In diesem Blogartikel richten wir unsere Aufmerksamkeit auf den Nachgang der niederländischen Revolution von 1795 und der damit einhergehenden Verluste von Rechten und
der niederländischen Adelsfamilien. Denn gänzlich war deren Entrechtung nicht vollzogen worden und es wurden Schlupflöcher für sie geschaffen. Der König konnte einzelnen Familien und Personen in den Adelsstand berufen. Dabei wurden alte historisch-bekannte Adelsgeschlechter umgangen, die ihre Adelstitel für immer verloren. "Schuld" daran, war das neue niederländische Grundgesetz:
"Die Revolution von 1795 hob auch in den Vereinigten Niederlanden alle Rechte des Adels, nicht aber, wie in den südlichen diesen selbst auf, sodass König Ludwig Napoleon, als er 1809 des konstitutionellen Adels im Königreich Holland einführte, befahl, das derselbe zusammengesetzt sein sollte:
1. Aus dem alten Landesadel, nachdem derselbe durch ihn bestätigt (nicht wiederhergestellt) wäre,
2. Aus den von ihm Geadelten.
Daher hatte jeder, welcher seine Abstammung vom alten Adel beweisen konnte, das Recht, die königliche Bestätigung zu verlangen, und war diese nicht etwa eine Gunst, sondern ein von ihm
garantiertes Recht.
Das Grundgesetz von 1814 verlieh im Artikel 42 dem souveränen Fürsten - respektive seit 1815 dem König - die Prärogative [Vorrecht des Herrschers], in den Adelsstand zu erheben. Dieses Recht "in
den Adelsstand zu erheben" wurde vonseiten der Regierung im weitesten Sinne als "nomen generis" aufgefasst, indem darunter auch zu verstehen sei, dass der Fürst das Prärogativ habe, den alten
Adel anzuerkennen, respektive also auch nicht anzuerkennen. Während also König Ludwig dem alten Adel die Anerkennung als ein ihm zustehendes Recht zugesichert hatte, verlieh Fürst Wilhelm ihm
dieselbe nur als eine Gunst. Die Folge war, dass viele Träger altadeliger Namen auf diese Gunst verzichteten und daher nicht die Gerechtsame des niederländischen Adels genießen, trotzdem keine
Gesetzesdeutung imstande ist, ihnen ein statutum personale, ihre Abstammung aus edlem Geschlecht, zu nehmen.
Der Vater des niederländischen Grundgesetzes, G. H. van Hogendrop, glaubte dasselbe auf monarchischen, aristokratischen und demokratischen Prinzipien aufbauen und, um dem zweiten Prinzip gerecht
zu werden, dem Adel politische Rechte verleihen zu müssen. Es wurde daher in jeder Provinz eine Ritterschaft gebildet, welche aus ihrer Mitte - neben den Städten - Mitglieder zu den
Provinzial-Landtagen entsenden sollte, während diese wiederum die Mitglieder der I. Kammer wählten. Da der alte Adel aber wenig zahlreich war und nicht in jeder Provinz imstande gewesen wäre,
eine Ritterschaft zu bilden, so wurden hauptsächlich bürgerliche Grundbesitzer in bedeutender Anzahl geadelt. Diese Herren fügten dann ihrem Geschlechtsnamen, wenn sie ein adeliges Gut besaßen,
sehr oft dessen Namen hinzu. Ging das Gut später in andere Hände über, so nahm wohl auch der neue Besitzer den Namen davon an, ohne dass aber die Nachkommen des Ersteren diesen abgelegt hätten.
Auch das Gutswappen wurde mit dem Familienwappen vereinigt, sodass Doppel- und mehrfache Namen und aus vielen Feldern zusammengesetzte Wappen in den Niederlanden gar nicht selten sind.
Unter dem 24. Juni 1814 befahl nun der souveräne Fürst zunächst die Errichtung eines "Hohen Adelsrates", welcher ihm die in den Adelsstand zu erhebenden Personen vorgeschlagen, das Recht der um
Anerkennung ihres alten Adels Bittenden untersuchen und Adels-Matrikel führen sollte.
In diese Matrikeln sollten nur solche Familien aufgenommen werden, die
1. als zum alten Landesadel gehörig durch den souveränen Fürsten anerkannt,
2. von ausländischem Adel nach erlangter Naturalisation dem niederländischen Adel durch denselben einverleibt,
3. durch ihn in den Adelsstand erhoben wären.
Mittelst Kabinetts-Ordre vom 13. Februar 1815 wurde dann dem Adel, falls Prädikat "Jonkheer" und "Hochwohlgeboren" sowie das Recht zum öffentlichen Führen und Gebrauchen eines Wappens gegeben,
während 1822 das unberechtigte Führen adeliger Titel bei Strafe verboten wurde. Auch sollten Aufzüge aus den Adelsmatrikeln durch das Staatsblad (Gesetzessammlung) bekannt gemacht werden, damit
die Behörden imstande wären, in ihren offiziellen Akten etc. den betreffenden Personen die ihnen vom König verliehenen Titel zu geben.
Dies war indes zum Teil unmöglich, da der hohe Adelsrat den König Adelsdiplome unterzeichnen ließ, in welchen an alle Descendenten des Geadelten, sowohl männliche wie weibliche das Prädikat
"Jonkheer" gegeben wurde und in denen alle Kaiser, Könige, Fürsten, Grafen, Landesherren und Souveräne, Republiken usw. ersucht wurden, weibliche Nachkommen als "Jonkheeren" anzuerkennen, während
dasselbe den niederländischen Behörden befohlen wird.
Erst vor wenigen Jahren hat man höheren Orts dieses zu erkennen geruht und lässt nun den König keine weiblichen Junker mehr kreieren.
Dass dem Hohen Adelsrat vielfach unmotivierte Gesuche um Anerkennung des alten Adels unterbreitet wurden und dass er, weil er dieselben nicht berücksichtigen konnte, angefeindet wurde, ist
natürlich. Inwieweit derselbe aber den, an ein heraldisches Rechts-Kollegium zu stellenden, Anforderungen genügte, möge man nach folgender Stelle aus einem Brief beurteilen, den der damalige
Präsident des Hohen Adelsrates, J. G. van Lijnden van Hemmen, d. d. Haag, den 14. April 1835 an einen Herrn schrieb, welcher ihn gebeten hatte, das ihm behufs Anerkennung seines alten Adels
ausgefertigte Diplom dahin zu vervollständigen, dass daraus seine Abstammung von einem um 1200 lebenden Dynasten [Herrschers] ersichtlich sei:
"Der Hohe Rat ist kein Kollegium von Herolden und Genealogen und das Diplom ist keine Genealogie. Bei der Anfertigung von Diplomen hält sich der Rat an Formularen, die der König approbiert hat,
durch welche ein Berühren des Ursprungs und der Geschichte der Geschlechter sorgfältig vermieden wird. Der Rat kennt auch keinen Unterschied von Geschlechtern des hohen oder niederen Adels, er
kennt nur edle und unedle. Es ist nicht die Frage, wie lange und seit wann man adelig ist und ob ein Geschlecht zum hohen oder niederem Adel gehört, sondern ob ein Geschlecht adelig ist oder
nicht."
Indem nun weiter zugegeben wird, dass der Bittsteller seine Abstammung in einer so evidenten Weise urkundlich bewiesen habe, wie es wohl nur wenigen vergönnt sein dürfte, sagte der Schreiber zum
Schluss: "Ein adeliger Titel ist nur durch allerhöchste Gunst zu bekommen!" Hieraus also folgt, dass den Edlen wohl ihr alter Adelsstand bestätigt, ein etwaiger früher geführter Adelstitel aber
aus königlicher Gnade neu verliehen werden musste! Während das Grundgesetz von 1840 in Bezug auf den Adel nichts änderte, nahm das noch zu Recht bestehende von 1848 dem Adel die ihm früher
gewährten politischen Rechte und lautet hier Artikel 63:
"Der König verleiht Adel. Fremder Adel kann von keinem Niederländer angenommen werden!"
"Verliehen" wird auch hier als nomen generis für "Anerkennen", "Einverleiben" und "Erheben" verstanden. Das Adelsprädikat ist "Jonkheer" respektive "Jonkvrouwe" und wird dasselbe dem Geadelten
und seiner gesamten ehelichen Descendenz verliehen. Die höheren Titel (Ritter, Baron, Graf) werden in der Regel nur personell oder forterbend nach dem Recht der Erstgeburt verliehen, doch ist
hier die Ausnahme - Übergang auf alle Descendenten - sehr häufig. Die früher mit politischen Rechten ausgestatteten Ritterschaft besteht in einzelnen Provinzen noch fort als eine einfache
Vereinigung adeliger Familien zur Verwaltung gemeinsamer Güter. Der Adel hat nur noch heraldische Rechte. Majorate, Lehnsverhältnisse und dergleichen bestehen nicht mehr.
Der Hohe Adelsrat, früher ein unter königlicher Genehmigung in Adelssachen direkt entscheidendes Kollegium, steht jetzt unter dem Justizminister und diesem in heraldischen, den Adel und den
deutschen Orden betreffenden Angelegenheiten ratend zur Seite, während ein Ministerialbeamter die Adels-Matrikel führt.
Der Rat besteht seit seiner im Jahr 1866 erfolgten Reorganisation aus dem Präsidenten (zur Zeit Dr. jur. R. J. Graf Schimmelpennunck van Nijenhuis), vier Mitgliedern, zu denen auch der Staatsarchivar gehört, und einem Sekretär.
Außer fl. 120 an Stempelgebühren pro Diplom wird folgende Taxe erhoben:
Erhebung in den Adelsstand: fl. 365
Anerkennung und Einverleibung: fl. 275
Erhebung zum Baron: fl. 275
Erhebung zum Graf: fl. 365
Erhebung zum Herzog fl. 600
Erhebung zum Fürst fl. 1000
Diese Gelder sollten nach der ursprünglichen Bestimmung zu nützlichen und mit dem Adel in Verband stehenden Zwecken verwandt werden. Sie sind aber als Kapital in dem Großbuch der Nationalschuld
eingetragen und die Zinsen fließen in den Staatssäckel."
Nachträgliche Anmerkungen:
Das niederländische "van" entspricht durchaus nicht dem deutschen "von", sondern ist so allgemein gebräuchlich, dass man statt nach dem Familiennamen fragt: "Wie ist sein van?" Überhaupt herrscht
in Holland eine wahre Namenssucht und nehmen namentlich bürgerliche Familien mit großer Vorliebe auf gesetzlichem Wege die Namen selbst entfernt verwandter adeliger Familien an. So werden auch
deutsche adelige Namen, wie z. B. von Gagern, Rühle von Lilienstern von Bürgerlichen geführt.
Textquelle: Der deutsche Herold, Band 7.
Bildquelle oben: "The American in Holland. Sentimental rambles in the eleven provinces of the Netherlands", 1899.
Bildquelle unten: "Sketches in Holland and Scandinavia", 1885.
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