Beachtenswert sind die Größenverhältnisse dieser Schwerter, insofern nämlich, als sie einen plötzlichen Stillstand der seit eineinhalb Jahrtausenden beobachteten Tendenz zur Verlängerung der Klingen anzeigen. Das Metermaß der großen Hallstattschwerter geht beim Frühlatène-Schwert fast plötzlich auf einen Durchschnitt von ca. 80 cm herab. Das Mittellatène-Schwert setzt dann allerdings wieder mit einer Erhöhung der Länge ein und ergibt einen Durchschnitt von ca. 80—90 cm, den auch das, wenigstens nur unmerklich längere, Spätlatène-Schwert behält.
Die großen Veränderungen, welche das La-Tène-Schwert mit sich bringt, sind wohl nicht zum geringsten Teil der verbesserten Schmiedetechnik und der besseren Kenntnis der Eigenschaften des neuen
Metalls zuzuschreiben. Man hat seine größere Zähigkeit erkannt und schmiedet die Griffangel bloß noch als schmale, aber vollauf genügende Zunge. Man hat die Federkraft des geschmiedeten Eisens
entdeckt und schmiedet die Klingen deshalb dünner. Das Schwert wird dadurch handlicher, die Handhabung leichter. Die Biegsamkeit ging bei vielen Klingen soweit, dass man sie spiralförmig
aufrollen oder drei- bis viermal zusammenbiegen konnte, ohne dass sie brachen. Beweis: die in den Graburnen der Latènezeit mehrfach bald gerollt, bald zusammengebogen gefundenen Schwerter.
Noricum war besonders berühmt für seine feuersprühenden Schwerter. „Das norische Schwert stellt der römische Dichter als Schreckenswerkzeug direkt neben die Sturmbrandung des Meeres, neben Blitz
und Donnerschlag“. Norisches Eisen ist nach Ovid „härter als unerwiderte Liebe“. Solche Schwerter waren es auch, welche die gallischen und germanischen Reitertruppen führten, wie sie Caesar und
seine Nachfolger als Söldner in Dienst nahmen.
Hier gliedert sich nun chronologisch, aber nicht typologisch, der römische Gladius ein. Er stellt, wie das La-Tène-Schwert die zisalpine Umbildung des Bronze- und Hallstattschwertes ist, die
transalpine Umbildung des altitalischen und altspanischen Kurzschwertes dar („Gladius Hispaniensis“). Die Klinge hat eine dem La-Tène-Schwert durchaus verwandte Griffangel, ist aber wesentlich
kürzer; 60 bis 75 cm . Die Spitze ist leicht verstärkt. Auch hier ist das Eisen häufig mit Fabrikstempeln versehen. Der Griff des Gladius zeigt ein auf die ca. 18 cm lange Angel aufgestecktes
Gehäuse, meist aus Holz, Knochen oder Elfenbein, dessen Querrippung, Knauf und vorderer Abschluss der Hand festen Halt sicherten. Die Tragweise ist noch die der älteren Schwerter, an einem
Lederriemen, von der linken Schulter nach der rechten Hüfte (der Dolch dagegen auf linker Seite an einem Gürtelriemen hängend). Die Standartenträger machten hiervon eine Ausnahme, indem sie das
Schwert links, den Dolch rechts führten; doch gilt natürlich auch hier, „keine Regel ohne Ausnahmen“.
Lange war das „gallische Schwert“ der Schrecken der Römer. Wenn trotzdem der römische Gladius über die gallische und die germanische Spatha triumphiert hat, so lag das hier wohl weniger an der
besseren Waffe, als an der besseren Taktik und nicht zum geringsten wohl an der größeren Übung und Kunst der römischen Truppen im Schwertgefecht. Den Vorteilen einer längeren Klinge konnten sich
aber auf die Dauer auch die Römer nicht verschließen und je mehr diese mit gallischen und germanischen Truppen in Fühlung kamen, desto mehr bürgerte sich auch im römischen Heer der späten
Kaiserzeit, speziell bei der Reiterei, die Spatha ein.
Mit dem Emporwachsen der Völkerwanderungszeit und dem Überhandnehmen der germanischen Kultur verliert sich der Gladius vollends — an seine Stelle tritt das germanische Langschwert, die Spatha; an
die Stelle des römischen Dolches tritt der Scramasax, das Hiebmesser.
Der Scramasax ist, wie schon sein Name andeutet, aus dem Sax, dem Messer, entstanden, wie dieses nur einschneidig. Sein Urahn geht zurück bis in die Bronzezeit, wo große Bronzemesser mit geschweiften Klingen ein Mittelding zwischen Gerät und Waffe darstellen. Zur Hallstattzeit werden diese Messer auch aus Eisen geschmiedet; sie nehmen an Größe zu, werden wie Dolche montiert und in Scheiden getragen. Gegen Ende der Hallstatt- und in der frühen Latènezeit haben sie eine Länge von 60—100 cm erreicht, sind förmliche Säbelmesser, Säbelschwerter geworden. — In der Folge verliert sich die Schweifung der Klinge, sie wird geradlinig und der Scramasax der Völkerwanderungszeit und des Frühmittelalters ist fertig.
Noch im 10. Jahrhundert wird in Eckhards I. „Waithanus manu fortis“ des Scramasaxes als Hiebwaffe neben dem Schwert gedacht:
„Gürtet die Hüfte links mit dem doppelschneidigen Schwerte.
Und nach pannonischem Brauch die rechte zugleich mit dem zweiten,
welches mit einer Seite nur schlägt die tödlichen Wunden“.
Es ist aber beachtenswert, dass das Tragen des Sax in dieser Zeit schon als ein fremder, pannonischer Brauch gilt — ein Beleg, dass im 10. Jahrhundert der Hiebsax im Westen abgekommen und nur im
Osten noch allgemein üblich war. Das bestätigt auch das vorhandene Material an Originalen. In den Gräbern der Alemannen, Franken und Merowinger ist der Sax überaus häufig, fast ständige Beigabe
aller Kriegergräber. Er kommt dort in allen Längen, vom kurzen Hiebmesser bis zum langen Hiebschwert vor. Von der Karolingerzeit ab wird er im Westen äußerst selten. In Osteuropa dagegen hat er
eine lang dauernde Nachkommenschaft gezeitigt und die langen Hiebmesser, Handschar und wie man sie sonst noch heißt, der Bosnier und Illyrier, der Türken und der übrigen Orientalen gehen
tatsächlich zurück auf den frühmittelalterlichen Scramasax resp. auf das lange Säbelmesser der Latène- und Hallstattzeit; die Schweifung der Klinge und der breite Griffabschluss haben sich bis
heute an jenen orientalischen Säbelmessern fort erhalten.
Mit dem Aufkommen des Rittertums ist der Langsax aus der ritterlichen Bewaffnung völlig verschwunden. Der kurze Sax ist zum Dolch geworden und begleitet Schwert und Lanze; der Langsax ist zur
Bauernwaffe degradiert. Als bäuerliche Waffe sehen wir ihn im 14. und 15. Jahrhundert in Form langer, einschneidiger Hiebmesser als „gotisches Bauernschwert“ wiederkehren. Der Griff ist
beidseitig mit angenieteten Horn- oder Holzplatten belegt, ganz nach Art der vorrömischen Bronze- und Eisenschwerter. Im 15. und 16. Jahrhundert sehen wir dann das Bauernschwert als bald kürzere,
bald längere Bauernwaffe häufig in Handzeichnungen, Holzschnitten und Kupferstichen jener Zeit, so im „Mittelalterlichen Hausbuch“, bei Albrecht Dürer, bei Hans Sebald Beham, Daniel Hopfer und
anderen Meistern abgebildet.
In gleicher Form, aber kürzer, dient der Sax und er existiert weiter durch das ganze Mittelalter als Jagdmesser. Er erscheint in dieser Eigenschaft an den Hüften der Jäger des 15. und 16.
Jahrhunderts, daraus sich dann der Hirschfänger der folgenden Jahrhunderte entwickelt hat.
Auch das gotische Malchusschwert, französisch Coutelas, Braquemart oder Fauchon, ist ein Abkömmling von La-Tène-Säbelschwert und Scramasax, jedoch wohl kein direkter Nachkomme, sondern eine aus
dem Osten vom orientalisch-mittelalterlichen Säbelschwert übernommene und im Westen gotisierend umgeformte Waffe. Dem entspricht auch der Umstand, dass die Zeichner des 14. und 15. Jahrhunderts
das Coutelas besonders in jenen Kriegerdarstellungen zur Verwendung bringen, wo sie Szenen aus der Geschichte des Orients, überhaupt entfernter Länder und entlegener Zeiten abbilden. Ich erinnere
an die Handzeichnungen aus dem Trojanischen Krieg der mittelalterlichen Handschriften Nr. 973 und 998 des Germanischen Museums und an die gleichfalls den Trojanischen Krieg darstellenden, von Dr.
Schumann 1898 veröffentlichten spätgotischen Entwürfe zu flandrischen Wandteppichen; ich erinnere außerdem an meine spätgotische Pergamentminiatur mit der Darstellung von David und Goliath, wo
letzterer neben anderer ziemlich fantastischer Ausrüstung auch mit einem breiten Coutelas bewehrt erscheint.
Zweifellos hat das Coutelas bei uns als Kriegswaffe nie eine Rolle gespielt; wo es getragen wurde, war es mehr Zier- und Prunkwaffe, wie dies der überreich mit Schnitzerei verzierte Coutelasgriff
der Sammlung Zschille bestätigt. Die große Mehrzahl der in den spätmittelalterlichen Handschriften und Miniaturen abgebildeten Coutelas dürfte übrigens bloß in der Fantasie der mittelalterlichen
Zeichner existiert haben, welche da mit den abgebildeten Helden als einem fremden Land oder einer fernen Zeit angehörig, als Türken, alten Griechen, Philister, Römer oder Trojaner
charakterisieren wollten. Dieser Auffassung entspricht die Tatsache, dass von dergleichen Coutelas fast gar keine Originale auf uns gekommen sind.
Ungleich wichtiger ist uns der Sax als der Vorläufer des mittelalterlichen Dolches. Wie der Scramasax sich in verlängerter Gestalt als bäuerliche Waffe, als „Bauernschwert“, fortgepflanzt hat, so lebte er in verkürzter Form weiter im Mittelalterdolch. Unsere Kriegergräber der Völkerwanderungszeit enthalten nicht selten neben dem Langsax einen kurzen Sax, ein kurzes Messer, dessen Zweck ungefähr dem unserer heutigen Bauern-Dolchmesser gleichkam. Gegen Ende der Karolingerzeit vollzieht sich nun insofern eine Wandlung, als der durch das schwere Schwert überflüssig gewordene Langsax als Kriegswaffe — wie erwähnt — aufgegeben wird und stattdessen jenes Messer sich nun in seiner Länge zwischen Lang- und Kurzsax stellt. Seine Klingenspitze ist ausgeprägter und schärfer als die der bisherigen Saxe; sie macht diese Waffe weniger bloß zu Hieb und Schnitt geeignet. Die Klinge wird ersichtlich, neben ihrem Zweck als Messer, mehr als bisher auch Stichwaffe, zum Dolch. Es ist die Urform des Mittelalterdolches.
Die Spatha der Völkerwanderungszeit schließt sich in ihrer Form keineswegs an den ihr zeitlich unmittelbar vorangehenden Gladius an, sie bildet vielmehr eine direkte Fortsetzung des Spätlatène-Schwertes, wie ich es oben besprochen und abgebildet habe. Das ist eine Wahrheit, die noch oft verkannt wird. Sie ist aber unbestreitbar und auch leicht erklärlich dadurch, dass die germanischen Völkerschaften, welche uns die germanische Spatha zur Völkerwanderungszeit ins Land brachten, aus Gegenden kamen, welche, weniger beeinflusst von römischer Kultur, noch die La-Tène-Formen konserviert hatten. Das äußert sich nicht allein im Schwert, es äußert sich auch im Mitbringen des der Latènezeit entstammenden Scramasax und im Mitbringen von latènezeitlichen Totenbestattungsgebräuchen.
Die Völkerwanderungsspatha unterscheidet sich vom spätem La-Tène-Schwert nur wenig. Die Länge ist dieselbe, ca. 75—95 cm; die Klinge vorn nur leicht rundlich abbrechend zugespitzt, die beiden
Schneiden parallel, dazwischen eine breite flache Hohlkehle. Der Griff zeigt eine kurze Griffangel, etwas kürzer als die des La-Tène-Schwertes, in ihrer Konstruktion der des letzteren gleich.
Zwischen Griff und Klinge ist gelegentlich, wie bereits bei einzelnen La-Tène-Schwertern, eine schmale Eisenplatte gelegt, die man nun dort mittelst Stiften am Holzgriff festnietet. Sie sollte
die Stelle des Zusammentreffens von Griff und Scheidenmündung vor Abnutzung schützen und war nebenbei geeignet, die längs der Klinge herabgleitenden Hiebe vom Holzgriff und von der Hand
abzuwehren; es ist der Embryo der mittelalterlichen Parierstange.
Erwähnenswert ist auch eine andere Neuerscheinung, gleich unscheinbar noch, aber ebenfalls „zu höherem geboren“. Das Ende der Griffangel ist ebenso beim La-Tène-Schwert wie beim römischen Gladius
und bei der gewöhnlichen frühalemannischen Spatha ohne besonderen Schmuck geschmiedet, d. h. man hat das Angelende nach Einfügung des Holz- oder Horngriffes platt geschlagen und damit einem
Herausrutschen des Griffes vorgebeugt. Hier und da hat man auch, um bei jener Vernietung eine Beschädigung des Griffendes zu verhindern, zwischen dieses und das Angelende eine Eisenblechscheibe
gesetzt. Diese beiden bisher unscheinbaren Bestandteile am Griffende beginnen nun in der Völkerwanderungszeit anzuschwellen. Das Blechstück wird vergrößert und verstärkt, das Angelende zu einem
pilzartigen Knopf ausgebildet, der besser als bisher alle Griffteile vor Lockerung sicherte. Es ist der Embryo des mittelalterlichen Schwertknaufes. So präsentiert sich uns das Schwert in den
Gräbern der Franken- und Merowingerzeit. Als Merkmal kann im Allgemeinen gelten, dass das Schwert umso älter ist, je schmächtiger entwickelt die eben erwähnten Eisenbestandteile am Griff sind und
dass das Schwert umso jünger ist, je stärker, je massiver jene Teile ausgebildet erscheinen.
Schwerter dieser Art finden sich in Merowingergräbern überaus zahlreich und bildeten die Hauptwaffe eines jeden Freien. — Häufig sind diese Schwerter an den Eisenteilen des Griffes durch Gold-
und Silbereinlagen (Tauschierungen) verziert, besonders reiche — ich erinnere an die Funde von Pouan etc. — zeigen sogar Belag mit Goldblech und Almandinen. Selbst mit Runen hat man die Knäufe
und Griffschienen bedeckt, wie einige Beispiele erhalten sind und aus dem Beowulflied (Vers 1688—1699) hervorgeht: „Und Hrodgar sprach, indem er den Schwertgriff betrachtete, das alte Erbstück,
in welchem der Ursprung des vorzeitlichen Kampfes eingegraben war. In Runenstäben war auf den von Gold leuchtenden Leisten richtig vermerkt, gesetzt und gesagt, für wen das Schwert zuerst
gefertigt worden sei, der Schwerter bestes und wurmbunt.“
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Quelle des Textes und der Bilder:
Die Schwerter und Schwertknäufe der Sammlung von Schwerzenbach
Einblick ins Buch hier.
Sprache: Deutsch
ISBN: 9783748539810
Format: Taschenbuch
Seiten: 252
Erscheinungsdatum: 05.05.2019
Ladenpreis: 24,95 Euro