In diesem Blogartikel veröffentlichen wir einen Auszug aus dem Buch: Mythologie und Zivilisation der nordamerikanischen Indianer - Zwei Abhandlungen. Es handelt sich um das Kapitel über die Sagen zur Entstehungsgeschichte der Erde:
Reichlich vertreten in der indianischen Mythologie sind die Sagen von der Entstehung der Erde, der Sintflut und der Erschaffung der Menschen. Nach den meisten derselben existierte am Anfang der
Zeit nur der Ozean, welcher heute noch die Flüsse auffängt und Sonne und Mond in seinem Busen verbirgt. Er hielt auch die Erde in seinen Wellen verborgen und es bedurfte nur eines wunderbaren
Ereignisses, um dieselbe an die Oberfläche zu bringen, wobei uns die nun schon so oft begegneten Vögel wieder eine Hauptrolle spielten.
Nach den Muscogees flogen zwei Tauben so lange über dem endlosen Wasser umher, bis sie einen Grashalm herausblicken sahen. Demselben folgten dann bald darnach die Inseln und später auch das
Festland. Die Athapasken erzählen, dass sie von einem Raben abstammen, dessen Augen Feuer, dessen Blicke Blitze und dessen Flügelrauschen Donner war. Als er sich dem Wasser näherte, kam plötzlich
die Erde hervor und blieb auch an der Oberfläche. Darnach schuf er alle Tiere. Nach einer Legende der Quichez gab es früher nichts als den Himmel, den Ozean und die „Vogelschlange“. Sobald jedoch
mächtige Winde über das Wasser fuhren, kam die Erde hervor. Die Tinnehs glauben, dass ihr Donnervogel das Wasser auseinandergejagt habe, worauf die Erde trocken geworden sei. Die Thlinkihts
halten ihren vogelähnlichen Gott Yehl, dessen Vater der Ozean war, für den Schöpfer des trocknen Festlandes und aller Tiere darauf. Nach einer anderen Sage verwandelte sich derselbe einst in
einen Grashalm, wurde alsdann von einer Jungfrau verschluckt und darnach als Knabe wiedergeboren. Sein Großvater, dessen Liebling er war, hatte Sonne, Mond und Sterne in drei große Kisten
verpackt und der Kleine ruhte nicht eher, bis er Herr darüber war und die Gefangenen freigesetzt hatte.
Die Liwaitos erzählen, dass sich früher ein gewaltiger See über das Sacramento Tal erstreckte, welcher jedoch, nachdem ein Erdbeben das sogenannte Goldene Tor geöffnet hatte, abfloss. Jenes
Erdbeben aber hatte zugleich alle Menschen, mit Ausnahme eines einzigen, getötet, welcher sich mit einer Krähe vermählte und so die Welt wieder neu bevölkerte. Die Korusis, ebenfalls in
Kalifornien wohnend, sind der Ansicht, dass früher die alte Schildkröte auf dem Weltmeer umher schwamm und einen Klumpen Schlamm aus der Tiefe holte und die Erde daraus bildete. Die Nischinams
sagen, dass von allen Dingen der Mond zuerst existiert und im Verein mit dem von den meisten kalifornischen Stämmen mit besonderer Vorliebe betrachteten Präriewolf alle Dinge geschaffen habe.
Auch die Atschomawis schreiben die Erschaffung der Erde dem Präriewolf zu. Er kratzte sie nämlich mit seinen Klauen aus dem Nichts hervor.
Die Yokuts erzählen, dass im Urozean eine Stange steckte, auf der abwechselnd ein Habicht und eine Krähe saßen, die späterhin, um sich die Langeweile zu vertreiben, noch andere Vögel schufen.
Eine kleine Ente holte die Erde aus der Tiefe. Wie Stephen Powers berichtet, so war es ein Wirbelwind, welcher nach der Sage der Mattoals in Kalifornien die raue, chaotische Erde in bewohnbaren
Zustand blies.
Die Irokesen glauben, dass sich die Erde blitzschnell aus dem Ozean erhob, um ihre vom Himmel fallende Stammmutter aufzunehmen. Bei den Takahlies, Osages und einigen Algonkinstämmen war es die
Moschusratte, welche das Hervorholen des Festlandes besorgte.
Wie nun die Erde aus dem Wasser erstand, so wurde sie auch in späterer Zeit wieder von demselben verschlungen, denn man findet wenige Stämme ohne eine ausführliche Sintflutsage. Die Überlebenden
retteten sich teils in Booten, teils in Höhlen und teils auf hohen Bergen oder Bäumen. Dabei treffen wir auch unsere Vögel wieder an. Wie Noah die Taube, so schickte Mitschabo den Raben aus, um
nach trockenem Land zu suchen. Auch bei den Athapasken, Natchez, Mandans und Tscherokesen sind es Vögel, welche zuerst das Land entdeckten. Die Tolowas haben folgende Flutsage:
„Es regnete einst so lange, bis alle Täler voll Wasser standen und sich die Indianer, die damals sehr zahlreich waren, auf eine Anhöhe flüchten mussten. Doch das Wasser folgte ihnen auch dahin,
und zwar so schnell, dass alle mit der Ausnahme eines einzigen Paares ertranken. Dasselbe hatte noch zur rechten Zeit die höchste Bergspitze erreicht und sich dadurch gegen den Untergang
geschützt. Beide lebten daselbst von Fischen, die sie durch die Wärme ihrer Achselhöhlen kochten, weil sie kein Feuer hatten und das Holz auch noch zu nass war. Von jenem Paar stammen nicht
allein alle jetzigen Indianer, sondern auch alles Wild in Feld und Prärie ab, da sich die Seelen der Verstorbenen je nach Umständen in Bären, Hirsche, Schlangen usw. verwandelten. Aber da sie
kein Feuer hatten, so machten sie eines Tages Anstalten, solches vom Mond, auf dem es dem Anschein nach im Überfluss existierte, zu holen. Die Spinnen-Indianer woben einen Luftballon und begaben
sich auf ihre gefährliche Reise. An Ort und Stelle glücklich angekommen, fanden sie jedoch durchaus nicht die erwartete freundliche Aufnahme. Denn, wie es schien, so ahnten die Mond-Indianer den
wahren Zweck des fremden Besuches. Als aber die Spinnen-Indianer erklärten, sie seien nur gekommen, um ein gemeinschaftliches Spielchen zu machen, waren jene hocherfreut und baten, indem sie sich
ans Feuer setzten, doch ja gleich damit den Anfang zu machen. Während dieser Zeit kletterte nun ein Schlangen-Indianer an dem Seil, an welchem der Ballon auf der Erde festgehalten wurde, auf den
Mond, stahl einen Feuerbrand und entkam unbemerkt damit. Die Spinnen-Indianer hingegen waren erfolglos und wurden längere Zeit als Kriegsgefangene zurückbehalten. Als sie endlich freigegeben
wurden und wieder in ihre Heimat zurückgekehrt waren, behandelte man sie daselbst durchaus nicht als Wohltäter der Rasse, sondern verurteilte sie zum Tod.“
Die Schastikas, welche glauben, die Erde sei von einem Maulwurf aufgewühlt worden, sagen, die Sintflut sei durch Tränen entstanden, welche sie einst wegen des Todes eines guten indianischen
Jünglings geweint. Die Mandans haben, wie Mathews mitteilt, in der Nähe von Fort Berthold auf einem freien Platz eine Fass ähnliche Hütte stehen, welche die Arche vorstellen soll, in der sich
einstens der die Sintflut überlebende Indianer rettete. Dieselbe dient gegenwärtig zur Abhaltung ihres religiösen Geheimdienstes und wird darin auch die blutige, von Catlin in einem besonderen
Werk ausführlich beschriebene Okenpa-Zeremonie vorgenommen. Die Sintflut der Mandans entstand dadurch, dass ein Indianer, als er einen Dachs ausgraben wollte, unglücklicherweise durch den Rücken
der Schildkröte stach, auf welcher die Erde ruht.
Den Pimas zeigte ein Adler den Anbruch der Zerstörung an; demselben folgte lautes Donnern und dann kam die Sintflut. Zahlreiche Stämme haben Berge, welche sie für ihren Ararat halten. So verehren
z. B. die Mattoals den Taylors Peak, weil sich darauf die Überlebenden gerettet haben sollen, und die Indianer am Red River gehen nie an ihrer betreffenden Anhöhe vorüber, ohne darauf ein Zeichen
der Hochachtung zu hinterlassen.
Bildquelle: "Die Kopien der Weltkarte des Museum Borgia, etc. (Nachrichten von der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften und der Georg-August-Universität zu Göttingen, 22. Juni. 1892."
Mythologie und Zivilisation der nordamerikanischen Indianer
Zwei Abhandlungen
Autor: Karl Knortz
92 Seiten
Format: Softcover
Bindung: Taschenbuch
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-746718-91-0
Ladenpreis: 9,95 Euro
Veröffentlicht: 23.04.2018
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