schwertknäufe der Sammlung von Schwerzenbach
Einblick ins Buch hier.
Sprache: Deutsch
ISBN: 9783748539810
Format: Taschenbuch
Seiten: 252
Erscheinungsdatum: 05.05.2019
Ladenpreis: 24,95 Euro