Der brasilianische Sporn ist von auffallend merkwürdiger Form. Das Rad ist groß und scharfzackig, der Bügel breit und mit Löchern für das Riemenwerk versehen. Besonders eigenartig ist der Sporenhals (Radhalter), der weniger durch seine Länge, als hauptsächlich durch seine große Breite bzw. Höhe ins Auge springt. Diese diente zur Deckung bzw. zum Schutz des Rades ganz analog den verbreiterten Hälsen unserer gotischen Sporen. Ebenso finden wir bei diesen Sporen dieselbe Radform und auch eine auffallend breite Radhaltestange vor. Die Bügelform ist ähnlich. Es ist also nicht ganz unwahrscheinlich, wenn wir den brasilianischen Radsporen vom spätgotischen Radsporen mit breitem Hals ableiten.
Diese Form war zu Ende des 15. und zu Anfang des 16. Jhd. üblich. In diese Zeit fällt die Entdeckung Brasiliens (1500) und ihre gleich zu Anfang des 16. Jhd. durch Johann III. von Portugal in
energischer Weise in die Hand genommene Erwerbung und Kolonisation durch portugiesische Adelsleute. Durch diese mag dort der erwähnte gotische Sporentypus eingeführt worden sein.
Allmählich veränderte sich der Sporn und nahm seine nationale Gestalt an. Das Rad vergrößerte sich und erschuf nun einen breiten Radhalter, wie ihn die alte Welt nie gesehen hat. Damit ging der
Bügel parallel, indem auch dieser sich entsprechend verbreitern musste und der brasilianische Sporn war geschaffen.
Ähnlich der Entwicklungsgeschichte des brasilianischen Sporns ist diejenige des mexikanischen Sporns. Die charakteristischen Merkmale dieses sind das übermäßig große, vielspitzige Stachelrad und
der große Bügel, überhaupt die merkwürdige Größe des ganzen Geräts und dessen bedeutendes Gewicht. Er hat die in Abb. 166, S. 121 skizzierte Form, an der wir als Neuerscheinung eine große Scheibe
zwischen Radhals und Bügel beobachten. Gewöhnlich sind alle Teile in reich durchbrochener Arbeit ausgeführt und an die Stelle des Eisens ist das Silber getreten. Jeder nur halbwegs begüterte
Mexikaner trägt silberne Sporen und je reicher er ist, desto schwerer müssen diese sein. Je schwerer diese sind, desto größer sein Stolz und höher die Achtung der anderen vor dem „Cavaliero“.
Erst mit den Europäern hat Amerika die Sporen erhalten und es dienten also, wo diese hinkamen, europäische Formen als Vorbilder. In Mexiko ist erst spät die europäische Kolonisation zum Durchbruch gekommen. Das übrigens auch später als Brasilien entdeckte Land (1318) bildete in den ersten Zeiten nur den Schauplatz kriegerischer Eroberungs- und Raubzüge, indessen zu derselben Zeit Brasilien bereits blühende Kolonisation aufwies. Durch Jahrhunderte hin wurde Mexiko durch das Mutterland (Spanien) nur ausgeplündert und ausgesogen. Die Ziele der spanischen Besitzer gingen lediglich auf Unterdrückung und Ausbeutung des Landes aus, ließen also eine Kolonisation nur schwach und allmählich aufkommen.
Dies ist die Ursache, weshalb das Land erst im 17. Jahrhundert zu einem Stock ansässiger Europäer kam, wie sie Brasilien schon seit einem Jahrhundert besaß. War das 16. Jhd. für Amerika die Zeit
der Eroberungen und widerstandslosen Aufnahme europäischer Elemente gewesen, so bildete das 17. Jahrhundert dagegen für den neuen Erdteil den Beginn einer Ära der friedlichen Landeroberung durch
ausgedehnte Einwanderung und Kolonisation.
Dann folgte die Ausbildung nationaler Eigenheiten und lokaler Eigenformen. So entstand auch der mexikanische Sporen. Das Ende des 17. und besonders das 18. Jahrhundert waren die Zeit, da sich die
bisherigen europäischen Formen in amerikanische umbildeten und wo in Mexiko auch der Sporn seine spezifisch mexikanische Gestalt annahm. Zu dieser Zeit waren in Europa weitbügelige Sporen mit
großen, reichverzierten Rädern, barockartig geschwungenen Hälsen, einer verzierten, runden Vorsatzplatte und mit lang vorgreifenden, ziemlich breiten und ebenfalls meist durchbrochen ornierten
Bügelarmen üblich. Es war der sogenannte Louis-XIV.-Sporn, von dessen Größe in Deutschland lediglich die starke Bügelweite üblich war, der im Übrigen aber in diesen Dimensionen nur in Frankreich
und Spanien getragen wurde (ca. 1670—1720). Von letzterem Land gelangte dieser Sporen nach Mexiko und hier gab er das Vorbild zum mexikanischen Sporen, der im Schema diesen extravaganten Sporn
nachahmte, aber die Dimensionen noch vergrößerte. Der mexikanische Sporen ist also lediglich eine vergrößerte Kopie des altfranzösisch-spanischen Rädersporens vom Ende des 17. Jahrhunderts.
Mit dem mexikanischen Sporen ist zwar die Reihe der exotischen Umbildungen europäischer Sporenformen noch nicht erschöpft, doch schließt damit die Serie derjenigen exotischen Sporen ab, deren
Vorbilder vor das 18. Jahrhundert zu datieren sind, also vor die Zeit fallen, da der Sporn eine Ausrüstung der stehenden Heere zu bilden beginnt und demnach für uns sein Interesse verliert.
Text- und Bildquelle:
Der Sporn in seiner Formenentwicklung, Ein Versuch zur Charakterisierung und Datierung der Sporen unserer Kulturvölker, R. Zschille und R. Forrer (Autoren), ISBN 978-3-7450-8841-0
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