Das Beinzeug oder der Beinharnisch besteht in seiner vollendeten Ausbildung aus den Diechlingen (fr. cuissards, ital. cosciali), welche die Oberschenkel bedecken, den Kniebuckeln (fr. genoullières, ital. ginocchielli), den Beinröhren (fr. grêves, ital. schinieri) zum Schutz der Unterschenkel, endlich aus den Schuhen (fr. sollerets, ital. scarpe), Eisenschuhen.
Fig. 120. Unterbeinzeug von der Statue Ulrichs, Landgrafen von Elsass, an der Wilhelmskirche zu Straßburg von 1344 nach Viollet-le-Duc.
Fig. 121. Vollständiges Beinzeug mit Ober- und Unterdiechlingen und Kniebuckelgeschüben von einem gotischen Feldharnisch Kaiser Maximilians I. um 1480.
Das gesamte Beinzeug am Plattenharnisch kristallisierte sich gewissermaßen aus den Knien heraus, denn wir sehen eine Deckung des Beines durch Platten zuerst an den Kniepunkten auftreten. Als im Laufe des 12. Jahrhunderts die Beinkleider aus sogenanntem Panzerzeug in Aufnahme kamen, welche auch den Vorfuß bedeckten und in welchen die Beine wie in Säcken steckten, fühlte man trotz des errungenen Vorteiles, dass die der Verletzung am meisten ausgesetzten Knie durch den Ringpanzer noch nicht ausreichend geschützt waren. Man schnallte daher über die Partie des Knies einen breiten Streifen aus starkem Leder, auf welchen gerade über der Kniescheibe eine kreisrunde Eisenplatte genäht wurde. Diese ersten Kniebuckel (genouillières) treten schon am Beginn des 13. Jahrhunderts auf, denn wir finden sie schon in guter Ausbildung am Grabmal des Robert de Vere, Herzogs von Oxford, von 1221. Der Haubert, damals noch bis zu den Knien reichend, deckte die Oberschenkel anfangs leidlich, dennoch sah man sich zu Verbesserungen veranlasst. Der breite Lederstreif, welcher das Beugen des Knies erschwerte, fiel weg, die eisernen Kniebuckel wurden mittelst Riemen und Schnallen in der Kniebeuge befestigt (Fig. 120) und schon um 1270 fügte man zuweilen ein einfaches Geschübe an, welches einen Teil der Oberschenkel deckte. Dadurch bildeten sich die Anfänge der oberen Schenkelschienen, welche Dielinge oder Diechlinge (cuissots) genannt werden. Nach dem Maß, als der Haubert kürzer gemacht wurde, was schon am Beginn des 14. Jahrhunderts merkbar wird, musste der Schutz der Oberschenkel nötiger werden. So ersehen wir auch um die Mitte des 14. Jahrhunderts die Diechlinge den ganzen Schenkel ausfüllend. Die ersten Diechlinge deckten nur die äußere Seite, da der innere Teil am Sattel zu liegen kam. Dem ungeachtet versuchte man gegen 1360 die Oberschenkel in Röhren zu stecken, eine Form, die sich unmöglich erhalten konnte. Man kehrte zu der alten Form zurück, versah aber die äußere Seite des Diechlings mit einer Längsschiene, die an ersterem mittelst Riemen befestigt wurde, später, bis ins 15. Jahrhundert, wurden diese Streifschienen angenietet. Die Sorge nach möglichstem Schutz der äußeren Seite führte zunächst dahin, auch die Kniebuckel nach dieser Richtung hin auszudehnen. So entstand um 1390 der vollständige Kniebuckel mit seiner äußeren Muschel, wie er im Wesentlichen bis ins 17. Jahrhundert gleichgeblieben ist. Noch vor dem Entstehen der Diechlinge, um die Mitte des 13. Jahrhunderts, tritt das Bedürfnis auf, die damals weit mehr gefährdeten Unterschenkel durch Platten zu decken. Anfänglich wurden schmale Schienen an den vorderen Teil des Beines geschnallt, die allgemach breiter wurden und das Bein immer mehr umfassten. So entsteht am Anfang des 14. Jahrhunderts die Beinröhre (grève), welche in steter Ausbildung bis ans Ende des 16. Jahrhunderts einen Harnischbestandteil darstellt, der für uns noch nebenher dadurch bemerkenswert ist, als wir jeden Harnisch als „ganzen“ benennen, der mit Beinröhren und Schuhen ausgestattet ist, während wir im Gegenfall denselben als „halben“ bezeichnen.
Der Lentner des 14. Jahrhunderts deckte noch bis an den halben Oberschenkel, dem entsprechend reichten auch die Diechlinge nicht sehr hoch an demselben hinauf. Gegen Ende des Jahrhunderts gefiel man sich in kurzen Lentnern. Das veranlasste zu einer Verlängerung der Diechlinge nach aufwärts durch Ansetzen eines weiteren Stückes. Dadurch entstand der Oberdiechling, während das ursprüngliche Stück nun Unterdiechling genannt wurde. Man behielt diese Teilung aus der Ursache bei, weil je nach der Deckung, die dieser oder jener Brustharnisch mit seinen Bauchreifen und Beintaschen gewährte, ein kürzerer oder längerer Diechling sich empfahl. Später, im 16. Jahrhundert, trat ein anderer Grund hervor, der Diechlinge verschiedener Längen nötig machte. Die kurzen spanischen Bauschhöschen gestatteten nur das Anlegen der Unterdiechlinge, während in voller Feld- oder Turnierausrüstung die Oberdiechlinge unentbehrlich waren.
Der Diechling, mittelst zweier Riemen an den Schenkel geschnallt, erhält in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine weitere Befestigung mittelst Schnüren an den Leibgürtel, um das Abrutschen desselben zu verhindern. Zu diesem Zweck wurde am Oberrand ein Lederlappen angenietet, durch dessen Löcher die Schnüre liefen, mit welchen der Diechling an den Gürtel befestigt wurde. Diese Befestigungsart erhält sich bis an den Schluss des 16. Jahrhunderts. (Fig. 124.) Die Oberdiechlinge deckten im 15. Jahrhundert oberhalb nicht den ganzen Oberschenkel. Nur an gotischen Harnischen vom Ende dieses Jahrhunderts, welche gemeiniglich nur kleine Beintaschen und zuweilen auch gar keine besaßen, reichten sie hart bis an die Leisten hinauf. Von der Mitte des 15. Jahrhunderts trifft man italienische und burgundische Harnische, deren Kniebuckelgeschübe nach auf- und abwärts spitz zugeschnitten werden. Das untere dieser Geschübe hängt mit der Beinröhre mittelst eines Drehbolzens (goujon-tourniquet) zusammen, eine Verbindung, die stellbar ist und eine Verlängerung oder Verkürzung der Beinröhre zulässt. (Fig. 121.) Bald nach dem Beginn des 16. Jahrhunderts erschienen die geschobenen Diechlinge aus einem System von 8 bis 10 quer angeordneten Folgenschienen bestehend. Diese Neuerung führte um 1520 zu der Verbindung der Diechlinge mit den Bauchreifen und zur Bildung der Schöße. Beinzeuge für das Feld wie für alle Turnierarten zu Ross besitzen durchweg in den Kniebeugen offene Gelenke, nur das Beinzeug für den Fußkampf ist in der Regel dortselbst mittelst Folgen geschlossen; dann ist aber auch der Diechling als eine vollständige Röhre gebildet.
Die Form der Beinzeuge an Maximiliansharnischen werden wir an den Darstellungen dieser Gattung am besten ersehen, wir bemerken jedoch, dass bei geriffelten Harnischen die Beinröhren stets ungeriffelt, somit glatt vor Augen treten. (Fig. 131a und b.)
Mit dem Auftreten der großen Bewegung, die wir mit dem Wort Renaissance bezeichnen, ändern sich auch die Formen des gesamten Harnisches und damit des Beinzeugs. In allen Formen ist schon die Linienführung der neuen „antikischen“ Kunst deutlich
Fig. 122. Vollständiges Beinzeug mit schmalen Oberdiechlingen von einem Kampfharnisch der Albrecht Achilles, Markgrafen von Brandenburg (gest. 1486) zugeschrieben ist. Das Beinzeug ist jedoch um etwas jünger und dürfte um 1505 geschlagen sein. Auf den Diechlingen ist die Tracht der Landsknechte nachgeahmt. Die Füße decken bereits schwere Kuhmäuler.
Fig. 123. Bruststück mit angeschnallten Schößen. Um 1570.
merkbar. Die scharf aufgetriebenen Buckel verschwinden und machen den kugelförmigen Platz, die zackigen Folgenränder (Fürfeilen) werden geradlinig, eine Änderung, die zwar zweckmäßiger genannt werden kann, die Schönheit aber nicht fördert. Die Tracht der Zeit mit Schlitzen und Puffen wird von den Plattnern am Beinzeug, wie überhaupt am Harnisch häufig nachgeahmt. (Fig. 122.) Aber weit eingreifender ist die Umwandlung vom Gesichtspunkt der Kriegskunst; sie ist vom Fußvolk, aus Landsknechtkreisen, ausgegangen. Der Landsknecht entledigte sich um 1520 des Unterbeinzeugs, das ihm
Fig. 124. Beinzeug mit geschobenem Diechling und halber Beinschiene. Um 1560.
Fig. 125. Unterer Teil einer Beinröhre in Verbindung mit einem Panzerschuh.
im Marsch hinderlich war, völlig und begnügte sich mit den Diechlingen oder den Schößen. Dadurch entstand der „halbe Harnisch“, der auch bald von leichten Reitern angenommen wurde, die ihn mit kleinen Abänderungen als „reiterischen“ oder „Trabharnisch“ trugen. (Fig. 123.) Von dieser Umbildung in Söldnerkreisen blieb der ritterliche Harnisch unberührt, der sozusagen für sich selbst sich weiterbildete
In zahllosen Formen tritt uns von etwa 1550 an der Trabharnisch vor Augen. Er nimmt um diese Zeit selbst eine Art Beinzeug wieder auf, indem der Reiter die Schienbeine mit schmalen Platten bedeckt, die er an die Waden schnallt. (Fig. 124.)
Fig. 126. Durchbrochenes Beinzeug nach einem Modell in der Sammlung Poldi-Pezzoli in Mailand. Die Durchbrechungen sind für Samtunterlage berechnet, die Schuhe für Panzerung oder Leder. Italienisch um 1580.
Fig. 127. Vollständiges Beinzeug mit Schößen, welche auch ohne Beinröhren zu tragen sind. Die letzteren sind in den inneren Seiten geschnürt. Der Eisenschuh besitzt ein Rist- und Ballengeschübe. Um 1560.
Harnischformen, welche einen Übergang vom ritterlichen, dem alten Kürisserharnisch zum Landsknecht- oder Trabharnisch darstellen, finden sich von 1550 an äußerst zahlreich. Man kokettierte einerseits mit dem Geschmack des demokratischen Söldners, anderseits übte das von selbem aufgestellte Prinzip der Bequemlichkeit und Leichtigkeit seine Wirkung. Das war die Ursache, dass man an Feldharnischen und an solchen für das Fußturnier häufig gar keine
Fig. 128. Vollständiges Beinzeug mit geschobenen Kniebuckeln und Schuhen von einem Feldharnisch Ferdinand des Katholischen, Königs von Aragonien. Um 1480.
Fig. 129. Vollständiges Beinzeug mit umfangreichen Schößen. Der Eisenschuh besitzt neben dem Rist- und Ballengeschübe auch ein Knöchelgeschübe. Um 1620.
Eisenschuhe, sondern solche aus Panzerzeug trug, welche nur vorn an den Spitzen eine Bedeckung durch Eisenplatten, die sogenannten Schuhkappen, erhielten. (Fig. 125.) In die Gattung der Trabharnische reihen sich die in Italien viel getragenen leichten Harnische, deren Platten durchaus in Dessins durchbrochen gearbeitet waren. Wir bringen hier ein derartig gearbeitetes Beinzeug nach einem Modell aus der Sammlung Poldi-Pezzoli in Mailand. (Fig. 126.)
Wir sehen in den Sammlungen zahlreiche ganze Harnische, welche je nach Gefallen auch als halbe getragen werden konnten. Sie kennzeichnen sich durch den aufgeworfenen Rand am unteren Kniebuckelgeschübe.
Von etwa 1570 an finden sich häufig Beinröhren, welche an den inneren Seiten nicht mittelst Häspen (boutons à ressort) geschlossen, sondern geschnürt werden. (Fig. 127.)
Der Eisenschuh (soleret) tritt von der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts an stets in organischer Verbindung mit der Beinröhre auf, ja diese selbst bildet schon einen Teil des Schuhes dadurch, dass sie meist bis an die Ferse reicht und an den entsprechenden Punkten die Knöchelauftriebe besitzt. An den vorderen Ristbogen setzt sich ein nach abwärts gerichtetes Geschübe bis an die Spitze fort.
Der Eisenschuh bildet sich allmählich erst am Ende des 13. Jahrhunderts, indem eine steife Platte über den mit Panzerzeug bedeckten Vorderfuß gelegt wird, die man an der Ferse mittelst eines Riemens befestigte. Um 1290 ist diese Bedeckung durch ein Geschübe ersetzt. Noch um 1390 besteht der Schuh des gemeinen Söldners aus Leder, das mit kleinen Platten mosaikartig benäht ist. Eisenschuhe vom Anfang des 14. Jahrhunderts enden im Geschübe in eine stumpfe Spitze (Fig. 128) oder sie setzen sich in langen Schnäbeln (fr. à la poulaines, ital. scarpe a punta) fort (Fig. 121), welche etwas nach abwärts gebogen sind. Diese langen Schnäbel, welche man mit Recht als eine Verirrung der Mode betrachtete, hatte gleichwohl, wenigstens anfänglich, einen praktischen Zweck. Je unvollkommener das Beinzeug war und je weniger der Reiter imstande war, den Vorfuß auf- und abwärts zu bewegen, desto näher lag die Gefahr, den Bügel zu verlieren. Der lange Schnabel verhinderte dies und gestattete dem Reiter, den verlorenen Bügel rasch wieder zu erfassen.
Erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts erscheinen die Schuhe vollständig in Verbindung mit dem Beinzeug. Um 1400 ersehen wir die ersten Beispiele von absteckbaren Schnäbeln; dadurch vermochte der Reiter, zu Fuß befindlich, ohne Schwierigkeit zu schreiten. Zu Ross gestiegen, wurden die Schnäbel mittelst Drehbolzen am Rist befestigt. Um 1430 erscheinen in Italien Schuhe mit bis zu 36 cm langen Schnäbeln aus Holz, mit Leder überzogen und mit Eisenschuppen belegt, welche erst zu Ross an den Vorfuß gesteckt wurden. Der Schuhschnabel erhält sich bis ca. 1490 im Gebrauch.
In den letzten Jahren des 15. Jahrhunderts tritt die Reformbewegung ein, das Prinzip der Bequemlichkeit wird aufgestellt, vielleicht nicht ohne Mitbeteiligung Maximilians I. und des Markgrafen Albrecht Achilles von Brandenburg. Es führte in der Schuhform unmittelbar zu enormen Übertreibungen. Statt der schmalen gotischen Schnabelschuhe erscheinen die ungeheuerlichen Bären-Füße oder Kuhmäuler (pieds d’ours) von erschrecklicher Plumpheit. Erst um 1530 mäßigt sich allgemach deren Dimension und die Formen der Schuhe nähern sich allmählich der Fußform. Zunächst sehen wir sie abgezackt mit scharfen Ecken, später um 1550 rundet sich der Vorderteil und es entstehen die sogenannten Entenschnäbel, erst um 1560 nimmt der Schuh die natürliche Form des Vorfußes an, wie es die Zehenlage erfordert. Nur ist eine leichte Hinneigung erkennbar, den Vorfuß spitzig und damit schmal zu gestalten. Siehe das nebenstehende Schema. (Fig. 130.) Von der Mitte des 16. Jahrhunderts an ist ein reges Streben der Plattner ersichtlich, den Fuß
Fig. 130. Eisenschuhformen. a. 1290—1390. b. 1300—1490.ca. 1500— 1530. d. 1530—1540. e. 1540—1550. f. 1550—1560. g. 1560—1590.
im Eisenschuh beweglicher zu gestalten und damit das Reiten auf beweglicheren Pferden zu erleichtern. Zunächst ersehen wir das Ristgeschübe, etwas weiter vor das Ballengeschübe, endlich wird noch an der Beinröhre selbst ein Geschübe zunächst oberhalb der Knöchel, das Knöchelgeschübe, angeordnet. (Fig. 127 und 129.)
Dass man um 1570 hier und da wieder begann, Eisenschuhe zu tragen, welche nicht in Verbindung mit den Beinröhren standen, zeigt ein derlei Paar italienischer Provenienz in der kaiserlichen Waffensammlung zu Wien. Sie gehörten aber sicher keinem Vornehmen an.
Vorkehrungen zum Anlegen der Sporen an die Fersen sind der verschiedensten Art. Ist das Beinzeug an der Ferse hoch ausgeschnitten, dann war der Sporn unterhalb des Eisenschuhes befestigt. Um 1560 wird nicht selten der Spornhals an die Fersenplatte genietet, wie zahlreiche Beispiele erweisen. In den meisten Fällen aber wurde der Sporn über den Eisenschuh mittelst Riemen geschnallt.
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Fortsetzung: Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit.
Quelle: Wendelin Boeheims "Handbuch der Waffenkunde" von 1890.
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